Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Eine Woche vor dem Generalstreik der wichtigsten spanischen Gewerkschaftsbünde
(CCOO, UGT...) am 20.Juni 2002 gegen die von der konservativen Regierung
Aznar beabsichtigte weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Kürzung
der ohnehin kläglichen Arbeitslosenunterstützung sprach die links-unabhängige
italienische Tageszeitung “il manifesto” mit dem Generalsekretär der
spanischen Kommunistischen Partei (PCE) und stellvertretenden Vorsitzenden
des Linksbündnisses Izquierda Unida (Vereinigte Linke), Francisco Frutos,
über die Hintergründe und seine Bewertung dieses Generalstreikes,
der - in punkto Mobilisierung - dann recht erfolgreich verlief. Das Interview
erschien in “il manifesto” vom 13.6.2002.
Spanien:
“Der Streik ist politisch - gegen
Aznar”
Interview mit dem Generalsekretär des PCE,
Francisco Frutos. “Die Rechte hat die Auseinandersetzung gesucht.”
Andrea De Benedetti - Granada
Weniger als eine Woche vor dem Generalstreik mobilisiert die spanische
Linke. Die Gewerkschaftsfront ist endlich geschlossen. Die politische Front,
an der man das zumindest zweideutige Verhalten eines Teils der <sozialdemokratischen>
PSOE registriert, ist es ein bißchen weniger. Izquierda Unida (Vereinigte
Linke) ist dagegen mit allen Kräften aufgetreten. So als ob es sich
um einen Wahlkampf handeln würde. Wir sprechen mit der “Nummer 2” der
Bewegung und gleichzeitigem Sekretär des PCE, Francisco Frutos.
Am Samstag hat <der spanische Ministerpräsident und Vorsitzende
der konservativen Volkspartei - PP> José Maria Aznar die Gewerkschaften
beschuldigt, den Streik nur organisiert zu haben, um für Unruhe zu sorgen.
Was antworten sie ihm ?
“Ich würde ihm antworten, daß die Streiks wegen konkreter Fragen
durchgeführt werden. Ich glaube nicht, daß die Arbeiter so dumm
und unbeeinflußbar sind. Der Streik wird geführt, weil die Regierung
ein ‚Dekret‘ gebilligt hat, mit dem man soziale und Arbeitsrechte beschränken
will, die in besonderer Weise die Arbeitslosen betreffen.”
Der Sekretär des PSOE (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei),
Zapatero, hat die sozialistischen Aktivisten aufgefordert, am Streik teilzunehmen,
aber er hat auch durchgesetzt, daß sich die Führer der Partei
dafür einsetzen sollen, das Streikrecht für diejenigen zu garantieren,
die daran teilnehmen wollen und das Recht auf Arbeit für diejenigen,
die nicht die Arme kreuzen werden. Wie beurteilen Sie die Position des PSOE
bezüglich des Streikes: <Ist sie> zweideutig, gewagt oder
schizophren ?
“Widersprüchlich und ambivalent. Man kann sich nicht eine Sache wünschen
und zugleich ihr Gegenteil. Wenn man der Ansicht ist, daß die Regierung
der Hauptverantwortliche ist, dann muß man den Streik ohne Zögern
unterstützen. Es ist nicht zu begreifen, wie eine Partei, die die Gründe
für die Mobilisierung als solide und begründet betrachtet, diese
nicht bis zum Letzten unterstützt und die eigenen Funktionäre geradewegs
dazu zwingt zu arbeiten. Mir scheint das absurd. Auch die Funktionäre
sollten sich an den Streikposten beteiligen, um zu verhindern, daß
die Leute arbeiten gehen.”
In den letzten Tagen sind die Gewerkschaften beschuldigt worden, einen
politischen Streik organisiert zu haben. Sind das die Streiks vielleicht
nicht ?
“Ich frage mich, ob ein Dekret und sogar ein in großer Eile vom Parlament
gebilligtes Dekret nicht bereits an sich eine politische Sache ist. Es handelt
sich um einen Angriff auf die Interessen der Arbeiter, der den Griff zum
Streik als unvermeidlich politische Antwort vollauf rechtfertigt. Es ist
absurd, wenn ein Vertreter einer Partei die eigenen Gegner beschuldigt, politische
Instrumente zu benutzen. Ich werde Ihnen noch mehr sagen: Gründe, um
zu streiken, gab es bereits im vergangenen Jahr anläßlich der
Auseinandersetzung bei Sintel oder als die Arbeiter der Bauunternehmen 700
000 Unterschriften sammelten, damit die Regierung und das Parlament das Gesetz
reformieren, das die Auftragsverträge regulierte, weil es gerade der
Bausektor ist, der die größte Anzahl von Arbeitsunfällen
produziert. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß
Spanien innerhalb der Europäischen Union den Rekord hält, was die
Arbeitsunfälle anbelangt. Kurz gesagt: Gründe gab es mehr als genug.”
Seien Sie ehrlich ! Ist das Datum 20.Juni, das heißt ein Tag
vor dem EU-Gipfel in Sevilla, reiner Zufall oder ist es Teil eines Planes,
um Aznar gerade im Augenblick der Verherrlichung in Schwierigkeiten zu bringen
?
“Vielleicht ja, und ich finde nichts Schlechtes daran, auch wenn ich offen
gestanden nicht den Grund kenne, weswegen die Gewerkschaften ihn gerade für
den 20.Juni angesetzt haben. Mit Sicherheit hatte es keinen Sinn, ihn einen
Monat später anzusetzen, wenn die Leute bereits in Urlaub wären.
Ich weiß nur, daß der Streik am 23.März festgesetzt wurde
und daß der erste sinnvolle Termin genau der 20.Juni war.”
Man könnte sagen, daß die Regierung des Partido Popular (PP)
durch die Vorstellung des Streikes zu Tode erschrocken war, da der Minister
Aparicio sogar von der Möglichkeit gesprochen hat, das auf die Mindestdienste
<bei Streiks> bezogene Gesetz zu reformieren. Was meinen Sie dazu
?
“Welch ein Zufall ! Gerade jetzt, wo der Streik auf dem Programm steht,
zieht dieser <Minister> alte Drohungen aus der Schublade, indem er
daran erinnert, daß das Gesetz über das Streikrecht veraltet ist.
Selbstverständlich möchten sie Mindestdienste so um die 80 - 90%
herum, aber weder die Gewerkschaften noch wir werden das akzeptieren, weil
wir eine Würde zu verteidigen haben und weil wir meinen, daß es
sich um einen Mißbrauch handelt. Sind die Streikposten vor den Fabriken
das Problem und die Arbeiter, die zum Streik verpflichtet werden, auch wenn
sie keine Lust dazu haben ? Nein, das Gegenteil ist das Problem: Die
Unternehmer können die Arbeiter einschüchtern und sie zwingen,
nicht zu streiken - speziell in jenen Arbeitsstätten, wo es keine gut
organisierte gewerkschaftliche Kraft gibt. Ich glaube, daß diese Regierung
ein schmutziges Spiel spielt, wie alle rechten Regierungen, die sich ernst
nehmen. Auch diejenige von Aznar verteidigt zuallererst die Interessen der
Großindustrie und der Hochfinanz. Das Dekret paßt perfekt in
jenen Versuch, mit der fortschreitenden Beseitigung der sozialen, Arbeits-
und Gewerkschaftsrechte und dem Aufzwingen eines privateren und individuelleren
Verhältnisses von Unternehmer und Arbeiter in Spanien, aber auch in
Europa, den American Way of Life auszudehnen, damit es einfacher wird, sie
den Spielregeln zu unterwerfen. Aznar glaubt an den Neoliberalismus, an die
freihändlerische / wirtschaftsliberale Globalisierung und will als derjenige
in die Geschichte eingehen, der die Gewerkschaften in Europa gebeugt hat,
so wie es Margret Thatcher in den 80er Jahren mit der britischen Gewerkschaftsbewegung
gemacht hat. Um zu zeigen - <denn jetzt ist er turnusmäßig
<für ein halbes Jahr> EU-Ratspräsident - welches der Weg
ist, der für den Triumph des wirtschaftlichen, politischen und gewerkschaftlichen
Konservatismus zu verfolgen ist.”
Als der Streik angesetzt wurde, gab es Zweifel bezüglich der
möglichen Antwort der Bevölkerung. Haben sie Euch mit der Annahme
des Dekretes einen Gefallen getan ?
“Das weiß ich nicht. Das Ziel des Dekretes war es, den Streik zu lähmen,
an diejenigen, die nicht überzeugt waren, die Botschaft auszusenden,
daß das Spiel nunmehr gelaufen und es nicht mehr der Mühe wert
sei <auf der Ablehnung> zu insistieren. Geschehen sei, was geschehen
sei und nicht mehr dahinter zurückgekehrt würde. Meiner Ansicht
nach werden die Leute die Erpressung des Autoritarismus nicht akzeptieren
und auch die Drohungen nicht. Ich glaube, daß das Dekret für die
Regierung eine zweischneidige Waffe sein kann. Mit Sicherheit hat sie einen
Beleg für ein Abdriften in Richtung autoritären Charakter gegeben,
der für eine demokratische Regierung gefährlich ist.”
Hat das italienische Beispiel irgendeinen Einfluß auf den Streik
in Spanien ?
“Natürlich. Die Aktion der Arbeiterbewegung, wo immer sie stattfindet,
wirkt sich überall aus. Der italienische <General->Streik hat
eine positive Wirkung auf die Gewerkschaftsbewegung und auf die politische
Linke gehabt. Genauso wie es die großen Demonstrationen gegen die neoliberale
Globalisierung oder jene am Sonntag in Sevilla gegen das Dekret gehabt haben.
Die Bewegung ernährt sich von der Kraft.”
Kann der Streik, trotz der Schwankungen von Zapatero die richtige Gelegenheit
sein, um innerhalb der Linken Einheit zurückzugewinnen ?
“Das werden wir später sehen. Wir werden unseren Weg weitergehen und
der PSOE seinen. Wir werden uns in einigen Teilen auf dem Weg treffen. Hoffen
wir im Parlament...”
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover