Antifa-AG der Uni
Hannover:
Die
bedeutendste ernsthaft linke Kraft, die bei der niederländischen
Volksabstimmung über die EU-Verfassung am 1.Juni 2005 gegen den
EU-Verfassungsvertrag mobilisierte, war die Socialistische Partij (SP), die
seit der letzten EU-Wahl auch mit einem Mandat im europäischen Parlament
vertreten ist. (Homepage: www.sp.nl) Sie hat
ihre Ursprünge – entgegen dem was der Name vermuten lässt – weder in der linken
Sozialdemokratie noch in der ehemaligen KP der Niederlande (deren größter Teil
nach 1989 Marxismus, Arbeiterbewegung und Sozialismus über Bord warf und in GroenLinks
aufging). Die SP geht vielmehr auf die 1968 entstandene Neue Linke zurück. Ihre
Kerngruppe war anfangs maoistisch orientiert (CPN/ML), bevor sie sich zu einem
Sammelbecken für radikalere Linke aller Couleur entwickelte. Zu ihren Problemen
gehört, dass sie manchmal Tendenzen in Richtung Linkspopulismus entwickelt. Dennoch
ist sie – aufgrund ihrer Dynamik und ihrem respektlosen Auftreten den
bürgerlichen Verhältnissen und dem Establishment gegenüber – für die radikale
Linke in den Niederlanden (gerade auch außerhalb der Parlamente) von enormer
Bedeutung. Einen interessanten Artikel über die Geschichte und die Politik
dieser Partei veröffentlichte die etwa vierteljährlich erscheinende Zeitung der
PDS-Europaabgeordneten, „europarot“, in der Ausgabe vom Mai 2005
(im Internet zu finden unter: www.pds-europa./europarot/index.htm).
Wir dokumentieren sie hier, um den Wissensstand über die Linke im Nachbarland
Holland etwas zu erhöhen:
Kurzdarstellung der Socialistische Partij (SP)
der Niederlande
Mit mehr als 28.000 Mitgliedern
ist die Sozialistische Partei (SP) heute die viertgrößte Parteiorganisation in
den Niederlanden, und die einzige, die nicht nur Wahlverein ist. Mitregierender
Koalitionspartner ist sie seit März 2002 auch in zwei Städten mit über 100.000
Einwohnern an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen, in Nijmegen und Heerlen. Trotz
dieser Positionen hat sie dennoch kaum Vergangenheit und Tradition. Auf der
nationalen Ebene ist sie erst seit acht Jahren parlamentarisch tätig, nachdem
die zwei alten Linksparteien CPN und PSP zum Schluss gekommen waren, dass eine
anti-kapitalistische Partei im 21. Jahrhundert leider nicht mehr existenzfähig
sei. Mittels einer Profilierung als 'Gegen-Partei' hat sich die SP heute eine
Position erworben, die röter und grüner ist als die von Sozialdemokraten und
Grünen. Als Partei der Solidarität und der gleichen Würde aller Menschen steht
der Kampf gegen Steuersenkungen, Privatisierungen und Einsparungen bei der
Daseinsvorsorge im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Die SP lehnt die Beteiligung an
der NATO und militärische Interventionen im Ausland ab. Sie schlägt die
Umwandlung der Monarchie in eine Republik vor. Mit diesen Themen wird sie für
ein wachsendes Publikum interessant.
Angefangen hat sie mit nur zwei
Abgeordneten bei den Parlamentswahlen 1994, vier Jahre später erhielt sie fünf
Mandate. Bei den Parlamentswahlen am 15. Mai 2002 erreichte sie 5,9% und damit
neun Mandate. Dabei konnte sie sogar die bisherige linksliberale
Regierungspartei der Demokraten hinter sich lassen.
Die SP existiert seit 1972.
Gegründet wurde sie als eine kleine außerparlamentarische Aufbau-Organisation
von Arbeitern, Studenten und ehemaligen Dissidenten der zwei alten
Linksparteien. Diese Rolle spielte sie besonders im katholischen Teil des
Landes, südlich der Flüsse Rhein und Maas. Eine Art von Bayern, wo die Rechte
vorherrschte und Parteien links der Sozialdemokratie kaum existenzfähig waren.
Die SP war damals inspiriert von der Theorie und der Praxis der chinesischen
Kommunisten. Sie entwickelte sich aber bald zu einer unabhängigen Bewegung
gegen Unternehmermacht, Umweltverschmutzung und Behördenwillkür. Sie ist eine
aktive Bewegung, die seit 1974 in immer mehr Gemeinderäten vertreten ist und
seit 1987 auch im Rat der südlichen Provinz Brabant. Der heutige Parteiführer
Jan Marijnissen (49) hat seit Anfang der siebziger Jahre seinen Wohnort Oss zu
einer Hochburg der Partei umgestaltet, wo die SP mittlerweile mit 13
Gemeinderatsmitgliedern die größte Fraktion stellt. Er profiliert sich als
ehemaliger Industriearbeiter, ist aber auch durch seine Bücher und
Fernsehauftritte bekannt. Aufgrund des isolierten und regionalen Ursprungs
außerhalb einer Weltbewegung hat die SP keine Verbundenheit mit der
Vergangenheit der UdSSR und anderer sich sozialistisch nennender Staaten. Auch
andere Traditionen wie Kampflieder, Rote Fahnen und den Ersten Mai kennt sie
kaum.
Auch schon vorher gab es in den
Niederlanden politische Kräfte links von der Sozialdemokratie: Die
kommunistische Partei CPN, gegründet bereits 1909 und die linkssozialistische
PSP (Pazifistisch Sozialistische Partei). Zusammen haben CPN und PSP bei
Nationalwahlen jedoch selten mehr als 6 % erreicht. In den 80er Jahre verloren
sie viele Wähler und Mitglieder an die damals oppositionelle und sich
radikalisierende Sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA). Die CPN verlor
ihren letzten Abgeordneten 1986. Die PSP war nach diesem Jahr nur noch mit
einem Sitz im Parlament vertreten. Diese Enttäuschung hat die beiden Parteien
endgültig demoralisiert und vernichtet.
1991 entschied sich eine
Mehrheit der verbliebenen Mitglieder von PSP, CPN und von zwei kleinen
linkschristlichen Parteien der neu gegründeten Partei Grün-Links beizutreten,
insbesondere weil damals die Grünen im Nachbarland Deutschland sehr erfolgreich
waren. Mehrheitlich waren sie der Meinung, dass Sozialismus und Klassenkampf
keine Zukunft mehr hätten in einem Zeitalter, in dem es keine Sowjet-Union mehr
gibt und die Arbeiter über Auto und eigenes Haus verfügen. Zur Priorität wurde
deshalb die Umgestaltung der Partei Grün Links zu einem linksliberalen und
regierungsfähigen Wahlverein, der nicht nur mit Sozialdemokraten sondern auch
mit Rechts koalieren könne. Linke Minderheiten waren empört und haben diese
Partei innerhalb weniger Jahre verlassen, wodurch sie bald zurückfiel von mehr
als 18.000 auf nur noch 11.000 Mitglieder. Aber keine der zersplitterten
Gruppen von ehemaligen PSP- oder CPN-Anhängern war fähig, die aufgegebenen
politischen Positionen zu übernehmen. Die Vereinigung der kampfbereiten Linken
ist endgültig erst der SP gelungen. Seitdem die Sozialdemokraten wieder
zusammen mit Rechts regierten und mitverantwortlich wurden für den teilweisen
Abbau des Versorgungsstaats und der Daseinsvorsorge, gab es immer mehr
unzufriedene ehemalige Wähler der PvdA. Die Lücke, die PvdA und Grün Links
ließen, gab der SP seit 1994 die Chance, im ganzen Land die alte Rolle auf der
linken Seite der Arbeiterbewegung zu übernehmen. Die Abwendung von Grün-Links
vom Sozialismus war für die SP aber niemals Grund für Rache oder Sektierertum.
Grün-Links und SP standen vielmehr acht Jahre lang in einer gemeinsamen
Opposition gegenüber der sozialdemokratisch-liberalen Regierungskoalition. Für
die Parlamentswahlen 2002 wurde ein technisches aber kein politisches Abkommen
zwischen beiden geschlossen. Grün Links hat sich auf eine Regierungsbeteiligung
zusammen mit PvdA und CDA vorbereitet. Die SP dagegen auf die Stärkung der
Opposition, nun auch mit wachsender Beteiligung von Frauen, jungen Leuten und
Migranten.
Auf Grund des Strebens nach
einer weitgehenden Basisdemokratie lehnt die SP eine hochzentralisierte und
bürokratische EU ab, obwohl sie die Zusammenarbeit der europäischen Völker zur
Lösung gemeinsamer Fragen für notwendig hält. Bei den Europawahlen 1999 bekam
sie 5,04 %, und damit ihren ersten Vertreter in der Konföderalen Fraktion der
Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke <im
Europaparlament>.
Von Erik
Meijer und Andreas Wehr
Vorbemerkung
und Einfügung in eckigen Klammern:
Antifa-AG der
Uni Hannover