Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Der
vierstündige Generalstreik der großen italienischen Gewerkschaftszentralen
CGIL, CISL und UIL gegen die Wirtschafts- und Steuerpolitik der Regierung
Berlusconi am 30.November 2004 ist die erste große gemeinsame Initiative
nachdem die Positionierung zur (nun wieder unter Romano Prodis Führung) in der
„Großen Demokratischen Allianz“ vereinten Mitte-Linken zu erheblichen
Auseinandersetzungen geführt hatte. Während die CGIL sich erwartungsgemäß sehr
positiv zu diesem Projekt geäußert und Prodi einen inhaltlichen Wunschkatalog
zugeschickt hatte, übten sich CISL und UIL in Distanz, da unter ihren
Mitgliedern gut die Hälfte politisch dem Berlusconi-Lager nahe steht und ihre
Führungen seit jeher grundsätzliche Konfrontationen mit jedweder Regierung
scheuen. So ist ein großer Teil des nachfolgenden Interviews der ehemaligen
PCI-Tageszeitung „l’Unità“ (heute im Besitz der Linksdemokraten – DS)
vom 19.10.2004 mit CISL-Generalsekretär Savino Pezzotta gerade der Frage
des abnehmenden politischen Gewichtes der Gewerkschaften und ihres
Verhältnisses zur Politik gewidmet. Ein auch im deutschsprachigen Raum recht
aktuelles Thema.
Interview
mit Savino Pezzotta:
Das ist unsere Herausforderung an
die Regierung
ROM – Eine Herausforderung an die Regierung. Das ist
laut <CISL-Generalsekretär> Savino Pezzotta der Sinn der Entscheidung, die die
Gewerkschaftsspitze am Montag getroffen hat. Auch die Mitte-Rechts-Koalition
befindet sich, ebenso wie die Gewerkschaft, zwischen Regen und Traufe. (Das ist
eine Feststellung von Tiziano Treu <dem der CISL nahe stehenden ehemaligen Jura-Professor
und mitte-linken Arbeitsminister von 1995 – 98>.) Es gibt ein erneuerungsbedürftiges Land, aber es
gibt auch eine neu zu (be)gründende Vertretung der Welt der Arbeit.
Der weiße Rauch, der
zwischen CGIL, CISL und UIL aufgestiegen ist, hat für Überraschung gesorgt. War
es nicht möglich, das früher hinzubekommen ?
„Die Dinge reifen
entsprechend den Ereignissen. Es gab ein an Prodi gerichtetes Dokument der
CGIL, das Besorgnis ausgelöst hat. Das war etwas Unvorhergesehenes. Sicher, das
war keine illegitime Aktion. Sie belegte allerdings eine Art und Weise sich mit
der Politik ins Verhältnis zu setzen, die anders ist als wir uns das
vorstellen. Sie lief Gefahr die drei Gewerkschaftszentralen auseinanderdriften
zu lassen, mitsamt einer Betonung der Polemiken. Das ist der Grund, warum ich
die Initiative ergriffen habe, um ein Treffen anzuberaumen. Wir mussten die
Möglichkeit ausloten, Ergebnisse zu vermeiden, die am Ende Alle schwächen.“
Ist Euch das gelungen
? Wer hat gesiegt ?
„Das Problem ist nicht, ob
die CISL oder die CGIL gewinnt oder die UIL, wie es einem Schema entspricht,
das den Sportberichterstattern teuer ist. Wir befinden uns in einer heiklen
Phase. Das bipolare <Parteien->System stellt Alle vor Probleme. Daran waren wir
nicht gewöhnt. Man muss in der Lage sein außer dem des Landes auch den
politischen Niedergang der Gewerkschaft zu verhindern.“
Ist ein Rezept dabei
herausgekommen ?
„Das weiß ich nicht. Ich
weiß, dass wir gestern morgen nach sehr langer Zeit eine offene Aussprache
gehabt haben. Keiner hat etwas von seinen Positionen aufgegeben. Wir haben über
alles geredet und das vielleicht zum ersten Mal frei und aufrichtig. Wir haben
nur eine einzige Entscheidung getroffen. Wir haben einen Weg abgesteckt. Es gibt
in diesem Szenario auch die Idee eines Seminars der Sekretariate der
Gewerkschaftsbünde zum Verhältnis von Politik und Gewerkschaft. Das stellt eine
wichtige Tatsache dar. Das ist keine Sache, die niemandem wehtut, wie eine
missgünstige Zeitung (<der
rechtssozialdemokratische> „Il
Riformista“; Anm.d.Red.) geschrieben hat. Das ist <vielmehr> ein Thema, das wir untereinander niemals behandelt
haben. Es ist zumindest notwendig zu begreifen, was die Begrenzungslinie ist,
innerhalb derer man agiert. Es kann der Beginn einer Form von Beziehung
zwischen uns sein, die anders ist als die in den letzten Jahren ausprobierte.
Ohne deshalb den Pluralismus zu liquidieren.“
Neue Regeln, die in der
Lage sind, Missverständnisse und Brüche zu verhindern ?
„Das ist das Problem, das
wir lösen müssen. Wir kommen aus unterschiedlichen Erfahrungen, über die wir
alle zusammen nachdenken müssen.“
Mit einem Land in Sorge.
Was werdet Ihr tun ?
„Die wirtschaftliche
Situation ist beunruhigend, bedrückend. Das sagt die Anzahl der Stunden cassa
integrazione <=
staatlich finanzierte Kurzarbeit Null mit reduzierten Bezügen> und die Anzahl der Betriebe, die schließen. Bei
einer Regierung, die sich in offensichtlichen Schwierigkeiten befindet. Wir
haben die Absicht eine neue Wirtschaftspolitik mit einer anderen Vorstellung
vom Land, von der Industrie und vom Kapitalismus zu vertreten. Und wir wollen
ein – bislang verweigertes – wirkliches Gespräch mit der Regierung. Alle drei
Gewerkschaften haben, mit unterschiedlichen Anspielungen, ein negatives Urteil
über das Haushaltsgesetz gefällt. Nun werden wir eine umfassende Einschätzung
veröffentlichen, die von einigen gewerkschaftlichen Zielen begleitet sein wird.
Eine Art Gegenplattform, an der die Kampfaktionen zu messen sind.“
Bis hin zum Generalstreik
?
„Die Mobilisierung ist in
ihren Formen und Modalitäten noch fest zulegen. Nichts ist ausgeschlossen. Das
Problem ist, die besten Wege zu suchen, um unsere Vorschlage durch die
Mobilisierung zu unterstützen. Wir werden uns nicht darauf beschränken zu
sagen, dass der Haushalt nicht in Ordnung ist.“
Und Verhandlungen mit der
Regierung ? Treu hat in <der Tageszeitung des
Industriellenverbandes Confindustria> „Il Sole – 24 Ore“ von einer Gewerkschaft gesprochen, die sich
zwischen Scilla und Cariddi, d.h. zwei destruktiven Monstern <sinngemäß: zwischen Regen &
Traufe> befindet…
„Wir müssen versuchen eine
politische Initiative zustande zu bringen. Wenn die Regierung dann auf die
Forderungen der Welt der Arbeit und der Rentner nicht eingeht, werden wir zur
Mobilisierung übergehen. Man muss niemandem ein Alibi geben. Unsere Vorschläge
und die Antworten der Regierung müssen klar sein. Das ist unsere
Herausforderung. Auch die Mitte-Rechte befindet sich zwischen Scilla und
Cariddi. Sie spricht ständig von Dialog und in Wirklichkeit lehnt sie das alles
ab.“
Wir befinden uns am
Vorabend von Wahlkämpfen. Die CISL ist immer für mitte-linke Perspektiven
gewesen. Ist mit dem Bipolarismus eine Lagerwahl nicht Pflicht ?
„Vor allem müssen wir im
Bipolarismus bestätigen, dass eine politische Subjektivität der intermediären
Körper, der Gewerkschaften, existiert. Die können wir an niemanden delegieren.
Ich bin nicht Gewerkschaft, um mich auf die Seite des Einen oder des Anderen zu
schlagen. Sie – die politischen Kräfte – sind es, die wählen müssen. Dann
werden die Leute ihr Urteil fällen. Wir können nicht als eine Komponente mehr
(entweder der Regierung oder der Opposition) Teil des politischen Systems
werden. Ich reklamiere meine Eigenständigkeit und Freiheit auch gegenüber
Mitte-Links-Regierungen. Der Bipolarismus verpflichtet mich allenfalls dazu,
klare Vorstellungen zu haben und in der
Lage zu sein, aufzutreten und mich mit den Einen und mit den Anderen
auseinanderzusetzen.“
Gewerkschaftlicher
Niedergang, ist das nicht ein widersprüchlicher Begriff, wenn man an die Anzahl
der Mitglieder und an die Gewerkschaftswahlen <d.h. die RSU-Wahlen> denkt ?
„Ich spreche von politischem
Niedergang.“
Hat es an einer
gemeinsamen Strategie gefehlt ?
„Auch. Aufgrund einer Reihe
von Erfahrungen, aufgrund derer jeder von uns – sehen wir das mal so – meinen
konnte, dass er Recht hat. Jeder hat versucht, einen bestimmten Weg zu
verfolgen. Am Ende behalten wir sicher eine große soziale Verankerung, erleben
aber <zugleich> wie sich unsere politische Rolle ständig weiter
verringert. Das bedeutet, dass wir uns zusammenreißen müssen. Eine Art von
Selbstregulierung, wie ich vorhin sagte. Wir als CISL sind auch nicht gegen
Regeln, was die Repräsentanz <d.h. die gewerkschaftliche Vertretung der Lohnabhängigen> anbelangt. Wir sind gegen gesetzliche Regelungen. Es
gibt ein Land zu erneuern, aber es gibt auch eine Vertretung der Welt der
Arbeit, die neu zu (be)gründen ist. Vor allem durch eine Reform des
Tarifsystems.“
Gestern sind die Namen
von Zielen des Terrorismus <der durch zahlreiche Festnahmen vor einem Jahr weitestgehend zerschlagenen
Brigate Rosse – BR> bekannt
geworden: von Enrico Letta bis zu führenden Mitgliedern der CISL und davor
waren noch andere Gewerkschaftsführer dran, um von <den in der Vergangenheit
ermordeten> Tarantelli, D’Antona
und Biagi gar nicht zu reden. Ist es der gemäßigte Reformismus, der die
kriminellen Gewaltakte anstachelt ?
„Der Reformismus ist das,
was von denjenigen, die Gewalt als Instrument der Politik einsetzen, stärker
angegriffen wird. Weil das Eine dem Anderen entgegengesetzt ist. Der Reformismus
ist nicht im traditionellen Sinne des Wortes gemäßigt. Er ist die Sache
desjenigen, der versucht die Wirklichkeit mit den Werten zu versöhnen. Er hält
Freiheit und Gleichheit zusammen. Er versucht die Dinge graduell zu verändern.
Der Terrorismus ist die Irrationalität der Politik. Das ist ein Diskurs, der
auch für die Kriege gilt.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover