Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Die Besetzung der Fähre „Pascal Paoli“ und ihre Überführung nach Bastia auf Korsika durch in der korsischen Gewerkschaft STC organisierte Seeleute am 27.September 2005 sowie ihre Enterung durch französische Spezialeinheiten noch auf See hat international für Aufsehen und eine breite Solidarisierung (insbesondere der linken französischen Gewerkschaftszentrale CGT) gesorgt. Über  die Hintergründe dieser spektakulären Protestaktion gegen die Privatisierung der staatlichen Fährgesellschaft SNCM und die Lage auf Korsika interviewte die Pariser Korrespondentin der kommunistischen italienischen Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 2.10.2005 den linken korsischen Dokumentarfilmer Daniel Peressini.

 

Gewerkschafter im Angriff

 

„Aber dies ist nicht die Insel von Tortuga.“

Es spricht der korsische Regisseur Daniel Peressini.

 

ANNA MARIA MERLO – Paris

 

Das von der Regierung Villepin gegen die korsischen „Piraten“ der Gewerkschaft STC geführte Seegefecht hat den Vorurteilen, die das kontinentale Frankreich noch immer gegenüber Korsika hegt, einen weiteren heftigen Schub versetzt. Daniel Peressini, Regisseur und Autor verschiedener Dokumentarfilme über Korsika (darunter „J’ai ete militant clandestin“ <Ich war Untergrundaktivist> und „L’Ile sur le feu“, was im Französischen wie ein Wortspiel zwischen der wörtlichen Bedeutung „Die Insel auf dem Feuer“ und der übertragenen Bedeutung „Öl aufs Feuer“ klingt) ist über die Situation Korsikas (woher er stammt) verbittert. Dort „regiert heute die Rechte, obwohl die Linke gewonnen hat und der Präfekt tut alles, damit die Politiker nichts tun“. Auf einer Insel – fügt er hinzu –, die „in den Ranglisten bezüglich der Anzahl der AIDS-Kranken, der Abtreibungen, der Menschen, die vom Mindesteinkommen leben, der Armut und der Fehlzeiten, an der Spitze steht“.

 

Der Staat will die SNCM privatisieren, die beschuldigt wird, Verluste anzuhäufen. Befindet sich die Fährgesellschaft, die Korsika mit dem Kontinent verbindet, wirklich in einem so schlechten Zustand ?

 

„2004, als 25 Tage lang gestreikt wurde, erreichten die Verluste 30 Millionen Euro. In den vorangegangenen Jahren machte die SNCM aber auch Gewinn. Und dennoch hat der Staat (der bislang 100% kontrolliert) alles dafür getan, dass sie stets von Inkompetenten geleitet wurde. Die SNCM musste mit dem Ende des Monopols 1996 fertig werden. 2002 war sie die einzige, die den Wettbewerbsbedingungen der Auftragsvergabe für die öffentlichen Transportlinien entsprach. Das bedeutete Verpflichtungen – die regelmäßigen Fährverbindungen die Woche über zu garantieren, auch wenn die Fähre dabei leer verkehrte, wofür die lokalen korsischen Behörden Subventionen zahlen. Es findet eine ständige Vermengung der Verluste und der Subventionen statt, die sie für die Aufrechterhaltung der territorialen Kontinuität erhält – Subventionen, die den Kosten für einen Eisenbahnkilometer entsprechen.

Das ist eine Maßnahme, die zu Zeiten von Giscard d’Estaing eingeführt wurde und die auch der private Konkurrent (die Corsica Ferries) bezieht, wenn er der die Überfahrten durchführt, die als öffentlicher Dienst betrachtet werden. Es ist deshalb skandalös, Verluste und Subventionen miteinander zu vermengen und die Situation des privaten Konkurrenten Corsica Ferries, der aufgrund der Arbeitsbedingungen und der Undurchsichtigkeit der Buchführung mit Sicherheit kein <nachahmenswertes> Beispiel ist), obendrein als positiv darzustellen. Ich möchte nicht, dass die Globalisierung zu einem Synonym für die Rückkehr zu Arbeitsbedingungen wie zu Zeiten von Spartakus wird.“

 

Warum hat der STC zur Entführung / Beschlagnahmung des Schiffes gegriffen ?

 

„In Wirklichkeit gibt es zwei Entführungen / Beschlagnahmungen: die des Schiffes, das ein Arbeitsinstrument ist und die der öffentlichen Gelder, gerade bei dem laufenden Privatisierungsprojekt. Und die erste Entführung lässt die zweite, sehr viel gravierende, vergessen. Die Entführung des Schiffes ist so wie die Besetzung einer Fabrik, da sie für die Seeleute eine Arbeitsstätte ist. Der Staat hingegen wollte die SNCM, die 400 Millionen Euro wert ist, für ein Stück Brot verkaufen: für nur 35 Millionen Euro. Und obendrein hatte der Staat – durch die Zahlung von 113 Millionen Euro – die Schulden übernommen. Kaufen sollte sie – vor dem Protest – die mit <Frankreichs Premierminister> verbändelte Butler-Gruppe. Die Sozialistische Partei (PS) wird eine parlamentarische Untersuchung fordern, weil es scheint, dass der libanesische Clan des verstorbenen <Politikers und Großkapitalisten> Hariri dahinter steht, der ein Freund Chiracs war <und zu den Finanziers von dessen Präsidentschaftswahlkampf gehörte>. Das ist der Ausverkauf der französischen Handelsmarine an irgendeinen Freund. Und zwar zu einem ‚Freundschaftspreis’.“

 

Wie erklärst Du die Position des STC zur „Korsisierung“ der Arbeitsplätze ?

 

„Der STC hat niemals die Ethnisierung der Neueinstellungen gefordert, die Faschismus wäre, sondern dass die in Korsika Wohnenden (nicht die Korsen!) bevorzugt werden. Das Problem ist, dass es die korsischen Lokalbehörden sind, die die Fähren subventionieren und die Gewerkschaft es daher als normal betrachtet, dass sie – in Form von Beschäftigung – in eine Region zurückfließen, in der es keine Arbeit gibt und auf der das Handicap der Insellage lastet.“

 

Warum hat es den Anschein, dass die Zukunft Korsikas blockiert ist ?

 

In Frankreich wurden seit jeher korsische Bürger gefördert, aber niemals Korsika. Für die Rechte wie für die Linke oder für Europa hat alles, was nicht Tourismus ist, keinen Platz. Sie möchten aus Korsika das Las Vegas des Mittelmeers machen. Die Korsen wollen dieses Schicksal der Balearisierung <d.h. der Angleichung an Mallorca, Menorca oder Ibiza> nicht. Heute sind – zum ersten Mal seit 30 Jahren alle Gewerkschaften im Protest vereint. Die Intervention der Armee in den sozialen Konflikt hat den Nationalisten einen Dienst erwiesen, denen mittlerweile die Luft ausgegangen war. Aber auch jenseits des Falles SNCM gibt es auf Korsika eine schreckliche, allgemeine Unzufriedenheit, einen Mangel an Perspektiven für die Jugendlichen. Wenn die vier festgenommenen Gewerkschafter ins Gefängnis gesteckt worden wären, hätte es eine Explosion gegeben, vielleicht sogar mit Toten.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover