Gewerkschaftsforum Hannover:
Interviews mit dem Generalsekretär der bei
weitem größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM, Gianni Rinaldini, droht gegenwärtig nicht die Gefahr, langweilig
zu werden. Das liegt zum einen an der relativen Sonderrolle, die die FIOM als
linker Eckpfeiler des etablierten italienischen Gewerkschaftsspektrums spielt
und zum anderen am Versuch der Spitze des Gewerkschaftsbundes CGIL (dem sie
angehört) die Reihen in Treue fest hinter der „befreundeten“
Mitte-Links-Regierung Prodi zu schließen und für
blinden Gehorsam zu sorgen. Dies führte im Zusammenhang mit der Großdemo gegen Prekarität am 4.November 2006 in Rom (trotz Demobilisierung
der CGIL-Führung real 8.000 bis 10.000 Teilnehmer) zu heftigen
Auseinandersetzungen zwischen CGIL- und FIOM-Vorstand.
In einem Interview für die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il
manifesto“ vom 17.11.2006
geht Rinaldini erstmals näher auf die Vorwürfe
rechter Gewerkschaftskreise gegen ihn und die FIOM-Politik
ein. Wobei er, aufgrund der weitgehenden Isolation innerhalb der CGIL, eher auf
subtile Antworten setzt.
INTERVIEW:
„Unabhängigkeit und Demokratie“
Der Sekretär der FIOM, Gianni Rinaldini, erklärt die Dialektik zwischen Metallern und
CGIL und bekennt sich zur Teilnahme an der Demo gegen die Prekarität.
Aber er stellt klar: „Es existiert keine FIOM außerhalb der CGIL.“ Die
Grenzen des Haushaltes und die Gefahren in punkto Renten.
Loris Campetti
Es ist
nicht das erste Mal, dass die FIOM auf der Anklagebank landet. Staatsanwältin
ist die CGIL, d.h. der Gewerkschaftsbund, in dem die Metallarbeiter den
industriellen Zweig repräsentieren. Und da die Straftat, die ihr vorgeworfen
wird, die Beteiligung an der Demonstration gegen die Prekarität
ist, kann die Verteidigung – um bei der Metapher zu bleiben – nur aus den
200.000 Teilnehmern an der Mobilisierung gegen das Gesetz Nr.30 bestehen, das
man von Berlusconis Deregulierung geerbt hat. Wie diese Zeitung berichtete, bot
eine Äußerung der COBAS von zweifelhaftem Geschmack und zweifelhafter
politischer Opportunität gegen Arbeitsminister Damiano
dem Sekretariat der CGIL die Gelegenheit, um ihr Fernbleiben von jener
Demonstration zu bekräftigen, von der die Gewerkschaftszentrale am Corso
d’Italia in Rom den Eindruck hatte, sie wäre durch regierungsfeindliche
Intentionen gekennzeichnet, und die Branchengewerkschaften aufzurufen ihrem
Beispiel zu folgen. Einige folgten dieser Aufforderung, andere (die FIOM, aber
auch <die beiden Fraktionen der
Gewerkschaftslinken innerhalb der CGIL> Lavoro e Società und das Rete
28 Aprile) bestätigten ihre Teilnahme. Über Prekarität,
Haushaltsgesetz und Renten sprechen wir mit dem Generalsekretär der FIOM,
Gianni Rinaldini.
Zwischen
FIOM und CGIL gibt es ein Problem. Und die Analogie zwischen der gewerkschaftlichen
Positionierung am 4.November 2006 sowie derjenigen am 21.Juli 2001 in Genua
sticht ins Auge.
„Mir sticht
ins Auge, dass niemand zu bemerken scheint, dass nicht
nur die FIOM an der Demonstration teilgenommen hat, sondern auch <der gemäßigte Flügel der CGIL-Linken> Lavoro
e Società. Da kommt man auf den Gedanken, dass es
in Wirklichkeit um das Verhältnis zwischen Gewerkschaftsbund und
Branchengewerkschaft geht. Das heißt um dasselbe Problem, das in Genua
aufgetreten war. Es ist als ob die Dialektik nur zwischen programmatischen
Bereichen <= politischen
Fraktionen> möglich
wäre.“
Gegen
Euch werden zwei Beschuldigungen erhoben: Erstens die FIOM verhalte sich als
sei sie die vierte Gewerkschaft (CGIL, CISL, UIL und FIOM) und zweitens Ihr
würdet Politik machen anstatt Tarifverhandlungen zu führen.
„Die vierte
Gewerkschaft? Die gibt es weder im Himmel noch auf Erden. Das ist eine
verzerrende Vorstellung, der zufolge die allgemeinen Fragen Eigentum des
Gewerkschaftsbundes sind, während den Branchengewerkschaften die Verteidigung
der Mitgliederinteressen obliege. Das ist eine Logik anderer Gewerkschaften,
nicht der CGIL, die vor 100 Jahren auf Initiative einiger Kammern der Arbeit <= Ortskartelle> und einiger Branchenverbände hin entstand. Den <einleitenden> Bericht auf dem Gründungskongress der CGIL hielt der
Sekretär der FIOM, einer 5 Jahre zuvor entstandenen Gewerkschaft. Es existiert
keine vierte Gewerkschaft. Genauso wie die FIOM nicht ohne die CGIL existiert.
Dann zu sagen, dass wir keine Gewerkschaftsarbeit, sondern Politik machen, ist lächerlich.
Der Grund für den Konflikt ist ein anderer. Er betrifft das Verhältnis zwischen
den gewerkschaftlichen und den politischen Angelegenheiten.“
Sprichst
Du von der „befreundeten Regierung“?
„Wir
befinden uns in einer Phase der Neudefinition eines Gutteils der politischen
Kräfte und speziell der Vertretung der Linken. Für viele in der Gewerkschaft
(sowohl im Gewerkschaftsbund als auch in den Branchengewerkschaften) stellt
sich das Problem einer Neupositionierung innerhalb dieses Prozesses. Für
diejenigen, deren Horizont aus den internen Dynamiken in der Demokratischen
Partei bestehen, gibt es keine Probleme, während es Verdächtigungen hagelt,
wenn der Sekretär einer Branchengewerkschaft irgendwo anders hinschaut. Ich
persönlich bleibe in der Idee der Unabhängigkeit und der Autonomie der
Gewerkschaft verankert. Ich glaube sogar an die Rückkehr der Unvereinbarkeit.“
Kehren
wir zur Demonstration vom 4. zurück: Wie beurteilst Du die Kritiken des
Gewerkschaftsbundes an der FIOM?
„Die
Kritiken werden durch die Manifestation selbst beantwortet. Ich ziehe es vor,
ein sehr positives Urteil über die Demonstration zu fällen, auch wegen der
Anwesenheit sehr vieler Jugendlicher und sehr vieler ausländischer Arbeiter,
die für alle Organisationen ein bedeutendes Signal darstellen sollte. Ich nehme
mit Freude zur Kenntnis, dass der Ministerpräsident und einer der beiden
stellvertretenden Ministerpräsidenten ein positives Urteil über diese Demo
gefällt haben und stelle klar, dass es keine Aktion gegen die Regierung,
sondern eine gegen die Prekarität war. Es gibt aber
immer noch Leute, die erklären, dass Prodi verrückt
sei, weil er nicht begriffen habe, dass der Protest gegen ihn gerichtet war.“
Als der
Haushalt vorgelegt wurde hast Du Dein Urteil auf den Moment verschoben, in dem
klar ist, welches Kennzeichen er hat, in welche Richtung er geht. Was sagst Du
heute?
„Warum, ist
sein Kennzeichen jetzt klar? Ich kann nur einige Eindrücke äußern, in Erwartung
des beschlossenen Textes. Die Entscheidung ihn (bei einer falschen
Steuerstruktur) so gravierend zu machen, konnte bei den Subjekten, bei denen
man sich die notwendigen Mittel holt, nur zu einem konfusen Ergebnis führen.
Die Dimensionen des Haushaltes können sicher nicht Gegenstand von
gewerkschaftlichen Verhandlungen sein. Eine Kontroverse mit Europa kann man nur
dann beginnen, wenn in der Regierung der politische Wille dafür vorhanden ist.
Ein Grund mehr, um zu sagen, dass dies der Haushalt der Regierung und nicht der
Gewerkschaft ist. Ich sehe in den Intentionen jedoch keine Bestrafungsaktion
der Werktätigen und der Geringverdiener. Daher wäre es ein schwerer Fehler auf
eine Regierungskrise zu hoffen oder – schlimmer noch – darauf hinzuarbeiten.
Ich bin allerdings besorgt wegen der Gespräche zwischen den sozialen Parteien
und der Regierung, die für Januar in Sachen Prekarität
und Renten angekündigt wurden – mit einer Confindustria,
die sich vorgenommen hat eine Gegenreform des Tarifsystems und der
Arbeitszeitregelung durchzusetzen.“
Und was
ist der Standpunkt der FIOM?
„Man geht
mit einer verbreiteten Unzufriedenheit unter den Arbeitern und den Prekären in
diese Gespräche. Wir fordern Transparenz der Entscheidungen und Demokratie.
Ohne einen gemeinsamen, von den Arbeitern diskutierten und <in einer Urabstimmung> beschlossenen Vorschlag sind keine
Verhandlungen möglich. Die Zeit ist kurz. Es gibt keine Zeit zu verlieren.
Inhaltlich halten wir eine neue Gesetzgebung für dringend erforderlich, die auf
der zentralen Rolle der unbefristeten Beschäftigung beruht und nicht Gegenstand
von Tauschgeschäften mit Arbeitszeiten und Tarifverträgen sein kann. Mit
anderen Worten, für die FIOM existiert kein ‚Pakt für die Produktivität’,
der von <FIAT-Aufsichtsratschef und Confindustria-Präsident> Montezemolo
heraufbeschworen wird.“
Und dann
haben wir ein Problem mit den Renten…
„Verhandlungen,
die sich auf die Diskussion darüber beschränken, wo die Mittel zu holen sind,
um die von <Berlusconis
rechtspopulistischem Arbeitsminister> Maroni eingeführte Prunktreppe abzuschaffen, wäre in
negativer Hinsicht gezeichnet. Das Haushaltsgesetz hat uns eine Erhöhung der
Steuerlast um 0,3% beschert, die voll und ganz zulasten der Werktätigen geht –
eine Steigerung von 32,7% auf 33%. Eine Verschlechterung ist nicht zulässig.“
Minister
Damiano sagt, dass man an einer ernsthaften
Definition der verschleißenden Arbeit arbeiten kann.
„Und das
Problem gibt es. Da genügen die Anreize. Wir sollten nicht vergessen, dass die
Frühverrentungen weitergehen. Es hat keinen Sinn über Renten zu diskutieren und
das reale Land außer acht zu lassen. In Europa (wie
übrigens auch bei uns) liegen das gesetzliche und das effektive
Renteneintrittsalter weit auseinander. In Deutschland und Frankreich beträgt
die Arbeitslosenunterstützung 70% des Lohnes und machen die Sozialausgaben 30%
aus. In Italien liegt ihr Anteil bei 26,4%. Es ist ein Betrug nicht miteinander
vergleichbare Realitäten gegenüberzustellen, um die Forderung nach einer
Erhöhung des Rentenalters zu rechtfertigen.“
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover