Antifa-AG der Uni
Hannover:
Dass die
bürgerlichen Medien der palästinensischen Linken im Vorfeld der Wahl eines
neuen Präsidenten der Autonomiebehörde am 9.Januar 2005 keine große
Aufmerksamkeit schenken, kann nicht wirklich verwundern. Dass auch die soft
antideutsche „Jungle World“ in ihrer neuesten Ausgabe sich lieber mit dem neuen
PLO-Chef und Lieblingskandidaten Israels und der USA, Mahmud Abbas, beschäftigt
und ansonsten den Gesandten der israelischen Botschaft in Berlin, Ilan Mor,
interviewt, ebenso wenig. Deshalb lohnt sich ein Blick in die unabhängige linke
italienische Tageszeitung „il manifesto“ vom 4.1.2005, in der
Michele Giorgio einen aktuellen Überblick über die Politik und den Zustand der
wichtigsten Organisationen der palästinensischen Linken gibt:
Palästina: Linke bei den
Präsidentschaftswahlen gespalten
Eingeklemmt
zwischen Hamas und Fatah zieht sie sich auf Kandidaten zurück, die Flagge
zeigen sollen. Die PFLP für Mustafa Barghuti.
Mustafa
Barghuti erhält in Rafah (Gaza) die Unterstützung der Volksfront <PFLP>. Die Volkspartei (die ehemalige KP <heute PPP> und die demokratische Front <DFLP>
haben jede einen eigenen Kandidaten präsentiert.
MICHELE GIORGIO – JERUSALEM
„Diese Wahlen sind nicht das
Terrain für den politischen Kampf der Linken. Dies ist nicht der Test, bei dem
sich die fortschrittlichen Kräfte messen müssen“, behautet mit entschiedenem
Tonfall Imad Abdel Aziz. Direktor einer Schule in Nablus und von Kindesbeinen
an Aktivist der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), hat Imad sein
ganzes Leben damit verbracht die (im Laufe der Zeit immer weiter verdünnten)
Prinzipien des Marxismus zu verbreiten, die das Fundament seiner politischen
Organisation, der zweitwichtigsten in der PLO (auch wenn sie Al Fatah gegenüber
deutlich in der Minderheit ist) bilden. Jahre, die damit vergangen sind, sich
der Verhaftung durch die israelischen Besatzungskräfte zu entziehen und – in
jüngster Zeit – mit Ärger mit den Sicherheitsdiensten der <Palästinensischen
Autonomiebehörde> ANP des
verstorbenen Yasser Arafat. „Ernsten Problemen, allerdings nicht so
gravierenden wie dem vertikalen Zusammenbruch der fortschrittlichen
Formationen“, räumt Abdel Aziz ein und verzichtet auf die übermäßige
Verteidigung seines politischen Lagers. „Dazu kommt die Tatsache, dass die
Linke wieder einmal kein gemeinsames politisches Terrain gefunden hat und es
nicht gelungen ist, einen einheitlichen Kandidaten für die
Präsidentschaftswahlen am 9.Januar aufzustellen.“
Die Meinungsumfragen lassen
der palästinensischen Linken keinen Spielraum für Optimismus. Einer Linken, die
zwischen Al Fatah und der wachsenden Popularität der islamischen Bewegungen
Hamas und Dschihad zerdrückt wird, die seit einigen Jahren Protagonisten der
politischen Szene in Gaza und Cisjordanien sind. Gründe für den Einbruch gibt
es verschiedene: Sie führen vom mittlerweile weit zurückliegenden Zerfall der
UdSSR über den schlechten politischen Umgang mit der Phase der Osloer Verträge
(1993-2000) bis zum Fehlen eines politischen Projektes, das eine Alternative zu
denjenigen von Al Fatah und Hamas darstellt und in der Lage ist, Nationalismus,
Kampf gegen die israelische Besatzung und soziale Gerechtigkeit auf organische
Weise miteinander zu verbinden. In jedem Fall haben alle zusammen zu einer
Krise geführt, aus der die palästinensische Linke – von den radikaleren Kräften
PFLP und DFLP (Demokratische Front) bis hin zu den gemäßigteren, wie der (ehemals
kommunistischen) Volkspartei <PPP> und der FIDA <Palästinensische Demokratische
Union> – noch nicht imstande war,
sich zu befreien. Nur Mubadara (Initiative) von Mustafa Barghuti war
dank ihres Engagements in der Zivilgesellschaft <das PFLP und DFLP allerdings auch vorweisen
können> in der Lage aufzutauchen,
bleibt allerdings zu sehr an die persönlichen Geschicke ihres Führers gebunden.
Die durch die israelische
Armee zugefügten Schläge haben sich außerdem bemerkbar gemacht. Die dadurch am
stärksten geschädigte Organisation ist zweifellos die PFLP, die unter den
linken Kräften die einzige ist, die, dank ihrer Beteiligung an der Intifada
Zustimmung zurückgewonnen hat. Vor drei Jahren tötete eine von einem Apache-Hubschrauber
aus abgefeuerte Rakete in Ramallah den Generalsekretär Abu Ali Mustafa, der
diesen Posten von dem betagten Führer George Habbash übernommen hatte. Sein
Nachfolger, Ahmed Saadat, sitzt seit 2002 auf der Grundlage einer von der ANP
und Israel getroffenen Übereinkunft in Jericho im Gefängnis <ohne Anklage und obwohl der
Oberste Palästinensische Gerichtshof bereits vor langer Zeit seine Freilassung
verfügt hat – bewacht wird er übrigens von britischen und US-amerikanischen
Special Forces!>. (Auch sein
Stellvertreter Abdel Rahim Malluh befindet sich hinter Gittern <und wurde kürzlich von einem
israelischen Gericht zu 7 Jahren Haft verurteilt>.) Verhaftungen hat auch die DFLP erlitten. FIDA und
Volkspartei wurden geringere Schäden zugefügt. Sie sahen ihre Rolle allerdings <auch eher> in der palästinensischen Exekutive, wo sie immer
marginaler wurden.
Die gemeinsame Schwäche
hätte die verschiedenen fortschrittlichen Kräfte dazu veranlassen sollen, eine
gemeinsame Front zu bilden. Die Resultate sahen hingegen ganz anders aus. Die
PFLP hat zu den Präsidentschaftswahlen keinen eigenen Kandidaten aufgestellt,
sondern es vorgezogen, Mustafa Barghuti (einen ehemaligen Kommunisten) zu
unterstützen, d.h. den glaubwürdigsten Gegner des PLO-Führers und favorisierten
Kandidaten Abu Mazen. Die Volkspartei <PPP> hat
beschlossen, auf ihren Sekretär Bassam Salhi zu vertrauen, dem die Umfragen
nicht mehr als 2 bis 3% geben. Denselben Weg wählte die DFLP mit der Kandidatur
einer ihrer historischen und weithin geschätzten Führungspersönlichkeiten,
Taisir Khaled.
„Ich glaube nicht, dass die
mangelnde Kür eines gemeinsamen Kandidaten streng beurteilt werden sollte“,
erklärt Ghassan Khatib, einer der Führer der Volkspartei und gegenwärtiger
Arbeitsminister. „Die linken Formationen haben in bezug auf die sozialen Themen
und die allgemeine Politik differenzierte und unterschiedliche Positionen.
Gewiss eint uns der Kampf gegen die Besatzung und für die Unabhängigkeit. Das
genügt aber nicht, um die Spanne der Positionen zu reduzieren.“ Barsch und
genau gegenteilig fällt das Urteil von Saleh Rafat (von der FIDA) aus: „Die Programme
sind in Wirklichkeit dieselben und die ideologischen Differenzen minimal“,
behauptet er. „Leider haben wieder einmal persönliche Interessen und der Kampf
um die Macht in der Linken verhindert, dass man sich als ein Bezugspunkt für
diejenigen präsentiert, die das bipolare System Al Fatah – Hamas nicht
akzeptieren.“
Zwei
Anmerkungen zu diesem Artikel:
1. Die
letzte Bemerkung klingt aus dem Munde des Vertreters einer Partei, die um jeden
Preis und bei erdrückender Dominanz korrupter Fatah-Funktionäre (Stichwort: „Tunis-Clique“)
mitregieren will, irgendwie merkwürdig.
2. Bevor
von Einigen bei der positiven Erwähnung des Begriffes „Nationalismus“ allzu
schnell der oberlehrerhafte Zeigefinger erhoben wird, sei daran erinnert, dass
Palästina die historische Phase der bürgerlich-demokratischen Revolution und
der nationalen Befreiung, die in Frankreich vor allem 1789 und anderswo in
Europa 1848, in Südafrika / Azania aber erst 1994 (mit Mandelas
Präsidentschaft) stattfand, erst noch vor sich hat. Und dass – nicht ganz ohne
Grund – im Namen von Subcommandante Marcos’ EZLN oder in Che Guevaras
bolivianischer ELN die „nationale Befreiung“ vorkommt, ohne dass wohl jemand
ernsthaft behaupten würde, bei diesen Organisationen handele es sich um Rechte…
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkungen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover