Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Am Ende fiel der Sieg der von Parteichef Fausto Bertinotti angeführten rechten Mehrheitsströmung innerhalb von Rifondazione Comunista (PRC) etwas deutlicher aus als erwartet. Bei den Abstimmungen in den Grundorganisationen der Partei (den Zirkeln), an denen sich 52,4% der offiziell 97.459 Mitglieder beteiligten erhielt der Leitantrag Nr. 1 von Bertinotti 30.168 Stimmen (59,17%). Der Antrag Nr. 2 des traditionalistischen Flügels um Claudio Grassi und Alberto Burgio 13.349 Stimmen (26,18%), der Antrag Nr. 3 des linkstrotzkistischen Progetto Comunista (Marco Ferrando, Franco Grisolia und Francesco Ricci) 3.318 Stimmen (6,51%), Leitantrag Nr. 4 der „ERRE“-Gruppe bzw. der italienischen Sektion der 4.Internationale (Gigi Malabarba, Salvatore Cannavò) 3.316 Stimmen (6,50%), und die international an Ted Grant und Alan Woods orientierte „Falce Martello“-Gruppe um  Alessandro Giardiello und Claudio Bellotti 834 Stimmen (1,64%). Nachdem gut 90% der Versammlungen stattgefunden hatten und sein Erfolg feststand, überraschte Bertinotti seine Partei mit einem neuen „Schock-Interview“, wie es die linksunabhängige Tageszeitung „il manifesto“ am nächsten Tag nannte.

In diesem Interview für den „Corriere della Sera“ vom 22.2.2005 spricht sich die Galionsfigur der Europäischen Linkspartei und einer der (bisherigen) Helden der Antiglobalisierungsbewegung, Fausto Bertinotti, dafür aus, die Bush-Administration künftig mit „Samthandschuhen“ anzufassen, weil sie jetzt (in Bush’s zweiter Amtszeit) eine ganz andere sei als bisher. Darüberhinaus will er Ariel Sharon dazu „ermutigen“ seine Politik fortzusetzen, weil auch dieser (trotz der seit Anfang Januar 2005 erschossenen 70 Palästinenser, darunter mehrere Kinder, der forcierten Siedlungspolitik und der fortgesetzten Festnahmewelle gerade auch gegen friedlich Anti-Apartheidwall-Demonstranten) sich angeblich zu einem Mann des Friedens entwickelt habe. Nicht weniger deutlich und nicht weniger folgenschwer ist Bertinottis Plädoyer für einen starken und aktiven EU-Imperialismus.

Diese nochmalige Verschärfung des Rechtsschwenks der Führung von Rifondazione macht deutlich, was die Ergebnisse ihrer so sehr angestrebten Regierungsbeteiligung nach dem erhofften Wahlsieg von Prodi als Spitzenkandidat des Mitte-Links-Bündnisses GAD im Frühjahr 2006 sein werden.

 

Bertinotti: Ja zum Samthandschuh, aber Schluss mit dem Krieg

 

„Es gibt keine Vorurteile und die Bush-Administration ist nicht mehr die, die sie vorher war. Sharon ? Es ist gut, ihn zu ermutigen.“

 

 

ROM – Abgeordneter Bertinotti, gefällt Ihrer Partei (Rifondazione Comunista) das „Willkommen Herr Präsident“, mit dem Romano Prodi Bush als Gast in Europa begrüßt hat ?

 

„Dieser Gruß stellt den Samthandschuh dar, der in den diplomatischen Beziehungen obligatorisch ist. Man muss sehen, was sich dahinter verbirgt. Ich sage nicht, dass sich hinter diesem Samthandschuh die eiserne Faust verbirgt, aber… Die diplomatischen Rituale sind das Eine, die realen Probleme das Andere. <Letzteres ist> In diesem Fall die außenpolitische Linie.“

 

Die nun das Verhältnis zu den USA bedeutet.

 

„Und die sich auf die Autonomie Europas gründen muss. Heute verhält sich der Atlantik zu Europa wie der Tiber Ende des 19. und in einem Teil des 20.Jahrhunderts zum italienischen Staat. Der italienische Staat maß die eigene Autonomie in Weltlichkeit. Europa muss sie messen, indem es vom Prinzip ausgeht, dass der Ozean nicht nur ein Kommunikationsweg, sondern auch eine Distanz ist. Die EU kann nicht nur eine Art Autonomie mit begrenzter Souveränität markieren, d.h. so weit wie sie mit dem Primat USA vereinbar ist, sondern muss eine eigene Vorstellung von der Welt verfolgen. Der Atlantik muss als weit betrachtet werden, sonst existiert Europa nicht, sondern wird nur zu einer Artikulation der imperialen Macht.“

 

Jedenfalls unterstreicht Prodi mit Entschiedenheit den Wunsch nach einem „neuen, großen, transatlantischen Abkommen“.

 

„Das stimmt. Und wenn dies bedeutet zum Krieg Halt zu sagen, wenn es bedeutet, dass man sich, anstatt im Iran einen militärischen Weg einzuschlagen, sich aus dem Irak zurückzieht, dann ist das in Ordnung. Die Vereinigten Staaten müssen den Krieg entschärfen. Das muss die europäische Botschaft sein. Es gibt keine Vorurteile gegenüber den Vereinigten Staaten. Es ist aber nötig, dem Verständnis von Europa zu folgen, das Frankreich und Deutschland haben.“

 

…und das Prodi gefällt. Sehen Sie also hinter dem „Samthandschuh“ das Nein zur Weiterfinanzierung der <Militär->Mission <im Irak>, für das die Mitte-Linke im Parlament stimmt ? Ein Nein, das von mehreren Seiten einem „Prodinotti“ <d.h. einer Verschmelzung von Prodi und Bertinotti> zugeschrieben wird…

 

„Es existiert überhaupt kein Prodinotti… Wir besitzen unterschiedliche politische Kulturen und müssen eine Übereinstimmung finden, das ja. Der Prodinotti ist eine mit Prodis Natur unvereinbare Idee – einer harten Natur im übrigen. Da sollte man sich von seiner weichen Physis nicht täuschen lassen…“

 

Versöhnt sich die katholische Kultur des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission mit der gewaltfreien und wage „spirituellen“ Wende, die Sie Rifondazione aufdrücken ?

 

„Er kommt aus einer stark vom Dossettismus <Anm.1> geprägten Kultur. In Italien haben sich die demokratischen Katholiken immer durch den interreligiösen Dialog, durch die Arbeit für einen friedlichen Mittelmeerraum, das Verhältnis zu den arabischen Ländern und die Idee einer Welt ausgezeichnet, der die Logik der Großmächte fremd ist. Nun kommt noch der Einfluss der Friedensbewegung hinzu. Das ist es. Prodi drückt in inhaltlicher Hinsicht dieses ganze neue Volk aus… Und ich war mir bezüglich dieses Neins zur weiteren Finanzierung sicher.“

 

Und die Neuigkeiten aus dem Mittleren Osten ? Prodi würdigt die Schritte in Richtung Frieden. Und der Chefredakteur der <den Linksdemokraten (DS) gehörenden und in den letzten 10 Jahren prozionistisch ausgerichteten Tageszeitung> „l’Unità“, Furio Colombo, fällt ein positives Urteil über Sharon – einen Mann, den die Linke immer dämonisiert hat.

 

„Es gibt keinen Grund, die Entscheidung der israelischen Regierung, sich aus einigen Gebieten zurückzuziehen, nicht zu würdigen. Ich erkenne an, dass bei Sharon eine Veränderung stattgefunden hat: Er war der Mann von Sabra und Chatila <Anm.2>. der heute aber eine Entscheidung trifft, die ihn der Auseinandersetzung mit dem fundamentalistischen Flügel seines Landes und mit Teilen seiner eigenen Partei aussetzt. Wenn seine Vergangenheit als Falke ihn heute in die Lage versetzt, einige Schritte weiter voran zu machen, kann die Vergangenheit vielleicht zumindest eine andere Kehrseite haben. Es ist gut, ihn zu ermutigen. Sicher jedoch, ohne darauf zu verzichten, weiterhin ein kritisches Auge auf ihn zu werfen.“

 

Kehren wir zum Verhältnis Europa – USA zurück und dazu, wie die Irak-Frage angegangen werden sollte.

 

„Die EU muss die Intervention einer vom US-amerikanischen Unilateralismus befreiten UNO unterstützen. Sie muss sich mit jenen Ländern zusammentun, die gegen die militärische Intervention waren und zwar so, dass der Sicherheitsrat den Rückzug der Truppen planen kann.“

 

Eine stufenweise Planung existiert bereits in der Resolution 1546 der Vereinten Nationen.

 

„Wir müssen präzise Termine einfordern. Heute ist die Bush-Administration nicht mehr die, die sie vorher war. Sie weist unterschiedliche Impulse auf und ihr Dünkel des veni, vidi, vici (Ich kam, sah und siegte!) hat Risse bekommen. Es kann sein, dass sie wirklich die europäische Hilfe fordert und die Antwort darauf kann nicht das Aufgehen in der amerikanischen Strategie sein, die zum Krieg geführt hat, sondern man muss von der Feststellung ausgehen: ‚Wir hatten Recht, uns dem zu widersetzen.’“

 

Meinen Sie, wie der Präsident des Partito dei Comunisti Italiani (PdCI) <= der kleinen Rechtsabspaltung von Rifondazione aus dem Oktober 1998>, Armando Cossutta, dass ein „autonomes“ Europa auch über eine eigene militärische Kraft / eigene Streitkräfte verfügen sollte ?

 

„Ich glaube nicht, dass es einen Bedarf daran gibt. Es gibt bereits die Armeen der einzelnen Nationen. Nein, ich denke an eine Friedensstreitmacht, an eine Zivilschutzstreitmacht. Europa muss eine andere Rolle spielen und eine andere Logik verfolgen. Nehmen wir z.B. die Friedensbotschaften: Keinem Staat ist es gelungen, so wirkungsvoll zu sein wie der Papst, einer ultrasäkularen Stimme. Das ist es, was ich im Sinn habe, um eine Friedensmacht zu schaffen, die den Krieg aus der Welt verbannt.“

 

Gianni Vattimo (wiederum aus dem Bereich des PdCI) übt wegen der Einstellung, mit der er Bush empfangen hat, harte Kritik an Prodi: „Schauerlich, eine Abscheulichkeit höchsten Ausmaßes“…

 

„Ich kann Äußerungen und Positionen von Prodi kommentieren, aber nicht die Einschätzungen, die Andere darüber von sich geben...“

 

Daria Gorodisky

 

Anmerkung 1:

Dossettismus meint hier die politischen Positionen von Giuseppe Dossetti (1913- 1996). Der linke Christdemokrat Dossetti beteiligte sich am bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Besatzung und Mussolinis Republik von Salò von 1943-45. Nach Kriegsende war er bis 1951 Abgeordneter des italienischen Parlaments und zeitweise stellvertretender Vorsitzender der Democrazia Cristiana. 1947 Gründer der zweiwöchentlich erscheinenden Zeitschrift „Cronache Sociali“ und ab 1951, nach seinem Zerwürfnis mit der Parteiführung im Zuge des beginnenden Kalten Krieges, vor allem für eine Erneuerung der katholischen Kirche aktiv. In den letzten Jahren seines Lebens trat er besonders für die Verteidigung der italienischen Verfassung ein und warnte – angesichts der rechtspopulistischen Tendenzen – vor den Gefahren für die bürgerliche Demokratie.

Anmerkung 2:

Im September 1982 verübten libanesische Falangisten unter Aufsicht der israelischen Armee, die dieses Gebiet besetzt hielt, einen Tag lang in aller Ruhe ein Massaker in dem palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Chatila, dem nach Einschätzung des israelischen Geheimdienstes 800 Menschen zum Opfer fielen, darunter sehr viele Frauen und Kinder. Palästinensische Quellen sprechen sogar von 3.000 Toten. Ariel Sharon war zum damaligen Zeitpunkt der israelische Kriegsminister und damit direkter Verantwortlicher für das Gemetzel.

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover