Antifa-AG der Uni Hannover:
Der Partito della Rifondazione Comunista (PRC –
Partei der Kommunistischen Neu/be/gründung)
in Italien zeichnet sich in letzter Zeit nicht nur dadurch aus, dass die
Parteispitze ihn forciert auf Regierungsfähigkeit trimmt und dafür jedweden
inhaltlichen „Ballast“ über Bord wirft. Rifondazione
verwandelt sich auch immer mehr in eine „One-Man-Show“
ihres Sekretärs Fausto Bertinotti. Er ist es,
der in einer Welle von Interviews (die im Juli/August rekordverdächtige Ausmaße
annahm) immer neue „Signale der Öffnung“ in Richtung des mitte-„linken“
Olivenbaum-Bündnisses und seines designierten Spitzenkandidaten Romano Prodi sandte und - ohne die eigene Partei zu fragen - mit immer neuen
inhaltlichen Zugeständnissen überraschte. Die bisher letzten sind einerseits seine
Zusage, sich auch in Fragen wie italienischen Militäreinsätzen im Ausland bzw.
Kriegserklärungen den Mehrheitsentscheidungen innerhalb der Mitte-„Linken“ (wörtlich:
„der demokratischen Koalition“) zu beugen und die entsprechende Politik mitzutragen. Eine Wende um 180 Grad verglichen mit der
Stellung zum Jugoslawien-Krieg 1999, an dem sich die damalige Olivenbaum-Regierung
aktiv beteiligte und der von Rifondazione entschieden
abgelehnt und auch außerparlamentarisch bekämpft wurde. Und zweitens das „Zurückstellen“
der Forderung nach einem Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak nach
der jüngsten Entführung der beiden dort aktiven NGO-Mitarbeiterinnen Simona Torretta
und Simona Pari. Aktuell sei
der „Terrorismus“ der Hauptfeind und auch die „nationale Einheit“ mit der Berlusconi-Regierung
zur Befreiung der Geiseln kein Tabu mehr.
Bertinottis „One-Man-Show“ ist sicherlich
eine Reaktion auf die in Italien im politischen Bereich in den letzten Monaten
eingetretene Passivität der Massen und die zunehmende Dominanz
spießbürgerlichen Denkens und hat bei den Europawahlen auch zu einem Zugewinn
an Stimmen geführt. Zugleich verschärft sein – obendrein krass undemokratisches
– Vorgehen die Auseinandersetzung innerhalb der Partei und die Resignation
zahlreicher Parteimitglieder und Sympathisanten (z.B. unter den autonomen Disobbedienti). Effekte, die er billigend in Kauf nimmt und
ihm z.T. (soweit es die Parteilinke betrifft)
wahrscheinlich sogar angenehm sind. Längerfristig
fördert es allerdings in jedem Fall die Zersetzung der Partei auf allen Ebenen.
Um den
Interessierten im deutschsprachigen Raum einen Eindruck der neuen Positionen
von Bertinotti bzw. Rifondazione
zu vermitteln, werden wir in den nächsten Wochen hier Übersetzungen seiner
wichtigsten Interviews veröffentlichen. Wir beginnen mit demjenigen, dass in
der linksliberalen Tageszeitung „la Repubblica“
vom 28.7.2004 erschien und von der Parteizeitung „Liberazione“
einen Tag später dokumentiert wurde.
Fausto Bertinotti:
„Ich, der Herausforderer von Prodi“
Die Vorwahlen gefallen ihm
nicht. „Die Urabstimmung über die Person ist eine Anomalie.“ Wenn man sie aber
schon durchführen sollte, dann wäre er bereit, eine „Injektion Demokratie“
anzubieten. „Es bedürfte neben Prodi eines anderen
Kandidaten, eines Kandidaten der alternativen Linken. Das könnte ich sein.“
Dringlich sei allerdings etwas anderes. Fausto Bertinotti
will das Programm der Mitte-Linken schreiben. „Das Italien, das wir wollen“,
sagt er unter Verwendung eines alten Slogans des Olivenbaum-Bündnisses. Es gäbe
keine Zeit zu verlieren: „Die Verzögerung – auch die unfreiwillige – wäre ein
schwerer politischer Fehler. Berufen wir sofort für Anfang September die
programmatische Versammlung ein.“ Und er fügt hinzu: Verglichen mit `96 müsse
sich Prodi ändern. „Alles ist anders als damals: die
Welt, die Arbeit und die Subjekte der Politik. Die umsichtigen Männer sind in
der Lage ihre Überzeugungen zu ändern.“
Sekretär, die
Herausforderung, die Prodi lanciert hat, ist an die
gesamte Mitte-Linke gerichtet. Wie sieht Ihre Antwort aus ?
„Ich schätze den Sinn für
die demokratische Suche nach dem, was man in der Gewerkschaft Fähigkeit zur
Konsensentscheidung nennt. Jede Ausweitung der Beteiligung muss unterstützt
werden. Ich habe allerdings zwei Zweifel. Wir befinden uns nicht in der
Situation der amerikanischen Vorwahlen, wo es am Start verschiedene Kandidaten
gibt. Wir befinden uns vielmehr in der italienischen Politik, wo Prodi bisher als der Führer der Koalition von Allen
(mittlerweile auch von uns) betrachtet wurde. Somit gibt es eine Anomalie. Wenn
man die Vorwahlen wirklich durchführen wollte, müsste das Problem durch eine
Injektion Demokratie gelöst werden. Das heißt es wird ein weiterer Kandidat
notwendig – schlimmstenfalls ein Mann der alternativen Linken – ein Kandidat,
der das Banner einer lebendigen Demokratie ist. Ich misstraue allem, was einheitsmäßig ist: der Einheitspartei, dem Einheitsführer…“
So beginnt erneut das
Namensballett.
„Wenn ich von einem
alternativen Kandidaten spreche, so tue ich das, um den Vorwahlen keinen
künstlichen Charakter zu verleihen. In einer derartigen Situation kann ich mir
vorstellen, selbst zu kandidieren – als Ausdruck der alternativen Linken. In
den Vereinigten Staaten gibt es jetzt Kerry, aber am
Anfang waren es Viele <demokratische
Kandidaten>. Und ohne einen weiter
links angesiedelten Kandidaten <= Dean> gäbe es den Kerry von heute mit seinen Vorschlägen und seinen
Programmen nicht. Die Vorwahlen sind ein Gradmesser für die Tendenz.
Entschlossen daran festhaltend, dass derjenige, der gewinnt, Alle repräsentiert.
Die Urabstimmung über eine einzige Person ist allerdings nicht demokratisch.“
Der zweite Zweifel ?
„Ich spüre nicht so sehr den
Bedarf an Vorwahlen über die Führung als über die programmatischen Inhalte. Ich
gebe ein Beispiel: Das <der
weiteren Prekarisierung dienende> Gesetz Nr. 30/2003 über den Arbeitsmarkt. In der
Mitte-Linken gibt es diejenigen, die – wie wir – die Auffassung vertreten, dass
es abgeschafft werden muss. Andere möchten es modifizieren und wieder Andere
streben nur eine kosmetische Veränderung an. Eine Auseinandersetzung auf
programmatischem Gebiet ist für mich sehr viel interessanter.“
Sie hatten vergangene
Woche ein langes Treffen mit Prodi. An welchem Punkt
befinden wir uns, was das Programm anbelangt ?
„Man orientiert sich von
verschiedenen Seiten auf eine wirkliche und wahrhaftige programmatische
Versammlung. Giorgio Ruffolo hat von dem Modell des
europäischen <Verfassungs-> Konventes gesprochen, mit den Parteien an Stelle der
Staaten. Das ist eine überzeugende Methode. Ich habe gesehen, dass <Linksdemokraten
(DS)-Generalsekretär> Fassino es unterstützt. Es muss eine wirklich plurale Versammlung sein. Und sie sollte so zusammengesetzt
sein: die Vertreter der Parteien, eine Vertretung der Gesellschaft und ich denke
nicht nur an eine Reihe von Namen, sondern Persönlichkeiten, die wirklich
Ausdruck von Bewegungen sind, und schließlich an die Vertreter der lokalen
Regierungen. Mir scheint, dass man begreift, dass dies der Weg ist, dass dies
eine Idee ist, die breit geteilt wird. Das, was fehlt, ist die Eile bei der
Umsetzung, die politische Energie, um zum Ergebnis zu gelangen. Diese
Annäherung an das Thema findet breite Zustimmung. Aber man spürt nicht das
Problem. Nun gut, es ist der Augenblick gekommen, um das Thema in ein Problem
zu verwandeln. Die Wahl <bereits> im nächsten Frühjahr ist keine weit entfernte
Möglichkeit. Die – auch unfreiwillige – Verschleppung der Programmfrage wäre
nicht nur eine einfache Verzögerung, sondern ein politischer Fehler. Ich möchte
die Erfahrung der 3.Internationale nicht wiederholen, die die Fehler hinter dem
Feigenblatt der Hindernisse, der Verzögerungen verbarg. Also berufen wir die
Programm-Versammlung ein.“
Wann ?
„Sofort. Anfang September.
Man sollte Nägel mit Köpfen machen, den Ort und den Zeitpunkt bestimmen. Wir
bewegen uns mit einem Handicap, wenn wir nicht über ein Programm verfügen. Auch
weil in der Mitte-Rechten – <UDC-Sekretär> Follini hin oder her – die
Krise des Berlusconi-Systems unumkehrbar ist. Der soziale Block, der sie
stützte, ist geplatzt und auch die kulturelle Vermittlung, die sich auf einen
populistischen und neoliberalen Pfeiler stützte. Und ein Blut &
Tränen-Haushalt ist angesichts der immanenten Krise undenkbar.“
Prodi sagt, dass er nicht dieselbe „Photographie“ wie `96
will. Und Sie ?
„Ich betrachte die Befragung
über das Programm als eine Radikalisierung. Diejenige über die Führung wäre
eine blasse Diskontinuität. Den wahren Qualitätssprung müssen wir in bezug auf die Inhalte vollziehen. Damals gab es das
Fernbleiben <desistenza = wechselseitiger Verzicht auf die
Kandidatur in bestimmten Direktwahlkreisen> und separate Programme. Heute schlage ich ein Programm von Allen vor.
Im übrigen hat sich die internationale Szenerie von
1996 bis heute verändert.“
Und Prodi
weiß das, trotz der Distanz zwischen Rom und Brüssel ?
„Prodi
ist sich dessen bewusst. Das Gefühl der Veränderung ist vor allem in Europa
sehr verbreitet. Und was die Lösungen anbelangt, sind wir uns ziemlich nah. Die
französische Sozialistische Partei (PS) hat ein Manifest verbreitet, dessen
Erstunterzeichner der ‚Gemäßigte’ Michel Rocard ist. Er sagt es mehr oder
weniger so: ‚Beim Referendum vor 10 Jahren rief Delors dazu auf, für Maastricht
zu stimmen, weil daraus Europa entstehen würde. Heute ist diese These
unsäglich. Es ist der Augenblick gekommen, um eine soziale europäische
Verfassung vorzuschlagen, die Maastricht umkehrt. Für die Länder muss es
Sanktionen nicht mehr in Sachen Währungspolitik geben, sondern bezüglich der
Arbeitslosenzahlen, der Prekarität und der sozialen
Probleme.“
Und wie denkt der
Professor darüber ?
„Jenes ‚umgekehrte’ Manifest
wurde auch von Delors unterzeichnet. Die umsichtigen Männer können sich mit
unterschiedlichen Politiken in neue Rollen versetzen. Warum soll es nicht
möglich sein, dass sich auch Prodi ändert
?“
Sie haben von der
Abschaffung des Gesetzes Nr.30 gesprochen. Ist das einer Eurer Vorschläge ?
„Das Problem besteht nicht
in der Liste der Ziele, sondern im generellen Ansatz. Man muss sagen, was für
ein Italien wir nach 5 Regierungsjahren wollen. Es geht nicht nur darum
Berlusconi zu verjagen, sondern die Politik zu ändern. Das Programm ist die
Konfiguration des sozialen Blockes, an den wir uns wenden. Und es reicht nicht
aus <die
Verhältnisse> zu beschreiben. Es
bedarf der Interpretation. Ich denke da an die Gründlichkeit der Analyse,
ähnlich jener, die die Geburt der ersten Mitte-Links-Regierungen in den 60er
Jahren begleitete. Anders als `96.“
<Das
Interview führte:> Goffredo
De Marchis
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover