Antifa-AG der Uni Hannover:
Die von uns bereits an anderer Stelle
(siehe http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
beschriebene und kritisierte grundlegende Schwäche und Systemimmanenz der
meisten europäischen Linken und des größten Teils der „Bewegung“, die der
herrschenden Klasse u.a. in der EU-Krise die dringend benötigte Atempause
verschafft und sie faktisch zu neuen Vorstößen ermutigt, ist bedauerlicherweise
auch in dem nachfolgenden Leitartikel der linken italienischen Tageszeitung „il
manifesto“ vom 19.6.2005 zu bewundern. Autor ist ihr gegenwärtiger
Direktor und Mitbegründer, Valentino Parlato, der eine lange Geschichte auf dem
linken Flügel des PCI (aus dem er Ende der 60er Jahre wegen „Linksabweichung“
ausgeschlossen wurde), in der daraufhin gegründeten „il manifesto“-Gruppe und
später im PdUP sowie in vielen sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte hatte.
Eine politische Krise
VALENTINO PARLATO
Donnerstag, 16.Juni 2005:
Die 25 europäischen Staaten haben die bereits für den 1.November 2006
festgesetzte Ratifizierung der Europäischen Verfassung auf einen noch
festzulegenden Termin verschoben. Freitag, der 13: Am Tag danach ist das
Abkommen zur Verabschiedung des Gemeinschaftshaushaltes geplatzt. Eine doppelte
Niederlage für das gegenwärtige europäische Projekt. Wir werden sehen, was „Le
Monde“ heute dazu schreibt. Gestern lautete der Titel: „Die 25 frieren die
Europäische Verfassung ein“. Wird die <linksliberale französische> Tageszeitung heute von Eis oder Granit sprechen? Was
Allen (mit bestem Dank für die Oberflächlichkeit Berlusconis) klar sein muss,
ist, dass wir uns in einer politischen (ich betone: in einer politischen und
würde hinzufügen: sozialen) Krise des gegenwärtigen europäischen
Einigungsprojektes befinden. Von einer Finanzkrise zu sprechen oder einzelnen
Staaten (z.B. Großbritannien oder Holland) die Schuld daran zu geben, ist
vollkommen irreführend. Wie viele europäische Führer, unser <Außenminister und Alleanza
Nazionale-Parteichef> Fini inklusive,
bekräftigt haben, handelt es sich um eine politische Krise und als solche muss
sie angegangen werden. Es gibt eine Krise der einzelnen europäischen Staaten,
die an der Union nicht spurlos vorbeigehen kann. Die internationale Situation
ist durch die Globalisierung, verglichen mit den Zeiten des gemeinsamen Europäischen
Marktes von Adenauer, De Gasperi und Schumann, eine vollkommen andere. In
diesem Kontext kann die Erweiterung der Union überstürzt und abenteuerlich
gewesen sein.
Wenn diese Diagnose der
Wahrheit nahe kommt, folgt daraus, dass es keinen Spielraum für
Ausbesserungsarbeiten und Notlösungen gibt und dass die Rettung des Ideals
eines vereinten Europas, das im gegenwärtigen und weltweiten Gleichgewicht /
Kräfteverhältnis eine primäre Rolle spielt, nicht in den Abfalleimer geworfen
werden darf. Aufgrund all dessen muss diese Krisendiagnose allerdings absolut
ernst genommen und mit kühlem Kopf behandelt werden. Die faktische Tatsache
ist, dass das gegenwärtige europäische Verfassungsprojekt die größtmögliche
Kluft zwischen Wirtschaft und Gesellschaft aufweist und dabei die Vorherrschaft
des Marktindividualismus verdeutlicht – entsprechend der Definition von Ronald
Dore in seinem soeben von <der italienischen Theoriezeitschrift> „Il Mulino“ veröffentlichten wertvollen
Aufsatz. Es ist Dore, der daran erinnert, dass Karl Polany in einer seiner
Schriften aus dem Jahre 1944 in der Krise von 1929 das Endprodukt eines langen
historischen Prozesses sieht, durch den sich die Ökonomie zunehmend aus der
Gesellschaft „herausgelöst“ hatte. Heute wie damals, schreibt Dore, „bewegt man
sich auf eine wachsende Loslösung der Ökonomie von den sozialen Kontrollen zu“.
Und der Entwurf der Europäischen Verfassung ist das kontinentale und – wie ich
hoffe – letzte Zeugnis dieser Loslösung / Entwurzelung.
Daher ist es gut, dass das
Übel deutlich geworden ist, dass die Krise als grundlegend politische Krise
ausgebrochen ist. Wenn wir das Ziel eines vereinten Europas retten wollen,
müssen wir die wirklichen und tiefgreifenden Ursachen dieser Krise deutlich
machen und anfangen (das sage ich für unsere Linken) an das zu denken, was auch
innerhalb Italiens und der anderen europäischen Länder geändert werden muss.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover