Antifa-AG der Uni
Hannover:
Wer in
der deutschen Linken freut sich nicht jedes Jahr aufs Neue auf den Bundes- oder
den jeweiligen Landesverfassungsschutzbericht. Egal wie tief die Krise der
Linken und wie fortgeschritten der inhaltliche und organisatorische Verfall
ist, fast immer entdecken die Schlapphüte eine erstarkte Linke und eine
„bedenkliche“ Zunahme unserer „Gefährlichkeit“. Ja, es soll sogar Gruppen
geben, die schwer enttäuscht und ernstlich beunruhigt sind, wenn sie in diesen
Werken nicht erwähnt werden.
Über
ihren erheblichen Unterhaltungswert hinaus ist es den aufmerksamen und
kritischen Rezipienten allerdings durchaus möglich aus dem, was zwischen den
Zeilen steht und dem, was auf den Präsentationspressekonferenzen verkündet
wird, etwas über Schwerpunkte und Angriffsziele der „Dienste“ zu erfahren.
Nicht anders verhält es sich in Italien. Da die deutschsprachigen Leser von den
„Arbeitsergebnissen“ und Warnungen der SISDE und SISMI (die bekanntlich eine
etwas „bewegtere“ Vergangenheit haben als der VS) normalerweise ausgeschlossen
sind, hier der Bericht der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“
vom 31.12.2004 über ihre Halbjahrespressekonferenz, in der sie
insbesondere radikalere soziale Kämpfe (Hausbesetzungen, Preisreduzierungen und
Aktionen für ein allgemeines Mindesteinkommen), Umweltschutzaktionen und
selbstorganisierte Streiks (wie im Frühjahr 2004 bei FIAT in Melfi) aufs Korn
nehmen .
„Enteignungen“ und Besetzungen: Der
Alarm der Geheimdienste
Disobbedienti (Ungehorsame) im Visier von SISDE
und SISMI. Anarchisten verzeichnen „progressives Wachstum“ und Brigadisten noch
in Freiheit.
Zusammen mit den üblichen
Anarchisten, die, trotz der Verhaftungen ein „progressives Wachstum“
verzeichnen und den Roten Brigaden (BR), deren noch in Freiheit befindlichen
Militanten wieder zuschlagen könnten, sind dieses Mal die „proletarischen
Enteignungen“ und die Besetzungen von Häusern und Arealen im Visier der zivilen
Geheimdienste. Der Halbjahresbericht von SISDE und SISMI richtet den Finger
insbesondere auf die Disobbedienti, die als „der radikalste und
rebellischste Teil der Antiglobalisierungsfront“ betrachtet werden und die
„bemüht“ seien, „sich einen autonomen operativen Raum zu schaffen, um sich von
den anderen Teilen der Bewegung freizumachen“, die als zu gemäßigt angesehen
würden. Ohne die Brüche und die Aufsplitterungen in jenem Flügel der Bewegung
zur Kenntnis zu nehmen, obwohl darüber in den Zeitungen breit berichtet wurde,
sind „die Disobbedienti“ den Geheimdiensten zufolge an drei Fronten zur
„konkreten Rebellion“ übergegangen: Besetzung verlassener Häuser und Gelände;
sozialer Einkauf in den Supermärkten; kostenlose Nutzung von Verkehrsmitteln
und Dienstleistungen. Die Analytiker geraten auch bei den Zielen aus dem
Gleichgewicht: keine Revolution, keine „Umkehrung der Machtverhältnisse“,
sondern „Opposition gegen das System im Rahmen einer Transformationslogik des
Sozialen“. Außerdem würden die Disobbedienti, indem sie eine Kampagne
zur Abschaffung des Straftatbestandes der subversiven Vereinigung und die
Straffreiheit für alle mit den sozialen Kämpfen verbundenen Delikte starten,
darauf abzielen, „wieder die Herrschaft über die Strasse zu übernehmen und sich
als Bezugspunkt für alle Formen von Widerständigkeit ins Spiel zu bringen, die
derzeit auch auf lokaler Ebene auftauchen“. Als Beispiel nennen sie die
Mobilisierung gegen die Müllverbrennungsanlage in Acerra <Süditalien>, an der sich Disobbedienti, Cobas und
organisierte Arbeitslose „mit der Absicht beteiligt hätten, die Schärfe der
Ablehnung zu erhöhen und sie in einen Bereich breiteren politischen Protestes
gegen die Entscheidungen der Regierung einzureihen“. Aber auch die Proteste
gegen die Brücke über die Meerenge <zwischen Kalabrien und Sizilien>, den dritten Tunnel durch den Gran Sasso, die
Winterolympiade 2006 in Turin und die demonstrativen Beschädigungen und
Anschläge gegen die Arbeiten an der Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon
werden erwähnt. Von allem ein bisschen also, wobei auch diejenigen mit
hinzugenommen werden, die Lichtjahre von der Galaxie der Disobbedienti
entfernt sind.
Den Geheimdiensten zufolge
verzeichneten auch die Anarcho-Insurrektionalisten <Anarcho-Aufständischen> ein „progressives Wachstum, sowohl vom
„Erscheinungsbild“ als auch von den „operativen Möglichkeiten“ her. Die
anarchistische Galaxie würde sich mit einem „Prozess der Neudefinition der
Kräfteverhältnisse“ herumschlagen, um „der repressiven Welle des Staates“
entgegenzutreten und habe daher die Verbindungen zu griechischen und spanischen
Anarchisten intensiviert. Die ideologische „Zentrale“ befände sich auf
Sardinien und die Geheimdienste befürchten sogar „die Möglichkeit des
Aufbauprozesses eines gemeinsamen Projektes der sardischen Subversion und der
ETA“.
Schließlich die Brigate
Rosse (Roten Brigaden). Den Geheimdiensten zufolge „eröffnet der Niedergang der
militaristischen Fraktion der BR bisher nicht dagewesene Spielräume und
Interventionsformen, die den zur Verfügung stehenden Kräften angemessener
sind“. Im Visier befinden sich die Nuclei proletari per il comunismo
(Proletarische Kerne für den Kommunismus). Ein Name, der mehrmals auf Sardinien
aufgetaucht sei und nicht näher bezeichnete Organisationen in Nordostitalien
betreffe, die die Schaffung einer klandestinen Partei vorschlagen. Um alle
„Oppositionen gegen die neoliberale Politik in der Arbeitswelt und die gegen
das Binom Repression – Gefängnis“ zu vereinen. Als Beispiel wird der Kampf bei
FIAT <ein
dreiwöchiger, weitgehend erfolgreicher wilder Streik im April / Mai 2004> genannt, wo es unter den Arbeitern auch Militante
gegeben habe, die versucht hätten, den Dissens zu radikalisieren.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover