Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
In dem folgenden Interview verteidigt der Generalsekretär des zweitgrößten
italienischen Gewerkschaftsbundes, der christdemokratisch orientierten CISL,
Savino Pezzotta, seine (Anfang Juli verwirklichte) Absicht trotz der anhaltenden
Massenstreikbewegung in Sachen Kündigungsschutz vor der Regierung Berlusconi
zu kapitulieren, die Einheit der drei großen sozialpartnerschaftlichen
Gewerkschaftsbünde aufzubrechen und zusammen mit der UIL (aber ohne
die CGIL) ein entsprechendes Separatabkommen zu unterzeichnen. Die Begründung
für diesen ungeheuerlichen Akt, der den erklärten Willen des Großteils
der italienischen Arbeiter und Angestellten ignoriert und (wenn er Bestand
hat) einen tiefen Einschnitt in der italienischen Sozialpolitik und den gewerkschaftlichen
Beziehungen bedeutet, lieferte Pezzotta in einem Interview für die linksliberale
Tageszeitung “la Repubblica” vom 23.6.2002.
Das Interview:
Der CISL-Sekretär Savino Pezzotta antwortet der Margerite: Die
Schutzbestimmungen bleiben. Die Schäden produziert der Radikalismus
der CGIL.
“Die Politik bestimmt uns
nicht. Die CISL schließt Abkommen für die Arbeiter.”
Roberto Petrini
ROM - Der Bär aus Bergamo verteidigt aus seiner Höhle heraus das
Abkommen, das er im Begriff ist, zu unterschreiben. Er polemisiert mit der
Mitte-Linken und mit den Parteien, antwortet auf Sergio Cofferati und spricht
über den internen Dissens. “Ich fühle mich nicht isoliert”, sagt
der Führer der CISL, Savino Pezzotta.
Enrico Letta hat klipp und klar gesagt, daß die Margerite <ein
Kleinparteienbündnis, das den rechten Flügel des mitte-linken Olivenbaum-Bündnisses
bildet und - mit Francesco Rutelli - deren Spitzenkandidaten stellt>
der Veränderung des Artikels 18 keine politische Deckung geben kann.
Auch Di Pietro ist aufgetreten, um zu verkünden, daß er den Streik
der CGIL unterstützen wird. Befürchten Sie keine Isolierung auf
der politischen Ebene ?
“Für die CISL gibt es kein Isolationsproblem auf der politischen Ebene.
Ich fühle mich nicht isoliert. Die CISL ist eine Gewerkschaft, die ihre
Entscheidungen in voller Autonomie trifft. Wir haben niemals von irgendjemandem
eine politische Deckung verlangt. Ich glaube, daß die Politik uns gegenüber
denselben Respekt haben sollte, den wir ihnen gegenüber bewahren. Wir
haben den Parteien niemals gesagt, welche Art von Abkommen sie abschließen
dürfen.”
Dennoch gibt es zwischen der politischen Linken und der Welt der Arbeit
eine unvermeidliche Beziehung und viele sind der Meinung, daß ein Kanal
offen bleiben sollte. Glauben Sie das nicht ?
“Ich halte die Kanäle zu allen reformistischen Kräften offen. Aber
der Kampf wird auch geführt, um sich nicht in den Strudel des Radikalismus,
der zu nichts führt, mit hineinziehen zu lassen.”
Apropos Isolation: Berlusconi hat gestern erneut gesagt, daß die
CGIL isoliert sei.
“Dieses Thema der Isolation interessiert mich nicht. Ich sage, daß
wir unterschiedliche Positionen haben. Die CGIL hat den Weg des Selbstausschlusses
gewählt und hat die Verantwortung dafür übernommen. Punkt
und Absatz.”
Beschäftigen wir uns mit den Gegenleistungen. Ist eine Erhöhung
der Arbeitslosenunterstützung von 30 auf 60% nicht ein bißchen
zu wenig, um ein Abkommen dieser Tragweite zu unterschreiben ?
“Die 1,5 Billionen Lire <ca. 770 Millionen Euro> für die sozialen
Abfederungen sind keine Kleinigkeit. Man baut ein neues System von Abfederungen
auf, um die Personen zu begleiten, die ohne Arbeit bleiben und wir werden
das in der Weise machen, daß sich die Mittel <dafür> in
der Folgezeit erhöhen. Es wäre bereits vor einigen Jahren notwendig
gewesen, diesen Weg zu beschreiten.”
Die Senkung der Steuern, die die andere Gegenleistung sein sollte, besteht
vorläufig nur in Ankündigungen.
“Stattdessen haben wir die Zusicherung, daß man beginnen wird über
niedrigere Steuersätze und über die Familien nachzudenken und das
ist nicht gerade verachtenswert. Wir werden weiter daran arbeiten, daß
es gelingt <bei den Steuersätzen> Elemente von Progressivität
einzuführen, die uns am Herzen liegen.”
Cofferati hat das als einen frevelhaften Pakt bezeichnet.
“Diese Töne, die Tatsache, daß sich jemand das Recht anmaßt
zu sagen, daß Andere frevelhafte Sachen machen, die begreife ich nicht.
Es war falsch, daß die Entscheidungen der Gewerkschaft politisiert
wurden als die <Gewerkschafts-> Kongresse stattfanden. So sind die
Beziehungen auch unter uns erschwert worden. Wenn sich die Auseinandersetzungen
radikalisieren, ist das für niemanden gut. Wir hätten alle verhandeln
sollen. Dann hätten wir mehr Ergebnisse erreicht.”
Man spricht von Zweifeln innerhalb Eurer Basis, vor allem im Norden.
“In einer großen Organisation wie der CISL ist es nützlich und
legitim, daß es Meinungsverschiedenheiten gibt, weil es bedeutet, daß
wir eine große demokratische Organisation sind. Das, was mir Sorgen
bereitet, sind die Organisationen mit Einheitsmeinung. Sie machen mir den
Eindruck als ob alle in derselben Weise denken.”
Man diskutiert über die Formel des “Erfüllt nicht !” <die
Bedingungen, damit der Kündigungsschutz greift>, auf Grundlage
dessen - laut dem Vorschlag der Regierung - beim Artikel 18 die über
die 15 Beschäftigten hinausgehenden Neueingestellten nicht gezählt
werden. Ist das nicht ein Taschenspielertrick, der am Ende in jedem Falle
eine Bresche in das “Statut” reißt ?
“Warum sagen wir nicht, daß das ‚Erfüllt nicht !‘ seit langem
benutzt worden ist ? Und daß es für das ganze Arbeiterstatut
galt und nicht nur für den Artikel 18 ? Diesem Prinzip wurde von
allen drei Gewerkschaften stattgegeben: 1984 für die <prekären
Pseudo-> Ausbildungs-Arbeitsverträge, 1997 für die Lehrzeit
und im Jahr 2000 für die gemeinnützigen Arbeiter <LSU; in befristeten
staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beschäftigte>.”
Berlusconi hat von Sevilla aus gesagt, daß die Unterschrift kurz
bevorsteht.
“Jetzt müssen wir die Konsultation <der Mitgliederbasis> machen,
unsere Gremien versammeln und dann beurteilen wie in den Verhandlungen fortzufahren
ist. Unterdessen haben wir es als interessant beurteilt, daß man den
Artikel 18 nicht anrührt - etwas, das im vorherigen Vorschlag der Regierung
nicht der Fall war. Es wird eine dreijährige Phase des Experimentierens
beginnen, die überwacht werden wird, um zu überprüfen, ob
sie es erlaubt, die Dimension der Unternehmen und die Beschäftigung
zu erhöhen.”
Vorbemerkung, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover