Antifa-AG der Uni Hannover:
Aktuelle
Stellungnahmen der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) zu
bekommen – insbesondere solche in europäischen Sprachen – ist seit einem Jahr
äußerst schwierig. Grund dafür ist vor allem die massive Repression der
israelischen Besatzungsmacht gegen alle aktiven Widerstandsgruppen, die
insbesondere in der Westbank die Organisationsstrukturen stark in Mitleidenschaft
gezogen hat. Imad Abdel Aziz
(Schuldirektor in Nablus und seit langem PFLP-Kader)
sprach in einem Bericht der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“ vom 4.1.2005 in diesem Zusammenhang sogar von
einem „vertikalen Zusammenbruch der fortschrittlichen Organisationen“. Intakte
PFLP-Leitungsstrukturen scheint es derzeit nur im Gaza-Streifen zu geben. Um so
erfreulicher ist es, dass die französische Solidaritätsgesellschaft „Association
France-Palestine-Solidarité“ am 31.12.2004 ein Interview mit
dem nahe Jericho unter britischer und US-amerikanischer Oberaufsicht illegal inhaftierten
PFLP-Generalsekretär Ahmed Saadat führte.
Hauptthema dieses Interviews ist die Wahl eines neuen Präsidenten der
Autonomiebehörde.
Zwei
Unkorrektheiten bzw. Unklarheiten im Vorspann der Interviewer müssen allerdings
richtig gestellt werden. Zum einen wurde Saadat im
Unterschied zu den drei anderen inhaftierten PFLP-Mitgliedern nie verurteilt,
ja noch nicht einmal Anklage gegen ihn erhoben, sondern im Gegenteil vom
Höchsten Palästinensischen Gerichtshof seine Freilassung angeordnet. Daher wird
nun behauptet, er befände sich „in Schutzhaft“. Und zum anderen war Abu Ali
Mustafa, der im Jahre 2001 von der israelischen Armee mittels einer Rakete in seinem
Büro in Ramallah gezielt ermordet wurde, nicht
irgendein Mitglied der PFLP-Führung, sondern Ahmed Saadats
Vorgänger als Generalsekretär.
Anzumerken
ist auch, dass unser Text auf der italienischen Übersetzung des Interviews im „Notiziario del Campo Antimperialista“
vom 15.1.2005 beruht, was allerdings zu keinen bedeutenden Abweichungen
vom Urtext geführt haben dürfte, da alle Aussagen sehr einfach und deutlich
gehalten und Französisch und Italienisch bekanntlich verwandte Sprachen sind.
Wer allerdings einen Blick darauf werfen möchte: Die am 5.1.2005
veröffentlichte französische Originalversion findet sich unter http://www.france-palestine.org/article926.html
Palästina: Interview mit dem
Generalsekretär der PFLP zu den Wahlen
Ahmed Saadat
(Generalsekretär der PFLP) ist in einem palästinensischen Gefängnis nahe
Jericho inhaftiert – zusammen mit drei Mitgliedern des Kommandos, das im
Oktober 2001 (als Antwort auf den von den Israelis verübten Mord an Abu Ali
Mustafa, einem der Führungsmitglieder der PFLP) den ultra-reaktionären
Tourismusminister Zeevi hinrichtete. Genauso wie der
Prozess, der, um Sharons Forderungen zu erfüllen, in der belagerten Muqata in Ramallah stattfand,
sind die Bedingungen, unter denen die Gefangenen gegenwärtig leben, grotesk.
Ihre Gefängniswärter sind Palästinenser, bewachen sie aber nur von den Dächern
aus und ihre Gespräche werden ständig von den britischen und amerikanischen
Soldaten <die die
Oberaufsicht führen> in mit
Mikrophonen und Störsendern übersäten Räumen abgehört. Diese ganze
Aufmerksamkeit fände nur zu seinem „Schutz“ statt. Eines der Mitglieder des
Kommandos, das im April 2002 zu einem Jahr Haft verurteilt wurde, bleibt
weiterhin inhaftiert – „zu seinem Besten“ natürlich – während es vor 8 Monaten
hätte freigelassen werden müssen.
Einige Tage bevor die PFLP
ihre Unterstützung für die Kandidatur von Mustafa Barghuti
bei den Präsidentschaftswahlen verkündete, führten wir dieses Interview mit Saadat und seinen Genossen im Gefängnis.
Der Höchste
Palästinensische Gerichtshof hat vor vielen Monaten Ihre Freilassung
angeordnet. Warum befinden Sie sich noch immer im Gefängnis ?
„Es ist nicht das erste Mal,
dass eine Entscheidung des Gerichtes nicht umgesetzt wird. Es existieren
Dutzende von Entscheidungen, die niemals vollzogen wurden. Ein Teil der ‚Sicherheits’-Verpflichtungen der Palästinensischen
Autonomiebehörde besteht darin, dem amerikanischen und israelischen Diktat
nachzugeben. Das ist der Grund, warum wir hier weiterhin als Geiseln
festgehalten werden – als Beweis für den guten Willen der Palästinensischen
Autonomiebehörde.“
Die Amerikaner und die
Israelis beschrieben Yasser Arafat als ein „Hindernis“ auf dem Weg zum Frieden.
Ändert sich etwas durch seinen Tod ?
„Zuallererst muss man
definieren, was ein Hindernis ist. Für Israel ist jedes Mitglied der
palästinensischen Führung, das nicht alle seine Forderungen akzeptiert, bereits
ein Hindernis. Wenn Abu Mazen und die kommende
Regierung die Grundrechte der Palästinenser verteidigen, werden auch sie als
Hindernisse betrachtet. Sicher ist, dass Olmert (der
israelische Handelsminister) soeben erklärt hat, es sei unmöglich mit Abu Mazen ein Friedensabkommen zu unterzeichnen, da er die
Forderung nach dem Rückkehrrecht der Flüchtlinge unterstütze.“
Die PFLP stellt keinen
eigenen Kandidaten zu den Wahlen am 9.Januar auf, während die <Palästinensische Volkspartei> PPP und die <Demokratische Front für die Befreiung Palästinas> DFLP über eigene Kandidaten verfügen. Wäre es nicht
möglich, dass die Linke einen gemeinsamen Kandidaten präsentiert
?
„Wir stellen vor allem
deshalb keinen Kandidaten auf, weil wir es ablehnen, der Palästinensischen
Autonomiebehörde, einem Produkt der Osloer Abkommen, eine Bürgschaft
auszustellen. Die Tatsache, unter Besatzung an Wahlen teilzunehmen, ist
unakzeptabel. Mehr noch meinen wir allerdings, dass diese Wahlen umfassend sein
sollten, mit der Erneuerung aller Institutionen der Palästinensischen
Autonomiebehörde, dem Legislativen Rat, den Gemeinderäten… Die zeitliche
Distanz zwischen den Präsidentschaftswahlen und den Parlamentswahlen lässt uns
daran zweifeln, dass dies ein Schritt in Richtung Demokratie ist. Diese Wahlen sollten auch ein Mittel des Kampfes gegen die Besatzung
sein, einer der Mechanismen, um das Recht auf Selbstbestimmung zu erreichen.
Israel und die USA maßen sich an, uns einen demokratischen Wandel aufzuzwingen,
der ihren Notwendigkeiten entspricht und verweigern uns das Recht auf
Selbstbestimmung.
Trotz allem haben wir eine
gemeinsame linke Kandidatur versucht. Wir haben Treffen mit anderen Gruppen
abgehalten: Mit der Palästinensischen Volkspartei (PPP, der ehemaligen
palästinensischen KP und ehemaligen Partei von Mustafa Barghuti,
Anm. d. ital. Ü.),
mit der DFLP (Demokratische Front für die Befreiung Palästinas) und sogar mit
der FIDA <Palästinensische
Demokratische Union und Rechtsabspaltung der DFLP aus dem Jahre 1991>, die die Genfer Abkommen zum Teil unterstützt.
Wir haben Diskussionen geführt, um einen Programmentwurf
auszuarbeiten, eine Konzentration auf die vordringlichen Fragen, die über den
Personalfragen stehen. Wir wollten ein Programm erarbeiten, das wirklich links
ist. Wir hatten Diskrepanzen mit der DFLP, die die ‚Road Map’
in ihr Programm aufgenommen hat und mit der PPP, die in Sachen Rückkehrrecht
die Prinzipien der ‚arabischen Initiative’ akzeptiert – ein Konzept, das die
Prinzipien des Rückkehrrechtes verrät, indem es Abänderungen daran vornimmt und
Israel die Macht zugesteht, die Rückkehr der Flüchtlinge zu akzeptieren oder
nicht. Trotz dieser Zwistigkeiten haben wir die Debatten fortgesetzt und am
Ende, zu unserer Überraschung die Feststellung gemacht, dass die PPP und die
DFLP bereits ihre eigenen Kandidaten nominiert hatten: Bassam
Al Salhi für die PPP und Taysir
Khaled für die DFLP.“
Die PFLP hat daher beschlossen, bei diesen Wahlen die
Kandidatur von Mustafa Barghuti zu unterstützen.
Meint Ihr, dass das wirklich ein linker Kandidat ist ?
„Wir hätten einen eindeutig
antikapitalistischen Kandidaten vorgezogen, denn es stimmt, dass Mustafa Barghuti kein Revolutionär ist. Er war uns gegenüber jedoch
ehrlich und hat die wesentlichen Punkte unseres Programms akzeptiert, wie das
Rückkehrrecht und die Unterstützung jeder Widerstandsform des palästinensischen
Volkes. Mustafa Barghuti ist als Präsident des PMRC
(der wichtigsten palästinensischen medizinischen NGO <die jeden dritten Palästinenser
medizinisch betreut>) auf nationaler
und internationaler Ebene ein Symbol. Seine Position war vielleicht nicht immer
sehr klar, aber unser Ziel besteht darin, ihm zu helfen, sie zu entwickeln. Wenn
uns das nicht gelingt, verlieren wir nichts, weil wir unsere eigene politische
Position, unser eigenes Programm haben.“
Wenn Marwan Baghuti <der Generalsekretär der Fatah des Westjordanlandes und
wichtigste Exponent des linken Fatah-Flügels> letztlich doch angetreten wäre, hättet
Ihr dann seine Kandidatur unterstützt ?
„Marwan
Barghuti ist ein Führungsmitglied der Fatah, wurde
von der Fatah ausgebildet und wird immer in Übereinstimmung mit der Linie seiner
Partei handeln. Natürlich unterscheiden wir zwischen Abu Mazen
<alias Mahmud
Abbas> und ihm, aber am Ende repräsentieren
die Beiden dieselbe Ideologie und dasselbe Programm im Dienste der palästinensischen
Bourgeoisie.“
Glaubt Ihr, dass die 2-Staaten-Lösung durchführbar ist ?
„Die 2-Staaten-Lösung ist
ein Ausgangspunkt, der das notwendige Klima für eine friedliche Lösung schaffen
kann. Natürlich darf der Kampf für einen einzigen demokratischen Staat ohne
irgendeine Art von ethnischer oder religiöser Diskriminierung niemals aufhören,
weil das die einzig mögliche Form ist, um die Probleme zu lösen: das Problem der
Palästinenser des Jahres 1948 und das des Rückkehrrechtes. In diesem Kampf ist die internationale Solidarität und die Einheit derjenigen
nötig, die an unserer Seite kämpfen. Als Palästinenser und als PFLP sind wir
stolz auf alle Solidaritätsdemonstrationen mit uns und mit dem
palästinensischen Volk.“
Das Interview führten Mireille Terrin
und Chris Den Hond von der „Association France-Palestine Solidarité“.
Vorbemerkung, Übersetzung aus dem
Italienischen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover