Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Anlässlich
seiner Teilnahme an einer großen Diskussionsveranstaltung zum
Palästina-Konflikt in Rom interviewte die linke italienische Tageszeitung „il
manifesto“ Jonathan Shapira, einen der führenden Vertreter der israelischen
„Refuseniks“ (Kriegsdienstverweigerer). Das Interview erschien am 12.6.2004.
Israel:
„Um Sharon zu stoppen, reicht unsere
Verweigerung nicht mehr aus“
Jonathan Shapira (Pilot und
Kriegsdienstverweigerer): Eine internationale Mobilisierung gegen das Massaker
an den Palästinensern.
Politik der Angst: Der
Ministerpräsident versucht die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass wir
keinen Partner haben, mit dem man Frieden schließen kann und wir uns daher mit
einer Mauer abschotten müssen. Wer weiß ob eines Morgens nicht auch ein Dach
notwendig ist, das uns von oben isoliert.
Michelangelo Cocco – Rom
„Man kann nicht darauf
warten, dass aus 1.000 refuseniks 10.000 und dann 100.000 werden, weil
die Palästinenser in der Zwischenzeit von der israelischen Armee umgebracht
werden. Unsere Verweigerung reicht nicht mehr aus. Sie muss von einer starken
internationalen Mobilisierung gegen das begleitet werden, was mittlerweile ein
Apartheidregime ist.“ So Jonathan Shapira, der ehemalige Hauptmann der
israelischen Luftwaffe, der zusammen mit anderen Flugzeug- und
Hubschrauberpiloten den berühmten Brief unterzeichnet hat, der im vergangenen
September an den israelischen Generalstabschef geschickt wurde. „Wir Piloten
der Luftwaffe“ – lautete das Schreiben – „aufgewachsen mit den Werten des
Zionismus, des Opfers und des Dienstes für den Staat…“ sagen: Schluss mit den
Operationen auf palästinensischem Territorium. Wir haben Jonathan
Donnerstagabend im Ambra Jovinelli-Theater in Rom getroffen, wo er an der von
Assopace (Friedensverband) und Luisa Morgantini organisierten Veranstaltung
„Israel – Palästina: Die Weigerung zu töten, die Weigerung zu sterben“
teilnahm.
Neun Monate sind seit
Eurer Aufsehen erregenden Weigerung vergangen. Was meinst Du, welche
Konsequenzen hat Eure Stellungnahme gehabt ?
„Sie hat den Leuten (sowohl
den Palästinensern wie den Israelis), die an den Frieden und an die
Notwendigkeit eines Abkommens glauben, Hoffnung gegeben. Gleichzeitig hat sie
auch denjenigen, die außerhalb Israels leben, Hoffnung vermittelt, indem sie
gezeigt hat, dass die Möglichkeit besteht, etwas Positives zu schaffen anstatt
sich weiterhin gegenseitig zu töten. Ich muss Dir jedoch ganz ehrlich sagen,
dass die wirkliche Hoffnung heute nicht darin besteht, alle israelischen
Soldaten davon zu überzeugen, den Kriegsdienst zu verweigern, weil das eine
endlos lange Zeit erfordern würde. Die wirkliche Hoffnung ist die, seitens der
internationalen Gemeinschaft und der jüdischen Gemeinde weltweit einen
massenhaften Druck auf die Führer des Planeten auszuüben, um die israelische
Regierung dazu zu zwingen, die Kriegsverbrechen zu stoppen, die sie in den Besetzten
Gebieten begeht.“
Wie ist es bei Dir zu der
Entscheidung gekommen, den Dienst in der Armee zu verweigern ?
„Ich fühlte mich wie
schizophren, mit zwei Persönlichkeiten. Unter Waffen war ich ein Soldat – wenn
ich nach Hause kam, nahm ich dagegen an Demonstrationen gegen die Besatzung
teil. Jetzt fühle ich mich, auch wenn das Leben schwieriger ist (manch einer
guckt mich schief an und ich verfüge nicht mehr über das Armeegehalt), wie eine
vollständige Person. Ich habe niemals bombardiert (ich gehörte einer
Versorgungseinheit an), aber es wühlte mich auch auf, die Truppen zum Kampf in
die Besetzten Gebiete transportieren zu müssen. Sie machten schreckliche Sachen
und ich brachte sie dorthin. Für mich war das unzulässig… Als ich begriffen
habe, dass ich – wie auch immer – Teil jener Armee war, habe ich mich für die
richtige Sache entschieden.“
Was waren die rechtlichen
und sozialen Konsequenzen Deines Verhaltens ?
„Das Gesetz ist in Israel
auf unserer Seite. Es gibt eine Vorschrift, die es den Soldaten verbietet,
einen illegalen Befehl zu befolgen. Von einem rechtlichen Standpunkt aus kann
uns niemand beschuldigen, ein Verbrechen begangen zu haben. Die sozialen
Konsequenzen waren schwerwiegend. Es gibt Leute, die mich hassen. Andere
betrachten mich als Verräter. Aber ich habe in jedem Teil der israelischen
Gesellschaft auch einen Haufen Unterstützer.“
An welchem Punkt befindet
sich die Refusenik-Bewegung ?
„Sie wächst. Es gibt unter
den Jugendlichen unterschiedliche Arten von Bewusstsein. Einige sind bereit ins
Gefängnis zu gehen, um ihrem Kampf gegen die Besatzung mehr Nachdruck zu
verleihen. Dann gibt es jene, die so tun als seien sie verrückt, um dem Dienst
zu entgehen. In jedem Fall nimmt die Entfremdung von der Armee stark zu und 46%
der jungen Israelis unterstützen die refuseniks.“
Dennoch ist die
Friedensbewegung unter Sharon schwächer denn je…
„Am Anfang waren auch wir
wegen der Terrorangriffe, der menschlichen Bomben, verwirrt. Sharon hat die
Israelis davon überzeugt, dass an allem nur die Palästinenser schuld sind. Das
hat ihnen <den
Israelis> die Augen verschlossen und
verhindert, dass sie sehen, dass all dies sehr viel früher begonnen hat: 1967
und auch in den Jahren der Osloer Abkommen. Während wir vom Frieden auf Erden
bzw. in den Besetzten Gebieten sprachen, bombardierten wir und errichteten wir
die Siedlungen. Die Leute sind verwirrt worden.“
Wie denken die
Kriegsdienstverweigerer über den Rückzugsplan aus Gaza ?
„Ich glaube Sharon nicht.
Jetzt redet die Regierung von einem Rückzug im Jahr 2005… Vielleicht haben sie
die Absicht den Gaza-Streifen im Jahre 3005 <sic> zu
verlassen. Sie reden von Rückzug, dringen aber in Rafah ein und töten
unschuldige Leute. Ich glaube daher, dass es sich um ein Manöver handelt, um
internationale Kritik wegen der Kriegsverbrechen zu verhindern, die wir derzeit
in den Gebieten begehen.“
Warum spricht man in
Israel von „Verteidigungsbarriere“, „Entsetzungsplan“ und niemals von Frieden ?
„Das ist die Frucht einer
Politik der Angst. Die Politiker versuchen die Öffentlichkeit davon zu
überzeugen, dass wir keinen Partner für den Frieden haben. Deshalb müssen wir
uns mit einer Mauer abschotten. Und wer weiß, ob eines Morgens nicht auch ein
Dach notwendig ist, das uns von oben beschützt. Das Problem ist, dass wir heute
nicht mehr warten können. Denk’ mal daran, was es bedeutet unter einer
Besatzung zu leben: Nicht zur Schule gehen zu können, weil es eine Mauer zwischen
Deiner Wohnung und der Schule gibt. Hättest Du die Geduld, darauf zu warten,
dass andere Jonathans geboren werden ?
Oder würdest Du die Welt anschreien, dass sie diese Apartheid stoppen
soll ? Wir müssen daran denken diese
Apartheid so schnell wie möglich zu beseitigen.“
Der letzte Teil Deiner
Rede hat das Publikum bewegt. Die Leute haben Dir lang anhaltend applaudiert.
Kannst Du ihn wiederholen ?
„Es ist der Moment gekommen,
um aufzuhören die Macht der Raketen, der Geschosse und der Bomben einzusetzen
und anzufangen das Wort ‚Nein’ zu benutzen. Dieses Wort hat eine enorme Macht.
Wenn eine immer größere Anzahl von Menschen – nicht nur in Israel, sondern auch
in Italien (Eure Regierung führt derzeit Krieg in Irak) – lernt das Wort ‚Nein’
zu benutzen, können wir vielleicht eine bessere Welt schaffen.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover