Antifa-AG der Uni Hannover:
Nicht
wenige zeitgeistige „Linksradikale“, die am Montag, den 16.Januar 2006, des Abends
die Fernsehnachrichten verfolgten, werden sich die Augen gerieben haben, waren da
doch „plötzlich“ mehrere tausend klassische Arbeiter (Hafenarbeiter genauer
gesagt) zu sehen, die aus Protest gegen das zweite neoliberale
Hafenreform-Paket („Port Package II“) nicht nur in diversen
europäischen Häfen streikten und eine lautstarke Demonstration in Straßburg
veranstalteten, sondern sich vor dem Europa-Parlament auch militante
Auseinandersetzungen mit der französischen Bereitschaftspolizei lieferten und
auf 100 Metern die Scheiben des Glaspalastes einwarfen. Ausgerechnet die in der
Szene so viel gescholtenen „nationalistischen, rassistischen, sexistischen… weißen
Arbeiter“ aus diversen EU-Staaten praktizierten ohne großes Federlesen das,
wovon deutsche „Linksradikale“ bestenfalls noch träumen – sofern sie nicht
gerade mit der Entdeckung von „Antisemitismus“ und „verkürztem Antikapitalismus“
beschäftigt sind.
Und
die Krönung des Ganzen: Zwei Tage später lehnte das EU-Parlament die besagte Gegenreform,
u.a. aus Angst um „den sozialen Frieden“, ab. Auch in
Zeiten des Neoliberalismus sind also noch Erfolge zu erzielen, wenn man denn
bereit ist, den Kampf ernsthaft aufzunehmen und zu führen und seine Zeit nicht
mit Selbstmitleid und Befindlichkeitspflege verbringt. Näheres dazu in den Berichten
des Nachrichtensenders „N-TV“ vom 16.1.2006 (www.n-tv.de)
und der linken Tageszeitung „junge Welt“
vom 19.1.2006 (www.jungewelt.de).
Montag, 16. Januar
2006
Proteste der Hafenarbeiter:
Gewalt in Straßburg
Während einer grenzübergreifenden Streikaktion
europäischer Hafenarbeiter ist es vor dem Europäischen Parlament in Straßburg
zu gewaltsamen Auseinandersetzun-gen zwischen
Demonstranten und der französischen Polizei gekommen. Dabei wurden drei
Polizisten verletzt, einer von ihnen schwer. Die Demonstranten protestierten
gegen die von der EU-Kommission geplante Liberalisierung von
Hafendienstleistungen. Mit demselben Ansinnen brachten hunderte Streikende den
Betrieb in den größten europäischen Häfen zeitweise zum Erliegen.
Die Sicherheitskräfte in Straßburg gingen mit
Wasserwerfern und Tränengas gegen die rund 6000 Demonstranten vor. An der
Glasfassade des Parlamentsgebäudes habe es Schäden durch Eisstücke und Steine
gegeben, die die Demonstranten geworfen hätten, sagte Parlamentssprecher Jose Liberato. Im Zentrum der Stadt abseits des Parlaments
wurden Autos in Brand gesetzt. "Es hat bereits vorher am Tag einige
Vorfälle in Straßburg gegeben, bei denen einige Fahrzeuge ausgebrannt sind. Wir
befürchten jetzt, dass sich das heute Abend wiederholen könnte, wenn die
offizielle Demonstration vorbei ist", sagte ein Polizist.
Die Hafenarbeiter protestieren seit Tagen gegen eine
neue EU-Richtlinie, der zufolge die Reeder eigene Firmen mit den Ladearbeiten
betrauen können. Bislang dürfen das nur die in den Häfen ansässigen
Unternehmen. Der neue Entwurf sieht vor, dass Lotsendienste, Schleppdienste
oder das Löschen von Ladung an zeitlich befristete Konzessionen gebunden
werden. Der jeweilige Konzessionsinhaber soll nicht verpflichtet werden, die Hafenarbeiter
zu bisherigen Konditionen zu übernehmen. Eine Koalition aus Sozialisten,
Kommunisten und Liberalen im Europäischen Parlament wird am Mittwoch
voraussichtlich gegen die von den Reedereien unterstützte Richtlinie stimmen.
"Ungezügeltes Sozialdumping"
Allein in Rotterdam, dem nach
Umschlag größten Hafen Europas, schlossen sich nach Angaben der
niederländischen Gewerkschaft FNV rund 600 Hafenarbeiter einem vierstündigen
Ausstand an. Dadurch seien die Ver- und Entladearbeiten
an mehreren Container-, Fähr- und Schüttgut-Terminals beeinträchtigt gewesen.
Die Ölterminals seien bis zum Streikende am Nachmittag aber nicht betroffen
gewesen, erklärte ein Hafenvertreter. In Antwerpen im benachbarten Belgien
legte der Streik den nach Umschlag zweitgrößten Hafen Europas lahm. Dort sollte
der am frühen Montagmorgen begonnene Streik mindestens 24 Stunden dauern.
"Alle Hafenarbeiter sind heute im Streik. Schiffe können einlaufen, aber
sie können nicht abgefertigt werden", sagte eine Sprecherin der Hafenbehörde
von Antwerpen.
"Das ist ein ungezügeltes Sozialdumping",
kritisierte der Generalsekretär der Hafenarbeiter im französischen Dünkirchen,
Franck Gonsse, die Richtlinie. "Eine durch und
durch freie Marktwirtschaft", klagte er, "sie nehmen sich, wen sie
wollen, machen mit ihnen, was sie wollen, ohne irgendwelche Regeln."
Dagegen gingen auch ihre Kollegen in La Pallice/La Rochelle am Atlantik auf die Straße. Dort wurde
eine Unterbrechung der Arbeiten für bis zu 48 Stunden angekündigt. Im
spanischen Barcelona, das einen wichtigen Hafen für das Abfertigen von
Kreuzfahrtschiffen sowie den Transport von Gütern und Flüssiggas unterhält,
kamen die Verladearbeiten ebenso zum Erliegen wie in Tarragona, dem größten
Getreidehafen des Landes. In Griechenland legten nach Angaben des Ministeriums
für Handelsschifffahrt alle Arbeiter der großen Häfen Piräus, Thessaloniki und Heraklion auf Kreta für 24 Stunden die Arbeit nieder. Auch
Hafenarbeiter in Schweden, Dänemark und Portugal schlossen sich dem Protest an.
Bereits am vergangenen Mittwoch hatten die
Hafenarbeiter in mehreren Häfen gestreikt. Vor allem der Hamburger Hafen war
davon betroffen.
( http://www.n-tv.de/)
„junge Welt“ 19.1.2006
Klatsche
für Brüssel
Warnstreiks zeigten
Wirkung. Europäisches Parlament lehnte neoliberale Hafenrichtlinie der
EU-Kommission ab. Dennoch droht »Port Package III«
Klaus Fischer
Georg Jarzembowski
war sauer. Der aus Hamburg stammende CDU-Politiker sah finstere Kräfte am Werk:
»Eine unheilige Allianz der Besitzstandswahrer und der Steinewerfer hat sich
durchgesetzt«, erklärte der im höchsten parlamentarischen Gremium Europas für
die Hafenrichtlinie zuständige Abgeordnete am Mittwoch in Strasbourg
und warf zugleich den Gewerkschaften sachlich falsche Argumente vor. Der Grund
seiner Aufregung: Mit 532 von 677 Stimmen hatte das EU-Parlament zuvor Port Package II abgeschmettert.
Neben der ebenso
beschäftigtenfeindlichen »Bolkestein-Richtlinie« zur
Deregulierung des Dienstleistungsmarktes war Port Package
der wohl am heftigsten bekämpfte Brüsseler Verordnungsentwurf. Und er traf auf
eine gut organisierte Front. In den vergangenen Tagen hatten Hafenarbeiter in
ganz Europa aus Protest gegen die Richtlinie ihre Arbeit niedergelegt. Die
Botschaft war im Parlament angekommen, wo der Entwurf nun fraktionsübergreifend
durchgefallen ist.
Jetzt scheint es, daß viele Menschen froh sind: Die Gewerkschaften, weil sie
die Richtlinie erneut verhindern konnten. Die Hafenarbeiter, deren Jobs
allenfalls durch ihre Herren vor Ort, nicht aber durch die Brüsseler
Regulierungsfanatiker gefährdet sind. Politiker, die möglicherweise dazugelernt
haben. Nach der schallenden Ohrfeige im vergangenen Jahr, als die Wähler in
Frankreich und den Niederlanden die EU-Verfassung ablehnten, agieren manche
Volksvertreter vorsichtiger.
»Der Widerstand gegen die
Wildwestliberalisierung der Europäischen Kommission zeigt Erfolge. Mit der
Ablehnung im Europäischen Parlament ist ein erster Schritt getan.
Konsequenterweise müßten jetzt die 532
EU-Parlamentarier auch im Februar die Dienstleistungsrichtlinie ablehnen«,
sagte Ulla Lötzer von der Fraktion Die Linke im
Deutschen Bundestag am Mittwoch in Berlin. »Hoch zufrieden« zeigte sich ver.di-Bundesvorstandsmitglied Jan Kahmann:
»Diese Entscheidung stellt ein positives Signal für hochwertige und
qualifizierte Arbeitsplätze in Europas Häfen und für die Weiterentwicklung
leistungsfähiger Seehäfen dar«, sagte er am Mittwoch in Hamburg. Selbst
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) begrüßte die Ablehnung als
positives Signal für den Wirtschaftsstandort Europa.
In Brüssel, wo solche
Vorlagen am Fließband erdacht und auf die Bewohner der EU losgelassen werden,
dürfte die Ablehnung des Parlaments eher Schulterzucken verursachen. Dort hat
man Zeit und Muße, weiter für das Europa der Konzerne zu arbeiten. Bereits 2003
fiel die erste Variante von Port Package durch. Doch
statt sich sinnvolleren Themen zuzuwenden, verschlimmbesserte man den
Richtlinienentwurf, und los ging es wieder.
Auch jetzt will die
EU-Kommission ihre Bestrebungen nicht aufgeben, das soziale Gefüge in den Häfen
zu ruinieren. In einer ersten Reaktion erklärte EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot, der sich bis zuletzt für das Hafenpaket eingesetzt
hatte, er werde seine Bemühungen zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen
Hafenpolitik fortsetzen. Port Package III scheint auf
dem Weg zu sein. Das sollten die Gewerkschaften durchaus als Drohung auffassen.