Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Zu dem
gelungenen Eisenbahnerstreik, der nach dem verheerenden Zugunglück Anfang
Januar 2005 nahe Crevalcore in der Emilia Romagna (17 Tote / 80 Verletzte)
erstmals in der Geschichte der italienischen Arbeiterbewegung selbstständig von
einem Großteil der gewählten Arbeitssicherheitsvertreter (RLS)
unterschiedlicher Gewerkschaften ausgerufen wurde, interviewte die linke
Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 18.1.2005 einen
der Organisatoren:
„Die Sicherheit hat Vorrang“
Es spricht Alberto Russo (RLS in
Bologna und einer der Unterzeichner des Streikaufrufes)
FRANCESCO PICCIONI
Alberto Russo ist einer der
„Vertreter der Beschäftigten für die Sicherheit“ <RLS>, die den gestrigen
Streik proklamiert haben. Er arbeitet in Bologna, der Stadt, der in Crevalcore
getöteten Lokführer.
Es scheint, dass der
Streik gut gelaufen ist.
„Sehr viel besser als man
annehmen konnte, wenn man die Einschüchterungen, die Desinformation und die
Entscheidung der Gewerkschaftsbünde betrachtet, das Gerücht zu verbreiten, dass
er ‚unrechtmäßig’ sei und das auch nachdem die Garantiekommission das Gegenteil
festgestellt hatte.“
Es ist das erste Mal,
dass ein Streik nicht aus ökonomischen Gründen ausgerufen wird.
„Absolut. Und er wurde von
den für die Sicherheit zuständigen Vertretern ausgerufen, die die Beschäftigten
in den unterschiedlichen Betriebsteilen gewählt haben. Das ist ein Signal, mit
dem die Berufsgruppe ihre Fähigkeit zur vereinten Reaktion, demonstriert hat –
trotz derjenigen, die sie zu spalten versuchen.“
Kannst Du die Forderungen
auflisten, die diesem Streik zugrunde lagen ?
„Als Erstes die gesamte
FS-Infrastruktur mindestens auf den Sicherheitsstand zu bringen, der Standard
ist. Heute findet hingegen die Einführung neuer Technologien auf einigen
Strecken statt. Um die anderen, auf denen die Einführung dieser Technologien,
die in der Lage sind eventuelle (und jederzeit mögliche) Fehler des Personals
auszugleichen, notwendig ist, wird sich nicht gekümmert. Daher die Abschaffung
der internen Rundbriefe 35 und 36, die die Möglichkeit vorsehen, die Züge nur
mit einem Lokführer zu fahren, dem ein Zugführer zur Seite steht, der für eine
solche Aufgabe absolut nicht die Ausbildung besitzt. Und dann Investitionen in
Sicherheitstechnologie statt in den Personalabbau sowie eine genauere Auswahl
der Firmen, die die Aufträge übernehmen, oftmals unter unakzeptablen
Bedingungen arbeiten und ihrerseits von schweren Unfällen betroffen sind (wie
es bei der Strukton, der Gefer oder der Firma Bonciani der Fall war).“
Und auf der normativen
Ebene ?
„Der Widerruf der Kündigungen
und der Disziplinarmaßnahmen, von denen diejenigen Beschäftigten betroffen
waren, die – und das vollkommen zu Recht – auf das Sicherheitsproblem
aufmerksam gemacht hatten (der RAI-Bericht; Anm.d.Red.<Anm.1>). Und auch für jene Lokführer, die sich geweigert
haben, das VACMA-System (der „tote Mann“; Anm.d.Red. <Anm.2>) zu verwenden, das ein Ablenkungsfaktor ist und
keine Sicherheitsmaßnahme. Die feste Einstellung des fehlenden Personals, das
die Hauptursache für die abnorme Nutzung von Überstunden ist. Und somit eine
Änderung der Arbeitszeit, die es erlaubt zwei 10 Stunden-Schichten zu
absolvieren, zwischen denen eine Erholungsphase von nur 11 Stunden liegt. Für
Aufgaben, die maximale Aufmerksamkeit erfordern, wie die von Lokführern, stellt
das eine sehr große Gefahr dar.“
Auch einige
Gewerkschaften <z.B.
die FILT-CGIL> haben von „geringer
Beteiligung“ an der heutigen Aktion gesprochen.
Einige haben sogar
niedrigere Zahlen verbreitet als die des Unternehmens. Sie sind gezwungen, in
den Medien ihre Kontraposition zum Streik zu revidieren, aber in den einzelnen
Betriebsteilen haben Einige versucht Angst zu verbreiten, indem sie erklärten,
dass der Streik ‚illegal’ sei. Deshalb müssen sie jetzt das Offensichtliche
bestreiten und sagen, dass er gescheitert sei. Aber wenn nur 10% gestreikt
hätten, wie hätte man dann jeden ‚nicht garantierten’ Zug stoppen können ?“
Seht Ihr eine Bewegung,
die außerhalb der Gewerkschaften und über diese hinausgehend voranschreitet ?
„Wir wollen konkrete
Lösungen für die Probleme der Eisenbahner und der Reisenden finden. Wir haben
nicht an der Gewerkschaftsspaltung gearbeitet. Wir haben bis zuletzt darauf
gedrängt, dass der gute Wille die Oberhand gewinnt. Man muss jedoch der
Sicherheit, die nichts Optionales ist, den Vorrang einräumen. Es besteht eine
Notwendigkeit sofortiger und möglicher Lösungen, weil die Eisenbahn in den 60er
Jahren sicherer war als heute. Wir werden alles versuchen, damit der Vorrang
für die Sicherheit von Allen vertreten wird. Bei Problemen dieser Art kann man
keine Brüche vollziehen. Es gibt einen Weg, der einzuschlagen ist und wir sind
bereit, ihn zusammen mit jedem zu gehen, der dieselbe Sensibilität aufweist.
Auch wenn dies für Einige sicherlich bedeutet, die bislang im Verhältnis zum
Unternehmen getroffenen Entscheidungen zu revidieren (den Tarifvertrag etc.).
Wir werden daraus mit Sicherheit keine Frage von Organisationen machen. Wir haben
diesen Streik proklamiert, obwohl wir unterschiedliche Mitgliedsausweise in der
Tasche hatten.“
Anmerkungen:
1: RAI ist die italienische öffentlich-rechtliche
Rundfunk- und Fernsehanstalt, die 3 Fernsehprogramme betreibt und damit
wichtigster Konkurrent von Berlusconis Privatsendern ist.
2: VACMA ist ein auf das Jahr 1936 zurückgehendes
System, bei dem Lokführer alle 55 Sekunden ein Pedal treten muss, da der Zug ansonsten
automatisch gestoppt wird.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkungen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover