Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Im 2.Akt der Auseinandersetzung um die landesweite Manifestation gegen prekäre Lebens- und Beschäftigungsverhältnisse am 4.November 2006 in Rom spielte eine bezahlte Anzeige des von Luca Casarini angeführten Teils der Disobbedienti in “il manifesto eine zentrale Rolle. Den 3. Akt leitete eine bezahlte Anzeige der Cobas in derselben Zeitung ein, in der diese ihren kämpferischen und ungeschminkten Aufruftext veröffentlichten. Ironisch könnte man anmerken, dass bezahlte Anzeigen im Postkartenformat offensichtlich derzeit eine sehr subversive Waffe der italienischen radikalen Linken sind. Tatsächlich war die Skandalisierung des Cobas-Aufrufs (den wir nebenstehend dokumentieren) aber nur der Aufhänger der “moderaten” Kräfte und insbesondere – aller Rhetorik zum Trotz – sozialpartnerschaftlichen Mehrheit des größten Gewerkschaftsbundes CGIL. Die Cobas schreiben in ihrer Anzeige nichts, was sie nicht bereits in den Wochen zuvor bei jeder Gelegenheit öffentlich erklärt hatten, ohne dass es zum Stein des Anstoßes wurde. Nun aber stellt sich die Frage, ob Piero Bernocchi von der Confederazione Cobas mit seiner Antwort auf die Zweifel der Disobbedienti am Charakter der Demo noch Recht behält. Er hatte in “il manifesto vom 19.10.2006 bekanntlich erklärt: ”Am 4. November dagegen wird keiner von der Regierung sprechen, während es Leute geben wird, die von der Bühne das Haushaltsgesetz, das Prekäre umbringt und das Damiano-Rundschreiben angreifen werden. Diese Demonstration ist alles andere als sozialpartnerschaftlich und das werden wir klar und deutlich sagen.”

 

In zwei Beiträge für “il manifesto vom 27.10.2006 fassen Carla Casalini und Francesco Piccioni, die beide zum linken Flügel der Redaktion gehören, die Situation jeweils aus ihrer Sicht und auf der Grundlage ihrer Informationen zusammen und versuchen eine Einschätzung. Auf die Übersetzung der wüsten Anti-Cobas-Ausfälle des in Treue fest zur CGIL-Führung haltenden Redakteurs Antonio Sciotto (Titel: “Die Cobas riskieren den 4.November zu ruinieren”) vom Vortag wird hier aus Mangel an Zeit verzichtet. Nur soviel: Es handelt sich dabei um eines von vielen Zeichen für den unschönen Trend eines erheblichen Teils der Redaktion hin zu sozialdemokratischen Positionen, der in einer “kommunistischen Tageszeitung” eigentlich nichts verloren hat.

 

Der 4.November weiter im Rennen

 

Die CGIL ruft dazu auf der Manifestation fernzubleiben. Die Organisatoren bestätigen den Termin aber. Cobas unter Anklage, weil sie der Bündnisdemonstration, die für die Forderung nach “Abschaffung des Gesetzes Nr. 30, des Bossi-Fini-Einwanderungsgesetzes und der Moratti-Reform angesetzt wurde, “andere Inhalte aufbürden” wollten.

 

Francesco Piccioni – Rom

 

Das es nicht leicht sein würde eine nationale Manifestation gegen das Gesetz Nr.30 / 2003, das Bossi-Fini-Einwanderungsgesetz und die Moratti-Bildungsreform zu organisieren hatte man bereits im Juli gemerkt als die Versammlung von „Stoppt die Prekarität jetzt!“ im Brancaccio-Theater in Rom stattfand. Da waren unterschiedliche politische Kulturen und unterschiedliche organisatorische Zugehörigkeiten in einigen Fällen mit großen Differenzen innerhalb derselben Organisation unter einen Hut zu bringen. Selbst der Termin für die Demonstration (der kommende 4.November) war bis zuletzt unsicher.

 

Es wirkte das alte Bewusstsein, dass es einfach ist Einheit herzustellen solange die Rechte an der Regierung ist. Dann überwiegen andere Logiken. Vor allem in der CGIL schien eine gewisse Unzufriedenheit aufgrund der Tatsache offenkundig, dass im Organisationskomitee jener Versammlung bedeutende Branchengewerkschaften und ihre Sekretäre, wie die Metallarbeiter (FIOM), die Schule (FLC) und der Öffentliche Dienst (FP), vertreten waren. Nachdem nach und nach die politische Temperatur rund um vom Haushaltsgesetz aufgeworfene Probleme angestiegen war, wurden auch die Befürchtungen bezüglich der Möglichkeit, sehr unterschiedliche Subjekte zusammenzuhalten, größer.

 

Am Mittwoch ließ die plötzliche Anzeige der Cobas in unserer Zeitung, die dazu aufrief „gegen das Haushaltsgesetz“ und für den „Rücktritt des Ministers Damiano zu demonstrieren, die „mühsame Konstruktion“ eines gemeinsamen Vorgehens auf der Grundlage einer breit geteilten Plattform zusammenbrechen. Schlimmer noch: Sie sorgte dafür, dass die Logiken der Organisationsmitgliedschaften die Oberhand über den Inhalt der Mobilisierung gewannen. Gestern dann gab das Sekretariat der CGIL – einstimmig <d.h. mit Billigung der Vertreter des gemäßigten Teils der CGIL-Linken Lavoro e Società> – eine kurze aber sehr harte Erklärung heraus: „Wenn Personen (der Arbeitsminister Damiano; Anm.d.Red.) und konföderale Gewerkschaften <also die großen sozialpartnerschaftlichen Bünde CGIL-CISL-UIL> kriminalisiert werden, wie es die Cobas getan haben, ist klar, dass eine Entscheidung getroffen wird, zu der die CGIL und alle ihre Untergliederungen auf Distanz gehen, angefangen bei der Demonstration vom 4.November.“ Wenn wir uns nicht mittlerweile im Jahr 2006 befänden, hätte man das als eine regelrechte „Exkommunizierung“ interpretieren können, die in der Lage ist der Aktion am 4. komplett die Flügel zu stutzen.

 

Zum Glück ist das nicht der Fall. Es stimmt, dass die Sekretäre der Branchengewerkschaft für den Öffentlichen Dienst (CGIL-FP, Carlo Podda) und der „Wissensarbeiter“ (CGIL-FLC, Enrico Panini) die Beteiligung ihrer Branchengewerkschaften zurückzogen, nachdem sie das Organisationskomitee – dem die Cobas seit Beginn angehören – erfolglos zu einer Verurteilung der Cobas aufgefordert hatten.

 

Kritik gab es natürlich in Hülle und Fülle. In einer gestern veröffentlichten Erklärung einiger der Initiatoren – Gianni Rinaldini (Sekretär der FIOM), Paolo Beni (Präsident der <landesweiten linken Kulturdachorganisation> ARCI), Tonio Dall’Olio (Libera-Vorstand), Mauro Casola (<vom sozialdemokratischen Studentenverband> UDS), Nicola Nicolosi (Koordinator des Bereiches Lavoro Società der CGIL), Michele Palma (vom Sekretariat des Partito della Rifondazione Comunista – PRC), Giulio Marcon (Vorsitzender von Lunaria), Gigi Sullo (Direktor der Zeitschrift Carta, Fabio Alberti (<Friedens- und Hilfsorganisation> Un ponte per…) – wurden die Cobas beschuldigt, der Demonstration unpassenderweise andere Bedeutungen aufzuladen“, „die intensiv verfolgte Einheit“ zu brechen und „nur Schäden am gemeinsamen Kampf gegen die Prekarität anzurichten.

 

Gleichzeitig „bestätigen wir“ jedoch „die Aktualität des Appells, den wir im Sommer lanciert haben“ und in dessen Zentrum „die Abschaffung des Gesetzes Nr. 30, des Bossi-Fini-Gesetzes und der Moratti-Reform steht. Einen ähnlichen Standpunkt nehmen auch die Basisgewerkschaften SULT, CNL und SIN Cobas ein, die zur „Klarheit und Einheit“ um die „von allen geteilte Plattform“ herum aufrufen und dazu „das Identitätsgefühl“ nicht „die Oberhand“ gewinnen zu lassen.

 

Kurz, mit den Stunden, die vergehen, beginnt die Front der ursprünglichen Organisatoren, den Faden wieder aufzugreifen, der – wie man hofft – am kommenden Samstag 100.000 Menschen <also real 10.000 !> auf die Straße bringen wird. Der andere Bereich der CGIL-internen Linken, das Rete 28 aprile (Netzwerk 28.April) bekräftigt, das es sich „mit großer Überzeugung“ an der Vorbereitung der Aktion „beteiligen“ wird und stigmatisiert das Verhalten der Cobas „dort, wo in inakzeptabler Weise gegen die konföderalen Gewerkschaftsbünde polemisiert wird“. Paola Agnello Modica, Mitglied des CGIL-Sekretariats und historische Exponentin von Lavoro Società sprach dagegen von der „Unmöglichkeit gemeinsame Aktionen“ mit den Cobas „durchzuführen“. Ihr Bereich hingegen „ruft dazu auf sich zu beteiligen und mit Entschiedenheit jeden Versuch zurückzuweisen der Demonstration andere Bedeutungen zu geben“. Rifondazione und der <im Oktober 1998 aus einer Rechtsabspaltung von ihr hervorgegangene> PdCI halten sich auf einer ganz ähnlichen Linie und komplettieren das Bild der relevantesten Unterstützer, was den „numerischen“ Erfolg der Aktion anbelangt.

 

Der Eindruck, der am Ende bleibt, ist der des klassischen „Sturms im Wasserglas“ – so unsympathisch er auch ist. Ein alter Gewerkschaftsaktivist zuckte, auch wenn er die Situation „ein bisschen ein Schlammassel“ nannte, am Ende mit den Schultern: „Jetzt sind wir auf dem Ball, also tanzen wir!“ Seine Argumentation, die aus der langen Erfahrung von Kämpfen und internen Konflikten in den „Bewegungen“ herrührt, ist untadelig: „Es ist nicht so, dass ich die Piazza demjenigen überlasse, der am härtesten auftritt. Wer das tut, will damit sagen, dass er auch vorher schon nicht sonderlich davon überzeugt war.“ Die praktische Konsequenz ist einfach: „Wir müssen noch mehr tun, um die Züge und die Piazza mit Gewerkschaftern voll zu kriegen.“ Weil „diese Inhalte zu wichtig sind“. Kurios – aber auch klassisch – die Interpretation, wie die Dinge wirklich gelaufen sind. Die „Gewerkschafter“ sind der Auffassung „in die Falle der Cobas getappt zu sein“ und umgekehrt…

 

Bemerkenswerterweise in der Spalte für Leserbriefe und Gastbeiträge der „il manifesto“-Ausgabe vom 27.10.2006 äußert sich das Redaktionsmitglied Carla Casalini zu den Hintergründen der innerlinken Auseinandersetzung um die Anti-Prekaritats-Demo am 4.November.

 

BRIEFE:

 

Lügen und Geheimnisse des 4.November

 

Carla Casalini

 

Über das Urteil hinaus (das wir zum Ausdruck gebracht haben) erscheint das Werbeflugblatt der Cobas für die Demonstration am 4.November als ein schizophrener Ausfall, da sie in derselben Zeit, in der sie dieses verfassten, an der Sitzung des Organisationskomitees für den Aktionstag am 4.November teilnahmen.

 

Wenn man versucht zu verstehen (was nicht bedeutet: zu rechtfertigen), kann man die Vermutung aufstellen, das sie den Versuch unternahmen, sich einerseits „nach links“, gegenüber den Kritiken vonseiten der Bewegung (Disobbedienti und andere) abzusichern; aber auch, dass es auch ein ganz anderes Motiv gab: die anstehende Neuwahl der Delegierten, der RSU’en <d.h. der italienischen Variante der Personalräte> und das Bestreiten des Versammlungsrechtes der Beschäftigten im Schulwesen. In dem Flugblatt attackieren die Cobas den Minister Fioroni wegen dessen Entzug der Demokratie, den sie (glaubhaft) dem „Druck von CGIL, CISL und UIL“ zuschreiben. Was diesen Punkt anbelangt haben sie absolut Recht, aber was hat das mit dem 4.November zu tun?

 

Die Plattform der Aktion hat nämlich einen eindeutigen Vorteil: Hier wird zum Beispiel mit jeder lexikalen Haarspalterei Schluss gemacht, indem man direkt die „Abschaffung“ des Gesetzes Nr.30, des Bossi-Fini-Einwanderungsgesetzes und der Moratti-Bildungsreform fordert. Da ist aber noch mehr: Als am 8.Juli 2006 auf der Versammlung in Rom im Brancaccio-Theater begonnen wurde die Koordinaten der Demonstration abzustecken, waren sich die Teilnehmer nicht nur über die Kritik am <Jahreswirtschaftsplan> DPEF einig, sondern nahmen vorweg, dass im kommenden Haushaltsgesetz jede Operation, die mit dem Geist des Planungsdokumentes in Verbindung stände, gleichermaßen kritisiert werde. Kann man heute vielleicht bestreiten, dass das Manöver frei davon ist? Den Eindruck habe ich nicht.

 

Als man allerdings Anfang September begann wieder über die Demonstration zu diskutieren, schien ein neues Problem entstanden zu sein. Nach und nach entfernten sich die Disobbedienti (Ungehorsamen); das Netzwerk der prekär beschäftigten Forscher beklagt sich darüber, nicht mehr vollständig einbezogen worden zu sein (eine Ausnahme bilden die Forscher aus Pisa, die sofort und auch später im Herzen des Organisationskomitees verankert waren). Es beginnt unter den gewerkschaftlichen Organisationen aber auch eine Diskussion über das „Datum“.

 

Ich rede hier nicht von den Parteien, die an dem Komitee beteiligt sind, weil ich persönlich den Kurzschluss ein bisschen unangenehm finde, mit dem Rifondazione und der PdCI das alte PCI-Motto „Partei des Kampfes und der Regierung“ substanziell verbiegen und ihr eine ganz neue Bedeutung geben: Zwei Eisen im Feuer haben / Ein falsches Spiel treiben, d.h. gleichzeitig an der Regierung sein und auf der Straße und so zu versuchen die Rolle als Beteiligte an den Entscheidungen von Prodis Regierungsmehrheit (und mit Sicherheit auch das eigene Leiden) zu überwinden und zu vermengen.

 

Was allerdings die im Organisationskomitee der Manifestation gegen die Prekarität vertretenen Gewerkschaften anbelangt, muss gesagt werden, dass die Versammlung von vorgestern Abend (dem 24.Oktober) sich im gegenseitigen „Respekt“, aber auch in der Bekräftigung der unterschiedlichen Positionen der Demonstrationsteilnehmer einigte. In einer Frage schienen jedoch alle einer Meinung zu sein: dass diese Regierung in Sachen Prekarität im Wesentlichen auf einer Linie mit der vorangegangenen liegt. Übrigens hatten bereits als es um das „Rundschreiben“ des Arbeitsministers Damiano <von der Linksdemokraten (DS)> ging, alle erklärt, dass sie „dagegen“ seien.

 

Dann kam das Flugblatt der Cobas und gestern beeilte sich der Sekretär der <Öffentlichen Dienst-Gewerkschaft> CGIL-Funzione Pubblica, Podda, zusammen mit Enrico Panini für die Schulgewerkschaft FLC-CGIL, den Rückzug von der Demonstration zu erklären und begründete dies mit dem Fehlen einer „Distanzierung des Organisationskomitees“ von dem Ausfall der Cobas. Gerade während die Nachrichtenagenturen genau die „Distanzierung“ des oben genannten „Komitees“ verbreiteten, das jedoch die Beteiligung am 4.November bestätigt hatte. Unter anderem sind in der Gewerkschaft die FIOM, <die gemäßigt linke CGIL-Fraktion> Lavoro Società und <die radikalere linke CGIL-Fraktion> Rete 28 Aprile dabei. Die Gewerkschafter der DS-Linken nicht. Die gehorchten der Partei und dem Sekretariat der CGIL und zogen sich sofort zurück. Die CGIL schließlich, die es gestern gewagt hatte den „Untergliederungen“ anzuordnen, dass sie sich nicht am 4. beteiligen, und dabei die Cobas als Vorwand gebrauchten, verfolgten sofort das Ziel ihnen die Demonstration zu verbieten. Zu diesem Zweck übten sie vor allem in den Roten Regionen starken Druck auf die „Untergliederungen“ aus. Es gibt bei diesen Verboten auch einen Versuch von internen Reglementierungen. Mit Sicherheit der CGIL gegenüber der FIOM (ebenso wie von Rifondazione gegenüber <dem PRC-Mitglied und führenden Kopf des Rete 28 Aprile> Cremaschi).

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Gewerkschaftsforum Hannover