Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Ende Februar 2003 fand in Neapel der 4.Nationale Kongreß der linken Basisgewerkschaft S.in. Cobas (Berufsgruppenübergreifende Gewerkschaft der Basiskomitees) statt. Der Sin Cobas ist der jüngste branchenübergreifende Zusammenschluß der Basisgewerkschaftsbewegung. Er entstand erst Ende der 90er Jahre als Abspaltung des SLAI Cobas, der starke (allerdings nicht parteipolitisch festgelegte) marxistisch-leninistische Einflüsse aufweist bzw. auf die Autonomen Arbeiterversammlungen beispielsweise bei Alfa Romeo zurückgeht. Die späteren Sin Cobas-Kader sind im Kern stark trotzkistisch (an der offiziellen IV.Internationale) orientiert, kritisierten die zu große Orientierung des (in der Metallindustrie, bei der Post und den Mailänder Straßenbahnfahrern teilweise sehr starken) SLAI Cobas auf die eigene Organisation, sein teilweise zu politisches Auftreten und forderten eine intensivere Einheitsfrontpolitik insbesondere mit der wichtigsten italienischen Gewerkschaftszentrale CGIL bzw. deren linken Flügel (dem fast alle älteren Basisgewerkschafter entstammen !). Um eine solche Politik bemüht sich nun der Sin Cobas (der mittlerweile größer als der restliche SLAI Cobas sein dürfte) selbständig. Organisatorisch ist er locker mit der Confederazione Cobas verbunden, die vor allem in den Schulen, im Gesundheitsweisen und der Telekommunikation stark ist und eher revolutionär-syndikalistische bzw. ex-Autonomia Operaia-Einflüsse aufweist.


Aufgrund der Orientierung am Vereinigten Sekretariat der IV. Internationale verfügt der Sin Cobas über sehr gute Verbindungen zur Parteiführung von Rifondazione Comunista, der die italienische Sektion der IV.Internationale (um die Zeitschrift “ERRE” / früher “Bandiera Rossa”) angehört und ebenso zur Tageszeitung von Rifondazione, “Liberazione”, in deren Ausgabe vom 21.2.2003 als erster Beitrag über den Kongreß ein Interview mit dem Nationalen Sekretär des Sin Cobas, Luciano Muhlbauer, erschien.



Heute beginnt in Neapel der 4. Nationale Kongreß des S.in.Cobas:


“Konfliktorientiert und partizipativ”


Fabio Sebastiani


Heute beginnt in Neapel der 4. Nationale Kongreß des S.in.Cobas, der bis Sonntag dauern wird. An den Arbeiten des Kongresses werden ca. 200 Delegierte teilnehmen. “Liberazione” hat Luciano Muhlbauer vom Nationalen Sekretariat interviewt.


Aufgrund einer Terminüberschneidung ist heute auch der Tag des <von der CGIL ohne die beiden kleineren (und weiter rechts angesiedelten) Gewerkschaftsbünde CISL und UIL ausgerufenen> Generalstreiks der Industrie.


“Der Streik vom 21.Februar 2003 stellt sich für uns als eine Etappe der Herbeiführung des Generalstreiks gegen den Krieg dar, der von den Basisgewerkschaften bereits beschlossen worden ist, am kommenden Dienstag allerdings Gegenstand eines Gespräches auch mit FIOM, CGIL und CISL sein wird. Die Mobilisierung gegen den Krieg, die Herbeiführung des Generalstreiks mitsamt der breitestmöglichen Einbeziehung <von Kräften> und in der Perspektive der Ausweitung auf kontinentaler Ebene wird eines der zentralen Themen sein, die den Kongreß des S.in.Cobas charakterisieren werden. Ein Streik, der nach der gestrigen Parlamentsabstimmung <mit einem mehrheitlichen Votum für die Unterstützung der Bush-Politik> noch notwendiger ist.”


Dieser Kongreß findet mitten in der innerlinken Debatte über das Referendum zur Ausdehnung des Kündigungsschutzes statt.


“Das zweite Generalthema, das im Mittelpunkt des Kongresses steht, wird der Aufbau der Kampagne für das Ja zum Referendum über die Ausdehnung des Artikels 18 sein, da unsere Gewerkschaftsorganisation zu den Initiatoren dieser Referendumsfrage gehört. Ein Sieg des Ja, der angesichts der breiten gesellschaftlichen Zustimmung, die auch aus diversen Umfragen hervorgeht, eine konkrete Möglichkeit ist, würde es gestatten, damit zu beginnen die Tendenz zur Privatisierung und zur Verarmung der Werktätigen umzukehren. Kurz, es ist eine Gelegenheit, um wieder anzufangen zu siegen.”


Ihr habt diesen Kongreß als Kongreß der Wende bezeichnet.


“Der S.in.Cobas entstand, wie alle Basisgewerkschaften, aus einem von unten und von den Arbeitsstätten ausgehenden Bruch mit dem sozialpartnerschaftlichen Modell. Er entstand, wie alle Basisgewerkschaften, in einer, durch politische und soziale Niederlagen gekennzeichneten Phase, im Rahmen der Widerstandskämpfe. Heute ist das Szenario nicht mehr dasselbe. Die sozialpartnerschaftliche Politik, die in der traditionellen Gewerkschaftsbewegung in Italien vorherrschend ist, zeigt, daß sie sich in der Krise befindet. Es ist kein nützliches Ergebnis für die Arbeiter erzielt worden. Im Gegenteil, die Begleitung der wirtschaftsliberalen Politik hat die Erosion der Einkommensniveaus und die Verallgemeinerung der prekären Bedingungen begünstigt. Letzten Endes hat sie die Werktätigen auf der Lohnebene und der Ebene der Rechte, aber auch in ihrer Verhandlungsmacht geschwächt. Das ist ein verändertes Szenario, aus dem einige Gewerkschaftsorganisationen die extremen Konsequenzen gezogen haben und - wie die <christdemokratische> CISL - mit dem neokorporativen und kollateralen Modell das Ende der traditionellen Rolle der Gewerkschaft erklären, während andere - wie die CGIL - sich in einer widersprüchlichen Situation zwischen Konfliktbereitschaft und Sozialpartnerschaft befinden.”


Es gibt jedoch die ermutigende Tatsache des Entstehens der Bewegung...


“Von Genua, Seattle und Porto Alegre bis zur Mobilisierung der 110 Millionen <Menschen weltweit (laut den, wie so oft, weit überhöhten italienischen Zahlen)> gegen den Krieg am 15.Februar gibt es eine Kontinuitätslinie, die über den Aufschwung der Mobilisierungen der Werktätigen (lavoratori) in Italien, Spanien, England und Griechenland führt. Dies ist die neue Tatsache. Auf der Tagesordnung steht die Rekonstruktion einer konfliktorientierten und partizipativen Gewerkschaftsbewegung. Im Mittelpunkt steht dabei der Kampf zur Ausdehnung der existierenden Rechte und die Eroberung neuer sozialer Rechte. Der Kampf gegen die Prekarisierung der Arbeit, des Einkommens und des Lebens. Die Rückeroberung des Lohnes, der in den letzten Jahren verloren wurde sowie reale Erhöhungen, indem vor allem wieder ein automatischer Mechanismus der Anpassung der Löhne und Gehälter an die reale Inflation eingerichtet wird. Darüberhinaus ein soziales Einkommen für Arbeitslose und prekär Beschäftigte und die Harmonisierung der Lohnniveaus auf europäischer Ebene.”


An welchem Gewerkschaftsmodell arbeitet Ihr ?


“An einer neuen Art der Gewerkschaftsarbeit, die wir konfliktorientiert und partizipativ nennen; die von diesen Inhalten ausgeht; die die neuen und immer ausgedehnteren prekären Arbeitsbedingungen als zentral ansieht; die vor allem eine soziale und organisatorische Beziehung zur jungen Generation der Werktätigen aufbaut, die immer weniger gewerkschaftlich organisiert sind.

Auf der Grundlage dieser Inhalte und der Mitarbeit in den sozialen Bewegungen ist unser gewerkschaftlicher Vorschlag nicht selbstbezogen. Er wendet sich aber nicht nur an die Basisgewerkschaften, sondern an alle anti-wirtschaftsliberalen / Anti-Freihandels- und anti-sozialpartnerschaftlichen Sektoren und Gewerkschaftsorganisationen. Uns interessieren nicht die organisatorischen Abgrenzungen, sondern die Inhalte. Es ist möglich in den Bewegungen und mit den Bewegungen den Aufbau einer konfliktorientierten und partizipativen Gewerkschaftsbewegung wieder auf die Tagesordnung zu setzen.”



Der zweite und abschließende Bericht über den S.in.Cobas-Kongreß erschien in “Liberazione” vom 26.2.2003:


Würde auf der Arbeit und Frieden als strategische Werte.


S.in.Cobas-Kongreß


Fabio Sebastiani


Am Sonntag ist in Neapel der 4. Kongreß des Sin.Cobas zuende gegangen. Zum Ende der Arbeiten wurde ein Schlußantrag verabschiedet, in dem als vorrangige Verpflichtung der gesamten Gewerkschaftsorganisation auf allen Ebenen bekräftigt wird <alles zu tun, um> “den Krieg zu stoppen und für den Sieg des Ja beim Referendum zur Ausdehnung des Artikels 18” <zu sorgen>. Der Sin.Cobas ruft zu einem Generalstreik gegen den Krieg auf, “der keinen symbolischen oder <Meinungs->Bekundungscharakter haben soll”. In Bezug auf das Referendum ist die Bildung der Komitees für das Ja an jedem Arbeitsplatz und jedem Ort zentral.


“Von Seattle, Porto Alegre, Genua und dem Europäischen Sozialforum in Florenz bis zum 15.Februar <2003 mit seinen weltweiten Anti-Kriegs-Demos> gibt es eine Kontinuitätslinie” - schreibt der Sin.Cobas - “die über den Aufschwung der Mobilisierungen der Werktätigen nicht nur in Italien, sondern auch in anderen Teilen Europas verläuft und die belegt, daß auf internationaler Ebene ein neuer Kampfzyklus aufkommt. Die Krise der wirtschaftsliberalen Politik wird durch die schnelle Ausdehnung der Bewegungen in der Gesellschaft begleitet. Heute befinden wir uns nicht mehr einfach in der Phase des Widerstandes”, liest man in dem Antrag.


Was die Gewerkschaftsorganisation Sin.Cobas anbelangt, so trifft sie einige präzise Entscheidungen: Branchenübergreifend <zu agieren>, gebietsbezogene Aktion <durchzuführen> sowie <ein> Haus der Arbeit und der Rechte <in möglichst vielen Städten schaffen>. “Die konfliktorientierte und partizipative Gewerkschaft aufzubauen, bedeutet mit einer anderen Art der Gewerkschaftsarbeit zu experimentieren und zu arbeiten, die der Phase und der heutigen Realität der Arbeitswelt angepaßt ist.” Im Gegensatz zu dem, was auf dem vorangegangenen Kongreß beschlossen wurde, unterstreicht der Sin.Cobas, daß “kurzfristig keine konkreten Möglichkeiten für weitere organisatorische Verflüssigungen und Vereinfachungen innerhalb der Basisgewerkschaftsbewegung existieren”. “Dennoch” - fügt er hinzu - “kann und darf dies nicht aufgegeben werden.” Die Orientierung ist, “die maximale Einheit mit allen Basisgewerkschaften über Ziele und Inhalte zu schaffen - allerdings nicht, indem sich unser Vorschlag auf diese beschränkt”. Ein positives Urteil wird dem Aggregationsprozeß bescheinigt, der im Transportsektor zwischen <den Basisgewerkschaften> Sin.Cobas, SULTA, CNL und UCS stattfindet. “Dennoch arbeiten wir daran, daß der Transportsektor des Sin.Cobas einen föderativen Pakt mit den anderen Gewerkschaftsorganisationen eingeht, die am SULT-Projekt teilnehmen.”


Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover