Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Ex-EU-Kommissions-Präsident
Romano Prodi hat die Vorwahlen der italienischen Mitte-Linken am 16.Oktober
2005 mit 74,1% (knapp 3,2 Millionen Stimmen) klar gewonnen und damit die
gewünschte programmatische Blankovollmacht bekommen. Weit abgeschlagen wurde
der Sekretär von Rifondazione Comunista (PRC), Fausto Bertinotti, mit 631.592
Stimmen (14,7%) Zweitplatzierter. Die ehemalige Disobbediente Simona Panzino
wurde mit nur 19.752 Stimmen (0,5%) Letzte. Neben der mehr oder weniger
kritischen Bilanzierung dieses „Events“ nach US-Vorbild geht es in der
italienischen radikalen Linken jetzt zentral um die Frage, wie auf das Programm
der Mitte-Linken trotzdem inhaltlich Einfluss genommen werden kann. Dazu
erschien in der von Rifondazione Comunista herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“
vom 23.10.2005 der folgende Beitrag von Piero Bernocchi, dem Sprecher
der Basisgewerkschaft COBAS Schule, die
der Confederazione COBAS angehört. Er wurde kurz darauf auch von Indymedia
Italien und anderen linken Websites weiterverbreitet.
Piero
Bernocchi
(1947 in Foligno / Umbrien geboren) hat eine lange Vergangenheit in der
radikalen Linken, war in der Autonomia-Bewegung von 77/78 sehr aktiv, von 1979
– 85 Direktor des linken Radiosenders „Radio Città Futura“ (Radio Stadt der
Zukunft) und ist Autor mehrerer Bücher über politische und gewerkschaftliche
Themen und insbesondere die Entwicklung der radikalen Linken. Er gehört
außerdem zu den wichtigsten Vertretern der italienischen
Antiglobalisierungsbewegung.
Thematische
Bewegungen zu anti-wirtschaftsliberalen Zielen sind etwas anderes als Vorwahlen!
Wie das Programm der Union
nach links verschieben?
Piero Bernocchi (Confederazione Cobas)
„Bei diesen Zahlen ist klar,
wer das Programm macht.“ Das ist Prodis lapidares Siegel unter das für ihn
begeisternde Ergebnis der Vorwahlen. Und der Direktor der <linksliberalen Tageszeitung> „la Repubblica“, Mauro, kommentierte, dass in
der Tat „niemand mehr sagen kann, dass die 15% von Bertinotti die 75% von Prodi
konditionieren, der sich jetzt bei den Verhandlungen über das Programm
durchsetzen wird“. So kann Prodi sagen, dass er Millionen Stimmen für SEIN
Programm bekommen hat. Hatte Bertinotti nicht wiederholt diese Abstimmung
gefordert, um das Programm der <Mitte-Links-> Union nach
links zu verschieben? Nachdem der Wettstreit 75 zu 15 ausgegangen ist, hält
sich Prodi für legitimiert, das Programm seinen Vorstellungen entsprechend zu
verfassen. Und d.h., wie er sofort nach der Abstimmung gesagt hat, die
italienischen Truppen an allen Kriegsfronten zu belassen (ausgenommen den Irak,
wo sie durch nicht näher erläuterte „Wiederaufbauer“ ersetzt werden sollen),
„das historische Bündnis mit den USA zu festigen“, das <die Prekarisierung der
Arbeitsverhältnisse massiv vorantreibende> Gesetz Nr.30 <aus
2003> und die Moratti-Gegenreform <im Bildungswesen> zu modifizieren – und nicht zu streichen, die CPT’s <Sammellager für Flüchtlinge> „zu humanisieren“ und nicht zu schließen, wieder ein
vollständig auf Mehrheitswahlrecht basierendes Wahlsystem einzuführen und
schließlich reklamierte er, durch die Stimmenzahl in Begeisterung versetzt, sogar
die Rechtmäßigkeit der Bolkestein-Richtlinie zur „Liberalisierung“ der
europäischen Wirtschaft (die wir von nun an deshalb Prodi-Bolkestein-Richtlinie
nennen werden), während sich ihr sogar <Forza Italia-Finanz- und Wirtschaftsminister> Tremonti und <Lega Nord-Arbeitsminister> Maroni widersetzen. Das ist ein kolossaler Betrug,
der aber gerade durch den Mechanismus der Vorwahlen ermöglicht wurde. In
Wirklichkeit zielte das Votum für Prodi nicht auf sein Programm ab, sondern auf
den einzigen von der <Mitte-Links-> Union akzeptierten Kandidaten, um Berlusconi zu
schlagen.
Ich persönlich hatte keine
Prognosen zur Beteiligung an der Abstimmung abgegeben. Es war in den letzten
Tagen allerdings offensichtlich, dass der Wille, Berlusconi an seinen letzten,
eklatanten und autoritären (wahlrechtlichen und anderen) Betrügereien sowie an
seinen neuerlichen Aufrufen zum Gegenangriff ersticken zu lassen und darüber
hinaus der massive Einsatz die Wahlurnen vonseiten der gesamten
institutionellen, politischen und gewerkschaftlichen Linken (die Cobas
ausgenommen) zu füllen,die Wahlbeteiligung verglichen mit den Vorhersagen vor
einigen Monaten sehr deutlich ansteigen lassen würde. Diese Beteiligung
vergrößert die Usurpation <widerrechtliche Aneignung>
der Bedeutung des Votums durch Prodi und die wirtschaftsliberale Linke
allerdings und schwächt sie keineswegs ab.
Anders konnte es auch gar
nicht laufen. „Den üblen Gestank verjagen!“, war die einzige vereinigende
Parole des <sehr
unterschiedlich> zusammengesetzten
Volkes, das die Urnen füllte. Und es war klar, dass sich die Stimmen gegen
Berlusconi nur in der größtmöglichen Zustimmung zu Prodi, dem einzigen
Kandidaten in der Spur, konkretisieren konnten. Ein knapper Sieg hätte ihn
diskreditiert und Berlusconis Aufholen verstärkt. Das ist der Grund, warum der
Nachdruck, der vom PRC <Partito
della Rifondazione Comunista> auf die
Vorwahlen, auf ihre Bedeutung und die Wahl Bertinottis gelegt wurde, um das
Programm nach links zu verschieben, nur übel ausgehen konnte. Beim Agieren auf
einem derart glatten Parkett konnte Bertinotti nicht mehr Stimmen gewinnen als
die, die er bekommen hat, da es darum ging, einen bereits gewählten und nunmehr
unersetzbaren „Conducator“ <“Führer“; Anspielung auf den ehemaligen rumänischen
Diktator Ceaucescu> so gut wie
möglich auf den Thron zu heben. Da er diese Vorgehensweise der Vorwahlen
akzeptierte und sogar noch ausweitete, scheint mit außer Frage zu stehen, dass
der PRC, in starkem Maße dazu beigetragen hat, die wirtschaftsliberale
Hegemonie in Bezug auf das Programm der Union zu besiegeln.
Bezüglich der anderen
„Legitimatoren“ hätte ich Lust, den kläglichen / peinlichen Beitrag der „senza
vo(l)to“ <Wortspiel:
„Gesichtslosen“ bzw. „Stimmenlosen“>
zu übergehen, wenn er für das Erscheinungsbild der gesamten Friedens- und
Antiglobalisierungsbewegung nicht so erschütternd, missbräuchlich und
destruktiv wäre. Eine Sache wäre die Kandidatur von Don Gallo <dem wegen seiner Nähe zum
radikalen Teil der Antiglobalisierungsbewegung strafversetzten katholischen
Pfarrer> gewesen, die – auch wenn sie
zur Legitimierung der Vorwahlen beigetragen hätte – zumindest die Voraussetzung
der Seriösität erfüllt hätte. Die in der Presse und im Fernsehen zur Schau
gestellten, nicht vorzeigbaren Personen haben nicht nur sich selbst der
Lächerlichkeit preisgegeben, sondern (indem sie sich unverschämterweise den
Regenbogen und die Antiglobalisierer, Genua und vier Jahre gemeinsamen Kampf
aneigneten) auch das, was bislang mit der anti-wirtschaftsliberalen und
Friedensbewegung identifiziert wurde. Am Ende haben sie durchschnittliche
Wahlergebnisse eingefahren, die unter denen der Humanistischen Partei oder der
Rentner-Partei liegen.
Wie auch immer, wir werden
uns davon überzeugen müssen, dass der einzige Weg, um nicht mehr so sehr das
Programm der Mitte-Linken als vielmehr die allgemeine politische und soziale
Situation Italiens nach links zu verschieben der ist, die gemeinsamen
Bewegungen bezüglich thematischer Achsen sowie Anti-Freihandels- und
Anti-Kriegs-Zielen zu verstärken und damit das moderat-wirtschaftsliberale
Lager, das in der <Mitte-Links-> Union die Mehrheit bildet, präventiv zum abschließenden
Urteil zu zwingen. Zum Beispiel so wie es das Volk der Schule und die COBAS an
erster Stelle angesichts der Absicht der Linksdemokraten (DS) und der <christdemokratisch-liberalen> Margerite tun, den einheitlichen Willen zur
Abschaffung der Moratti-Gegenreform nicht zu respektieren und sich auf das
„Reformieren der Reform“ zu beschränken. Oder wie es die exzellente
Bündnisdemonstration gegen die Bolkestein-Richtlinie <am Samstag, den 15.Oktober 2005
in Rom mit offiziell 50.000, real aber nur ca. 3.000 Teilnehmern> gemacht hat, indem sie die durch das Bekenntnis in <der Polit-Talkshow> „Porta a Porta“ („Tür an Tür“) im Überfluss
bestätigte, Komplizenschaft der Mitte-Linken bei der Formulierung der
Prodi-Bolkestein-Richtlinie denunzierte. Oder wie es die Mobilisierung der
Migranten in den kommenden Wochen tun wird, indem sie die Forderung nach
Schließung der CPT’s und der Streichung nicht nur des Bossi-Fini-Gesetzes <zur Reglementierung der
Einwanderung und der Einwanderer>,
sondern (angesichts einer Livia Turco, die, indem sie sie diabolischerweise
beibehalten will, „die CPT’s humanisieren“ möchte) auch des <“mitte-linken“> Turco-Napolitano-Gesetzes erhebt. Und genauso wie
wir es schlussendlich tun, indem wir am 25.November einen wirklichen,
ganztägigen Generalstreik mitsamt einer landesweiten Demonstration gegen den
Haushalt, die Regierung Berlusconi, die Rentenkürzungen und den Nepp bei den
Abfindungen (TFR), gegen die Prekarität, das Gesetz Nr.30 und das Treu-Paket,
für die Rücknahme der Moratti-Gegenreform und für das Einkommen auf die Beine
stellen und die Union damit zwingen werden, explizit zu sagen, ob sie – außer
Berlusconi nach Tahiti zu schicken – auch dessen Wirtschaftspolitik ändern will
oder ob sie (wie es den Anschein hat) die Absicht verfolgt, diese fortzuführen
und damit die Prekarisierung, die Hungerlöhne, die Rentenkürzungen und die
Reduzierung der Investitionen in die öffentlichen Strukturen und die sozialen
Dienste zu akzeptieren.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover