Antifa-AG der Uni Hannover:
Nach der gezielten Ermordung des
brasilianischen Elektrikers Jean-Charles de Menezes durch britische Polizisten
in Zivil im Zuge der „Anti-Terror“-Fahndung nach den Londoner Anschlägen
befragte die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ den Mitbegründer
der „Stop-the-War-Coalition“, John Rees, nach seiner Sichtweise der Ereignisse
und der Reaktion darauf. Zum besseren Verständnis sollte man wissen, dass Rees
außerdem Nationaler Sekretär (d.h. faktisch Parteivorsitzender) des Ende Januar
/ Anfang Februar 2004 gegründeten linkssozialdemokratischen Wahlbündnisses RESPECT
ist, zu dessen prominentesten Mitgliedern auch der Filmregisseur Ken Loach, der
ehemalige Labour-Abgeordnete George Galloway, die fortschrittliche Muslimin
Salma Yaqoob und die beiden linken Gewerkschaftsführer Bob Crow
(Transportarbeitergewerkschaft RMT) und Mark Serwotka (Öffentlichen Dienstes –
PCS) gehören. Organisatorisch getragen wird RESPECT vor allem von der Socialist
Workers Party (SWP; BRD-Ableger: Linksruck) und der Muslim Association of
Britain (MAB). Bei den Parlamentswahlen Anfang Mai 2005 errang Galloway für das
Wahlbündnis in London einen Parlamentssitz und erzielte damit einen
Achtungserfolg. Rees ist allerdings auch einer der 4 führenden Leute der SWP,
die (ähnlich wie Linksruck in der BRD und Linkswende in Österreich) in der
britischen Linken durch ihre oftmals extrem unsolidarische und
gruppenegoistische Vorgehensweise und ihre prinzipienlose Anbiederung an
sozialdemokratische Positionen und Kräfte, die mit ihrer jeweiligen
Parteiführung über Kreuz liegen, in der radikalen Linken nicht sonderlich
beliebt ist. Gleichwohl (und z.T. auch aufgrund dessen) bildet sie mit
offiziell 3.345, real aber eher rund 1.200 Mitgliedern in Großbritannien die
bei weitem größte Gruppierung eben dieser radikalen Linken. Das Interview
erschien in „il manifesto“ vom 26.7.2005.
„Nein zur Lizenz Unschuldige zu
töten!“
John Rees (Gründer der „Stop the
War-Coalition“): So sind wir wie Terroristen.
ORSOLA CASAGRANDE
John Rees ist einer der
Gründer der Stop the War-Coalition, dem nach dem 11.September 2001
geschaffenen Bündnis, um einerseits gegen den Afghanistan-Krieg zu protestieren
und andererseits mit der islamischen Gemeinde an der Bildung einer gemeinsamen
Front gegen den Krieg und gegen die Kriminalisierung der Moslems zu arbeiten. Ein
erstes Kampfterrain für Stop the War war die von der Regierung Tony
Blairs nach dem 11.September vom Stapel gelassene Anti-Terror-Gesetzgebung. Die
faktische Wiedereinführung der Shoot-to-kill-Politik, der von den
britischen Truppen in den 6 nordirischen Grafschaften praktizierten Politik des
Schießens, um zu töten, hat auf der Linken und bei der Stop the
War-Coalition die Haare zu Berge stehen lassen. Auch weil es bereits das
erste unschuldige Opfer gab: Jean Charles de Menezes. Stop the War hat
gestern Abend eine Mahnwache zum Gedenken an ihn organisiert.
Das Bündnis hat die der
Polizei ausgestellte Lizenz zum Töten verurteilt.
„So schrecklich die
Anschläge vom 7.Juli in London auch sind und so wichtig es ist, die Sicherheit
der Bürger zu garantieren, gibt es doch keine Entschuldigungen, die die Politik
des shoot-to-kill rechtfertigen können. Kaltblütig unschuldige Menschen
umzubringen, ist das Verbrechen, dessen wir die Terroristen anklagen und
Anschläge wie diejenigen in London scharf verurteilen. Die Polizei muss in
einer demokratischen Gesellschaft Methoden ablehnen, die mit Demokratie wenig
zu tun haben. Die Regierung Blair trägt die Verantwortung dafür, ein Klima der
Angst geschaffen zu haben, das nicht dazu dient, dem was geschieht, mit dem notwendigen
klaren Verstand zu begegnen.“
Die Linke war in der
Verurteilung der neuen Machtbefugnisse, die der Polizei übertragen wurden,
einer Meinung. Mit einer einzigen Ausnahme: dem Bürgermeister von London.
„Ja. Ken Livingstone war der
Einzige, der die Ansicht vertrat, dass die Shoot-to-kill-Politik eine
unvermeidliche Praxis sei, wenn es darum geht, die Sicherheit der Bürger zu
verteidigen. Derselbe Livingstone, der den Einsatz dieses Instrumentes in
Nordirland hingegen – zu Recht – verurteilt hat.“
Wer die britische
islamische Gemeinde kennt und mit ihr zusammenarbeitet, kennt die
Unzufriedenheit und die Wut, die sie verspürt, nur zu gut. Es existiert ein
praktisches Problem der Diskriminierung und der Ghettoisierung und eines, das
mehr mit der jungen Generation zu tun hat, die sich nach ihrer Identität fragt.
„In den letzten vier Jahren
gab es vonseiten dieser Regierung eine ständige und fortschreitende
Kriminalisierung der islamischen Gemeinde. Deshalb klingen die Aufforderungen,
nicht alles in einen Topf zu werfen, die Tony Blair wiederholt, nur um dann –
mit deutlichem Bezug auf den Islam – weiter von der ‚Ideologie des Bösen’ zu
sprechen, wirklich heuchlerisch. Außerdem schiebt die kontinuierliche Weigerung
des Premierministers, irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Irak-Krieg und dem
Terrorismus, der auch London getroffen hat, anzuerkennen, die Schuld
unvermeidlich den Moslems in die Schuhe. Die Regierung versucht derzeit den
größten Teil der islamischen Führungspersönlichkeiten zu kooptieren, um dann
denjenigen, die das nicht akzeptiert und sich die Regierungslinie nicht zu
eigen gemacht haben, den entscheidenden Schlag zu versetzen. Die nationale
Debatte spiegelt all das wider: Das Land ist in diejenigen gespalten, die – wie
die Regierung und ihre Unterstützer – der Meinung sind, dass die Bomben nur das
Ergebnis der ‚Ideologie des Bösen’ sind und denjenigen, für die die Bomben
Wurzeln in den Invasionen und Besetzungen Palästinas, Afghanistans und des
Iraks haben. Bislang hat die Mehrheit der Bewegung den von der Regierung
ausgeübten Druck zurückgewiesen. Die öffentliche Meinung – das besagen die
Umfragen – denkt zu 64%, dass es deutliche Verbindungen zwischen dem Irak-Krieg
und den Bomben des 7.Juli gibt. Deshalb organisiert die Stop the
War-Coalition derzeit Mahnwachen, Kundgebungen und Versammlungen und für
den 4.August eine landesweite Demonstration, um den Abzug der Truppen aus dem
Irak zu fordern. Da wir meinen, dass es keine ‚interne’ Lösung dieser
Führungskrise innerhalb der islamischen Gemeinde gibt, schlagen wir erneut den
Ansatz vor, der uns ausgezeichnet hat: Zusammenzuarbeiten, um eine erneuerte
politische Antwort auf die Beine zu stellen, die gegen den Krieg, aber auch
unnachgiebig in der Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten ist.“
Vorbemerkung und Übersetzung:
Antifa-AG der Uni Hannover