Antifa-AG
der Uni Hannover:
Zwar hält der Waffenstillstand zwischen
Israel und dem Libanon trotz einiger (zum Teil blutiger) israelischer
Provokationen, doch ist die Situation von einem Frieden weit entfernt. Selbst
in der linksliberalen israelischen Tageszeitung „Haaretz“
wird bereits – nach der militärischen Pleite gegen die Hisbollah – eine neue „Kampfdoktrin“
für die nächsten Kriege gefordert. (So Reuven Pedatzur in „Haaretz“ vom
4.9.2006; siehe http://www.haaretz.com/hasen/spages/758055.html)
Denn „ab sofort“, so die überwiegende
Meinung, müsse sich Israel auf seine kommenden Feldzüge vorbereiten. In einer
Analyse für die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ vom 5.9.2006
beschäftigt sich Joseph Halevi mit der Haltbarkeit
dieser fragilen Waffenruhe. Halevi ist seit 1990
regelmäßiger Autor von Hintergrundartikeln und Kommentaren in „il manifesto“, meist zu polit-ökonomischen Fragen oder zur
Lage im Mittleren Osten. Zumindest zum Themenkomplex Palästina etc. wird der
folgende Beitrag allerdings auf absehbare Zeit der letzte sein, wie er einige
Tage nach dessen (offenbar hart umkämpften) Veröffentlichung im Vorspann zu
einem Kommentar unter dem Titel „Über den Mittleren Osten und die
italienische Linke“ (http://www.pane-rose.it/files/index.php?c3:o7393)
erklärte, der u.a. auf der kommunistischen Website „Il
pane e le rose“ erschien und dessen Übersetzung
wir in Kürze hier präsentieren werden. Grund dafür ist augenscheinlich das
Entstehen bzw. Erstarken der pro-israelischen Fraktion und die Unterstützung der
militärischen Intervention des europäischen Imperialismus (Italien, Frankreich,
BRD…) durch einen großen Teil der antizionistischen und (begrenzt)
antiimperialistischen Fraktion (mit den „großen Alten“ Valentino Parlato und Rossana Rossanda an der Spitze).
Originalton Halevi:
„Ich habe beschlossen, mich vorläufig nicht mehr in ‚il manifesto’
zum Thema Mittlerer Osten zu äußern, weil die interne Situation der Zeitung zu
verwickelt und es sinnlos ist sich zu streiten und seit circa 20 Jahren
gewachsene Freundschaften und menschliche Beziehungen zu zerbrechen.
Infolgedessen werde ich mich zum Mittleren Osten frei äußern und von Zeit zu
Zeit Texte verschicken, die frei verwendet werden können.“ („Il pane e le rose“ 7.9.2006)
Der in Italien aufgewachsene Joseph Halevi nahm dort als Student an der 68er Bewegung teil, war
– wie er selbst sagt – bis 1991 Marxist und Kommunist und ist bis heute ein
entschiedener Linker. Wenngleich er nun (parallel zur Ablehnung der „Verabsolutierung
des Marktes“) meint, dass die ökonomischen Kräfte und Konflikte gegenüber
den kulturellen, religiösen oder ethnischen Kräften und Konflikten nicht mehr
ausschlaggebend seien.
Beruflich lehrt er Politische Ökonomie
an der Universität von Sydney und ist zugleich assoziiertes Mitglied des Institut
de Recherches Economiques sur la Production et le Développement (IREPD) an der Universität von Grenoble (Frankreich).
Die auf den ersten Blick etwas erstaunliche parallele Tätigkeit auf zwei derart
weit entfernten Kontinenten hat bei ihm bereits Tradition. Seit 1978 an der
Universität von Sydney beschäftigt, lehrte bzw. forschte er 1983 sechs Monate
an der römischen Sapienza, war von 1985-87
Gastprofessor an der University of Connecticut und von 1997-99 Professor an der
Universität Grenoble. Daneben verfasste er regelmäßig Beiträge nicht nur für „il
manifesto“, sondern auch für das neu-linke
Theorieorgan „Monthly Review“
oder die Theoriezeitschrift der linksradikalen italienischen Basisgewerkschaft RdB „Proteo“.
Meinungen:
Israel und das „Risiko“ der Waffenruhe
Joseph Halevi
1977 sorgte Präsident Carter
dafür, dass Israel und Ägypten die Camp David-Abkommen unterzeichneten, die den
vollständigen Abzug der Truppen Tel Avivs vom Sinai verlangten. Im Gegenzug
verpflichtete sich Kairo die Halbinsel zu entmilitarisieren. Ohne die Garantie
des israelischen Rückzugs wäre dies nicht geschehen. Analog dazu ist an der
libanesischen Grenze ohne die Garantie des israelischen Rückzugs von den
Golan-Höhen, deren Bewohner vertrieben und die von Tel Aviv in vollständiger
Verletzung der UNO-Resolutionen kolonisiert wurden, keine Befriedung möglich.
Dank Carters jüngst veröffentlichter Schriften wissen wir, dass er die
Verhandlungen ganz aufrichtig führte und sie als eine erste Etappe auf dem Weg
zum vollständigen Rückzug der israelischen Truppen aus allen im Krieg von 1967
besetzten Gebieten betrachtete, der – wie die israelischen Generäle jener
Epoche und Begin 1982 selbst einräumten – eine politische Entscheidung der Regierung Israels war. Nachdem das Camp
David-Abkommen unterzeichnet war, verfolgte die israelische Regierung <jedoch> eine dem Frieden zuwiderlaufende Politik, indem sie
die Repression in Cisjordanien intensivierte und die
Libanon-Invasion von 1982 vorbereitete. Diese letztere wurde durchgeführt, um
die Kontrolle über Cisjordanien zu konsolidieren,
indem die PLO-Basen im Südlibanon und in Beirut eliminiert wurden. Entgegen
Carters Erwartungen entsprang die Möglichkeit sich auf die Palästinenser und
den Libanon zu konzentrieren, gerade der Neutralisierung des Gewichtes, das die
Sinai-Front mit Ägypten darstellte.
Und die heutige Situation im
Libanon aus israelischer Sicht? Für die in hebräischer Sprache erscheinende
Presse handelt es sich überwiegend um eine zeitweilige Waffenruhe, während
derer man die Offensivkapazität der Armee wieder herstellen müsse. Avraham Tal listete in einem „Sich ab sofort auf den
nächsten Krieg vorbereiten“ überschriebenen Artikel in „Haaretz“
vom 18.August 2006 eine Reihe technischer Reformen im Hinblick auf diesen
Konflikt auf, der – wie er sagt – sehr bald beginnen wird. In der Ausgabe vom
29.August 2006 schrieb Ari Shavit klar und deutlich
und ohne die Ankunft der EU-UNO-Truppen auch nur zu beachten, dass „der
Zeitplan kurz, sehr kurz ist. Der Waffenstillstand im Libanon ist nicht stabil
und wird es nicht sein. Die Waffenruhe ist in dem Dilemma gefangen, ob man die
starke Präsenz der Hisbollah akzeptieren oder eine energische Aktion gegen die
Organisation starten und so eine Eskalation riskieren soll.“ Shavit zufolge wird der entscheidende Moment im kommenden
Winter sein. „An der iranischen Front ist die Sache klar: der Augenblick der
Wahrheit wird im Winter kommen. Wenn die USA den Iran angreifen, wird Israel
angegriffen. Wenn die Vereinigten Staaten nicht angreifen, wird Israel der
ernsthaftesten Bedrohung seiner Existenz seit seiner Gründung begegnen müssen.“
Ich habe das kursiv gesetzt,
weil es die Psychologie des israelischen Establishments enthüllt – egal ob es
rechts oder liberaldemokratisch ist. Die Gefahr werde für Israel real, wenn die
USA den Iran nicht angreifen. Das schreibt Shavit
nicht aus Zufall. Die Regierung habe das Land geschwächt, deshalb müsse sie
gehen. Die Waffenruhe werde kurz sein und die kurze Zeit, die zur Verfügung
stehe, müsse genutzt werden, um die Macht Israels in den Augen der arabischen
Welt, den Iran und der Vereinigten Staaten wieder herzustellen. Dafür ist es
auch die Mühe wert zu erwähnen, wie Uri Avnery
festgestellt hat, dass die Chefs der Militärspionage offen von einer nächsten
Runde sprechen. Wie sieht also das plausibelste Szenario aus?
Es ist wünschenswert, dass
die Waffenruhe hält. Und sie hält, mit der neuen Ankündigung direkter
Verhandlungen zwischen Israel und der Hisbollah über einen Gefangenenaustausch
durch Kofi Annan – der Anlass für den Krieg, die von Olmert
bislang ausgeschlossene Möglichkeit und darüber hinaus die explizite
Anerkennung der Hisbollah. Es versteht sich von selbst, dass die Dauer der
Waffenruhe von der Wahrhaftigkeit dieser Ankündigung und von dem Ergebnis des
möglichen „Austauschs“ abhängt. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen,
dass – wie es bereits der Fall ist – während der Waffenruhe das destruktive
Vorgehen Israels gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza (und nicht nur
dort) zunimmt. Dies umso mehr als Olmert den
einseitigen Rückzug aus Cisjordanien zugunsten der
vorläufigen Entscheidung für gar keinen Rückzug revidiert. Die zentrale Rolle
der Palästina-Frage wird Einfluss auf die Waffenruhe und auf die Spannungen im
Grenzgebiet zu Syrien haben. Vergessen wir nicht, dass am Ende der Stopp des
israelischen Libanon-Krieges von Bush herrührte, der besorgt war, dass diese
Gemetzel im Desaster von Bagdad zum endgültigen Bruch zwischen den iranischen
Schiiten und den USA führen könnten.
Vorbemerkung, Übersetzung aus dem
Italienischen und Einfügung in eckigen Klammern:
Antifa-AG
der Uni Hannover