Antifa-AG der Uni Hannover:
Dass die zu Italien
gehörende Provinz Südtirol/Alto Adige
nicht gerade eine Hochburg der Linken (weder der deutschsprachigen noch der
italienischsprachigen) ist, ist keine Neuigkeit. Auf „deutscher“ Seite gibt es
mit der SVP-Rechtsabspaltung „Union für Südtirol“ von Eva Klotz, den Südtiroler
Schützen und Neonazi-Gruppen ein rechtsradikales Milieu, das in der
Vergangenheit über enge Kontakte z.B. zu Gerhard Frey’s
DVU und seiner „Nationalzeitung“ verfügte. Und auf italienischer Seite ist die
autonome Provinz seit mehr als einem Jahrzehnt eine Hochburg zuerst des
neofaschistischen MSI und seit Mitte der 90er Jahre seiner Nachfolgepartei Alleanza Nazionale (AN). Dennoch
förderte die Großrazzia der italienischen Polizei gegen den 2002 gegründeten, militant-neofaschistischen „Südtiroler Kameradschaftsring“
(SKR) kurz vor Weihnachten ein interessantes Beziehungsgeflecht zu Tage, dass
die linke Tageszeitung „il manifesto“ in dem folgenden Artikel vom 24.12.2005 zusammenfasste. In der Provinz
selbst sorgte die Razzia und der Katalog von Beschuldigungen
und Beschuldigten für große Aufregung. Ganz interessant ist in diesem
Zusammenhang das Interview, das „Südtirol
Online“ mit dem Landeshauptmann (= Ministerpräsidenten) Luis Durnwalder (SVP) dazu führte (siehe: http://www.dolomiten.it/nachrichten/artikel.asp?KatId=fa&ArtId=71448)
BOZEN:
Südtirol:
Großrazzia gegen die Naziskins
8 Verhaftungen und Ermittlungsverfahren
gegen 41 Personen, darunter ein Mitglied des Provinzrates. Die Anklage:
Anstachelung zum Rassenhass.
STEFANO ISCHIA
Feierlichkeiten zu Hitlers Geburtstag,
antisemitische SMS und Verprügeln von Ausländern und Italienern. In Alto Adige / Südtirol hat man
einen großen Deckel abgehoben. 8 verhaftete Neonazis und Ermittlungsverfahren
gegen 41 Personen, darunter das Provinzratsmitglied Andreas Pöder
sowie weitere 4 Vertreter der Union für Südtirol. Dutzende Durchsuchungen und
Beschlagnahme von Gummiknüppeln, Baseballkeulen, Hakenkreuzfahnen und
Propagandamaterial. Die Bozener Untersuchungsrichterin
Isabella Martin bestätigte am Donnerstag <den 22.12.2005>
die Verhaftung von 8 Rechtsextremisten. Sie werden beschuldigt, einer „Südtiroler
Kameradschaftsring“ (SKR) genannten Vereinigung von Naziskins
anzugehören und müssen sich aufgrund der Verletzung des Mancino-Gesetzes
wegen Anstachelung zum Rassenhass verantworten. Allen warf die
Staatsanwaltschaft die organisatorische Verbindung und eine Reihe kleinerer
Straftaten vor, die mit einzelnen Episoden von Gewalt, Einschüchterung,
Körperverletzung, Begünstigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt sowie private
Gewalt zum Nachteil von Ausländern und Italienern zusammenhängen.
Die Neonaziszene Südtirols
hasst Juden, Immigranten und Italiener in gleichem Maße und zwar im Namen eines
überholten Pangermanismus. Sie reklamiert die Zugehörigkeit Alto
Adiges / Südtirols zum deutschen <Staats-> Gebiet.
(Die nach dem 1.Weltkrieg an Italien gefallene Provinz zählt heute fast 500.000
Einwohner, die zu zwei Drittel deutscher Muttersprache sind.)
Die 8 Verhafteten arbeiten
hauptsächlich als Handwerker und kommen fast alle aus Caldaro
/ Kaltern, einer Kleinstadt südlich von Bozen: Armin Sölva (26 Jahre) ist Maurer, Stefan Andergassen <23 Jahre> Elektriker, sein
Bruder Christoph
Andergassen <21 Jahre> Maurer, Dietmar Orsi <21 Jahre> Kellner und Fabian Kemenater <20 Jahre> Mechaniker. Der
Führer der Gruppe scheint Sölva zu sein. „Ein heller
Kopf“, sagte der Bürgermeister von Caldaro, Wilfried Battisti Matscher, dessen Tochter
Schulkameradin des Verhafteten war. „So sehr, dass er auch zur Universität
hätte gehen können. Viele Jahre lang sah man sich sonntags in der Messe.“
Zu den Beschuldigten des
Maxi-Ermittlungsverfahrens zählen auch zwei Lehrerinnen. Eine 50jährige Lehrerin
der Mittelschule von Salorno und eine Lehrerin einer
Privatschule, die mit einem der 8 verlobt ist. Die Gruppe befand sich seit
April vergangenen Jahres im Visier der Ermittler.
Es gibt zwei relevante
Aspekte, die im Laufe der Ermittlungen zu Tage gefördert wurden: 1. das dichte
Verbindungsnetz zwischen Extremisten Alto Adiges, Österreichs und Deutschlands und 2. das
Vorhandensein politischer Exponenten und zweier Lehrerinnen unter den
Beschuldigten.
Es sei Sölva
gewesen, der die Kontakte zu diversen extremistischen Gruppen jenseits des
Brenners gehalten habe und zwar sowohl zu den deutschen <Organisationen> „Deutsche Volksunion“, „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“
und „Fränkische
Aktionsfront“, allesamt in Deutschland mit Bann belegte / verbotene <sic!> Bewegungen mit neonazistischer Inspiration, als auch
zu den österreichischen Vereinigungen „Bund Freier Jugend“ und „Arbeitsgemeinschaft für demokratische
Politik“.
Das neue Element der Ermittlungen
ist die Verwicklung der Union für Südtirol, der Partei von Eva Klotz
(die zwei Abgeordnete im Rat der Provinz stellt), die seit jeher mit Blick auf
ein Großdeutschland die Abtrennung Alto Adiges / Südtirols vom italienischen Staat anstrebt. Insgesamt
sind es 5 Vertreter der Union, die auf der Liste der Beschuldigten landeten. Außer
dem Provinzratsmitglied Andreas Pöder sind
dies auch Josef
Seppi (55 Jahre aus Caldaro), der
ehemalige Gemeinderat von Caldaro, Erich Dissertori (66 Jahre), Irma Überbacher
(55 Jahre) aus Laion sowie Agnes Christina Tarabeoi
(43 Jahre) aus dem Venosta-Tal.
Bei den jüngsten
Kommunalwahlen in Bozen hatte die Union für Südtirol indirekt die Mitte-Linke
unterstützt. Sie hatte keine eigenen Kandidaten aufgestellt, um zu ermöglichen,
dass ihre Stimmen an die (in der Mitte angesiedelte) Südtiroler Volkspartei
(SVP) gingen und so den Sieg des Bürgermeisters Luigi Spagnolli
begünstigten.
Pöder weist die Anschuldigungen zurück: „Ich kenne die
jungen Leute, die im Gefängnis gelandet sind“, sagte er. „Das sind Extremisten.
Ich habe versucht, sie zu moderaten Position zu
bewegen. Wir sind Lichtjahre von den Neonazis entfernt. Wir haben mit
bestimmten Ideen, zu denen wir immer Distanz gewahrt haben, nichts zu tun.“ Auch
die Klotz,
die Leitfigur der Partei, der vorgeworfen wird, an einer Konferenz von
Holocaust-Leugnern teilgenommen zu haben, erklärt sich außen vor: „Wir waren
nur dort“ – sagt sie – „um den Jugendlichen klar zu machen, dass Hitler der
schlimmste Feind der Heimat war.“
Ergänzung:
Dem Dokumentationsarchiv des österreichischen antifaschistischen
Widerstandes zufolge waren die Gespräche Pöders mit den
Naziskins etwas anderer Art als von diesem geschildert: Die "Neue Südtiroler Tageszeitung"
hatte den Mitschnitt eines Telefonates zwischen Pöder
und dem Kopf der Gruppe, Armin Sölva,
veröffentlicht. Dabei soll Pöder den früheren
Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedmann, als "Arschloch" und Provokationen
von Sölva bei dessen Vortrag in Sterzing als "geil"
bezeichnet haben. Das bescherte Pöder (nach zunächst
erteilter Absolution) dann auch parteiintern ein paar Probleme, wie die linksliberale
österreichische Tageszeitung „Der Standard“ am 30.12.2005 berichtete: „Der
Hauptausschuss der Union für Südtirol will das Partei-Schiedsgericht befassen.
Anlass sind die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen einige
Unions-Mitglieder - unter ihnen Landtagsabgeordneter Andreas Pöder - wegen
angeblicher Kontakte zu mutmaßlichen "Neonazis". Der für die Union entstandene Schaden werde "als
schwerwiegend betrachtet", erklärte der amtierende Vorsitzende, Herbert Campidell. Der
Hauptausschuss habe deshalb beschlossen, das Schiedsgericht einzuschalten.
Dieses soll in Zusammenhang mit den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen die
Sachlage beurteilen und Vorschläge machen, "um den entstandenen Schaden in
Grenzen zu halten. Nach Angaben von Hauptausschuss-Mitglied Holger Gunsch habe der
"engste Kreis" um Unions-Landtagsabgeordnete Eva Klotz den Rücktritt von Pöder
gefordert. Dafür habe es in dem Gremium jedoch keine Unterstützung gegeben. Gunsch distanzierte sich zwar von den Aussagen Pöders in dem bekannt gewordenen Telefongespräch. Er sei
aber überzeugt von dessen "demokratischer und sozialer Grundhaltung.“
Ernsthafte
Konsequenzen für den Kameraden Pöder sind also reichlich
unwahrscheinlich.
Geradezu
erheiternd fiel die Reaktion des Südtiroler
Schützenbundes aus, in dem mindestens 20 der 41 Beschuldigten organisiert
sind: „Auch
der Südtiroler Schützenbund reagierte auf die Ereignisse und Reaktionen der
vergangenen Tage mit Befremden. Der Schützenbund versucht seit Jahren im Gespräch
mit extremistisch veranlagten Jugendlichen meinungsbildend zu wirken und sie
auf den richtigen Weg zu bringen. "In vielen Fällen ist dies gelungen, gar
einiges gibt es noch zu tun", heißt es in einer Stellungnahme. "Der
Südtiroler Schützenbund verurteilt jedwedes totalitäres Gedankengut, sei es
Faschismus als auch Nationalismus", heißt es abschließend in der
Stellungnahme.“ (Quelle: http://portal.tirol.com/politik/suedtirol/26530/index.do)
„Südtirol Online“ vom 20.12.2005 zufolge handelt es
sich bei den übrigen 3 der 8 verhafteten Naziskins vom „Südtiroler Kameradschaftsring“
um: Janis Facchin (21) aus Caldaro
/ Kaltern, Roland Luggin
(21) aus Tramin und Florian Psenner
(19) ebenfalls aus Kaltern.
Vorbemerkung, Übersetzung, Ergänzung
und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover