Antifa-AG der Uni Hannover:
Die Bertelsmann-Stiftung
ist eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste Denkfabrik der herrschenden
Herrschaften in diesem Land. Sie bearbeitet quasi das gesamte politisch-militärische,
ökonomische, soziale und kulturelle Themenspektrum (siehe ihre sehr empfehlenswerte
Homepage http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/bst).
Da fehlt es natürlich auch nicht an Einschätzungen und Empfehlungen zum Thema
Libanon-Krieg und Palästina. Besonders interessant finden wir die Ratschläge,
die Christian Peter-Hanelt
am 23.8.2006 den zuständigen
Strategen im Auswärtigen Amt (und ihren Verbündeten) bezüglich der „UN-Schutztruppe“ für den Libanon
(sprachliche Analogien zu den „Schutztruppen“
des deutschen Kaiserreiches sind angesichts des grassierenden Neokolonialismus
unvermeidlich!) mit auf den Weg gibt. Deren Aufgabenkatalog und Vorgehensweise
ist nämlich (aufgrund des misslungenen zionistischen Feldzuges) noch reichlich
unklar.
Die Vordenker der Bertelsmann-Stiftung haben aber
auch detaillierte Strategievorschläge in der Palästina-Frage parat. Frisch
präsentiert und diskutiert am 14./15. Juli 2006 bei den „10.Kronberger
Gesprächen“ (siehe http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_17848_17849_2.pdf).
UN-Schutztruppe im
Süd-Libanon braucht politische Führung
Nahost-Experte Christian Peter-Hanelt
über die Entsendung einer Schutztruppe unter italienischer Leitung in den
Süd-Libanon
Die
zukünftige Schutztruppe der Vereinten Nationen für den Süd-Libanon braucht eine
politische Verankerung im Quartett der Vermittler und eine Einbettung in ein
System des Konfliktmanagements im Nahen Osten.
In der
andauernden Diskussion um Aufgaben und Umfang der Blauhelm-Truppe macht es Sinn
zu reflektieren, wo und wie die Schutztruppe wirklich effektiv sein kann.
Die zukünftige UN-Schutztruppe im Süd-Libanon braucht nicht nur einen klaren
Arbeitsauftrag und Handlungsfreiheiten (robustes Mandat), eine schlagkräftige
Truppe (militärisch geführt durch die Europäische Union via Italien), die
dieses Mandat umsetzen kann und die von den Konfliktparteien wirklich
respektiert wird, sondern auch eine einflussreiche politische Führung durch und
eindeutige politische Verortung im Quartett der Vermittler für den Nahost
Konflikt.
Warum
das Quartett führen soll?
Die
Konflikte im Nahen Osten hängen wie ein sensibles Uhrwerk miteinander zusammen.
Das zeigt die Analyse, dass im Israel-Hisbollah-Krieg
Stellvertreter-Konflikte mit und in der gesamten Nahost Region ausgetragen
worden sind beziehungsweise werden, und dass im Schatten des fragilen
Waffenstillstandes im Süd-Libanon noch ein Israel-Hamas-Kleinkrieg
läuft, der die internationale Gemeinschaft daran erinnern mag, dass die
ungelöste Israel-Palästina-Frage als Hauptkonflikt im Nahen Osten gilt. Für die
Vermittlung hat sich das Quartett als tragfähigster Mechanismus herausgestellt.
Auch wenn ihm die politische Rückendeckung aus den Hauptstädten fehlt, bündelt
das Quartett gute Qualitäten und Fähigkeiten für das Konfliktmanagement: Die
USA repräsentieren die militärischen Fähigkeiten, die Europäer die politische
Glaubwürdigkeit, gute Beziehungen zu Israel und zur arabischen Welt und die
Macht der Wirtschaftshilfe in der direkten Nachbarschaft zum Nahen Osten.
Russland unterhält gute Beziehungen zu Iran und Syrien, während die Vereinten
Nationen die Legitimation bieten und jetzt auch von Israel mehr akzeptiert
werden.
Trägt das Quartett die politische Verantwortung für das Konfliktmanagement
aller Konflikte im Nahen Osten, so ist eine Reaktion besser koordinierbar, und
an die gesamte Region wird das Signal gesendet, dass das Quartett und damit die
Internationale Gemeinschaft erkennen, dass die Konflikte im Nahen Osten miteinander
in Verbindung stehen.
Was
müssen die internationale Schutztruppe und das Quartett im Libanon leisten?
Es ist wichtig, dass die Blauhelme für den Libanon eine Arbeitsagenda und
Handlungsmöglichkeiten erhalten, die ihnen bei den Konfliktparteien Respekt
verschaffen. Deshalb muss die UN Resolution 1701 unbedingt durch eine zweite
Resolution schnell spezifiziert werden. Die Blauhelme müssen in der Lage sein,
die libanesische Armee so auszubilden, auszurüsten und zu stärken, dass sie die
Hisbollah-Kämpfer integrieren, neutralisieren und entwaffnen können sowie der
libanesischen Armee dabei zu helfen, den Waffenschmuggel insbesondere an der
Grenze zu Syrien für die Hisbollah zu unterbinden.
Auf der politischen Ebene benötig das libanesische Gemeinwesen Unterstützung
durch das Quartett für einen inner-libanesischen Dialog. Dieser soll den
Versöhnungsprozess zwischen den unterschiedlichen konfessionellen und
ethnischen Gruppen wieder aufnehmen. Darüber hinaus sollte er an die
politischen Errungenschaften der Zedern-Revolution anknüpfen und mittels mehr Engagement für Rechtsstaatlichkeit und Institutionsaufbau zu
einem besser funktionierenden Staatswesen beitragen, in dem die libanesische
Armee als Armee des gesamten Staates agieren kann. Um dies zu erreichen, muss
eine Volkszählung stattfinden. Sie wird ergeben, dass dem schiitischen
Bevölkerungsanteil mehr Machtbefugnisse zustehen. Die EU kann die Instrumente
des Partnerschaftsabkommens mit dem Libanon im Kontext der Euro-Mediterranen
Partnerschaft für die Unterstützung des politischen Prozesses einbringen.
Das
Quartett braucht eine Syrien-Strategie
Es hat sich gezeigt, dass Syrien über Hisbollah als "Troublemaker" Konflikte
jederzeit schüren kann. Syrien will internationale Anerkennung als regionale
Macht, Einfluss im Libanon, die von Israel besetzten Golan-Höhen zurück sowie
die Hilfe Europas bei der Transformation der Wirtschaft. Das syrische Regime
hat sich jedoch als ein schwieriger Partner erwiesen - auch weil es weiß, dass
es jetzt gerade beim Konfliktmanagement in der Libanon- und Palästina-Frage an
Bedeutung gewinnt. Vielleicht sollte die Diplomatie überlegen, Syrien durch
eine Rolle in der UN-Schutztruppe für den Süd-Libanon direkt in Verantwortung
einzubinden.
...
und was tun mit dem Iran?
Mit Blick auf den Iran benötigt das Quartett eine Strategie, wie mit dessen
Regierung umzugehen ist - in Koordination mit den laufenden Bemühungen des
UN-Sicherheitsrates und Deutschland um die Beilegung des laufenden Atomstreites
mit Teheran. Es hat sich gezeigt, dass der Iran über die Hisbollah auch an
Israels Grenzen für Konfliktstoff sorgen kann. Alle Akteure im Nahen Osten und
in der Golf Region machen sich Sorgen wegen des Atom-Programmes.
Der Iran will internationale Anerkennung als regionale Macht, diplomatisch
durch die Vereinigten Staaten anerkannt werden und durch einen
Nicht-Angriffspakt mit den USA vor "Regime-Change" geschützt sein. Der Israel-Hisbollah-Krieg kam und kommt der Ahmadinejad-Fraktion deshalb gelegen, weil die
Aufmerksamkeit und der Druck vom Streit um sein Atom-Programm genommen wird. Darüber hinaus zeigt der Iran dem Westen, über welches
Potential er verfügt, um im Südlibanon, den Palästinensergebieten, Irak und
Afghanistan Konflikte zu schüren.
Der UN-Sicherheitsrat und Deutschland erwarten vom Iran eine Antwort auf das
europäische Angebotspaket zur Beilegung der Atomstreitfrage. Zu erwarten ist,
dass Teheran mit "ja, aber ..."
antworten wird, um einen neuen Dialog und vielleicht einen neuen
Verhandlungsprozess einzuleiten. Leider hat noch kein amerikanisch-iranischer
Dialog begonnen, wie ihn US-Außenministerin Condoleezza
Rice vor Wochen ankündigt hat. Leider hat auch
Teheran bisher keinerlei vertrauensbildende Maßnahmen an den Westen
übermittelt, sondern verunsichert stattdessen durch die unentschuldbare
Rhetorik des iranischen Staatspräsidenten, Israel solle vernichtet werden.
Trotzdem sollte die Diplomatie überlegen, ob der Iran positiv in das
Konfliktmanagement im Libanon eingebunden werden kann, indem ihm eine Rolle in
der UN-Schutztruppe oder/und im politischen Prozess überantwortet werden kann.
Modell
auf Gaza-Israel übertragen
Das Modell internationalen Konfliktmanagements in Form einer Schutztruppe für
den Süd-Libanon sollte auch auf Gaza-Israel angewandt werden:
·
Es gibt eine ähnliche asymmetrische Konfliktlage: eine Guerilla,
die mit Raketen gegen eine hoch technisierte Armee kämpft.
·
Es gibt keine funktionierende Zentralgewalt und somit auch keine
einheitliche palästinensische Polizei, die die Autorität des Rechtes
durchsetzen könnte.
·
Wie beim schwierigen Verhältnis der Hisbollah zu den anderen
Parteien im Libanon so gestaltet sich auch die Beziehung zwischen Hamas und
Fatah in den Palästinensergebieten als spannungsgeladen.
·
Die Differenzen zwischen den gemäßigten und den radikalen
Flügeln innerhalb von Hisbollah und Hamas schwanken. Beide Gruppierungen sind
sozial verwurzelt, tragen politische Verantwortung und haben Armeen im Einsatz.
·
In den palästinensischen Gebieten kommt als Besonderheit hinzu,
dass es noch keinen palästinensischen Staat gibt und weite Teile der
palästinensischen Gebiete unter israelischer Besatzung stehen.
·
Gute Erfahrungen hat das Quartett im Konfliktmanagement mit
Pilot-Ausbildungsprojekten für die palästinensische Polizei und EU-Zöllner
gemacht, die in Rafah die Grenze zwischen Gaza und
Ägypten kontrollieren.
Eine
internationale Schutztruppe unter politischer Verantwortung des Quartettes
könnte zwischen Palästinensern und Israelis deeskalierend
wirken:
·
Die reguläre palästinensische Polizei kann umfassend
ausgerüstet, ausgebildet und gestärkt werden, so dass sie in der Lage ist, die
radikalen Kämpfer von Hamas bis Fatah zu entwaffnen und gegebenenfalls zu
integrieren.
·
Diese Integration in eine einheitlich geführte Polizei kann
begleitet werden.
·
Die palästinensische Polizei kann darin unterstützt werden, die
Gebiete im Gaza-Streifen unter ihre Kontrolle zu bringen, in denen Hamas
Kämpfer autonom agieren und Raketen-Abschussrampen unterhalten.
·
Die palästinensische Polizei kann bei weiteren Grenzkontrollen
im Kampf gegen den Waffenschmuggel und den Tunnelbau unterstützt werden.
·
Das Quartett (und Israel) können den nationalen Dialog zwischen
Fatah und Hamas - die eine große Koalition der gemäßigten Kräfte zu bilden
versuchen - politisch so unterstützen, dass die palästinensische Gesellschaft
auch wieder politisch handlungsfähig wird.
Der Israel-Hisbollah-Krieg hat von heute aus gesehen keinen
eindeutigen Sieger hervorgebracht. Der Krieg hat die Konflikte im Nahen Osten
noch komplizierter und wieder einmal deutlich gemacht, dass die internationale
Gemeinschaft - hier das Quartett für den Nahen Osten - als dritte vermittelnde
Kraft gebraucht wird. Jetzt sind die USA, die Europäische Union, Russland und
die Vereinten Nationen gefordert, ihrem Quartett mehr politische Kraft und
öffentliches Profil zu verleihen.
Vorbemerkung:
Antifa-AG der Uni Hannover