Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Natürlich äußerte sich auch Fausto Bertinotti, seines Zeichens Parteichef von Rifondazione Comunista (PRC) und Vorsitzender der Europäischen Linkspartei (ELP), zum Beschuss der soeben freigelassenen linken italienischen Journalistin Giuliana Sgrena durch US-Besatzungstruppen auf dem Weg zum Bagdader Flughafen. Bemerkenswert ist dabei insbesondere seine Interpretation dieses Vorfalls unter explizit nationalistischen Gesichtspunkten. Bertinotti macht aus dieser – schärfstens zu verurteilenden – Aktion gar einen gegen Italien gerichteten kriegerischen Akt. Eine marxistische Analyse von Repressionsorganen (egal ob Militärs oder Geheimdiensten) sucht man bei ihm vergebens. Selbst pazifistische Positionen treten zugunsten der Konstruktion einer angeblichen nationalen Einheit (wie schon bei der Entführung der beiden NGO-Helferinnen Simona Pari und Simona Torretta im September 2004), der Sorge um „die öffentliche Gesundheit“ und einer Lobeshymne auf „die guten Teile“ der blutbefleckten und reaktionären italienischen Geheimdienste in den Hintergrund. In einem Interview für die große linksliberale Tageszeitung „la Repubblica“ vom 8.3.2005 lanciert er sogar ausdrücklich den Appell: „Finden wir die Kraft zu einem Akt der nationalen Einheit! Das ist ein völlig anderer Schlüssel als in der Vergangenheit, weil die Situation ganz anders ist.“

 

Unschwer ist darin ein weiteres Plädoyer für einen „autonomen“ italienischen und EU-Imperialismus zu erkennen. Bezeichnend auch das Hin- und Hereiern in der Bewertung der Bush-Administration (je nach den aktuellen Stimmungen und ihrer Kompatibilität mit den jeweiligen Interessen des europäischen Imperialismus).Hatte sich Bertinotti anlässlich von Bushs Europa-Tournee im linksliberalen „Corriere della Sera“ vom 22.2.2005 noch – in Übereinstimmung mit Prodi, Schröder und Chirac – dafür ausgesprochen, die US-Regierung ab jetzt mit „Samthandschuhen“ anzufassen und gemeint, in Bushs gerade begonnener zweiter Amtszeit sei die US-Politik eine ganz andere, unterstellt er ihr nun (gerademal zwei Wochen später) einen „Kriegsakt gegen Italien“ und spricht sich damit implizit für eine Verschärfung der innerimperialistischen Konkurrenz aus. Seine aktuellen Weisheiten verkündete er in einem Interview für die „il manifesto“-Ausgabe vom 6.3.2005. (Leider muss man anmerken, dass Bertinotti dabei vom Interviewer, dem „il manifesto“-Redakteur Cosimo Rossi, für seine sozialchauvinistischen Äußerungen eher noch Zuspruch zu hören bekam.)

 

Bertinotti:

 

Rückzug eine Sache der öffentlichen Gesundheit

 

Interview: Mit der Erschießung von Calipari wurde der italienische Staat von einem kriegerischen Akt getroffen, der unsere Anwesenheit im Irak erneut zur Diskussion stellt.

 

COSIMO ROSSI – ROM

 

„Der Rückzug wird zu einer Sache der öffentlichen Gesundheit. Es ist die Nation, die ihn fordert“, sagt Fausto Bertinotti. Weshalb der Hinterhalt, der Nicola Calipari das Leben gekostet hat, mit der Kriegspolitik des Weißen Hauses eine Frage der Souveränität darstellt: Für die mit Bush verbündeten Regierungen ist das „eine neue nationale Angelegenheit, die eine politische Phase kennzeichnen kann“. Angesichts eines Ereignisses von solcher Schwere bestehe die doppelte Verpflichtung zur Vorsicht und zur Entschlossenheit, um bis auf den Grund zu gehen. Es berühre die allgemeine Frage des Krieges und auch der staatlichen Autonomie eines Landes. Kurz: Man muss sich, zusammen mit der Tatsache, dass wir die Befreiung von Giuliana <Sgrena> erreicht haben, darüber im Klaren sein, dass wir vor etwas Enormem stehen. Keines dieser Elemente dürfe getrennt behandelt werden.

 

Vielleicht gehört das sogar alles zusammen…

 

„Es ist das Ergebnis vieler Faktoren zusammen und in erster Linie der Politik des endlosen Krieges. Man muss sich dieses Schema immer wieder vor Augen führen. Weil man manchmal, wenn ein humanitärer Faktor in die Politik eingreift, dazu neigt, sie weniger politisch zu betrachten.“

 

Erklär’ uns das näher!

 

„Die Friedensbewegung, die Mobilisierung rund um ‚il manifesto’, die die Zeitung <für die Massendemo am 19.2.2005 in Rom> geschickt mit einer Einheitsstrategie betrieben hat, das im wesentlichen korrekte Verhältnis auch zur Regierung – das alles sind Elemente, die es in Betracht zu ziehen gilt. Angefangen bei den 500.000 Menschen <real 25 – 30.000>, die in Rom auf die Straße gegangen sind. Das ist nichts, was jeden Tag passiert. Darüber sollte man sich klar sein. Dieses sehr starke pazifistische Element war eine Art Schirm und auch ein Megaphon. Gebildet von informierten, entschlossenen und eindeutigen Gegnern des Krieges, auch im Irak. Unter diesem Schirm haben die Diplomatie und der Staat gearbeitet.“

 

… der dabei Opfer war.

 

„Zu entdecken, dass in diesem Staat Elemente von Wert existieren, ist für uns von der Linke etwas, das wir voll und ganz verstehen müssen: Ein Beamter <der SISMI-Agent Calipari> mit einem so großen Gespür für die öffentliche Sache, für seine Mission und seinen Nächsten, dass er dafür sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt und verloren hat. Auch deshalb ist es ein unerhörter Tod. Weil er einen Prozess mit erfreulichem Ausgang unterbricht und neue Gewalt in einen Friedens- und Verantwortungsdiskurs einführt. Er kehrt zu dem zurück, was wir Krieg nennen. Wir stehen vor einem unannehmbaren Kriegsakt.“

 

Einem amerikanischen Kriegsakt gegen Italien?

 

„Wenn wir die Quelle der Schüsse nicht kennen würden, hätten wir von einem Akt des Terrorismus gesprochen. Weil ich es gewohnt bin, die Worte abzuwägen, sage ich das, um etwas absolut Inakzeptables zu beschreiben.“

 

Wie kann man darauf reagieren?

 

<Indem Du feststellst> Dass Du dort keine Minute länger bleiben kannst. Und auch das sage ich nicht, um die Litanei über den Rückzug zu wiederholen. Es ist <jetzt> etwas anderes als gestern oder vorgestern. Das ist die Einstellung, die einheitlich entstehen und auf deren Grundlage die Regierung gefordert werden müsste. Es ist der gesamte italienische Staat, der zum Betroffenen eines Kriegsaktes geworden ist, ohne zu wissen wie und warum. Daher, angesichts eines enormen Ereignisses, das zur Diskussion stellt, was Du im Irak machst, der Rückzug als Sache der nationalen Umerziehung. Man kann sagen, dass der Rückzug eine Frage der öffentlichen Gesundheit ist.“

 

Es wurde sofort an den Sigonella-Zwischenfall erinnert.

 

„Die Gedanken gehen in diese Richtung: zur willkürlichen gewalttätigen Einmischung einer verbündeten Regierungsmacht. Und bezüglich dieser Einmischung ist es das Land, das fordern muss, dass man vor nichts Halt macht. Ich bin dafür, die Regierung in ihrer erklärten Absicht, Klarheit zu bekommen, ernsthaft zu ermutigen. Da verlangt manch Einer, dass schäbige Verhaltensweisen, wie die des stellvertretenden Ministerpräsidenten unterbleiben.“

 

Nicht, dass Romano Prodi hart zur Sache gegangen wäre. Er hat von einem dem Krieg geschuldeten Verhängnis gesprochen…

 

„Dem Krieg geschuldet, genau.“

 

Und Berlusconis Haltung?

 

„Für ihn ist es ein realer Krisenpunkt. Ich denke, dass er im Augenblick zwischen zwei Sachen hin- und hergerissen ist: Er kommt weder umhin, einen harten Schlag von den Verbündeten zu kassieren noch sich zu fragen, ob er bezüglich dieser Verbündeten bis zum Letzten gehen will.“

 

Und, wird er soweit gehen? Bis wohin wird er gehen?

 

„Er muss Erklärungen dieses unannehmbaren Aktes bekommen, erfahren und begreifen. Heute stehen wir vor Vermutungen und die stelle ich mit der ganzen in diesem Fall gebotenen Vorsicht an – gerade weil es unsere Pflicht ist, zu wissen <d.h. die Wahrheit zu erfahren>. Und wir wissen nur, dass die Amerikaner geschossen haben. Aber warum? Weil man im Irak auf alles, was oder wer sich bewegt, schießen kann? Inklusive einer humanitären Aktion einer verbündeten Regierung? Stellen wir uns das auf die Iraker bezogen vor! Das ist ein unakzeptables Verhalten, nicht <nur> für die Pazifisten, sondern für das Recht und die internationalen Konventionen. Wenn man stattdessen genau auf unseren Konvoi gezielt hat, ist das nicht mehr oder weniger gravierend. Es ist auf eine andere Art gravierend.“

 

Und in welchem Sinne?

 

„Entweder wollte man das Eintreffen von Informationen verhindern oder man wollte zeigen, dass die Herrschaft des Krieges derart ist, dass sie sogar das Handeln der staatlichen Autonomien gegenüber den eigenen Bürgern unannehmbar macht. Was beunruhigende Szenarien auch in Bezug auf die Fälle der befreiten und der noch in den Händen der Entführer befindlichen französischen Journalisten eröffnet.“

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover