Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

Die italienischen Staatsorgane versuchen in den letzten Wochen in massiver Weise unter dem Vorwand der “Terrorismus-Bekämpfung” insbesondere die kämpferischen, linken Basisgewerkschaften Confederazione Cobas und SLAI Cobas in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und mittels Hausdurchsuchungen und Verhaftungen einzuschüchtern. Die Haltlosigkeit der Vorwürfe, aber auch die beispiellose Selbstherrlichkeit mit der die politischen Staatsanwaltschaften und ihre Polizeiorgane dabei (mit Rückendeckung durch die Berlusconi-Regierung) vorgehen, verdeutlichen am treffendsten ihre eigenen Erklärungen. So scheut sich z.B. die Staatsanwaltschaft Bologna nicht, eine Welle von Hausdurchsuchungen bei Cobas- und Antiglobalisierungsaktivisten frech als “bürokratische Routine” zu bezeichnen.

Die beiden nachfolgenden Artikel aus der links-unabhängigen italienischen Tageszeitung “il manifesto” geben einen detaillierten Einblick in diese Praxis, die sich künftig auch auf andere Bereiche der gewerkschaftlichen Linken bzw. unbequeme Teile der italienischen Arbeiterbewegung erstrecken könnte und internationale Aufmerksamkeit und Kritik verdient. Der erste Artikel erschien in “il manifesto” vom 8.5.2002:



Biagi: 15 Durchsuchte

Bologna: Die Staatsanwaltschaft sucht Verbindungen zu den Roten Brigaden (BR)

Sara Menafra - Bologna

Die Staatsanwaltschaft Bologna sorgt im Mordfall Marco Biagi wieder für Bewegung. Gestern morgen haben Polizei und Carabinieri auf der Suche nach, auf die Ermordung des Professors <und prominenten Regierungsberaters in Sachen Arbeitsgesetzgebung> Biagi bezogenen oder jedenfalls damit in Zusammenhang stehenden “Dokumenten, Fragmenten oder Notizen” (wie man in den von Staatsanwalt Paolo Giovagnoli unterschriebenen Durchsuchungsbefehlen liest) in der Stadt und der unmittelbaren Umgebung 15 Hausdurchsuchungen vorgenommen, <sowie> eine in Mailand und eine in einer süditalienischen Stadt.

Das Ziel der Ermittler, die einige Dokumente, Kalender und Telefonnummern beschlagnahmt haben, ist es, Bestätigungen für die bis heute durchgeführten Ermittlungen zu finden. “Eine bürokratische Routine”, wie es der Staatsanwalt Luigi Persico bezeichnete, die sich auf Personen konzentriert habe, die mehr oder weniger kurz zurückliegende Kontakte zu den Gruppen der umstürzlerischen Linken gehabt haben, ohne aber den Finger auf die Durchsuchten zu richten. Keiner von ihnen erweist sich als Bestandteil des Registers derjenigen, gegen die ermittelt wird. Fast zwei Monate nach der Ermordung des Beraters des Wohlfahrtsministers <d.h. des Arbeitsministers Roberto Maroni von der rechtspopulistischen Lega Nord> bleibt die Untersuchung der Staatsanwaltschaft von Bologna in der Tat gegen Unbekannte gerichtet. Die Ermittlung konzentriere sich derzeit auf die Spuren umstürzlerischer Gruppen der 80er Jahre, darunter insbesondere die UCC (Union Kämpfender Kommunisten <eine Abspaltung der BR>) und die Gruppe der Roten Brigaden der sogenannten “neuen Welle”. Es taucht der Name von Giovanni Senzani auf, einem der Führer der BR-PCC (Rote Brigaden - Kämpfende Kommunistische Partei) und der Gruppe “metropolitane Guerilla” der 80er Jahre. Derselbe Name auf den Giovanni Pellegrino während der Untersuchungskommission zum D’Antona-Mord <der neuen Roten Brigaden Mitte 1999> die eigenen Ermittlungen gerichtet hatte. Zu jener Zeit hatte Pellegrino die Urheber des D’Antona-Deliktes mehrmals als “Senzianer” bezeichnet. Senzani seinerseits hatte die Anschuldigungen dementiert und erklärt, seit dem Augenblick seiner Verhaftung keine Kontakte zu den BR mehr gehabt zu haben.

Auf der Liste der Durchsuchten erscheinen die Namen einiger Vertreter der “Bewegungslinken” von Bologna, darunter auch einige, sowohl lokale wie nationale, Exponenten der Cobas Scuola <Basiskomitees Schule, die 5 - 6% der italienischen Lehrer vertreten und im Februar 2002 mehrere Zehntausend Teilnehmer zu einer nationalen Demonstration für das öffentliche Bildungswesen mobilisierten !> und derjenige einer Person, die 1999 in einige Anschläge auf die NATO-<Luftwaffen-> Basis in Aviano involviert war. Gerade deshalb hat Rifondazione Comunista die Durchsuchungen öffentlich verurteilt und sie als einen “Versuch” bezeichnet, “die Antiglobalisierungsbewegung in Mißkredit zu bringen, indem ihr auf ungeschickte Weise die kriminellen Provokationen der Terroristen angelastet werden”.



Den zweiten Artikel über eine derartige Razzia bei Basisgewerkschaftern (diesmal in der süditalienischen Hafenstadt Taranto) brachte “il manifesto” am 1.6.2002:


Die COBAS im Visier

9 Festnahmen in Taranto wegen “subversiver Vereinigung”. Gegen zahlreiche Personen wird ermittelt. Ein Jahr Ermittlungen - 27 Anklagepunkte. Darunter der “Diebstahl” eines Keltenkreuzes bei einem Forza Nuova-Faschisten und der Wurf eines faulen Eies. Für <den Confederazione Cobas-Sprecher> Bernocchi eine “Einschüchterungskampagne”.

Iaia Vantaggiato

Subversive Vereinigung - das ist der Hauptanklagepunkt, der zu den Hausarresten für 9 Vertreter der COBAS Taranto, des Antiglobalisierungs-Kollektives Life und des feministischen Kollektives “Rote Hexen” geführt hat. 8 von den Maßnahmen sind gestern morgen vollzogen worden, eine neunte Person wird noch gesucht und zahlreich scheint die Zahl derjenigen zu werden, gegen die  ermittelt wird. Die Anordnung der Untersuchungshaft (44 Seiten, vom Untersuchungsrichter Ciro Fiore am 20. Mai auf Antrag des Staatsanwaltes Aldo Petrucci und der stellvertretenden Staatsanwälte Ida Perrone und Matteo Di Giorgio unterschrieben) ist das Ergebnis einer Geschichte, die im April 2001 begonnen hat als eine Broschüre “von umstürzlerischem Charakter” an die RSU-Delegierten des ILVA-Stahlwerkes versandt und <dann> der Richterschaft übergeben wurde. Mit dem grünen Licht für Telefonüberwachungen und die Kontrolle der elektronischen Post beginnen die Ermittlungen, die einen Zeitrahmen haben, der von Januar 2001 bis April 2002 reicht. Der Kreis schließt sich um die COBAS herum, während aus der Arbeit der Ermittler - wie der Haftbefehl besagt - “die sprachliche und inhaltliche Übereinstimmung zwischen den theoretischen Aussagen der Gruppe und dem Bekennerschreiben zum Mord an Marco Biagi” hervorgeht, “der am 19.März in Bologna tot aufgefunden wurde”.

Für die Richter handelt es sich, kurz gesagt, um eine Gruppe, “die beschlossen hat, den politischen Kampf in gewalttätigen Formen auszuüben”, die jedoch “keine Verbindungen zu terroristischen Gruppen hat”. Von daher der Antrag auf Hausarreste, die von den Ermittlern als eine “weiche” Maßnahme betrachtet werden.

Es ist im übrigen die Lektüre des Haftbefehls selbst, die bestätigt, daß die COBAS aus Taranto oder die drei jungen Frauen von den “Roten Hexen” (die <im Rahmen der Massenfestnahmen bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua Ende Juli 2001> auch <die berüchtigte Polizeikaserne> Bolzaneto “durchlaufen” haben) mit dem Terrorismus wenig zu tun haben müssen. Das Ergebnis der Untersuchung - besagen jene Seiten in verschleierter Form - ist abhängig von den Antworten, die man im Verlauf eines bevorstehenden Verhöres bekommen wird. Das <wäre das> erste Verhör. Warum ist keine(r) von denjenigen gegen die ermittelt wird, bislang jemals angehört worden und - wie es scheint - auch niemandem jemals die laufende Untersuchung <gegen ihn> bekannt gemacht worden ?  “Es handelt sich um eine sehr schwerwiegende Gesetzesverletzung”, kommentierte die Anwältin Simonetta Crisci im Laufe einer Pressekonferenz im nationalen Sitz der Konföderation der COBAS.

Auf Grundlage der Anklagepunkte ergibt sich, daß einer derjenigen gegen die ermittelt wird, sich des Raubes schuldig gemacht habe, weil er einem Vertreter der <neofaschistischen NPD-Schwesterpartei> Forza Nuova eine Kette mit Keltenkreuzanhänger entrissen haben soll. Ein Anderer habe sich der Beleidigung der Institutionen schuldig gemacht, weil er behauptet habe, daß “die Staatspolizei mörderisch ist”. Der Satz - so liest man - ist am 24.Juli 2001 geäußert worden. Nur vier Tage zuvor war Carlo Giuliani <während der Anti-G8-Demo in Genua von einem Carabiniere> getötet worden.

Schwach sind auch viele der beanstandeten Episoden: Wurf eines faulen Eies gegen das Polizeipräsidum, Einbruchsversuch in die Büros eines lokalen Senders, um einen Fernsehbeitrag über den Besuch von Silvio Berlusconi in Taranto zu verhindern, Aktionen gegen Vertreter von Forza Nuova und gegen die Filiale von Mc Donald’s (“den Giganten der Fast Food-Kette”), mit Symbolen (“Hammer und Sichel”) und Schriftzügen (“Nein zur Profitgesellschaft !” oder “Die Freimaurer raus aus der Stadt !”1) beschmierte Mauern. Einige gegen die ermittelt wird, würden auch beschuldigt, “Demonstrationen mit gewerkschaftlichem Charakter von LSU-  <= staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen> Beschäftigten und Kurzarbeitern infiltriert zu haben”. “Als ob die COBAS”, kommentiert Vincenzo Miliucci, “mit der Gewerkschaft nichts zu tun hätten. Insbesondere in Taranto funktionierten sie wie eine Kammer der Arbeit. Sie bringen die abhängig Beschäftigten mit den Prekären und den Immigranten zusammen. Sie arbeiten in Stadtteilen wie den Tamburi- oder dem Papst Paul VI.-Stadtteil(en), wo die Entbehrung mittlerweile historisch <erweise zuhause> ist.”

Für Piero Bernocchi ist dies nur die letzte Episode in einer Kette, die mit dem D’Antona-Mord <1999> beginnt, sich mit <der Repression gegen die Antiglobalisierungsproteste im März und Juli 2001 in> Neapel und Genua fortsetzt und dann mit dem Biagi-Mord auf’s Neue explodiert. “Es ist der Konflikt, der schwer verdaulich geworden ist. Die Vorstellung von unserer Nähe zum Terrorismus entsteht nur, weil die Basisgewerkschaften antagonistisch bleiben.”

Vorbemerkung, Übersetzung, Fußnote und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover