Antifa-AG
der Uni Hannover:
Im Libanon geht es bei der vom Westen so
heiß ersehnten Entwaffnung nicht nur um die Hisbollah, sondern auch um den dort
noch vorhandenen palästinensischen Widerstand, der alle Fraktionen umfasst (von
der Fatah über die Hamas und den Islamischen Dschihad
bis hin zur DFLP, PFLP und PFLP-GC). Diese von den UN-Resolutionen 1559 und
1701 mehr oder weniger offen geforderte Entwaffnung, um die sich die
aufgestockten und „robusteren“ neuen UNO-Truppen kümmern sollen, würde –
wenn es dazu käme – de facto nichts anderes als das Brechen des antikolonialen
und antiimperialistischen Widerstandes bedeuten, da von einem israelischen
Abzug aus den besetzten Gebieten und der Schaffung eines souveränen
palästinensischen Staates sowie vom Rückkehrrecht der Flüchtlinge keine Rede
ist. Über alle entsprechenden alten UNO-Resolutionen (194, 242 und 338) wird
international diskret der Mantel des Schweigens gedeckt und Israels
Regierungschef Olmert (als Vertreter des „gemäßigten“
Zionismus!) hat gerade erst erklärt, dass von der Räumung auch nur des
kleinsten und unbedeutendsten Teils der besetzten
Gebiete in absehbarer Zeit keine Rede sein könne und dass selbst der besetzte
syrische Golan „unveräußerlicher Bestandteil Israels“ sei, der während
seiner Regierungszeit auf keinen Fall zurückgegeben werde. Ob seine
Regierungszeit noch allzu lang sein wird, ist zwar die Frage, doch seine
potentiellen Nachfolger (bzw. möglichen Koalitionspartner!) – die
rechtsradikalen Zionisten Lieberman und Netanyahu mit ihren Parteien (Vaterland und Likud) – sind
diesbezüglich noch weniger zu Zugeständnissen bereit, um es einmal ganz
vorsichtig auszudrücken.
In einer Reportage für die linke
italienische Tageszeitung „il manifesto“
vom 17.9.2006 aus einem der beiden größten palästinensischen
Flüchtlingslager im Südlibanon liefert Stefano Chiarini
ein wenig Gegeninformation.
Die Lager des „Nein“ zur
UNO-Entwaffnung
Die Palästinenser im Südlibanon
lehnen die Interpretation der Resolution 1701 ab, die ihre Entwaffnung
verlangen würde. „Wir werden uns auch mit Waffengewalt wehren!“
Stefano
Chiarini
„Die Tragödie von Sabra und Chatila <1982> als sich die PLO
im Austausch für das Versprechen aus Beirut zurückzog, dass die multinationalen
Truppen die Lager verteidigen würden, lehrt uns, wie gefährlich es ist, auf die
internationalen Versprechungen zu vertrauen. Jedes Mal wenn wir uns davon
überzeugen ließen, unsere Waffen niederzulegen, wurden wir systematisch
getäuscht und unseren Henkern überlassen. Deshalb versichere ich Euch, dass es
ohne die Anerkennung unserer, von den UNO-Resolutionen festgeschriebenen,
nationalen Rechte und die Bürgerrechte im Libanon keine Entwaffnung der
palästinensischen Lager geben wird. Auch nicht südlich des Litani-Flusses.“
Sultan Abu Alaynen, Organisator des Widerstandes die
Beiruter Lager Mitte der 80er Jahre und gegenwärtig Fatah-Kommandant im Libanon
bringt so uns gegenüber seine ganze Empörung über die immer eindringlicheren
Stimmen zum Ausdruck, die den Befehl zur Entwaffnung der beiden größten
Palästinenserlager südlich des Litani-Flusses – Rashidiyeh und Burj el Chemali in der Nähe von Tyros –
durch die libanesische Armee und die UNIFIL-Truppen auf der Grundlage einer
fragwürdigen Interpretation der Resolution 1701 über das „Einstellen der
Feindseligkeiten“ als drohendes Szenario bezeichnen.
Das Lager Rashidiye an der Straße, die von Tyrus
zur nahe gelegenen israelischen Grenze führt, beherbergt zwischen
Bananenstauden, Orangenhainen und Gemüsegärten mehr als 20.000 1948 aus dem
nördlichen Palästina vetriebene ehemalige Bauern.
Heute ist ihre Zukunft, genau wie diejenige aller 400.000 palästinensischen Flüchtlinge
im Libanon immer unsicherer. Deshalb „kann“ – fährt Sultan fort – die
Entwaffnung der Lager „nur der Schlusspunkt von Verhandlungen über die
gesamte Situation der Palästinenser und mit Sicherheit nicht der Anfang sein.
Der Frieden hängt nicht von der Entwaffnung des Widerstandes oder den
ausländischen Truppen ab, sondern vom vorhandenen oder nicht vorhandenen Willen
Israels und der USA unsere Rechte anzuerkennen“.
Der Versuch zur Situation
vor 1969 zurückzukehren, d.h. vor der „Revolution“ als die Lager sich
von der erdrückenden Präsenz der libanesischen Polizei und der Geheimdienste
befreiten und für die Beiruter Armee zu „No-Go-Areas“
wurden, brach in den letzten Tagen wie eine kalte Dusche über die Palästinenser
herein, die in der „Zedernrepublik“ „Gäste“ ohne Rechte sind. Und
das unmittelbar nach einem außerordentlichen Moment der Einheit mit der
schiitischen Bevölkerung des Südlibanon, die sich zum Teil gerade in die
Palästinenserlager geflüchtet hatte. Der israelische Versuch das Feuer der religiösen
Spaltungen zwischen den sunnitischen Flüchtlingen und den Bewohnern der
schiitischen Dörfer im Hinterland von Tyrus
anzufachen, indem die Ersteren einmal ausgespart wurden und man sich auf die
Zerstörung der Letzteren konzentrierte, hatte mit mehr als 10.000 geflüchteten
und in Rashidiyeh untergekommenen Schiiten den
gegenteiligen Effekt, den sich Tel Aviv erwartete.
Und nicht nur das. Das Lager
an der Peripherie von Tyrus, das mehrmals von den
Israelis (mit über 1.000 Toten) dem Erdboden gleichgemacht und immer wieder
aufgebaut wurde, belieferte die gesamten 34 Kriegstage lang mit ihrer Bäckerei
buchstäblich die ganze Stadt Tyrus, wo alle 15
funktionieren Backöfen, aufgrund der Straßenblockade gezwungen waren zu
schließen. Eine nicht geringe Anstrengung, wenn wir die weit verbreitete Armut
berücksichtigen, mit 65% der Flüchtlinge, die unter der Armutsgrenze leben, die
Arbeitslosigkeit, das Verbot über 60 Berufe auszuüben und die Unmöglichkeit
irgendein Eigentum zu besitzen, nicht einmal des Hauses, in dem man wohnt, die
die palästinensischen Flüchtlinge plagen. Vierhunderttausend Verzweifelte, die
um keinen Preis bereit sind, noch einmal von der Welt vergessen zu werden,
sondern eher – wie uns ein junger Universitätsstudent lächelnd sagt –
entschlossen sind, der Welt als „Gräte im Hals stecken zu bleiben, solange
wir keinen Staat erhalten und die Möglichkeit nach Palästina zurückzukehren“.
Unterdessen ist der Krieg zu
Ende, die Backöfen von Tyrus funktionieren wieder und
die libanesische Armee hat die Lager erneut umstellt und ihren Checkpoint am
Eingang mit einem rot-weiß gestreiften Wachhäuschen und einem müden Panzer, der
unter einem Tarnnetz schlummert, wieder in Betrieb genommen. Wenige Meter davon
entfernt schlürfen einige Soldaten mit dem roten Barett der regulären
palästinensischen Streitkräfte, vor einem großen Arafat-Porträt sitzend und dem
Gewehr auf dem Schoß, einen guten Kaffee, der ihnen von einem in der Nähe
wohnenden Jungen gebracht wird. Innerhalb des Lagers sind zwischen den separat
gemauerten und oftmals von kleinen Gemüsegärten und Feigenbäumen umgebenen
Baracken hier und da Luftabwehrstellungen zu sehen, die jetzt außer Dienst
sind, die aber nicht wenige wieder in Betrieb nehmen wollen.
„Niemand will den Krieg
und hoffentlich gibt es kein Problem“
– sagt uns ein junger Kämpfer mit dem Fatah-Wappen auf der Uniform, einer jener
von dem Poeten Mahmud Darwish so gut beschriebenen Jugendlichen
aus „Fels und Thymian“ – „aber wir können nicht immer so bleiben,
ohne nach Hause zurückkehren zu können: ohne Staat und ohne Rechte. Auch wir
wollen eine Zukunft und wenn sie sie uns nicht geben, dann werden wir sie uns
nehmen. Entwaffnung? Mein Zuhause liegt jenseits der Grenze, in der Nähe von Acri und wir leben hier, in einer Baracke, trotzdem die
Resolution 194 von unserem Rückkehrrecht und einer Entschädigung spricht. Wenn
sie wollen, dass wir die Resolution 1701 respektieren, dann sollen sie dafür
sorgen, dass Israel auch die Resolutionen 242 und 338 respektiert und die Resolution
194 über die Rückkehr nach Palästina. Sonst sollten sie nicht glauben, sie
könnten uns hier im Inferno vergessen.“
„Diese Jugendlichen“ – sagt uns ein prominenter, alter Palästinenser in Tyrus – „sind nicht wie wir, die wir gezwungen waren,
unser Land zu verlassen. Diese Jugendlichen haben in den letzten Wochen
gesehen, dass Israel nicht unbesiegbar ist, dass es gestoppt werden kann und
sie werden sich nicht mit den üblichen leeren Versprechungen zufrieden geben.
Wenn sie sterben sollen, werden sie es vorziehen das auf dem Boden Palästinas
zu tun mit dem Bild jenes so soliden steinernen Hauses und jenem blühenden
Leben vor Augen, von dem sie uns Alte immer haben reden hören, das sie aber nie
gesehen haben. Dieses unterbrochene Leben als Flüchtling ohne Zukunft ist ein
Nicht-Leben, dem nur der Kampf und (wenn nötig bis zur Selbstaufopferung) einen
Sinn geben kann.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügung
in eckigen Klammern:
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der Uni Hannover