Antifa-AG der Uni
Hannover:
Um zu
den Vorgängen im Gaza-Streifen rund um die Ernennung eines bekanntermaßen
korrupten Arafat-Neffen zum Polizeichef die Einschätzung eines relativ
neutralen Beobachters vor Ort einzuholen, interviewte die linke italienische
Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 20.7.2004 den
Senior-Analysten der International Crisis Group (ICG) für den Mittleren Osten,
Mouin Rabbani. Wie immer ist natürlich niemand wirklich neutral. Rabbani
beispielsweise war, bevor er im Jahre 2002 Mitglied der ICG wurde, Direktor des
Palestinian American Research Center in Ramallah und arbeitete als
Projektmanager für den Niederländischen Städte- und Gemeindebund VNG. Einen
wissenschaftlichen Abschluss erwarb er u.a. an der Georgetown Universität. Die
International Crisis Group ihrerseits versteht sich als unabhängige,
multinationale Non-Profit-Organisation, die über 100 Stabsmitarbeiter auf 5
Kontinenten verfügt. Sie betreibt dort Feldforschung und Interventionen zur
„Verhütung und Lösung tödlicher Konflikte“. Vorsitzender der ICG ist der
ehemalige finnische Präsident Martti Ahtisaari und ihr Präsident und Chief
Executive seit Januar 2000 der ehemalige australische Außenminister Gareth
Evans. Man kann sie also in die Rubrik softere imperialistische Denkfabrik
einordnen.(Zu weitergehenden Informationen siehe: www.icg.org
oder www.crisisweb.org.) Mouin Rabbanis Schlussfolgerungen aus den
aktuellen Vorgängen in Gaza sind denn auch zugleich gegen die israelische
Besatzungspolitik gerichtet und vorsichtig pro-westlich. Dennoch handelt es
sich bei ihm ohne Frage um einen profunden bürgerlichen Kenner der Materie und nüchternen
Analytiker. Es kann daher nicht schaden seinen (und den Standpunkt dieser
Fraktion der Bourgeoisie) zu kennen, auch wenn für den Moment in Gaza wieder
etwas Ruhe eingekehrt ist und Ministerpräsident Kurei (Abu Ala) seine
Rücktrittsabsichten dann doch nicht verwirklicht hat.
„Nur Arafat selbst kann sich
retten.“
Die Krise in Gaza läuft Gefahr die
Palästinensische Autonomiebehörde (Palestinian Authority – PA) mit
hineinzuziehen. Es spricht der palästinensische Analyst Rabbani.
Michele Giorgio
Die palästinensische Krise
bleibt auf allen Ebenen offen. Auf der politischen Ebene wankt die Regierung
von Abu Ala (Ahmed Kurei) weiter. Der Ministerpräsident hat die Absicht seinen
in der vergangenen Woche nach der Welle von Entführungen in Gaza eingereichten
Rücktritt zu bestätigen. Unterdessen wiederholen sich die Angriffe auf Gebäude
der Sicherheitsdienste der PA und die Demonstrationen zur Unterstützung dieses
oder jenes Generals. Bezüglich der Unzufriedenheit, die Gaza und den Rest der
besetzten Gebiete durchzieht, haben wir den palästinensischen Analysten Mouin
Rabbani von der International Crisis Group interviewt.
Die in Gaza ausgebrochene
Krise läuft Gefahr die palästinensische Autonomiebehörde (PA) mit
hineinzuziehen. Die Zeitung „Al-Quds“ (die in den Besetzten Gebieten am
weitesten verbreitete) schrieb in einem Editorial, dass „wir vor einer
deutlichen und gefährlichen Manifestation der fragilen innerpalästinensischen
Situation stehen, die eine Anhäufung ungelöster Fragen, die niemals in Angriff
genommen wurden und die man hat brandheiß werden lassen, hervorgerufen hat“.
„Ich habe das Editorial von ‚Al-Quds“
gelesen und teile es. Wer eine schnelle Rückkehr der Ruhe in Gaza erwartet
hatte, ist enttäuscht worden. Die Unzufriedenheit sitzt tief und erschüttert
niemals zuvor angetastete Machtstrukturen. Das alles war vorhersehbar. Nicht
nur weil die Probleme (wie die Korruption und die Vetternwirtschaft, die in der
PA herrschen) nicht gelöst wurden, sondern auch weil die palästinensische
Intifada, nachdem sich ein Teil ihres Druckes gegen die israelische Besatzung
erschöpft hatte, gar nicht anders konnte als die Misswirtschaft und die
Unfähigkeit der Führer aufs Korn zu nehmen, eine Antwort auf die offenen Fragen
zu geben. Der Protest der bewaffneten Gruppen ist einer, der leicht Zustimmung
unter den Leuten findet. Jeden Tag gezwungen, mit den militärischen Einmärschen
der Israelis zu rechnen, mit der Blockade Gazas klarzukommen, die die Wirtschaft
stranguliert, und mit der Notwendigkeit das eigene Überleben zu sichern, hat
die Zivilbevölkerung nicht mehr die Kraft still zu bleiben.“
Bedeutet das, dass dieses
Mal auch die Macht von Yasser Arafat bedroht ist ?
„Das glaube ich nicht.
Arafat bewahrt noch einen Großteil seiner Autorität und seiner Macht. Sein
Prestige, seine Popularität, befindet sich in der Krise. Ich glaube nicht, dass
er ernsthaft in Gefahr ist (zumindest vorläufig) und außerdem gibt es keine
Rivalen, die wirklich auftreten und seine Autorität herausfordern können. Viel
wird jedoch auch von seinem Verhalten in dieser Krise abhängen. Arafat kann
nicht weiterhin Chefs der Sicherheitsdienste ernennen, die er unter seinen
Verwandten auswählt, um sich ihre Treue zu sichern. Es ist klar, dass
Schachzüge dieser Art die vorhandene Krise verschärfen und das Vertrauen der
Leute aushöhlen.“
Zakaria Al-Agha, einer
der historischen Al-Fatah-Führer in Gaza hat gesagt, dass die Spitzen der PA
sich noch nicht bewusst gemacht haben, was derzeit geschieht und den Protest
der Menschen weiterhin unterschätzen. Das Problem – fügte er hinzu – ist nicht,
einen General zu entlassen und an seiner Stelle einen anderen zu ernennen.
„Al-Agha spiegelt gut die
Frustration wider, die in Al-Fatah herrscht (der größten und von Arafat selbst
geleiteten palästinensischen politischen Bewegung; Anmerkung der Redaktion).
Ein Aspekt, der noch nicht so intensiv untersucht wurde, wie er es verdient hätte,
ist die Krise innerhalb von Al-Fatah. Es ist kein Zufall, dass die Proteste auf
der Straße von Jugendlichen der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigade (bewaffnete Gruppe,
die man als den militärischen Arm von Al-Fatah ansieht; Anm.d.Red.)
geführt wurden. Und es ist keine Überraschung, dass diejenigen, die sich vor
allem in den letzten Monaten Auseinandersetzungen geliefert haben, die
wichtigsten Führer dieser Organisation waren. Al-Fatah befindet sich an einem
Scheideweg: Entweder die Aufsplitterung in viele Strömungen mit lokalen Chefs,
die Machthunger besitzen, oder die Reorganisation auf neuen Grundlagen für die
Einheit zum Wohle der Palästinenser. Im Augenblick hat die zweite Möglichkeit
jedoch nicht die Oberhand und die persönlichen Gegensätze haben das Chaos erzeugt.
Ich fürchte, dass die Zukunft keine positiven Neuigkeiten innerhalb der Fatah
bereithält.“
Der Ministerpräsident Abu
Ala <der „privat“ als Zementfabrikant den Zement für
den Bau der israelischen Mauer quer durch die West Bank liefert !> hat gesagt, dass er die Absicht hat, seinen, Arafat
angebotenen und von diesem abgelehnten, Rücktritt zu bestätigen. Am Ende könnte
es gerade Abu Ala sein, der die Hauptkonsequenzen trägt, trotzdem er für das,
was geschieht, nur geringe Verantwortung besitzt.
„Eines der wahrscheinlichsten
Ergebnisse dieser Krise könnte gerade das Ende der Regierung von Abu Ala sein.
Ich glaube jedoch, dass Arafat mangels Alternative das Mögliche tun wird, um
ihn nicht gehen zu lassen. Viel wird von der Lösung der Innenminister-Frage abhängen,
einer Figur von der Abu Ala will, dass sie stark und mit vollen
Machtbefugnissen über die Sicherheitsdienste ausgestattet ist, und die Arafat
hingegen als zweitrangig und als Konkurrenz für seine Präsidentschaft
betrachtet. Das ist ein heikles Problem, das sich seit über einem Jahr hinzieht
und keine Lösung findet. Einen Ausweg zu finden, ist schwer, auch weil die
Frage die islamischen Bewegungen betrifft, die von einem Innenminister mit
vollen Machtbefugnissen eine repressive Politik befürchten, während sie bis
heute die von Arafat erhaltenen Garantien genossen haben. Dieses Knäuel zu
entwirren, wird eines der härtesten Unternehmen sein, dass die Palästinenser
durchführen müssen, während sie der Aggressivität der israelischen Besatzung
ausgesetzt sind.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügung in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover