Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Das große
Problem der linken und linksradikalen italienischen Basisgewerkschaften ist
ihre Zersplitterung. Obwohl sie in einzelnen Betrieben und Unternehmen durchaus
stark sind und vor allem im öffentlichen Nahverkehr, bei der Eisenbahn, unter
den Lehrern und in Teilen der öffentlichen Verwaltung auch branchenbezogen über
ein gewisses Gewicht verfügen, verhindert diese Tatsache, dass sie wirklich als
Alternative zu den größtenteils (wieder oder immer noch) strikt
sozialpartnerschaftlichen großen Zentralen CGIL-CISL-UIL oder ihre
Branchengewerkschaften auftreten können. Versuche, diese Situation zu
überwinden, gab es einige. Die meisten davon scheiterten allerdings und der Rest
war bestenfalls partiell von Erfolg gekrönt. Wobei die Entwicklung der
Eisenbahner- und Fluglotsengewerkschaft Or.S.A. hin zu einem
‚verantwortungsbewussten Korporativismus’ sehr deutlich auch die inhaltlichen
Probleme eines, auf der
organisatorischen Ebene gelungenen, Zusammenschlusses zeigt.
Im Juni
2005 wurde nun mit dem föderativen Pakt der Transportarbeitergewerkschaften SULT
(vor allem Luftfahrt) und CNL (vor allem öffentlicher Nahverkehr) sowie
dem branchenübergreifenden Sin Cobas ein neuer Versuch zur Bildung einer
kämpferischen und basisdemokratischen ‚Klassen- und Massengewerkschaft’
gestartet, der mit – real – gut 20.000 Mitgliedern schon einen gewissen Umfang
besitzt. Die weitere Entwicklung dieses Versuches bleibt abzuwarten. Skepsis
ist aber durchaus erlaubt, da 1. diverse wesentliche Organisationen (mit
zusammen ca. 30.000 Mitgliedern) fehlen und auch keinerlei Interesse daran
haben und 2. weil der weitgehend von Genossinnen und Genossen der italienischen
Sektion der 4.Internationale (ehemals „Bandiera Rossa“-, dann als „ERRE“-Gruppe
und nun als „Sinistra Critica“ – Kritische Linke – innerhalb von Rifondazione
Comunista aktiv) geleitete Sin Cobas bereits an zwei gescheiterten
Versuchen beteiligt war: Vom SLAI Cobas spaltete er sich 1998/99 ab und die
Verbindung mit der Confederazione Cobas ging 2001 nach kurzer Zeit wieder in
die Brüche. Über den neuen Versuch berichtete die linke Tageszeitung „Liberazione“
am 19.6.2005.
Föderativer Pakt von CNL, Sin Cobas
und SULT: Es kommt eine neue Gewerkschaft
von Roberto Farneti
In Italien entsteht eines
neues Subjekt der Basisgewerkschaftsbewegung. Oder besser gesagt: Es beginnt
heute früh in Rom mit einer öffentlichen Versammlung im Cavour-Kongresszentrum
der Weg, der innerhalb eines Jahres wahrscheinlich zur Abhaltung des Kongresses
führen wird, der die offizielle Gründung dieses Subjektes beschließt, in das
als Mitgift und als Startgrundlage eine Basis von mehr als 30.000 Mitgliedern
eingebracht wird, der größte Teil davon ist im Transportsektor konzentriert
(20.000 Mitglieder). Das neue Geschöpf ist das Ergebnis des von drei
Gewerkschaften unterzeichneten „föderativen Paktes“: der CNL (Nationale
Konföderation der Arbeit), dem SULT (Einheitliche Gewerkschaft der
Transportarbeiter) und dem Sin Cobas (Branchenübergreifende Gewerkschaft
der Basiskomitees).
Bereits die Bedeutung dieser
Namen lässt erkennen, dass wir hier nicht vor dem x’ten „Inselchen“ stehen, das
sich zum umfangreichen Archipel der autonomen Gewerkschaften hinzugesellt,
sondern um eine Vereinigungsstrategie, die mit dem Ziel entwickelt und
beschlossen wurde, eine starke Gewerkschaft zu schaffen, die in der Lage ist,
sich als eine glaubwürdige und reale Alternative zur sozialpartnerschaftlichen
Strategie von CGIL, CISL und UIL zu präsentieren, da der Ausstieg aus dieser
für die gesamte Welt der Arbeit eine Notwendigkeit ist.
Von 1993 <als das zentrale sozialpartnerschaftliche und
Lohnzurückhaltungsabkommen beschlossen wurde> bis heute – heißt es in dem Dokument, das dem föderativen Pakt
zugrunde liegt – „hat die Sozialpartnerschaft die Entfaltung der
wirtschaftsliberalen / Freihandels-Politik und den Angriff auf die sozialen
Rechte schlicht und einfach begleitet. Heute sind die Arbeiterinnen und
Arbeiter ärmer und prekärer, während die Offensive von Regierung und Unternehmern
sich auf der nationalen und internationalen Ebene weiter intensiviert.“
Unterdessen werden die gewerkschaftliche Demokratie und das Streikrecht
weiterhin zur „Geisel eines von oben aufgedrückten und von den Arbeiterinnen
und Arbeitern weit entfernten Vertretungsmonopols.“
Trotz der Bilanz dieser 12
Jahre wäre es „desaströs und ruinös“, wenn kein Richtungswechsel am Horizont zu
erkennen wäre. „CGIL, CISL und UIL versuchen sogar die Sozialpartnerschaft
wieder aufleben zu lassen, wobei sie sich – im Austausch für den Fortbestand
des Vertretungsmonopols – auf ein sozial noch rückständigeres Terrain begeben.“
Das Problem ist, dass die
Basisgewerkschaftsbewegung, wie im übrigen Marco Ralli vom nationalen
Sekretariat der CNL selbst zugibt, in den letzten Jahren nicht gelungen ist,
trotz einer manchmal durchaus bedeutenden Präsenz der verschiedenen autonomen
Organisationen in vielen Teilen der Arbeitswelt „eine Alternative zu dieser
Hegemonie“ der drei älteren Gewerkschaftsbünde „zu repräsentieren“. Dieses
kollektive Mobilisierungspotential hat sich einerseits mit antidemokratischen
Gesetzen herumgeschlagen, die das Streikrecht außer Kraft setzen und die
Vertretung durch CGIL, CISL und UIL begünstigen (wie der berüchtigten
33%-Klausel <siehe Anm.1>) und andererseits mit der Schwierigkeit gemeinsame
Kampfprozesse ins Leben zu rufen. Dies geschah oftmals aus absolut ehrenwerten
politischen und historischen Gründen, aber auch aufgrund der Unfähigkeit jeder
einzelnen Organisation, über die Verteidigung des eigenen „Vorgartens“
hinauszugehen.
Die von den Kräften, die
sich heute im Cavour-Kongresszentrum die Hand reichen werden, unternommenen
Bemühungen zur Vereinigung verdienen deshalb Ermutigung. „Das Ziel, das wir uns
setzen“ – fasst Fabrizio Tomaselli vom nationalen SULT-Sekretariat
zusammen – „ist es, ein branchen- und berufsgruppenübergreifendes
gewerkschaftliches Subjekt zu schaffen. Es ist klar, dass SULT, Sin Cobas und
CNL in dieser Union auch den Weg zu einem wirkungsvolleren und effizienteren
Handeln in Bezug auf Aktionen, territorialer Präsenz und organisatorischen
Instrumenten suchen.“ Tomaselli denkt da – um ein Beispiel zu geben – „an die
Vorteile, die der Aufbau einer Art von ‚Kammern der Arbeit’ bietet, die sowohl
die Werktätigen als auch soziale Subjekte organisieren, die nicht im engeren
Sinne mit der klassischen Arbeitswelt in Verbindung zu bringen sind“, wie
Arbeitslose, prekär Beschäftigte und Immigranten.
Die Grundidee ist die einer
Gewerkschaft, in der sich alle Berufsgruppen für dieselben Ziele engagieren.
„Was“ – stellt Luigia Pasi vom nationalen Sekretariat des Sin Cobas klar
– „nicht bedeutet, die Besonderheiten zu beseitigen. Es bedeutet z.B. zu
berücksichtigen, dass die Regelung der Arbeitswelt durch die Umsetzung
europäischer Richtlinie begrenzt ist. Also gibt es (unabhängig von der
Berufsgruppe) Probleme, die Alle betreffen: Lohn, Arbeitsorganisation,
Arbeitssicherheit / Gesundheitsversorgung, Renten und die Typologie der
Arbeitsverträge.“
Das Schlüsselwort, um nicht
in die Fehler der Vergangenheit zu verfallen, ist „Partizipation“: „Heute“ –
erklärt Ralli von der CNL – „leben wir in einer Gesellschaft, in der es
an Kooperation und Solidarität zwischen den Individuen mangelt. Der Egoismus
und das fehlende Vertrauen in den Nächsten überwiegen. Das alles“ – beobachtet
der Gewerkschafter – „verleitet zur Passivität. So werden die eigenen Probleme
an Andere delegiert anstatt sich in erster Person darum zu kümmern. Und auf dem
Prinzip der Vollmacht bauen ihre Autorität, ihre Organisationen und
Gruppeninteressen auf. Wir“ – fährt Ralli fort – „denken, dass nur die
Beteiligung von Vielen den sozialen Ungerechtigkeiten und der Reproduktion von
Machtmechanismen auch innerhalb der Basisgewerkschaftsbewegung wirkungsvoll
entgegentreten kann.“
Eine Frage, die sich wieder
mit den Normen der gewerkschaftlichen Vertretung und der Möglichkeit verbindet,
die den Werktätigen gegeben wird, die gewerkschaftlichen Forderungskataloge zu
diskutieren und über die sie betreffenden Abkommen abzustimmen. „Heute sind wir
gezwungen“ – beklagt wiederum Luigia Pasi – „ständig Urabstimmungen zu
fordern, um eine minimale Form von Demokratie sicherzustellen. Das ist der
Grund, warum ein weiteres Ziel die <Durchsetzung der> Möglichkeit ist, in den Arbeitsstätten Versammlungen abzuhalten. Eine
Möglichkeit“ – erinnert das Leitungsmitglied des Sin Cobas – „die uns heute
versagt und die das alleinige Vorrecht von CGIL, CISL und UIL ist.“
Anmerkung
1:
Dank der
zwischen der Kapitalseite und den drei großen Gewerkschaftszentralen im
Privatsektor getroffenen Vereinbarung über die RSU’en („Einheitliche
Gewerkschaftliche Vertretung“ = die spezifisch italienische Variante des
Betriebsrates) werden nur zwei Drittel der Sitze frei gewählt, der Rest der
RSU-Delegierten ist (obwohl voll stimmberechtigt) von vornherein für CGIL, CISL
und UIL reserviert (angeblich um „Betriebsegoismus“ zu verhindern) und wird ihnen
entsprechend ihrem jeweiligen Anteil bei der Wahl der übrigen zwei Drittel
zugeteilt.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkung, Hervorhebungen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover