Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die in Mailand produzierte, seit 1996/97 existierende, sehr bewegungsorientierte
online-Monatszeitschrift “REDS” (Internetadresse: www.ecn.org/reds),
die aus einer Abspaltung der offiziellen italienischen Sektion der
IV.Internationale um die Zeitschrift “Bandiera Rossa” hervorgegangen ist,
liefert in der Nr. 48 (Neue Serie) vom Juni 2001 eine interessante
Einschätzung des Verhältnisses von Rifondazione Comunista (PRC)
zur Antiglobalisierungsbewegung. Der Artikel profitiert davon, daß
die Gruppe um “REDS” sowohl zum linken Flügel von Rifondazione als auch
zum Aktivistenkreis der von ihr sogenannten “Seattle-Bewegung” zählt.
Aus diesem Grund haben wir uns die Mühe der Übersetzung gemacht,
obwohl wir die politisch-praktischen Empfehlungen am Schluß teilweise
überhaupt nicht teilen.
Der PRC und die Seattle-Bewegung
Unsere Partei hat nicht oft mit einer Bewegung zu tun gehabt. Vor 10 Jahren
im vollen Rückfluß entstanden, ist sie seit damals nur sehr wenige
Male diesbezüglich auf die Probe gestellt worden. Und bei jenen wenigen
Malen hat sie sich nicht besonders brillant verhalten. Erinnern wir uns an
die Bewegung gegen die konzertierte Aktion <von Regierung, Kapital und
Gewerkschaften angesichts der völligen Abschaffung der scala mobile,
d.h. des automatischen Inflationsausgleichs bei den Löhnen und Gehältern>
1993, diejenige im Herbst 1994 gegen die Rentenreform, die Bewegung gegen
den Krieg auf dem Balkan und die gegen den Leistungswettbewerb der Lehrer.
Jedesmal hat sich der PRC als institutionelles Ufer angeboten, aber es ist
ihm - außer bei sehr sehr wenigen Gelegenheiten - nicht gelungen, Teil
der Bewegung zu sein. Beim Großteil der Fälle ist er <von der
Bewegung> einverleibt oder - im Gegenteil - außen vor geblieben.
Die Seattle-Bewegung hat in Italien noch nicht die Charakteristika einer
Massenbewegung, die die obengenannten Bewegungen animiert haben, aber wir
könnten kurz davor sein. Wiedereinmal befürchten wir jedoch, daß
die großen Möglichkeiten der Partei weder zum eigenen Vorteil
noch zum Vorteil der Bewegungen genutzt werden.
Die Seattle-Bewegung
Die Bewegung wird in Italien in großem Maße von Genossinnen und
Genossen gebildet, die bereits Aktivisten irgendeiner anderen Sache sind
oder waren. Auch wenn man “Neuankömmlinge” (speziell von den Universitäten)
registriert, liegt das Neue dieser Bewegung faktisch nicht darin, neues Engagement
geschaffen zu haben (eine Sache, die in einer Periode des Rückflusses
sehr schwierig ist und auch die anderen Bewegungen, die wir oben angeführt
haben, haben keine neuen Gruppen von Aktiven hervorgebracht), sondern darin
ein Engagement zusammenzuführen, das vorher extrem zersplittert war.
Dieses Engagement nimmt im wesentlichen auf zwei untereinander sehr unterschiedliche
und in sich vielfältige politische Kulturen Bezug.
Die erste ist eine Kultur, die in den 80er Jahren auf der Welle des Niedergangs
des direkter politischen Engagements häufig von katholischen Bereichen
entsteht (aber nicht nur; es gibt hier viele von den linken Parteien Enttäuschte).
Das sind die auf der Solidarität mit der Dritten Welt und auf dem Antimilitarismus
basierenden Vereinigungen, die sich Solidaritätsprojekten, dem gerechten
und solidarischen Handel sowie den Umweltkämpfen verschrieben haben.
Diese Kultur basiert auf dem “Machen”, auf einer sehr konkreten Solidarität,
der Wertschätzung für die lokale Intervention, dem Engagement für
die “Sensibilisierung” und das Zur-Diskussion-Stellen des eigenen Lebensstils.
In ihrem Innern leben verschiedene Optionen zusammen, weshalb dieser Bereich
nicht als “strategisch” pazifistisch definiert werden kann, auch wenn es
eine generelle Sympathie für die Gewaltfreiheit gibt. Das Lilliput-Netzwerk
ist heute der organisatorisch konsistenteste Bezugspunkt.
Die zweite Kultur ist “politischer” und mit den centri sociali sowie einem
Teil der “Basisgewerkschaftsbewegung” verbunden. Das was sie von der ersten
unterscheidet, ist nicht die Einschätzung der Globalisierung. Im Gegenteil:
Häufig bedienen sich diese Genossen gerade der Daten und Analysen der
<oben beschriebenen> Vereinigungen, um diese Themen zu behandeln. Das
was sie charakterisiert, ist ein starker Nachdruck und Radikalität,
die sie auf das (auf dem) Gebiet der Protestaktion (an den Tag) legen.
Vom strategischen Gesichtspunkt aus leben innerhalb dieser Kultur die verschiedensten
Verzweigungen zusammen - vom Anarchismus über den Kommunismus bis hin
zu einer Art besonderem Reformismus. In ihrem Innern wird der Akzent auf
die Massenmobilisierung und auf die Schaffung oppositioneller Events gelegt
und sie hat viele Schattierungen, die sich in Italien - um es zu vereinfachen
- im Bereich der “Tute bianche” und in dem Bereich des “Netzwerkes für
die globalen Rechte” sammeln.
Diese beiden Kulturen haben jedoch Fäden, die sie jenseits des äußeren
Anscheins verbinden. Der erste ist der der Inhalte und der Themen des Protestes,
bezüglich derer wir keine Meinungsverschiedenheiten feststellen, die
erwähnenswert wären, auch wenn es - manchmal auch substanzielle
- Differenzen über die vorgeschlagenen Lösungen gibt. Der zweite
ist eine gewisse Verweigerung gegenüber der typischen Art der Linken
Politik zu machen - mit ihrer Trennung zwischen öffentlich und privat,
dem ständigen Versuch die Hegemonie zu erringen, der Tendenz um schlechten
Kompromiß und dem Basieren auf der Delegierung. Der dritte ist die
Begeisterung für konkrete Formen des Politik-Machens, auch wenn dieser
Drang sich in sehr unterschiedlichen Aktionen niederschlägt.
Und der PRC ?
Das Problem des PRC ist, daß sich seine grundlegende Kultur von den
beiden obengenannten grundlegend unterscheidet. Sicher, der PRC hat sich
eine sehr offene Einstellung gegenüber und eine starke Wertschätzung
für diese Bewegung bewahrt. Es handelt sich dabei um einen positiven
Fortschritt. Erinnern wir uns an das Dichtmachen gegenüber der Bewegung
der centri sociali, das in der Zeit unseres Entstehens <als PRC in den
Jahren 1990 /91> zwar bereits im Abflauen, aber noch beträchtlich
war. Auf den Seiten von “Liberazione” <der Tageszeitung von Rifondazione>
finden wir heute viele exemplarische Fakten über die Schäden der
Globalisierung, alle Termine der Bewegung etc. Unser Sekretär <Fausto
Bertinotti> läßt keine Gelegenheit aus, um seine Wertschätzung
für die Aktivitäten zu bekunden. Der PRC wird auf der Massenebene
klar als einziges politisches Subjekt wahrgenommen, das an der Seite der
Bewegung steht. Optimal, aber:
Das Problem des PRC liegt in seiner politisch-organisatorischen Kultur. D.h.
in der konkreten Art mit der der Großteil seiner Zirkel Politik macht.
Der größte Teil der Zirkel ist konkret mit der Wahlpropaganda
und der Vorbereitung der Pressefeste <der Parteizeitung “Liberazione>
oder mit der Präsenz in den Institutionen beschäftigt. Die Aktivität
ist daran gewöhnt zu denken, daß Kommunist sein genau das ist.
Die Kultur des “Machens” ist vielen Zirkeln substanziell fremd. Viele Aktive
des PRC erscheinen den Aktiven der beiden Kulturen, die wir weiter oben beschrieben
haben, wie fremde Wesen, die sich mit - alles in allem - sehr langweiligen
und im wesentlichen abstrakten Dingen beschäftigen und zum Großteil
das Privileg verschwenden, daß sie viele Räumlichkeiten <und
Infrastruktur> zur Verfügung haben. Die Unterstützung, die die
Partei der Bewegung auf zentraler Ebene gibt, ist daher frei von praktischen
Konsequenzen - mit der partiellen Ausnahme der Beteiligung an den Demonstrationen
der Bewegung.
Aber Achtung: Wir behaupten nicht, daß einer “erleuchteten” Führung
eine rückständige Basis gegenüberstehen würde. Die Verantwortung
der Führung ist präzise <aufzeigbar>. Vor allem gibt es keinerlei
operativen Hinweis, um die Sitze der Partei in für die Bewegung nützliche
Orte des Zusammenschlusses zu verwandeln. Es fehlt eine demokratische Debatte
über die Bewegung und über die Rolle der Kommunisten in dieser
Bewegung sowie in den Bewegungen im Allgemeinen. In der Realität gelangt
der PRC nur soweit, sich als institutionelles Ufer anzubieten. Das Problem
ist, daß diese Rolle von der Bewegung in allen ihren Bestandteilen
mit großem Mißtrauen gesehen wird, so wie es anläßlich
der Öffnung von Bertinotti und Frattini in bezug auf die Demonstrationen
in Genua <mit der Berlusconi-Regierung zu verhandeln> zu Tage getreten
ist. Dies ist eine Bewegung, die sich selbst repräsentieren will.
Eine andere Verantwortung unserer Führung ist, daß sie auf der
einen Seite die Mitgliedschaft zu einer großen Öffnung gegenüber
der Gesellschaft und den Bewegungen aufruft, aber faktisch zu einer Politik
drängt, die dem Realismus der <Wahl-> Bündnisse und der institutionellen
Präsenz mit all den Kompatibilitäten die das - speziell auf lokaler
Ebene - mit sich bringt, den Vorrang gibt.
Deshalb wissen die Aktiven des PRC nicht, wie sie sich zu dieser Bewegung
verhalten sollen und jeder agiert entsprechend der jeweiligen Kultur, aus
der er stammt, da der PRC ein Gewirr von Subkulturen (wenn auch mit gemeinsamen
Nennern) ist. Das reicht vom Sektierertum eines Teils der <linken>
Minderheit <der Partei> bis zu einem wirklichen und wahrhaftigen Kodismus
einiger Teile der Mehrheit in Richtung der <militanten und linksradikalen>
“Tute bianche”; von Sorgen über die Sichtbarkeit” der Partei bis zur
Wunschvorstellung von der Hegemonie; vom “Neid” jugendlicher Teile der Partei
auf die “kriegerischen” Fähigkeiten von Teilen der Bewegung bis zu einem
substanziellen Mißtrauen gegenüber den Bewegungen im Allgemeinen,
die die Überbleibsel des Denkens und der ehemaligen Anhängerschaft
Armando Cossuttas <des opportunistischen heutigen PdCI-Präsidenten,
der sich im Oktober 1998 von Rifondazione abspaltete und die sog. Mitte-“Links”-Regierung
bis zum Ende stützte> charakterisieren.
Was tun ?
Ausgehend von den örtlichen Zirkeln muß man sich davon unterscheiden,
um klar und deutlich mit der Routine zu brechen. Um in der Antiglobalisierungsbewegung
zu sein, ist es unnütz von unmöglichen Hegemonien zu träumen,
wenn man dort faktisch fremd ist. Man muß dort mit Begeisterung und
offenem Geist hineingehen, aber hinein zu gehen bedeutet Dinge zu machen.
Beispiele: Warum nicht in unseren Parteilokalen Tage des Verkaufes von Produkten
des gerechten und solidarischen Handels vorsehen ? Wir spüren
in der Partei oftmals Ironie bezüglich dieses Themas. Auch die gemäßigtesten
Genossen, die bei keiner Wahl Probleme haben, sich auch mit den lokalen Repräsentanten
von Dini <einem Liberalkonservativen, der ehemals Zentralbankchef, dann
Berlusconis Finanzminister, dann Ministerpräsident einer einjährigen
“Technikerregierung” und dann Außenminister der Mitte-“Links”-Regierungen
war und nach wie vor der Rechtsaußen dieses Bündnisses ist>
zu verbünden, sagen uns mit einem Lächeln: Aber denkt Ihr wirklich,
daß man das Problem der Ungleichheit so löst ? Nein, aber
auch der Kampf um eine Lohnerhöhung löst nicht den Kampf zwischen
Kapital und Arbeit und doch führt uns das nicht dazu, die Wichtigkeit
des gewerkschaftlichen Kampfes zu ignorieren. Die Genossen können zum
Beispiel vor Ort Verbindungen knüpfen, um so Gruppen für solidarischen
Kauf zu bilden, die sich überall ein bißchen verbreiten. Warum
dann nicht Projekte und Partnerschaften von Parteizirkeln mit Kampfsituationen,
Kooperativen, Fabriken und Parteisektionen in Ländern der Dritten Welt
vorsehen ? Jeder Aktive sollte die Vereinigungen in erster Person stärken,
die an der Basis dieser Bewegung stehen. Für einen Kommunisten ist es
normal in einer Gewerkschaft zu sein. Das sollte es ebenfalls sein, einer
solidarischen Vereinigungen anzugehören und anderen Aufbau teilzunehmen.
Die Kommunisten - und das ist die wichtigste Sache - sind außerdem
in der Gewerkschaftsbewegung präsent. In dieser Position können
sie sehr nützlich dafür sein, das größte Defizit dieser
Bewegung zu überwinden, die noch zu sehr eine Mittelklassenbewegung
und sehr wenig eine Arbeiter- und Volksbewegung ist. Die RSU’en <= die
italienischen Mischung aus Betriebsrat und organisationsübergreifendem
Vertrauensleutekörper>, in denen wir präsent sind, können
wir Motoren für Debatten, Sensibilisierungsaktionen und Solidaritätsprojekte
innerhalb der Arbeitsstätten sein.
Das sind konkrete Empfehlungen, die jeder von uns verwirklichen kann, ohne
auf grünes Licht von den Leitungsgremien zu warten, um beim Aufbau der
Antiglobalisierungsbewegung in der ersten Reihe zu stehen.
Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover