Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Mitte
Dezember 2005 spitzte sich die italienische Metalltarifrunde unter dem Versuch
der Kapitalseite, den Samstag als Regelarbeitstag zu erzwingen und die
italienische Variante des Betriebsrates (die Einheitlichen Gewerkschaftlichen
Vertretungen – RSU’en) weitgehend ihrer
Mitspracherechte zu berauben, soweit zu, dass die Verhandlungen von
Gewerkschaftsseite abgebrochen bzw. unterbrochen wurden. Zunächst ließ die
zweitgrößte Branchengewerkschaft (die christdemokratische FIM-CISL)
durchblicken, dass sie erneut zu einem unterwürfigen Separatabkommen bereit
sei. Dazu kam es dann allerdings doch nicht und die drei größten
Metallergewerkschaften FIOM-CGIL, FIM-CISL und UILM-UIL bezogen gegenüber den
dreisten Forderungen der Federmeccanica einmütig eine
ablehnende Haltung. Dass es, anders als zwischen 2001 und 2004, wo FIM und UILM
vier nationale Separatabkommen schlossen (darunter die letzten beiden
Lohntarifverträge!), diesmal nicht zur erneuten Spaltung kam, hat mehrere Gründe.Ein Großteil der Industriellen wollte kein neues
Separatabkommen, um lang andauernde Unruhe in den Betrieben zu vermeiden, wie
sie die jeweils ausgegrenzte FIOM, die mehr Mitglieder hat als die beiden
anderen Gewerkschaften zusammen, in der jüngeren Vergangenheit mit ihrem „Häuserkampf“
als Reaktion darauf entfacht hatte, und war nicht einmal bereit für ein solches
Spalterabkommen einige Brosamen zuzugestehen. Desweiteren
kam sofort eine ganze Reihe ablehnender Stellungnahmen von der CISL-Basis, zum
dritten war diesmal auch die UILM nicht zum Kotau bereit und zum vierten wurde
hinter den Kulissen von den Parteiführungen der Mitte-Links-Union heftig Druck
ausgeübt, mit Blick auf die Parlamentswahlen Anfang April 2006 Zerreißproben
des Anti-Berlusconi-Lagers zu vermeiden.
Dennoch
handelte es sich um eine ebenso spannende wie aussagekräftige Passage der
Tarifpolitik, über die die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ in den folgenden beiden Artikeln berichtet.
Der erste erschien am 16.12.2005:
Metallarbeiter:
Angekündigter Bruch
Caprioli (FIM-CISL) lässt die
gewerkschaftliche Plattform fallen. Sehr gefährliche Situation. Rinaldini (FIOM): „Wenn
Caprioli eine andere Plattform als die von über 90%
gebilligte besitzt, wäre es besser, dies die Arbeiter wissen zu lassen.“ Federmeccanica und der Versuch zu keinem Abschluss zu
gelangen.
FRANCESCO PICCIONI
Jetzt sind die Karten
wirklich aufgedeckt. Die Verhandlungen über die Erneuerung des zwei Jahre
geltenden finanziellen Teils des Tarifvertrages der Metallarbeiter stehen kurz
vor dem Abbruch. Die offizielle Ankündigung kam gestern beim Treffen der drei
nationalen Sekretäre (von FIOM-CGIL, FIM-CISL und UILM) vom FIM-Sekretär
Giorgio Caprioli. Die FIM „hält die Möglichkeiten,
bei den Verhandlungen über die Erneuerung des zwei Jahre geltenden finanziellen
Teils des nationalen Tarifvertrages positive Resultate zu erzielen, für
erschöpft. Nach fast einem Jahr Verhandlungen sind die von der Federmeccanica in Sachen Lohn und in Sachen Arbeitsmarkt
unternommenen Schritte sehr unzureichend. Die einzige Möglichkeit, das Gespräch
zu beginnen, wurde von der Fähigkeit der FIM, FIOM und UILM abhängig gemacht,
einen gemeinsamen Vorschlag zu entwickeln. Trotz der von Allen unternommenen
Anstrengungen war dies nicht möglich.“ Wir haben die entscheidende Passage
der FIM-Mitteilung vollständig wiedergegeben, weil
sie, wenn auch in versteckter Form, das Problem der gestern stattgefundenen
Spaltung enthält: einem vollständigen Bruch und zwar mehr mit der FIOM und der
UILM („unmöglich einen gemeinsamen Vorschlag zu entwickeln“) als mit der
Federmeccanica („sehr unzureichend“). Die Federmeccanica hat sich nicht sehr weit von ihrem
anfänglichen Vorschlag wegbewegt (60 Euro, maximal 70 Euro Lohnerhöhung im
Austausch für eine Beseitigung der Verhandlungsrolle der RSU’en in den Betrieben über die
Gestaltung der Arbeitszeit). Es bleibt allerdings unklar, was der „gemeinsame
Vorschlag“ sein könnte, den die Branchengewerkschaften auf eigene Rechnung
hätten ausarbeiten sollen.
Die Plattform <d.h. der tarifpolitische
Forderungskatalog>, mit der man sich
am Verhandlungstisch präsentierte, ist nämlich keine „Kopfgeburt“ der drei
nationalen Sekretäre, sondern der Text, der einer Urabstimmung der gesamten
Berufsgruppe unterzogen wurde (1,6 Millionen Arbeitern). Darauf macht der FIOM-Sekretär Gianni Rinaldini
mit der gewohnten Ruhe aufmerksam, wenn er daran erinnert, dass „unsere
Position die der von über 90% der Metallarbeiter gebilligten gemeinsamen
Plattform ist. Wenn vonseiten Capriolis eine andere
Plattform existiert, wäre es besser dies die betroffenen Arbeiter wissen zu
lassen.“ Dabei geht es in großem Maße um die Rolle der Gewerkschaft:
Anerkannte Repräsentantin der (und von den) Arbeitern zu sein oder autonomes
Verhandlungssubjekt, das den Interessen (und den Ansichten) der „Repräsentierten“ gegenüber gleichgültig
ist?
Dass es im Grunde genau
darum geht, bestätigte einige Stunden später Caprioli
in einer vor den Mikrophonen von Radio Popolare abgegebenen Erklärung: „Nach
einem Jahr Stillstand muss man sich in den Verhandlungen bewegen. Wenn wir
morgen (heute um 14:30 Uhr am Sitz der Confindustria;
Anm.d.Red.) darangehen die Plattform
neu vorzuschlagen, dann deshalb, weil wir auf ein Wunder hoffen. Aber Wunder
geschehen nun mal nicht.“ Mündlich ist es deutlicher als auf dem Papier:
Für die FIM sind es die Gewerkschaften, die ihre Position ändern und eine
Position einnehmen müssen, die nicht der von den Arbeitern geäußerten Meinung
verpflichtet ist.
Die Federmeccanica
hat einen Augenblick gebraucht, um die Spaltung zu begreifen und sie voll
auszuschlachten. Der Direktor des Verbandes, Roberto Santarelli,
zeigte sich „besorgt darüber, dass es der Gewerkschaft nicht gelingt, eine
gemeinsame Position zu finden“, aber – und das ist der Todeskuss – „Caprioli hat Recht“, weil die Federmeccanica
„das Ihre getan hat. Nun ist die
Gewerkschaft an der Reihe.“ Die Nummer 1 der CISL, Savino
Pezzotta, zögerte nicht, seinen Gewerkschaftsbund auf
Capriolis Linie festzulegen: „Wir sind für echte
Verhandlungen. (Waren die bislang geführten nur vorgetäuscht?; Anm.d.Red.)
Man ist an dem Punkt angelangt, an dem Alle ihre Vorschläge äußern müssen.“
Dasselbe tat für die CGIL das Mitglied des konföderalen
Sekretariats <=
Geschäftsführenden Bundesvorstandes>,
Carla Cantone, der zufolge „es absurd ist, die
Verhandlungen zu unterbrechen“, weil „ich die Gründe nicht sehe, warum man
gespalten zum Treffen mit der Federmeccanica gehen
sollte. Es sei denn, dass irgendjemand die gemeinsame Plattform in Frage
stellen will.“
Die Situation birgt an
diesem Punkt sehr große Gefahren. Im Schachzug der CISL kann auch die Hoffnung
stecken, die Erfahrung der „Separatabkommen“
zu wiederholen (wie bei den letzten beiden Tarifabschlüssen geschehen). Die
Unternehmer der Branche haben es bislang allerdings kategorisch abgelehnt,
erneut diesen Weg zu beschreiten. Auch deshalb, weil (wenn der Punkt, um den es
geht, die Beseitigung der Rolle der RSU’en ist) sich gezeigt hat, dass jedes normative Abkommen
ohne die Unterschrift der FIOM (angesichts der Größenordnung dieser
Gewerkschaft, die die Mehrheit bildet) schlicht nicht umgesetzt werden kann.
Und das heißt? Die Gefahr
besteht im „Spiel mit dem Massaker“,
mit den Industriellen, die es vorziehen gar kein Abkommen abzuschließen,
einseitig eine Zahl mit dem Titel „Lohnerhöhung“
festlegen und sich dann so verhalten als ob es keinen nationalen Tarifvertrag
mehr gäbe. Das Jahr der Streiks, das wir hinter uns haben, würde an diesem
Punkt fast wie ein Jahr des sozialen Friedens erscheinen.
Der
zweite Artikel zum Thema erschien am folgenden Tag, also in „il manifesto“ vom 17.12.2005:
Ein Tarifvertrag in großer
Gefahr
Prognostizierter Bruch am
Verhandlungstisch der Metallarbeiter. Aber die FIM kehrt zur Einheit mit FIOM
und UILM zurück.
FRANCESCO PICCIONI – Rom
Manchmal hilft es eine Nacht
darüber zu schlafen. Im ersten Stock des palazzo
der <Industriellenvereinigung> Confindustria war gestern
Nachmittag die Mutterszene des „Großen
Bruchs“ zwischen den Gewerkschaften der Metallarbeiter (FIOM-CGIL, FIM-CISL
und UILM-UIL) erwartet worden, die am Vortag vom nationalen Sekretär der FIM,
Giorgio Caprioli, der „Unfähigkeit“
beschuldigt worden waren, bei den Tarifverhandlungen „eine gemeinsame
Position zu finden“. Und auf den ersten Blick schien es so als ob das
Drehbuch befolgt werden sollte. Die Sitzung, die nur eine schnelle und formelle
Zur-Kenntnisnahme des Bruchs zwischen
Gewerkschaften sein sollte, begann und dauerte zu lange, um nicht zu
merken, dass die Dinge anders liefen. Als sich die Türen des Sitzungssaales
öffneten, begriff man sofort, dass die Dinge anders gelaufen waren. Die FIM
bestätigte, durch Caprioli, den Abbruch der
Verhandlungen, änderte allerdings radikal das Ziel der Polemik: „Wir brechen
mit der Federmeccanica“ (dem Unternehmerverband) „und
nicht mit FIOM und UILM. Das ist ein Verhandlungsakt, der dazu dient der
Gegenseite zu zeigen, welche Wege sie nicht beschreiten sollte.“ Und auf
die Frage, ob er „sich von der Gegenseite auf den Arm genommen fühlt“,
antwortete er geradeheraus mit „Ja“.
Vier Gründe gibt es für den
Bruch: „Wir haben 25 Euro für diejenigen gefordert, bei denen es keine <ergänzenden> betrieblichen Tarifverhandlungen gibt. Aber es
ist ihnen nicht einmal gelungen, uns zu sagen, wie viele von diesen Euro sie
uns zu geben bereit sind. Für die jungen, prekär Beschäftigten fordern wir die
Festsetzung eines maximalen Prozentsatzes, aber uns wird bloß geantwortet: ‚Wir
wenden das Gesetz Nr. 30 <aus dem Jahr 2003> an.’
Uns werden 60 Euro Lohnerhöhung angeboten, aber im Austausch dafür fordert man
von uns, dass die Verringerungen der Arbeitszeit in zusätzlichen Lohn
umgerechnet werden. Wir akzeptieren den Federmeccanica-Vorschlag,
einen Lohnabschluss nur bei einem <gleichzeitigen>
Abschluss in Sachen Lehrlingsstatus <d.h. in der Regel: kaschierter prekärer
Beschäftigung> zu tätigen, nicht.
Und schließlich befürchten wir für die kommende Woche eine explosive
Entscheidung, d.h. die einseitige Vornahme von Lohnerhöhungen ohne Tarifvertrag
ab Januar.“
Die „gewerkschaftliche
Unfähigkeit“ in Bezug auf die von den Unternehmen geforderte
Flexibilisierung (Samstagsarbeit im Überfluss, bei „kommandierten“ 32
Stunden im Jahr, die im geltenden Tarifvertrag bereits einkalkuliert sind, ohne
sie mit den einheitlichen Gewerkschaftsvertretungen <RSU’en> des Betriebes aushandeln zu müssen; Anm.d.Red.), die die Gewerkschaft – laut der
FIM von vorgestern – hätte zugestehen sollen, eine gemeinsame Position zu
finden, ist, wie man sieht, verschwunden. Die Gewerkschaftseinheit von vor der
Explosion ist zum Großteil wieder hergestellt. Bezüglich der Verhandlungen
blieb nur der verbale Unterschied: Die FIM spricht von „Abbruch“ der
Verhandlungen, FIOM und UILM nur von „Aussetzung“.
Was die Gründe für den
Rückmarsch anbelangt, den Caprioli angetreten hat,
können nur Vermutungen angestellt werden. Die glaubwürdigsten sprechen von
Signalen der Unzufriedenheit, die von ihrer Basis kamen (die „gemeinsame“
Stellungnahme, die bei Tenaris Dalmine
in Bergamo zirkulierte, die zu den wichtigsten Betrieben „ihrer“ Zone zählt,
sowie bei Augusta in Varese) oder auch die Straßenblockaden
in der <süditalienischen
Region> Basilicata. Von Bedeutung ist
aber auch die Position der Federmeccanica, die nicht
bereit zu sein scheint, einen dritten „separaten
Tarifvertrag“ zu akzeptieren, nachdem die beiden anderen Erfahrungen die
Unmöglichkeit gezeigt haben, in den Arbeitsstätten so zu tun als ob die FIOM
nicht existiere. Die Unternehmen scheinen ihrerseits u.a.
ziemlich gespalten zu sein und zwar in die Großunternehmen (die Bedarf an einem
schnellstmöglichen Tarifabschluss haben, um die Konfliktbereitschaft zu
beseitigen und – wie z.B. FIAT – den Bestellungen nachzukommen) und den
Kleinunternehmen, die finanzielle Verpflichtungen befürchten, die ihre Bilanzen
zu stark belasten.
Der nationale Sekretär der
FIOM, Gianni Rinaldini, beschränkte sich darauf, in
olympischer Manier „von einer positiven Neuigkeit“ Notiz zu nehmen, weil
„Capriolis Erklärung, was die unakzeptablen
Positionen der Gegenseite angeht, absolut zu unterstützen ist“. Was die
problematische Kernfrage der größeren Flexibilität anbelangt, „nehme ich zur
Kenntnis, dass es entweder einen gemeinsamen Vorschlag gibt, der auf der
tarifpolitischen Plattform beruht“, für die mehr als 90% der Metallarbeiter
gestimmt haben, „oder gar keinen Vorschlag“. Und hier <in der Plattform> ist von einem Mandat zu Verhandlungen über die
Flexibilität wirklich keine Rede. „Daher gibt es für uns auch keine Gesprächsgrundlage,
speziell was die Rolle der RSU’en anbelangt“, weil „das, worum es geht, die Erneuerung des
Lohntarifvertrages mit zweijähriger Laufzeit ist“ und nicht der normative <= Mantel-> Tarifvertrag.
An diesem Punkt scheinen die
nächsten Schachzüge der Verhandlungen obligatorisch. Der Vorstand der Federmeccanica kommt am 21.Dezember zusammen und trifft die
„geeigneten“ Entscheidungen, „um die Blockade der Verhandlungen zu
überwinden“, wie ihr Generaldirektor Santarelli
sagte. Und am Montagmorgen <des 19.12.2005> versammeln
sich die vereinigten Sekretariate der Metallarbeitergewerkschaften, um – wie Rinaldini lächelnd sagt – „gemeinsam Mobilisierungs-
und Kampfaktionen zur Unterstützung der gemeinsamen Plattform zu
beschließen und die Federmeccanica zu einem raschen
Abschluss der Verhandlungen zu zwingen.“ Im Übrigen, lässt er diejenigen
wissen, die ihn fragen, ob wirklich weitere Streiks ausgerufen werden: „Wenn
man Verhandlungen abbricht, dann tut man dies, um gestärkt an den
Verhandlungstisch zurückzukehren. Wenn das nicht einmal 10 Minuten Streik
bedeutet, heißt das, dass irgendetwas nicht stimmt.“ Die Nacht hat den
notwendigen Rat gebracht. Nun muss man sehen, ob er bis zum Letzten befolgt
wird. Wie meinte der Confindustria-Funktionär Santarelli? „Die Gefahr, dass der Tarifvertrag nicht
zustande kommt, ist – ehrlich gesagt – hoch.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover