Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Als „Exilabteilung italienischer Antisemiten“, wie uns kürzlich ein strammer Antideutscher auf Indymedia Germany in kaum verhohlener „Ausländer raus“-Manier nannte, ist es uns eine Freude im Folgenden den Beitrag eines prominenten israelischen Linken zu dokumentieren, der sich ähnlich wahnhafter Attacken prozionistischer Kreise „erfreut“. Die Rede ist vom Genossen Ilan Pappe (Professor für Geschichte an der Universität Haifa und aktives Mitglied der israelischen KP – Maki). Aus Anlass einer Schweiz-Reise Anfang Dezember veröffentlichte die Wochenzeitung der Partei der Arbeit der Schweiz (PdA), „vorwärts“, am 25.11.2005 seine Überlegungen zur Lage in Palästina und zu den Möglichkeiten eines gerechten Friedens.

Die Homepage des „vorwärts“ findet sich unter www.vorwaerts.ch

 

Wir sitzen im selben Flugzeug, ohne Pilot

 

Ilan Pappe.  Welche Perspektiven haben radikale KritikerInnen des „Friedensprozesses“ zwischen Israel und Palästina? Nur der bedingungslose Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten könne die Basis für einen neuen, echten Friedensprozess legen, sagt der israelische Historiker Ilan Pappe. Er kommt Anfang Dezember in die Schweiz.

 

Was momentan in Israel / Palästina vor sich geht, ist eine Parodie von Frieden. In Wahrheit treffen sich einmal mehr die gleichen Politiker in prächtigen Hotels, um mit DiplomatInnen aus der ganzen Welt über Belanglosigkeiten zu palavern. Und immer wieder hört man die gleichen Worte wie „Friedensprozess“, „Evakuierung“, „Rückzug“, „Ende der Besatzung“, Aufbau eines palästinensischen Staates“. Aber auf diesem Gebiet bewegt sich nichts.

 

Diesmal beeilen sich die Mitglieder des „Quartetts“ – die EU, UNO, USA und Russland – Ariel Sharon zu seinem Rückzug aus Gaza zu gratulieren. Und in Israel gibt es Leute der Arbeitspartei und der Bewegung Peace Now!, die dasselbe sagen, nämlich dass sie Sharon nach Belieben walten lassen werden. Der Friedensplan Sharons ist eine doppelte Gefahr: Auf der einen Seite ist er trügerisch, auf der anderen schafft er unter den Menschen eine Illusion, die sie etwas Positives erwarten lässt. Wenn sich herausstellt, dass die Politik absolut keine Veränderung des täglichen Lebens mit sich bringt, wird die Frustration kommen. Die dritte Intifada bahnt sich an.

 

Ein anderes, weniger wahrscheinliches, aber durchaus mögliches Szenario ist, dass die Menschen müde werden und sagen: Lasst uns verhandeln und versuchen, das Maximum herauszuholen. Wir haben genug! Wer in den besetzten Gebieten war, weiß, dass es ein Verlangen nach Normalität gibt, einen Überdruss im Kampf gegen 38 Jahre Besatzung. Es besteht die Gefahr, dass eine palästinensische Delegation sagt: „Einverstanden. Wir nehmen, was man uns anbietet, das ist besser als nichts.“ Schon sind in den Wandelgängen der Ministerien in Ramallah solche Stimmen zu vernehmen. Und das ist noch gefährlicher als die Gewalt. Dieser Kurs kann zur vollständigen Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft führen.

 

Wenn die Israelis grünes Licht erhalten für Sharons Pläne, dann besteht für die PalästinenserInnen die Gefahr, Opfer einer ethnischen Säuberung zu werden. Für die Apartheidmauer wurden bereits 2.000 Familien transferiert. Rund 200.000 PalästinenserInnen werden von der nächsten Etappe des Mauerbaus bedroht. Wenn dieser „Friedensplan“ weiterhin von der EU, den USA, Russland und der UNO unterstützt wird, hat Israel freie Bahn, um mit seiner Politik der ethnischen Säuberung fortzufahren.

 

Es gibt nur einen Weg, Israel zu stoppen. Nicht mit Dialog und auch nicht mit diplomatischen Verhandlungen – das versucht man seit 38 Jahren –, sondern mit Druck, mit Sanktionen, mit Embargos. Indem man Israel dem Südafrika während der Apartheid gleichsetzt. Die diplomatischen Anstrengungen und Verhandlungen der letzten 38 Jahre haben zu nichts geführt, das Friedenslager in Israel ist machtlos, der palästinensische bewaffnete Kampf ist gescheitert. Es gibt nur einen Weg, die PalästinenserInnen zu retten: der israelischen Bevölkerung klarzumachen, dass sie nicht zu den zivilisierten Nationen gehören, solange die Besatzung auch nur einen Tag andauert.

 

Welche Strategien?

 

Das wichtigste Ziel der Solidaritätsbewegung in Europa war lange Zeit, den israelisch-palästinensischen Dialog zu fördern. Das ist noch immer wichtig. Heute aber bitten wir die Solidaritätsbewegung um etwas, was sie noch nie getan hat, nämlich nachzuahmen, was die Solidaritätsbewegung im Falle Südafrikas gemacht hat. Heute geht es darum, Palästina für die PalästinenserInnen zu retten. Wenn dies nicht gelingt, wären nicht nur die PalästinenserInnen, sondern auch die Jüdinnen und Juden in Israel verloren.

 

Erst nach dem Ende der militärischen Besatzung wird eine Versöhnung zwischen den beiden Völkern möglich sein. Heute setzt der Friedensprozess – und damit schließe ich auch die Genfer Initiative mit ein – das Ende der Besatzung mit dem Ende des Konflikts gleich. Das ist falsch. Ein Rückzug wäre einfach das Ende der israelischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Richtige Friedensverhandlungen können tatsächlich erst beginnen, wenn die israelischen Soldaten aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen abgezogen sind. Mit diesen Verhandlungen wird es auf palästinensischer Seite zu einer Reorganisierung kommen.

 

Die PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten repräsentieren nur einen Teil des palästinensischen Volkes. Dieses ist über den ganzen Nahen und Mittleren Osten verteilt. Alle PalästinenserInnen sind Teil dieses Konfliktes. Es war ein grundsätzlicher Fehler des Oslo-Abkommens, die palästinensischen Flüchtlinge und die in Israel lebenden PalästinenserInnen bei der Lösung der Palästina-Frage auszuklammern.

 

Ich plädiere für eine Strategie, die die Probleme der palästinensischen Flüchtlinge ins Zentrum der Friedensverhandlungen rückt und gleichzeitig zur Versöhnung zwischen Jüdinnen / Juden und PalästinenserInnen beiträgt. Ich nenne sie die Strategie der drei „A’s“. Diese stehen für drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn man einen Friedensplan haben will. Das erste „A“ steht für Anerkennung (Acknowledgement). Das heißt das Bewusstwerden, dass es keinen Frieden geben wird ohne die Anerkennung dessen, was die Israelis 1948 gemacht haben. 1948 zerstörten die Israelis 500 Dörfer und vertrieben die dortige Bevölkerung. Das zweite „A“ steht für Verantwortung (Accountability). Die Israelis müssen die Verantwortung übernehmen für das, was sie 1948 getan haben. Das heißt: Das Recht der damals vertriebenen PalästinenserInnen auf Rückkehr. Natürlich können sich die Leute nicht dort niederlassen, wo nun schon andere Menschen leben. Man kann keine neue Ungerechtigkeit begehen, um anderes Unrecht auszubügeln. Dabei geht es nicht nur um Verantwortung. Die Israelis lehnen das Rückkehrrecht ab, weil sie eine jüdische Mehrheit wollen. Viele denken, dass eine Zweistaatenlösung den jüdischen Staat mit einer jüdischen Mehrheit erhalten werde. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir einen einzigen Staat schaffen können, in dem Palästinenser und Palästinenserinnen auf der einen Seite und Juden und Jüdinnen auf der anderen dieselben Rechte hätten.

 

Das dritte „A“ steht für Akzeptanz. Das heißt einerseits, dass Israel von seinen Nachbarn anerkannt wird, und andererseits, dass es akzeptiert, zum Nahen Osten zu gehören. Erst wenn die ersten beiden „A’s“ erfüllt sind, werden die Jüdinnen und Juden das Recht haben, die PalästinenserInnen und die arabischen Welt, um Anerkennung zu bitten. Wir müssen auf unseren Traum verzichten, zu Europa zu gehören. Wir müssen ein integraler Bestandteil des Nahen Ostens werden, ohne Eurovision, ohne europäische Fußballmeisterschaft. Wir gehören zum Nahen Osten und wenn wir das eingesehen haben, werden wir ohne Zweifel aufhören, Mauern und elektrische Zäune zu bauen. Denn die PalästinenserInnen sind nicht die einzigen Gefangenen der Mauer. Auch die Israelis sind Gefangene.

 

DER TEXT BASIERT AUF EINEM REFERAT, DAS ILAN PAPPE IM JUNI <2005> AM SOZIALFORUM IN FRIBOURG <Schweiz> GEHALTEN HAT.

 

 

Vorbemerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover