Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Eine
Woche vor dem landesweiten Streik und der zentralen Demonstration in Rom der
drei großen italienischen Metallarbeitergewerkschaften FIOM-CGIL, FIM-CISL und
UILM-UIL für einen akzeptablen neuen Tarifvertrag (der alte ist am 1. Januar
2005 abgelaufen!) interviewte die links-unabhängige Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 26.11.2005 den
Generalsekretär der FIOM, Gianni Rinaldini zu
diesem Thema. Seine Aussagen besitzen nicht nur deshalb eine besondere
Bedeutung, weil er der mit Abstand größten Branchengewerkschaft vorsitzt
(offizielle Mitgliederzahlen: FIOM: 350.000, FIM: 190.000, UILM:
95.000), sondern auch weil die FIOM im etablierten Gewerkschaftsspektrum
Italiens den linken Flügel bildet, von Anbeginn an Teil der
Antiglobalisierungsbewegung war (ohne diese – wie IG Metall und ver.di hierzulande – dirigieren zu wollen) und sich,
aufgrund ihrer kämpferischen und unbeugsamen Haltung von 2001-2004 mit vier
landesweiten Separatabkommen der christdemokratischen FIM-CISL und der ehemals PSI-nahen und heutigen „Bürgergewerkschaft“ UILM (in
Verbund mit der gelben FISMIC) herumschlagen musste. Im Vorfeld des für das
Frühjahr 2006 angesetzten CGIL-Kongress ist Rinaldini
innerhalb dieses größten (und ehemals KP-nahen)
italienischen Gewerkschaftsbundes zum Kopf der linken Strömung avanciert.
Politisch gehört er der zwischen den Linksdemokraten (DS) und Rifondazione Comunista (PRC)
angesiedelten lockeren, linkssozialdemokratischen Assoziation „Uniti per la Sinistra“ (Vereint
für die Linke) des Ex-DS’Lers Pietro Folena an.
RINALDINI:
„Regierung in Agonie. In punkto
Arbeit eine radikale Wende!“
Der FIOM-Sekretär:
Bislang nur Kürzungen. Die <Mitte-Links-> Union soll das Gesetz Nr. 30 abschaffen und die Normen in
Sachen Demokratie festlegen.
ANTONIO SCIOTTO
„Wir stehen vor einer
unglaublichen Situation. Mittlerweile ist es sogar schwer, sie zu definieren:
Die Regierung befindet sich in Agonie und an jedem Tag, der vergeht, verursacht
sie einen Schaden mehr.“ So kommentiert der Generalsekretär der FIOM, Gianni Rinaldini, das Gelingen des Generalstreiks <von CGIL-CISL-UIL, Confederazione Cobas und der
Mehrheit des SLAI Cobas am 25.November 2005>: „Die Werktätigen sind müde“, erklärt er. „Sie sind
es müde, nur Kürzungen zu erleiden. Bei den Diensten und am Wohlfahrtsstaat,
bei der Entlohnung und bei den Rechten. Die Verschlechterung ist eine
kontinuierliche und schreitet mit hoher Geschwindigkeit voran – in Sachen
Kaufkraft der Einkommen und Renten, den Arbeitsbedingungen und der Prekarität. Mit dem Protest, den Streiks und den
Demonstrationen sagt man Nein zur Verarmung und zum Abbau der
Schutzbestimmungen. Aber die Exekutive erhöht wirklich die Spannung und die
Situation läuft Gefahr riskant zu werden.“
Die soziale
Unzufriedenheit ist sehr stark. Andererseits kreuzen sich auf den Spruchbändern
sehr viele Themen: die Prekarität und nicht nur die
der auf wechselnden Stellen beschäftigten Jugendlichen, sondern auch die vieler
Männer und Frauen, die mit 40, 50 Jahren von der Arbeitswelt ausgeschlossen
sind. Oder Fragen wie der Hochgeschwindigkeitszug (TAV), die auf der
Demonstration in Turin zentral war.
„Ja, die Piemonteser,
die auf die Strasse gegangen sind, um Nein zum TAV zu sagen, standen den
Metallarbeitern nahe, neben den Transparenten der FIOM. Die Arbeit ist selbstverständlich
mit all dem verknüpft, was das Leben der Menschen aus der Nähe berührt. Selbst
die Devolution <Föderalisierung>
oder das Haushaltsgesetz, die als ‚hohe’ Themen erschienen, machen sich im
Leben bemerkbar und mobilisieren. Denken wir an das, was die Regierung mit der
Verfassungsreform macht. Es handelt sich nicht nur um das Zerbrechen der
Solidarität vom Gesichtspunkt des Wohlfahrtsstaates und der <staatlichen> Dienste aus. Die Devolution
bedeutet 20 regionale Tarifverträge. Sie zielt darauf ab, die Welt der Arbeit
zu spalten.“
In der Tat schlägt die
Regierung in periodischen Abständen immer wieder Lohnkäfige <d.h. Lohnbegrenzungsabkommen> vor. Aber noch stärker ist der Druck, der seitens
der <Metallindustriellenvereinigung> Federmeccanica auf die
Metallarbeiter ausgeübt wird, um sie zum Akzeptieren der wilden Flexibilisierung
zu bewegen. Mit Nachdruck wird seit einigen Tagen von einem möglichen Abschluss
<noch> innerhalb des Jahres gesprochen. Seid Ihr Euch also
bei den Ziffern der Lohnerhöhung näher gekommen?
„Absolut nicht. Die Zahlen
sind noch sehr weit voneinander entfernt. Das Jahresende ist in der Tat das
Ziel, das wir uns gesetzt haben. Man muss aber abwarten, wie die nächsten Tage
verlaufen. Die Federmeccanica bietet uns 70-80 Euro an.
Wir halten an 130 Euro fest. 105 Euro als Grundlohnerhöhung plus den 25 Euro für diejenigen, die die ergänzenden
betrieblichen Abkommen noch nicht unterzeichnet haben. Sie sagen, dass sie
bereit wären, die Ziffer zu erhöhen, wenn wir eine nicht ausgehandelte
Flexibilisierung zugestehen. Das ist aber außerhalb jeder Diskussion. Das haben
wir diverse Male wiederholt. Wie kann man fordern, die
Arbeit und die Zeit der Menschen einseitig zu bestimmen und dafür obendrein im
Austausch einige wenige Euro anbieten?“
Über diese Themen
sprechen (von ganz wenigen Zeitungen abgesehen) die großen Fernsehkanäle nie.
Kaum dass die <von
den Linksdemokraten (DS) kontrollierten> Fernsehnachrichten von RAI 3 überlegt haben, Euch eine Folge der
Sendung „Primo Piano“ <“Nahaufnahme“ / „Im
Vordergrund“> zu widmen, ging
die Attacke los.
„Vor allem Berlusconis
Reaktion sagt mehr als alle anderen. Kaum dass in den Informationsmitteln über
reale Probleme diskutiert wird, gibt es sofort den Versuch, zu zensieren und
das um jeden Preis. Außerdem: Gestern hat er sich auch noch einen seiner
Ausrutscher geleistet und <den seit Ende September 2002 amtierenden CGIL-Generalsekretär> Epifani mit <seinem Vorgänger und heutigen Law&Order-Bürgermeister der DS in Bologna> Cofferati verwechselt. Wie
auch immer, auch wenn uns RAI 3 Raum gewährt hat, bedeutet das nicht, dass wir
in anderen Teilen der RAI <d.h. vor allem in den Fernsehsendern RAI 1 und 2> zu sehen sind. Nicht zufällig haben wir den Spitzen
des Staatsfernsehens einen Brief geschrieben, damit es zu einer Liveschaltung zu unserer Demonstration am 2.Dezember in Rom
kommt.“
Vonseiten der
Mitte-Linken scheinen – um zu einem anderen Thema von hoher Aktualität zu
kommen – negative Signale einzutreffen, was das Schicksal des <Prekarisierungs-> Gesetzes Nr. 30 / 2003 anbelangt. <DS-Generalsekretär> Fassino sprach vor einer
Woche sogar davon, „es“ zu „verbessern“, womit er nicht nur die Idee der
Abschaffung beiseite schob, sondern auch die irgendeiner radikalen Veränderung.
Welche Prioritäten sollte die nächste Regierung haben?
„Wenn wir über Prioritäten
sprechen, dann sind das zweifellos zwei: eine neue Arbeitsrechtsgesetzgebung
und ein Gesetz über die gewerkschaftliche Demokratie. In Sachen Gesetz Nr. 30
ist die Debatte in der Linken – vorsichtig ausgedrückt – konfus. Man versucht
so zu tun als würde man den Unterschied zwischen ‚Abschaffung’ und
‚Modifizierung’ präzise darlegen, läuft aber Gefahr beim Namen der Dinge hängen
zu bleiben. Für mich hat der Begriff ‚Abschaffung’ eine präzise Bedeutung und
zwar in dem Sinne, dass Bedarf an einer neuen und radikal anderen
Arbeitsrechtsgesetzgebung besteht, die einem Bruch mit der Vergangenheit Sinn
verleiht, indem all jene Formen, die prekarisieren,
beseitigt werden: von der Arbeit auf Abruf über die Arbeitnehmerüberlassung (staff leasing) bis
hin zur geteilten Arbeit (job sharing). Die
unbefristete Beschäftigung muss wieder in den Mittelpunkt rückt werden. Über
das Gesetz Nr. 30 wird wenigstens gesprochen. Die Demokratie hingegen ist aus
dem Programm der <Mitte-Links->
Union vollkommen verschwunden. Ein beachtlicher Teil der Linken ist weiterhin
davon überzeugt, dass das nur ein Mittel ist. Über Tarifforderungen und
Abkommen abzustimmen, die die eigene Arbeit betreffen, ist im Gegenteil ein
Recht und sollte durch ein Gesetz garantiert sein.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover