Antifa-AG der Uni
Hannover:
Spätestens
die Positionierung in zentralen politischen Fragen zeigt, was von politischen
Akteuren und ihren inhaltlichen Positionen zu halten ist. Das gilt auch für den
einstigen Kopf von Potere Operaio (Arbeitermacht) und 1976-79 der italienischen
Autonomia-Bewegung, Antonio Negri. Seit er (zusammen mit Michael Hardt) die
Bücher „Empire“ und „Multitudine“ verfasste, wird Negri in den Feuilletons
großer bürgerlicher Zeitungen, wie der rechtsliberalen „Neuen Zürcher Zeitung“
nicht nur sehr wohlwollend besprochen, sondern auch gern und oft als „der neue
Marx“ und seine beiden jüngsten Werke als „das Kommunistische Manifest des
21.Jahrhunderts“ abgefeiert, während in den denselben Organen auf andere Linke
wüst eingeschlagen wird. Das französische Referendum über die EU-Verfassung
Ende Mai 2005 hat nun deutlich gemacht, wo Professor Negri wirklich steht und
wozu seine abgefeierten „Jahrhundertwerke“ real dienen: zur Werbung für den
europäischen Imperialismus und eine dezidiert „sozialimperialistische“
Position, die in der EU das Alternativmodell zum Neoliberalismus der USA sieht und
den sich herausbildenden europäischen Superstaat zum wichtigsten anti-nationale
Projekt erklärt.
Was der
Chefredakteur der Zeitschrift der französischen Negristen „Multitudes“, Yann Moulier Boutang, bereits im November 2004 in
einer Rede bei den Pariser Grünen verkündete, vertraute Antonio Negri am
13.5.2005 im Rahmen eines Interviews der (mittlerweile) grünen französischen
Tageszeitung „Libération“ an: Man müsse für die EU-Verfassung eintreten, „weil
die Verfassung ein Mittel ist, um das Empire zu bekämpfen, diese neue
globalisierte kapitalistische Gesellschaft. (…) Aber Europa kann sich auch zur
Gegenmacht gegen den amerikanischen Unilateralismus aufschwingen, gegen seine
imperiale Herrschaft, seinen Kreuzzug im Irak, um das Erdöl zu beherrschen.“
„Der nationale Widerstand ist kein Schutzwall mehr. Nur der Aufbau Europas kann
es ermöglichen, globale Alternativen zu schaffen, die ich die multitudes
(Vielheiten) nenne, die Widerstandsbewegungen gegen das Empire.“ Freilich nur,
wenn man der EU-Verfassung zustimmt! Die sei – so ehrlich ist Herr Negri
zumindest – zwar noch nicht so ganz toll, aber sie sei „ein Übergang“ zu einer
supranationalen Staatlichkeit, „einer neuen Etappe hin zu einem größeren
Föderalismus, auch wenn die Verfassung durchaus nicht föderalistisch ist“.
Wahrscheinlich hält Negri diese ungelösten Widersprüche in seinem Denken und
seiner Propaganda für Dialektik. Vorsichtshalber erklärte er aber schon mal
jeden für „schwachsinnig“, der von einer EU-Verfassung, der er nach dem Willen
des „realistischen Revolutionärs“ Negri zustimmen soll, auch noch etwas
Fortschrittliches erwartet: „Man muss schwachsinnig sein, um zu glauben, dass
man Gleichheit ausgehend von einer Verfassung schaffen könne.“ Wichtig sei,
dass das Ja zur EU-Verfassung gewinne, weil man dann zwei Modelle einander
gegenüberstellen könne: „das europäische und das amerikanische“ und dabei –
natürlich im Namen der Revolution – Partei für „unseren“ schönen
EU-Imperialismus ergreifen könne und müsse. Prodi und Barroso wird’s freuen.
(…und José Manuel Barroso war in seiner Jugend schließlich auch mal Maoist!)
Außerhalb
Italiens leider weit weniger bekannt als Negri ist Oreste Scalzone. Ein langjähriger
Weggefährte Negris sowohl in der Führung von Potere Operaio als auch in der
Autonomia Operaia. Weil ihm in Italien wegen seiner Beteiligung daran noch eine
7jährige Haftstrafe wegen „Subversion und Bildung einer bewaffneten Bande“ droht,
lebt Scalzone seit 1981 im Pariser Exil. Dort befand er sich gerade für mehrere
Wochen im Hungerstreik für seine legale Rückkehr nach Italien, den er aber, mit
Blick auf seinen schlechten Gesundheitszustand (er hat Hepatits), ergebnislos
abbrechen musste. Die große italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“
führte für die Ausgabe vom 15.5.2005 das folgende Interview mit ihm zu
Negris Pro-EU-Position. Wir haben das Interview übersetzt, weil wir seine
Kritik wichtig finden und sie eine weitere Verbreitung verdient, auch wenn der
Genosse Scalzone zum Teil nah daran ist, in die heutzutage so modische
„Äquidistanz“ abzugleiten und wir sein Theorem der entstehenden „totalitären
Demokratie“ nicht teilen.
Negris
„Ja“ zum Europäischen Verfassungsvertrag: Scalzones Einwände
Von Massimo Nava – Paris
Das französische Referendum über
den europäischen Vertrag ist dabei, sich in die erste große transnationale
Debatte zu verwandeln. Logisch, dass auch immer mehr externe Akteure in die
Kampagne eingreifen, von den Staatschefs über die Intellektuellen bis hin zu
den Parteiführern. In den Spalten von „Liberation“ hat überraschend
Professor Toni Negri, der ehemalige Hexenmeister und Gründer von Potere Operaio
(Arbeitermacht), der von der französischen Kritik jüngst als der „neue Marx“
bezeichnet wurde, für das Ja Partei ergriffen. Sich selbst als „realistischer
Revolutionär“ bezeichnend, behauptet der Professor, dass die Europäische
Verfassung der mögliche Weg zu einem kontinentalen Modell ist, das eine
Alternative zum konservativen und reaktionären Kapitalismus und zum
Ultraliberalismus des amerikanischen Imperiums sei. Es sei sinnlos, sich einen
antikapitalistischen Antiglobalisierer zu nennen, wenn man nicht an die
Möglichkeit eines föderalen Modells glaube, das wieder für die Grundrechte des
Menschen und die Prinzipien des sozialen Europas eintritt. Wenn auch ohne sich
dabei Illusionen hinzugeben.
Auf Toni Negri antwortet ein
ehemaliger Schüler, der Weggefährte der „formidablen Jahre“, Oreste Scalzone,
der gerade einen langen Hungerstreik beendet hat, mit der er eine Amnestie für
jene Jahre erreichen wollte, die außer formidablen auch bleierne Jahre waren.
Vorbemerkung: „Die
Vereinfachung, mit der man Dissens und Gegensatz um jeden Preis sehen will
(also, dass das Ja ein antiamerikanisches Votum und das Nein ein Votum für Le
Pen sei) erscheint mir absurd. Oder dass gesagt wird, wer mit Nein stimmt, ist
ein Schwachsinniger. Das ist eine Argumentationsweise, die das Argumentieren
verhindert. Auch weil keine wirkliche Alternative zwischen ja und Nein
existiert. Europa wird weiter voranschreiten, das System bleibt kapitalistisch
und vielleicht wird man noch ein zweites Mal abstimmen, wie bereits zu hören
ist.“
Aber wie würden Sie
abstimmen, wenn Sie abstimmen dürften? Mit der extremen Linken Frankreichs und
mit dem Teil der Sozialisten, die sich im ehemaligen Ministerpräsidenten
Laurent Fabius <PS> wieder
erkennen?
„Fabius war mir niemals
sympathisch. Gefühlsmäßig und aufgrund meiner persönlichen Geschichte fühle ich
mich den Leuten und Bewegungen und ihren Argumenten nahe, die mit Nein stimmen
sowie der Ablehnung des hochmütigen Paternalismus des Establishments, das uns
erklärt, dass die Argumente des Guten auf Seiten des Ja sind. Es erstaunt mich,
dass ein Marxist und Spinoza-Experte, wie Toni Negri, die Verfassung als ein
Gewirr von Regeln und konfusen Begriffen betrachtet. Hegel hat gesagt, dass das
Recht jenseits einer bestimmten Grenze wie eine Einkaufsliste sei.“
Es ist nicht nur Negri,
der behauptet, dass der Verfassungsvertrag ein großer Fortschritt auf der Ebene
der sozialen und der Bürgerrechte ist.
„Viele haben ihn nicht
richtig gelesen. Der Vertrag beinhaltet Öffnungsklauseln für die nationalen
Gesetzgebungen, die einem kalte Schauer über den Rücken jagen. Ich glaube, dass
man sich in Richtung einer totalitären Demokratie bewegt. Es genügt, die
Vorschläge zu betrachten, die in Bezug auf die Grenzkontrolle, die Immigranten,
den Einsatz der Ordnungskräfte und die Bestrafung der Abweichung gemacht werden.
Ich habe den Eindruck, dass sie im Namen der Rechte dabei sind, Antworten auch
auf den Sicherheits- und Bestrafungswahn zu suchen.“
Selbst Chirac behauptet
(wie der Revolutionär Negri), dass das europäische Modell, angesichts des
amerikanischen „Imperiums“, ein Ausgleichsfaktor bei der Regierbarkeit des
Planeten sein kann. Zur Unterstützung dieser These meint man, dass ein
stärkeres und geeinteres Europa nicht den Erwartungen der Amerikaner
entspräche.
„Es ist erst noch zu
beweisen, dass Europa mit dieser Verfassung stärker ist. Wer sich – wie ich –
auf Marx beruft, sollte begreifen, dass der Kapitalismus nicht amerikanisch
oder chinesisch oder europäisch ist, Der Kapitalismus ist überall. Er ist ein
weltweites Modell. Ihn zu verändern oder zu bekämpfen bedeutet, die Mechanismen
überall in Frage zu stellen. Ich glaube nicht, dass ein mehr oder weniger
liberales Europa eine Alternative zum Wirtschaftsliberalismus der
amerikanischen Neokonservativen ist. Zumindest solange das Leben der Leute in
Europa wie in Amerika eine vom so genannten Fortschritt abhängige Variable
bleibt. Einem Fortschritt, der das, immer weiter hinaus geschobene Versprechen
einer besseren Welt ist, während die Gegenwart aus Entlassungen und Kürzungen
der Sozialausgaben besteht.“
Toni Negri vertraut auf
das Ende der Nationalstaaten durch den Föderalismus.
„Was diesen Punkt (als
Wunsch) anbelangt, bin ich einverstanden. Die Nationalstaaten werden mit dem
föderalen Europa und mit der Schaffung eines Superstaates jedoch nicht aufhören
zu existieren.“
Fasziniert Sie nicht
einmal die Idee, dass ein stärkeres und geeintes Europa dem hätte
entgegentreten können, was Negri als den „Kreuzzug“ für das Erdöl im Irak
bezeichnet?
„Es wäre faszinierend, wenn
es realistisch wäre. Europa bleibt in der NATO. Ein Teil Europas ist in den
Krieg gezogen. Ich glaube nicht an den Messianismus friedlicher Aussichten am
Horizont, wenn die Entwicklung der Menschheit zur Selbstzerstörung nicht
gestoppt wird, wenn man nicht wirklich über die Realität nachdenkt, wie es die
Marxisten tun sollten. Wie üblich wird man sagen, dass ich ein Wolkenfänger <d.h. Traumtänzer> bin, aber das Ja oder Nein zur Verfassung erinnert
mich an die Alternative zwischen Bush und Saddam – ein deformierter
Manichäismus <Anm1.>, der dazu führt, dem Dissens die Schuld zu geben,
Verdacht zu wecken und die Kritik anzuprangern. Ist das Demokratie?“
Anmerkung1:
Der Manichäismus
ist eine antike Religion, die nach ihrem Stifter, dem persischen Weisen Mani benannt
wurde, der von 216 bis 276 n.Chr. lebte. Mani bezeichnete sich selbst nach
Buddha und Jesus als letzten Propheten. Neben Elementen aus dem Parsismus und
Christentum weist der Manichäismus insbesondere Einflüsse der Gnosis auf.
Wichtigster Aspekt der Lehre ist die dualistische Teilung des Universums in die
Reiche des Guten und des Bösen. Der Weg zur Erlösung führt über die Erkenntnis
des Lichtreiches, die Propheten wie Buddha, Jesus und - in letzter Instanz -
Mani vermitteln. Mit diesem Wissen vermag die menschliche Seele die Begierden
zu überwinden und ins Reich Gottes emporzusteigen. Die Manichäer teilten sich
selbst in zwei Klassen, die dem Grad ihrer spirituellen Entwicklung
entsprachen. Die Auserwählten lebten streng zölibatär und vegetarisch, sie
tranken keinen Alkohol, arbeiteten nicht und widmeten sich ausschließlich dem
Gebet; Laien erreichten diese Stufe der Vollkommenheit nicht. In den
Jahrhunderten nach Manis Tod verbreitete sich seine Lehre auch im Römischen
Reich, vor allem in Nordafrika.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
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