Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
soziale Frage bedeutet in der gegenwärtigen Phase überall in Europa
Auseinandersetzung mit prekärer Beschäftigung und (damit verbunden) prekären
Lebensverhältnissen und prekärem Einkommen. Während dabei in Deutschland
aktuell der Kampf gegen die Hartz-Gesetze und die angekündigte Einführung von 1
Euro-Jobs im Vordergrund steht, versucht die Bewegung in Italien seit langem –
neben dem Kampf gegen die Aushöhlung des Kündigungsschutzes (Artikel 18
Arbeiterstatut) und die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, die das Gesetz
Nr. 30 /2003 (Biagi-Gesetz) vorsieht – ein „soziales“ Grund-„Einkommen
für Alle“ durchzusetzen. Dazu fand am 6.November 2004 in Rom eine
landesweite Demonstration statt, die Furore machte. Nicht nur wegen der guten
zahlenmäßigen Beteiligung, sondern auch wegen der „Umverteilungsaktionen“, die
ein Teil der Demonstranten (vor allem aus dem Bereich der autonomen
Disobbedienti) in einem großen Verbrauchermarkt und einer Filiale der
Feltrinelli-Buchhandelskette durchführte. Sie erinnern an ähnliche Aktionen
während der 70er Jahre in Italien und während der Arbeitslosenproteste in
Frankreich 1997 / 98. Und sie zeigen sehr deutlich das zunehmende
Auseinanderdriften der linken Basisbewegung auf der einen sowie der auf
bedingungslose Regierungsfähigkeit und Anpassung an die bürgerliche Mitte orientierenden
Führung von Rifondazione Comunista auf der anderen Seite. Daher wählten die
Organisatoren für sich die Bezeichnung „Große Prekäre Allianz“ (GAP), eine
ironische Anspielung auf die „Große Demokratische Allianz“ (GAD) unter Führung
des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi, der sich Rifondazione
auf Gedeih und Verderb verschrieben hat. (Die Abkürzung GAP gab es – am Rande
bemerkt – in der italienischen Geschichte schoneinmal: als Kürzel der
städtischen militanten Aktionsgruppen des italienischen Widerstandes von 1943
bis 45.)
Da wir
die Erfahrungen und Debatten in Italien gerade auch in punkto Prekarisierung
für sehr wichtig und fruchtbar halten (und sie teilweise fortgeschrittener sind
als hierzulande), präsentieren wir im Folgenden dazu eine Reihe von
Übersetzungen. Wobei klar ist, dass eine schematische Übertragung nicht
sehr erfolgreich sein wird. Hier zunächst den Bericht aus der FIAT-eigenen
liberalen Tageszeitung „La Stampa“ vom 7.11.2004, der trotz und
entgegen der reißerischen und geschmacklosen Überschrift sehr informativ und
wesentlich präziser ist als es beispielsweise der entsprechende Artikel in der
„jungen Welt“ war.
Der
Protest, um bereits in diesem Haushalt die Bereitstellung der notwendigen
Mittel zu erreichen.
Das Volk der Prekären marschiert auf
Rom: „Einkommen für Alle !“
Augenblicke
der Spannung bei der Demonstration der ehemaligen Scheinselbständigen: Ein
Supermarkt und die Feltrinelli-Buchhandlung geplündert.
Die
Gruppierungen der ungehorsamen Linken in der „Großen Prekären Allianz“
vereint.
ROM – Sie wollen ein
soziales Einkommen und sie wollen es bereits in diesem Haushalt. Deshalb sind
gestern einige Tausend Prekäre (die Schätzungen reichen von 8.000 bis zu
50.000, entsprechend den Quellen) durch die Straßen Roms gezogen (von der
piazza della Repubblica bis zur piazza Navona) und trugen dabei in einer
ironischen Prozession die Statue von San Precario (dem Heiligen Prekären) vor
sich her: Eine Puppe aus Pappmaché mit 6 Armen, um damit auszudrücken, dass ein
prekär Beschäftigter 6 Jobs braucht, um den Monat zu überstehen. Am Rande der
Demonstration gab es jedoch einige „Maßlosigkeiten“ und einige Plünderungen,
wie im „Panorama“-Supermarkt und in der Feltrinelli-Buchhandlung.
Durch die Straßen zogen die
ehemaligen Scheinselbständigen (die „Co.co.co.“), die Flexiblen, die
Leiharbeiter, die Lehrer mit befristeten Vertretungsstellen, die in Mobilität
befindlichen Arbeitslosen und die Immigranten. Kurz: diejenigen, die nicht über
die Runden kommen, keine gesicherte Perspektive haben und denen es in Zeiten
hoher Lebenshaltungskosten („caro vita“ / des Teuren Lebens) noch
schlechter geht.
Die Gruppierungen, die den
Protest organisierten, sind die der ungehorsamen Ultralinken, der CUB
(Einheitsgewerkschaftsbund der Basis), der Cobas (Basiskomitees) und des „Rete
per il reddito“ (Netzwerk für das <soziale>
Einkommen), zusammengefasst unter dem polemischen Akronym GAP: Große Prekäre
Allianz. Die Führer sind die „historischen“ Führer der Bewegung: von Luca
Casarini über Francesco Caruso bis zu Nunzio D’Erme und Guido Lutrario <= allesamt führende Vertreter
der autonomen Disobbedienti (Ungehorsamen)> und mit ihnen zusammen der
Antiglobalisierungs-Priester Don Vitaliano Della Sala. Demonstranten kamen aus
allen Teilen Italiens, vor allem aus Turin, Bologna, Neapel, Bari, Cosenza und
auch aus Rom selbst.
Das Problem, das sie
aufgeworfen haben, ist nicht nur das der Prekarität der Arbeit, die sich in
Prekarität des Lebens überträgt, sondern auch das drängende des Rechtes auf
einen minimalen Unterhalt. Deshalb haben sich auch „institutionelle“ Parteien
ihres Anliegens angenommen. Auf der Demonstration präsent waren: die Grünen,
die italienischen Kommunisten <d.h. die Vertreter der von Cossutta und Diliberto geführten
Rechtsabspaltung von Rifondazione vom Oktober 1998, PDCI> und Rifondazione.
„Es ist der Augenblick
gekommen“, behauptete der Abgeordnete der Grünen Paolo Cento während er die
Motive des Protestes erläuterte, „in Italien, wie in allen anderen Ländern
Europas ein garantiertes soziales Einkommen einzuführen, um Alle gegen
Arbeitslosigkeit und Prekarität abzusichern. Dies ist eine Bewegung, die die
hohen Lebenshaltungskosten bekämpfen will und die Italien nach Europa bringt.
Wir Grünen haben einen Änderungsantrag zum Haushaltsgesetz eingebracht, um im
Parlament die Debatte über das soziale Bürgereinkommen zu eröffnen.“
Unruhen hat es während der Demonstration,
die am Nachmittag stattfand (allerdings ohne allzu große Unannehmlichkeiten in
der Hauptstadt hervorzurufen), nicht gegeben. Dennoch müssen einige „Initiativen“
isolierter Gruppen vermerkt werden, die – was das Strafrecht anbelangt –
entschieden zu weit gegangen sind. Am Morgen haben z.B. einige Demonstranten,
die im Bahnhof Tiburtina ankamen, eine „proletarische Enteignungs“-Aktion
im „Panorama“-Supermarkt durchgeführt, der sich in der via dei Monti Tiburtini
befindet. Laut der DIGOS (Abteilung für
Allgemeine Ermittlungen und Spezialoperationen <= in den 70er Jahren ins Leben gerufene
landesweite Politische Polizeibehörde mit rechtsradikalen Tendenzen>) waren 78 Personen an der Aktion beteiligt, die alle
identifiziert wurden. Der Leiter des Großmarktes hat beschlossen, Anzeige zu
erstatten und hat <nun> 90 Tage Zeit, dies zu tun. Es ist richtig, dass die
Aktion „rein demonstrativ“ sein sollte, wie einige Demonstranten erklärten. Bei
den entwendeten Waren handelte es sich allerdings nicht um Lebensmittel,
sondern Hifi-Geräte. <Das trifft nur in wenigen Fällen
zu. Mehrheitlich waren es sehr wohl Lebensmittel !>
Am Nachmittag brachten dann,
während die Demonstration den Largo Argentina passierte, einige Studenten ihre
Abneigung gegen die Copyright-Gesetze und die hohen Buchpreise dadurch zum
Ausdruck, dass sie eine Blitzaktion (mit Plünderung) in der Filiale der
Feltrinelli-Buchhandlung durchführten, die an der piazza geöffnet hatte. Die
Leitung der Buchhandlung hat es vorgezogen, sie gewähren zu lassen.
Einen ähnlichen Protest gab
es in der vorangegangenen Nacht im Bahnhof von Bologna, wo einige Prekäre den
Zug besteigen wollten, den sie in „Precario-Express“ umbenannt hatten,
ohne die Fahrkarte zu bezahlen.
(r.r.)
Vorbemerkung, Übersetzung
und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover