Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Das nachfolgend übersetzte Editorial aus der Rifondazione Comunista (PRC) gehörenden Tageszeitung Liberazione vom 25.1.2003 gibt einen Überblick über die Sicht, die die Mehrheitströmung der größten (in ihrer Gänze) ernsthaft als links zu bezeichnenden Partei Italiens auf den heraufziehenden neuen Irak-Krieg hat. Es stammt von der stellvertretenden Chefreakteurin, Rina Gagliardi, die zudem Mitglied der 30köpfigen Leitung des PRC ist. Wir veröffentlichen es hier, weil Rifondazione einer der wichtigsten Pfeiler der italienischen Anti-Kriegs-Bewegung ist und weil wir den Austausch und die Dialektik innerhalb dieser internationalen Bewegung für sehr wichtig halten, auch wenn wir längst nicht alles teilen, was sie und der PRC mehrheitlich zu diesem Thema vertreten bzw. andeuten.
Editorial:
Jener Krieg der USA gegen den Rest der Welt
Rina Gagliardi
Die internationale Krise hat mittlerweile bislang nie erreichte Ausmaße an Dramatik, Komplexität und Konfusion angenommen. In mehr als einem Moment, aber speziell in diesen letzten beiden Tagen, hat man den Eindruck einem einzigartigen Krieg nicht zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak, sondern zwischen Washington und dem Rest der Welt beizuwohnen. Wenn wir nicht wüßten, daß hinter allen <Schach->Zügen der nordamerikanischen Regierung eine nüchterne politische Bestimmung steht (ja sogar eine wirkliche und wahrhaftige strategische Doktrin, die von einer aufmerksamen Beobachtung der Globalisierungsprozesse und einer scharfen Herrschaftsantwort herrührt), würden wir von amerikanischem Wahnsinn sprechen.
Das was nach Monaten interner Kontroversen, um sich greifender Zweifel an der Spitze des Pentagon und geringer Begeisterung der öffentlichen Meinung als sicher erscheint, ist daß es in Washington keine "Tauben" mehr gibt. Gewonnen hat die Partei der Falken, die von Beginn an auf den Krieg um jeden Preis setzte - mit oder ohne UNO-Bürgschaft, mit oder ohne eine angemessene internationale Unterstützungskoalition. Diese Partei, die - wie bekannt ist - von Präsident Bush angeführt wird, scheint bereit zu sein für ihre Berufung zum Krieg sehr hohe Preise zu zahlen: wie die politische und moralische Isolation der Vereinigten Staaten in der ganzen Welt, den Bruch mit Europa, d.h. mit den alten europäischen Mächten Frankreich und Deutschland sowie die schroffe Verschlechterung der Beziehungen zu Rußland und China. Und wie - von einem anderen Standpunkt aus - die Unfähigkeit die (voraussichtlich sehr dramatischen) Auswirkungen auf die Nachkriegszeit in irgendeiner vernünftigen Art und Weise zu managen sind. Was sich ab heute traurigerweise ankündigt, sind weitere Kriege, weitere terroristische Aktionen und weitere politisch-diplomatische Krisen.
Überwiegen bei der weltweit einzigen Supermacht derzeit also doch Todes- und Zerstörungsimpulse ? Als wäre der Wahnsinn des Krieges (eines Krieges, der quasi nur sich selbst als reales Ziel hat und gegen den Rest der Menschheit gerichtet ist) der einzig mögliche Reflex der Zivilisationskrise, die den amerikanischen Riesen peinigt ? (Idealistische) Klischees dieser Art haben uns niemals überzeugt. Und doch liegt diesem neuen Kriegszyklus, der dabei ist auch auf dem Schlachtfeld anzubrechen (auch und vor allem, um Tausende und Abertausende wehrloser menschlicher Wesen zu vernichten), genau jene Zivilisationskrise zugrunde, die das Wesen der regressiven Revolution des neuen Kapitalismus ausmacht. Die amerikanische Macht erscheint heute mehr denn je zugleich kolossal und im Niedergang begriffen. Die USA sind heute mehr denn je zu jedem Abenteuer bereit, auch um den eigenen Lebensstandard bzw. das eigene Modell zu verteidigen, die durch die wirtschaftliche Rezession, den Werteverfall und das Fehlen einer glaubwürdigen Zukunft bedroht sind.
Zu den Wurzeln des Konfliktes mit Europa (d.h. mit der deutsch-französischen Achse) gehört die Wahrnehmung einer Auseinandersetzung, die noch vor der politischen, diplomatischen oder strategischen eine des Zivilisationsmodelles ist. Für den alten und weisen Kontinent geht es simpel gesagt um eine existenzielle Entscheidung. Das heißt Frankreich und Deutschland können sich selbst nicht in einem Horizont der Aufrüstung, des permanenten Krieges mit der arabischen und islamischen Welt und einer weiteren Redimensionierung des russischen Bären vorstellen. Das ist eine Perspektive, die sich mit den Interessen sowohl der neu entstehenden supranationalen Macht als auch mit einem bedeutenden Teil des europäischen Kontinentes beißt. Im übrigen hat gerade Europa in seiner Gesamtheit noch nicht entschieden, wo es steht und befindet sich allenfalls an einem historischen Scheideweg. In Wirklichkeit rudert ein aus verschiedenen Mächten zusammengesetzter Block in die entgegengesetzte Richtung als die, die Berlin und Paris einschlagen. Geführt von einem zerfallenen Imperium (Großbritannien) umfaßt dieser Block Nationen mit einer neuen wilden Entwicklung (Spanien) sowie solche mit galoppierender Stagnation (Italien) und bezieht in Osteuropa fast das gesamte ehemalige sowjetische Imperium mit ein. Staaten, Gebiete und Ökonomien, die gerade (und das nicht zufällig) in der Unduldsamkeit gegenüber dem europäischen Sozialmodell und in der Untertänigkeit gegenüber den USA übereinstimmen.
Ja sicher, und Italien ? In diesem Rahmen hat unser Land eine der härtesten Ohrfeigen seiner ohnehin nicht sehr glorreichen Geschichte bekommen. Von den Generälen in Washington auf Distanz angeworben, amtlich eingetragen in eine Liste treuer Untertanen, ohne auch nur einen Fetzen vorheriger Information. Wenn wir patriotische Instinkte hätten, würde uns die Lust überkommen, wütend unsere derart zertrampelte nationale Würde zu zücken. Leider steht an der Spitze dieses Landes ein Ministerpräsident, den niemand - speziell im Ausland - ernstnehmen kann. Um die Wahrheit zu sagen, beruhigt uns auch das nicht mehr sonderlich. Berlusconi möchte (das sieht man auf eine Meile Entfernung) alles und sein Gegenteil: Er möchte der intimste Freund von Bush, aber auch von Putin sein (der sich gerade mit dem deutschen Kanzler Schröder gegen Bush gestellt hat). Ihm gefällt die Vorstellung für Washington der zuverlässigste Verbündete bzw. Satellit zu sein. Gleichzeitig verzichtet er allerdings nicht darauf Beifall aus Europa zu bekommen. Kurz gesagt, er will den Krieg, ahnt aber - zumindest aufgrund der Umfragen - daß dieser Krieg hier bei uns (und nicht nur hier) über keine Massenzustimmung verfügt. Kurz, bereiten wir uns auf das Schlimmste vor. Und auf den Kampf natürlich.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover