Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Einige Korrekturen an den Privatisierungen, Deregulierungen und der Austerity-Politik der letzten Jahre, die in den letzten Monaten stattfanden, werden in Teilen der Linken und der Antiglobalisierungs- bzw. neuerdings Alter(nativ)-Globalisierungsbewegung bereits als Zeichen für eine “schwere Krise” oder gar “das Ende des Neoliberalismus” gehalten. Zu diesen Maßnahmen gehört ohne Frage die Teilkorrektur der New Labour Party in Sachen Eisenbahnprivatisierung. Dazu wie diese Maßnahme tatsächlich einzuordnen und zu bewerten ist, kann der stellvertretende Vorsitzende der britischen Transportarbeiter-gewerkschaft RMT, Pat Sikorski einiges sagen. Wobei man wissen sollte, daß die dem TUC angehörende RMT (Website: www.rmt.org.uk/gfx/home.shtml) zusammen mit der Feuerwehrgewerkschaft FBU (www.fbu.org.uk) in Großbritannien den entschlossensten Teil des linken Flügels der Gewerkschaftsbewegung darstellt und auch, wie im März 2003, vor gemeinsamen Aktionen mit nicht dem EGB angehörenden linken Basisgewerkschaften nicht zurückschreckt.

Das folgende Interview mit dem Kollegen Sikorski erschien in der von Rifondazione Comunista” herausgegebenen Tageszeitung “Liberazione” vom 26.10.2003.


Im Gespräch mit Pat Sikorski, der Nummer 2 der Rail Maritime Transport-Gewerkschaft (RMT).


Ein Schritt in die richtige Richtung”


London (Unser Dienst) – Pat Sikorski trägt einen Anzug aus dunkelgrünem Samt. Er spricht ein klares und samtweiches Englisch. Nichts zu sehen von den farbigen und pittoresken Tönen, die seinen Chef Bob Crowe, den Generalsekretär der Rail Maritime Transport-Gewerkschaft, auszeichnen, deren stellvertretender Vorsitzender er ist. Mit seinen kleinen Brillengläsern und der Ledertasche würde er eher wie ein Universitätsprofessor denn als Gewerkschaftsführer wirken, wäre da nicht die unvermeidliche Anstecknadel mit dem grün-goldenen “RMT”-Logo an der Jacke. Politisch wird er in die nicht-stalinistische Linke hineingeboren. Zuerst ist er in der <trotzkistischen> International Marxist Group (IMG) aktiv, dann schließt er sich zusammen mit Tariq Ali, der <linkssozialdemokratischen> “Socialist Challenge”-Gruppe an. Und eine kurze Zeit lang unterstützt er den ehemaligen Bergarbeiterführer Arthur Scargill und die Socialist Labour Party (SLP), d.h. den x’ten gescheiterten Versuch die zersplitterte britische Linke zu vereinen. Paralellel dazu macht er Gewerkschaftsarbeit im öffentlichen Gesundheitswesen. In den 80er Jahren wird er zu einem Kader der RMT-Gewerkschaft.


Die Transportgewerkschaften erleben gegenwärtig, im Gefolge der Entscheidung von Network Rail (der öffentlich-rechtlichen Einrichtung, die das Management des britischen Eisenbahnnetzes überwacht; Anmerkung der Redaktion) die Instandhaltung des britischen Eisenbahnnetzes “inhouse” zu holen (d.h. in die Behörde einzugliedern; Anm.d.Red.) Augenblicke regelrechter Euphorie.


Kann man von einer Wiederverstaatlichung der Eisenbahnen sprechen ?


Nicht ganz, aber sicherlich ist das ein Schritt in die gewünschte Richtung. Jetzt wollen wir, daß auch die Renovierungsverträge öffentlich gemacht werden. Um ein Beispiel zu geben: Eine der Auftragsfirmen (die Jarvis) hat die Bücher der Renovierungsarbeiten gefälscht, um mehr zu verdienen. Network Rail hat der Jarvis die Instandhaltungsaufträge, nicht aber die Renovierungsaufträge entzogen. Das ist für uns unlogisch.”


Ziehen wir nach 7 Jahren Privatisierung eine Bilanz: Bieten die Privaten den Nutzern ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis ?


Nein. Und das hat auch das Schatzministerium bemerkt. Von 1996 bis heute haben die Steuerzahler gut 26 Milliarden Pfund Sterling ausgegeben, die in Form von Beihilfen an die Privatfirmen geflossen sind. Das erweckt eher den Eindruck einer Gelddruckerei als einer Eisenbahnindustrie. Und außerdem wird das Eisenbahnnetz sicherer sein, kaum daß alle Rückübertragungen vollzogen sind.”


Glaubst Du, daß die Regierung Blair sich langsam von den Privatisierungen der 90er Jahre distanziert oder steckt etwas anderes dahinter ?


Auch wenn es positiv ist, daß Teile des Netzes wieder unter öffentliche Kontrolle kommen, will die Regierung doch <gleichzeitig> den Sektor ‚rationalisieren‘, um zu sparen. Das ist die exakte Wiederholung dessen, was vor dem 2.Weltkrieg und vor der Schaffung von British Rail nach dem Krieg passiert ist. Es ist wahrscheinlich, daß die Rationalisierung auch die Privatgesellschaften erfaßt, die die Züge betreiben und zum Teil geschieht das bereits. Dies könnte bedeuten, daß einige als wenig ertragreich betrachtete Strecken, die für die kleinen Gemeinden aber notwendig sind, um nicht abgeschnitten zu werden, schnell stillgelegt werden könnten.”


Könnte die Rationalisierung auch Verringerung des Personals bedeuten ?


Sicher. Aber der Übergang von mindestens 18 000 Beschäftigten der Privatunternehmen zu Network Rail macht die Gewerkschaften stärker. In dem Fall müßten wir mit der Regierung über diese Materie verhandeln.”


Erscheint es nicht als widersinnig, daß Network Rail einerseits den Privaten den Laufpaß gibt und die Regierung andererseits auf dem umstrittenen Projekt der Privatisierung der Londoner U-Bahn besteht ?


Aber gewiß ! Vor allem, weil die Sicherheit der Fahrgäste und derjenigen, die in der Tube arbeiten, nicht sichergestellt ist. Um den Privatfirmen Anreize zum Kauf der Wechsel zur Instandhaltung der U-Bahn zu geben, hatte die Regierung das dafür eingesetzte Personal von 20 auf 12 Einheiten reduziert. Jetzt, unter dem privaten Regime sind wir bei 6 Beschäftigten angelangt. Es ist offensichtlich, daß die Kontrollen <so> nicht gewissenhaft sein können und die Unfälle vom vergangenen Wochenende sind der Beweis dafür. Leider sind wir mit der Privatisierung von der Kultur des ‚Safety First‘ (die Vorsicht steht über allem anderen; Anm.d.Red.) zu der des ‚Fine First‘ (Buße zuerst; Anm.d.Red.) übergegangen. Wenn etwas schiefgeht, zahlt man. Trotzdem, um die Bezahlung der Geldbußen zu vermeiden, sind die Auftragsfirmen zu allem bereit, auch dazu, die Datensätze zu fälschen.”


Wie lauten Eure Forderungen ?


Wir verlangen, daß die Kontrollen der Gleise, die alle 24 Stunden erfolgten, wieder aufgenommen werden. Wir wollen, daß die Gewerkschaften bezüglich aller Fragen, die die Tube betreffen, konsultiert werden. Vor allem aber wollen wir, daß die Regierung in puncto Privatisierung der U-Bahn den Rückmarsch antritt. Wir haben mit der Urabstimmung über einen Streik der U-Bahn-Beschäftigten begonnen. Das Ergebnis werden wir am 10.November kennen. Die Regierung hat genug Zeit, um kehrt zumachen.”


(Das Interview führte: Guy Fawkes)


<Das Ergebnis besagter Urabstimmung konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen. Auch auf der RMT-Homepage findet sich dazu keine klare Aussage.>

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover