Gewerkschaftsforum Hannover:
Im Zusammenhang mit der Krise der italienischen
Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi Ende Februar
2007 dürfte auch interessant sein, was die Führung der größten
Metallarbeitergewerkschaft des Landes – FIOM – dazu meint. Die 350.000
Mitglieder zählende FIOM ist zusammen mit der Öffentlichen-Dienst-Gewerkschaft Funzione Pubblica (FP) die größte
Einzelgewerkschaft der wichtigsten Gewerkschaftszentrale CGIL und bildet seit
langem den linken Flügel des etablierten Gewerkschaftsspektrums, wobei sie auch
Auseinandersetzungen mit der CGIL-Spitze nicht scheut. Die von Rifondazione Comunista (PRC)
herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“
brachte am 25.2.2007 das folgende Interview mit dem FIOM-Generalsekretär Gianni Rinaldini
als Aufmacher auf Seite 1. Tatsächlich geht Rinaldini
in seinen Antworten über die konkrete Situation weit hinaus und äußert sich
auch zu einigen sehr grundsätzlichen Fragen des Verhältnisses von Politik,
Bewegungen und Gewerkschaft.
Interview:
Der
Sekretär der FIOM: „Die Krise ist ein politisches Signal bezüglich der
Entscheidungen, an denen die Regierung arbeitet.“ Und in Sachen Krieg: „Wir
sind für den Abzug aus Afghanistan. Das bedeutet <allerdings> nicht, dass wir den Sturz der
Regierung wollen.“
Rinaldini: „Wir fürchten Prodi
nicht, aber Prodi sollte auch die Piazza nicht
fürchten!“
von Andrea Milluzzi
Im Teatro Colosseo diskutieren die Anti-Kriegs-Aktivisten über
Afghanistan, die Außenpolitik und die Militärbasen. Praktisch geht es nur um
eine einzige Frage: Was macht man jetzt? Draußen vorm Theater steht der
Generalsekretär der FIOM, Gianni Rinaldini, um eine
Zigarette zu rauchen und denkt über die Situation nach: „Es muss alles neu
diskutiert werden. Diese Regierungskrise bringt uns alle wieder ins Spiel.“
Die Stimmung ist so wie sie in Situationen, die auf der Kippe stehen, immer
ist. Sie bewegt sich zwischen der Angst vor Neuwahlen und der Hoffnung schnell
die Arbeit und die Gespräche wieder aufnehmen zu können, die mittendrin
unterbrochen wurden. „Wahrscheinlich wollen im Augenblick selbst die
Industriellen nicht, dass Berlusconi zurückkehrt“, meint Rinaldini. Wie um zu sagen, dass noch Zeit ist, um die
Karre aus dem Dreck zu ziehen. Aber gut ist die Lage nicht. Das merkt man, wenn
man sich unter den Leuten umhört: „Es ist nicht wie `98. Ich erinnere mich.
Ich war in Bologna als die <erste
Prodi-> Regierung stürzte. Und die Piazza Maggiore war voll von
Leuten, die demonstrierten. Jetzt ist das nicht so. Jetzt greift der Qualunquismus <das Schimpfen
auf „die da Oben“ / der kleinbürgerliche Populismus wie in Italien von Mitte
der 40er bis Anfang der 50er Jahre> um sich. Und vom Qualunquismus
haben immer die Rechten profitiert.“ Die Nachricht vom Verweis der Regierung Prodi
an die Abgeordnetenkammer <zwecks
Vertrauensabstimmung>
ist noch nicht angekommen, aber die Elemente für eine Analyse der Lage sind
bereits alle vorhanden.
Beginnen
wir bei dem spezifischen Ereignis: dem Sturz der Regierung über die
Außenpolitik. Hättest Du darauf gewettet, dass Afghanistan für Prodi zur Bananenschale wird?
„Nein, aber
sagen wir, dass das nur die Episode ist, über die die Regierung stürzte. Ich
sehe keine Beziehung zwischen dem Sturz der Regierung und der Außenpolitik von D’Alema. Um es deutlicher zu sagen: Ich glaube nicht, dass <die beiden großbürgerlichen Senatoren auf
Lebenszeit, die sich u.a. der Stimme enthielten> Andreotti und Pininfarina die
Absicht hatten die italienische Präsenz in Afghanistan abzulehnen. Ich glaube,
dass das, was passiert ist, einen weit reichenderen
Interpretationsradius besitzt. Sie wollten ein politisches Signal bezüglich der
Entscheidungen setzen, die die Regierung für die kommenden Monate in Arbeit
hatte.“
Worauf
beziehst Du Dich?
„Ich bin
weiterhin der Ansicht, dass der jüngste Auftritt des Gouverneurs der Banca D’Italia, der in punkto Rentenreform eine andere
politische Lösung empfohlen hat als die von der Regierung beschlossene, absolut
unterschätzt wird. Nicht zufällig hat Draghi
ausdrücklich die Notwendigkeit ‚einer bewussten Gesamtanstrengung’
angesprochen, ähnlich derer für die Beseitigung der gleitenden Anpassung der
Löhne an die Inflation (scala mobile)
Mitte der 80er Jahre und für die Abkommen über die Sozialpartnerschaft <und Lohnzurückhaltung> von 1992 / 93. Eine spezifische
Berufung, die über ein soziales Vorhaben hinaus de facto auch ein politisches
Vorhaben zeigt. Und dann ist da der ‚Corriere della
Sera’, der mittlerweile mehr Ähnlichkeit mit einer Partei als mit einer
Zeitung hat. Seit Monaten bemühen sie sich ganz deutlich um politische
Lösungen, die die gegenwärtige Regierungskoalition überwinden und zu einer
anderen Konstellation führen. Dies vorausgeschickt, kam der Sturz der Regierung
über das Thema Afghanistan zustande. Er hätte aber auch über andere Dinge
passieren können. Vor allem in einer Situation, in der die Mehrheit im Senat so
knapp ist, dass das Votum von sieben Senatoren auf Lebenszeit entscheidend
wird.“
Auch <der Vatikan-treue
Christdemokrat und Ex-Ministerpräsident> Andreotti hat sich enthalten und – wie es der Zufall
so will – ist die Gleichstellung der nicht ehelichen Lebensgemeinschaften
(DICO) aus den für Prodi unverzichtbaren 12 Punkten
verschwunden…
„Ja, es ist
klar, dass beide Enthaltungen eine präzise Bedeutung besitzen und eine Mahnung
darstellen, was in den kommenden Monaten geschehen wird.“
Andererseits
gab es das Nicht-Votum von Rossi und Turigliatto <den beiden „dissidenten“
kommunistischen Senatoren> in Sachen Außenpolitik und insbesondere in Sachen
Afghanistan und Vicenza. Auch die FIOM hat sich gegen
die Beteiligung an jener Mission ausgesprochen. Wie beurteilst Du Ihre
Entscheidung?
„Ich denke,
dass in Afghanistan Krieg herrscht und das, was sich für die kommenden Monate
abzeichnet, eine Verschlechterung der Lage darstellt. Sicher, Afghanistan ist
vom politischen Gesichtspunkt aus nicht der Irak. Da kann man sich nicht damit
behelfen, dass man sagt: Wir machen es so wie <der spanische sozialdemokratische Ministerpräsident> Zapatero,
weil Zapatero aus dem Irak herausgekommen ist, indem
er die Intervention in Afghanistan verstärkt hat. Das festgehalten, bleibt es
dabei, dass die FIOM den Abzug der Truppen will. Das
bedeutet allerdings nicht, dass deshalb eine Regierungskrise nötig ist, die ich
im Gegenteil für absolut negativ halte. Und das bedeutet noch weniger, dass wir
sagen, dass diese Regierung in der Außenpolitik genauso ist wie die Regierung
Berlusconi. Jedes Mal wenn die Arbeiterbewegung nicht in der Lage war zu
unterscheiden, ist sie immer ins Unglück gestürzt. Ich bekräftige: Die Position
der FIOM ist ganz klar. Sie deckt sich allerdings nicht mit jener, die die
Position der Regierung sein kann. Mir liegt viel an der Unabhängigkeit und der
Autonomie des Urteils der FIOM – eine Entscheidung, die sich auch in den
Beschlüssen unseres Gewerkschaftskongresses niedergeschlagen hat. Aber zu
sagen, dass es <nur dann> in Ordnung ist, wenn die Regierung
genau das macht, was die FIOM will und es ansonsten besser ist, dass es eine
Regierungskrise gibt, ist ein völliger Blödsinn.“
Auch die
Arbeiter hatten jedoch Zeichen der Unzufriedenheit mit der Regierung und auch
mit der Gewerkschaft gezeigt. Ich denke da zum Beispiel an die Pfiffe im
FIAT-Hauptwerk Turin-Mirafiori <Anfang Dezember 2006>. Ist die Krise in gewisser Weise
auch aufgrund dieser Episoden herangereift?
„Die
Arbeiter (lavoratori) waren nicht begeistert
über diesen Haushalt. Es ist sinnlos sich darum herum zu winden. Und ich
glaube, dass dafür auch die Gewerkschaft Verantwortung trägt. Wenn ihre
Position energischer gewesen wäre, hätte es vielleicht einen besseren Haushalt
gegeben. So war es jedoch und in den kommenden Wochen stehen Verhandlungen über
grundlegende Fragen von gesellschaftlicher Bedeutung auf dem Programm, wie die
Renten und der Arbeitsmarkt. Es ist klar, dass das entscheidende Prüfungen
sind, weil wenn zur Unzufriedenheit über den Haushalt Lösungen hinzukommen
sollten, die Verschlechterungen auf diesen Gebieten bedeuten, dann würde das
Verhältnis zwischen der Regierung und den Arbeitenden in die Krise geraten.
Wie ist die
Stimmungslage jetzt? Sagen wir, dass es große Besorgnis gibt, vor allem unter
den umsichtigeren RSU-Delegierten <“Betriebsräten“>. Die Krise führt allerdings nicht zu einer Revolte.
Schön wär’s, wenn eine Revolte im Anmarsch wäre. Was sich allerdings
akzentuiert ist der Qualunquismus. Diese Kluft zur
Politik wird unter den Leuten und auch unter den Arbeitern immer größer. Wenige
Monate nachdem Berlusconi besiegt wurde, stehen wir vor einer Krise, die
Berlusconi wieder in den Sattel heben könnte. Es ist verständlich, dass sich
die Leute enttäuscht fühlen. Deshalb denke ich, dass die neue Regierung mit Prodi notwendig ist. In dieser Situation an Neuwahlen zu
denken, erscheint mir Wahnsinn.“
Auch
wenn die von Prodi gestellten 12 Bedingungen mehr
nach „rechts“ als nach „links“ zu blicken scheinen?
„Als
Gewerkschaft sage ich, dass diese Dinge (die Hochgeschwindigkeitszugstrecke
TAV, die Renten etc.) diskutiert werden müssen. Ich verstehe jedoch den
Ministerpräsidenten, der sich nach den Ereignissen von `98 und nach wenigen
Monaten an der Regierung in dieser Lage befindet. Ich glaube jedoch nicht, dass
Lösungen existieren, die von heute bis in alle Zukunft eine Garantie
darstellen. Die Dynamik der parlamentarischen Debatte, die Diskussion zwischen
den Parteien und die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften kann man nicht
eliminieren. Prodi hat keine Blankovollmacht. Darüber
hinaus hätte ich als Gewerkschafter zu diesen 12 Punkten eine Menge zu sagen,
aber das wird Teil der Auseinandersetzung sein.“
Dann ist
da das Verhältnis zur Piazza <Straße>. Bei vielen Demonstrationen (gegen die Prekarität,
gegen die US-Basis in Vicenza und den TAV zum
Beispiel) gab es innerhalb der Regierung Reibungen, wegen der Teilnahme einiger
ihrer Mitglieder. Glaubst Du, dass sich die Stellung der Bewegungen gegenüber
der Regierung (oder umgekehrt) ändern sollte?
„Historisch
gibt es in Zeiten einer Linksregierung – und unter anderem haben wir eine
Mitte-Links-Regierung – immer ein kompliziertes Verhältnis zur Piazza. Das ist Teil der niemals
gelösten historischen Fragen. Ich denke weiterhin, dass dieses Verhältnis niemals
mit einer Regierung gleichzusetzen ist und dass es deshalb gut wäre, wenn man
das nicht als Drama erlebt. Im Gegenteil, es wäre ein Drama, wenn es dieses
Verhältnis nicht gäbe. Mit den Bewegungen muss es allerdings eine Dialektik
geben. Es ist dumm, nicht zuzuhören und Bewegungen nicht zur Kenntnis zu
nehmen, die innerhalb der Gesellschaft entstehen. Ich halte das für eine
absolut natürliche Sache. Ich begreife die Dramatisierung dieser Angelegenheit
nicht und habe sie nie begriffen. Und es stimmt, dass die Gewerkschaften der
Transmissionsriemen zwischen Politik und Bewegungen sein können. Unabhängigkeit
und Autonomie bedeuten auch das.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover