„junge Welt“ 6.1.2007
»...dann schicke ich einen Brief aus
dem Knast«
Über sein Reiseverbot und wie er trotzdem auf
der Rosa-Luxemburg-Konferenz auftreten will, über die Autobombe am Madrider
Flughafen und drohende Repression im Baskenland.
Ein Gespräch mit Arnaldo Otegi
Danke
zunächst, daß Sie der Einladung von junge Welt und
Cuba Si zur Rosa-Luxemburg-Konferenz folgen wollen. Allerdings gab und gibt es bekannterweise einen kleinen Haken für Ihre Teilnahme: Sie mußten beim Obersten Gerichtshof (Audienca
Nacional) in Madrid eine Genehmigung für Ihre Reise
nach Berlin einholen. Was macht Sie so gefährlich für den spanischen Staat?
Offiziell laufen noch einige
Verfahren gegen mich, unter anderem wegen »Beleidigung des Königs«. Sie stammen
aus der Regierungszeit des erzkonservativen Premierministers José Maria Aznar – und damit aus jener Periode, in der sich George W.
Bush und sein spanischer Freund Aznar aufmachten, den
»internationalen Terrorismus« zu bekämpfen. Zu dem zählten sie auch uns.
Gefährlich sind wir aber vor allem, weil wir ein Konzept erarbeitet haben, wie
der politische Konflikt im Baskenland politisch gelöst werden kann. Und: Wir
bieten eine Alternative für eine zukünftige, soziale Gesellschaft an. Bekannt
ist, daß derjenige, der so etwas tut, den
Herrschenden generell ein Dorn im Auge ist – und also eine Gefahr darstellt.
Wie
hat das Gericht auf Ihr Begehren reagiert, vom 12. bis 14. Januar in die
deutsche Hauptstadt zu fliegen, um dort über eben jenes alternative Konzept für
ein anderes Gesellschaftskonzept zu referieren?
Mein Reiseantrag wurde von
der Audienca Nacional
definitiv abgelehnt. Trotzdem arbeiten wir an einer Möglichkeit, damit ich in
Berlin doch noch zu Wort komme.
Ihr
Auftritt am 13. Januar steht weiter auf der Tagesordnung. Der Zeitraum zwischen
15 und 16 Uhr bleibt für Sie reserviert.
Natürlich würde ich äußerst
gern an der prestigereichen, revolutionären Rosa-Luxemburg-Konferenz
teilnehmen, aber derzeit sieht es tatsächlich so aus, als wenn es nicht geht.
Leider hat sich wieder einmal herausgestellt, daß das
so oft proklamierte »Europa der freien Reise«, das grenzenlose Europa, nicht
für alle gilt. Trotzdem werde ich mich in irgendeiner Form einbringen.
Welches
sind die Themen, die Sie behandeln wollen?
Es geht zum einen um unser
politisches Projekt. Dieses handelt im Kern von einem unabhängigen,
fortschrittlichen Baskenland und ist ein Kann-Projekt. Das heißt, daß es das nur geben wird, wenn es die Leute wollen.
Insofern treten wir für das vielzitierte »Europa der
Urnen« ein, in dem alles abstimmbar ist. Auch die baskische Bevölkerung soll in
allen Bereichen, in denen sie lebt, darüber entscheiden können, welches Projekt
sie sich in Zukunft wünscht. Kurz: Es geht um das Recht auf Selbstbestimmung.
Das wird ihr derzeit verwehrt. Dabei ist uns klar, daß
letztlich eine linke Alternative für unser Land von linken Alternativen für
Europa nicht zu trennen ist – das zweite Thema meines Referats. Mit großem
Interesse beobachten wir derzeit die Entwicklungen in Lateinamerika, wo sich
die linken Kräfte im Aufwind befinden. Das kann auch für uns in Europa ein
Ansporn sein. Wir können davon lernen.
Wenn sich Marxisten unterschiedlicher Richtungen auf Foren wie der
Rosa-Luxemburg-Konferenz treffen, geht es sicherlich darum, gemeinsam darüber
nachzudenken und eine Strategie zu planen, wie ihre Vorstellungen letztlich
realisierbar sind. Also: Wie können wir den Sozialismus in Europa auf die
Tagesordnung bringen?
Wie
wollen Sie Ihr Referat auf der Konferenz einbringen, wenn Sie nicht persönlich
anwesend sein dürfen?
Denkbar wäre eine
Videoschaltung vom Baskenland nach Berlin. Und wenn die staatliche Repression
auch dieses nicht zuläßt, dann schicke ich einen
Brief aus dem Knast.
Es
scheint, als würde die staatliche Repression gegen die Linke im Baskenland nach
dem fatalen Autobombenanschlag, der den Madrider Flughafen Barajas
am 30. Dezember erschütterte, wieder zunehmen. Der baskisch-spanische Friedensprozeß befindet sich in der Krise und droht zu
scheitern. Trotzdem meinten Sie jüngst, der sei »nicht kaputt«. Was bewegte Sie
zu dieser Hoffnung?
Der Friedensprozeß
steckt zweifelsohne in einer enormen Krise. Nunmehr geht alles darum, dessen
momentane strukturelle Blockierung zu durchbrechen. Wir sind davon überzeugt, daß es zu einer politischen Lösung des weiter bestehenden
Konfliktes keine Alternative gibt. Jeder andere als der politische Weg ist auf
Sand gebaut. Wir müssen nun in dieser komplizierten Lage versuchen, die Fahne
der Verständigung hochzuhalten. Das heißt für uns, mit allen Seiten und mit
allen Leuten zu besprechen, wie wir aus der Krise herauskommen. Eine politische
Dialoglösung ist unverzichtbar. Es kann allerdings nicht angehen, daß immer von einer »politischen Lösung« des Konflikts
gesprochen wird, aber eine der beteiligten politischen Parteien unter
undemokratischen Verhältnissen arbeiten muß und von
der demokratischen Arbeit ausgeschlossen wird.
Sie
meinen damit das – trotz Verhandlungen mit deren Vertretern – weiter
existierende Verbot von Batasuna?
Ja. Das paßt
nicht zusammen.
Sie
selbst haben 2004 vor 15000 Menschen im Velodrom von Donostia
(San Sebastian) die aufsehenerregende Initiative für
eine Lösung des damals verfahrenen baskisch-spanischen Konflikts präsentiert –
weg von der bewaffneten hin zur politischen Auseinandersetzung durch
Initiierung eines Dialogs zwischen Madrid und ETA einerseits sowie eines
parallelen Prozesses aller politischen Kräfte auf Ebene des gesamten
Baskenlandes. Am 22. März 2006 begann dann auf Grundlage dieser Idee mit dem
ETA-Waffenstillstand der eigentliche Friedensprozeß.
Dieser scheint nun nach nur neun Monaten beendet. Und inzwischen existieren
zumindest Zweifel an dessen grundsätzlicher Substanz. Wie ist er verlaufen?
Zu Beginn des Prozesses gab
es zunächst eine Phase, in der Bedingungen diskutiert wurden, wie er insgesamt
ablaufen könnte. Dafür wurden monatelang Gespräche geführt – auch mit dem
Staat. Das kann man nicht so abtun, als wenn nichts gewesen wäre. In dieser
Phase wurden einige Eckpunkte festgelegt, die unabdingbar waren, damit sich der
Prozeß überhaupt entwickeln konnte. Nur leider wurden
diese Verbindlichkeiten dann zunehmend von staatlicher Seite nicht eingehalten.
Was
meinen Sie konkret?
Zum Beispiel die erwähnte
Abmachung, demokratische Verhältnisse zu schaffen und für eine
gleichberechtigte Teilnahme aller Beteiligten zu sorgen. Statt
dessen versuchte die Regierungsseite, den Prozeß
für Frieden und eine politische Normalisierung rein technisch zu behandeln und
die politische Dimension auszuklammern. Das führte letztlich von der seit
Monaten existenten kleineren Krise zur jetzigen schweren Krise. Wir befinden
uns heute in einer Situation der Verunsicherung. Trotzdem bleibt eine
politische Lösung möglich und unbedingt nötig. Zwingende Voraussetzung hierfür
ist die Abwesenheit jeglicher Gewalt. Sie kann nur in einem Umfeld diskutiert
werden, das gewaltlos ist. Durch eine Wiederbelebung der Gespräche kann der
politische Prozeß wiederbelebt werden. Darum ringen
wir.
Trotz
dieses Anspruchs und obwohl Sie den Attentatsopfern und Angehörigen Ihr
Mitgefühl ausgesprochen haben, wächst insbesondere der Druck auf die linke
baskische Unabhängigkeitsbewegung. Drohen nun härtere Zeiten als vor Beginn des
Friedensprozesses?
Die Gefahr, daß repressive Mittel ergriffen werden, ist real, und damit
auch, daß wir Opfer von staatlicher Gewalt werden.
Ein derartiges Vorgehen wäre allerdings nichts anderes die Neuauflage eines
alten Konzepts, das nie gewirkt hat und auch diesmal nicht wirken wird. Die
PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei) weiß, daß der
Konflikt nicht mit dem Mittel der Unterdrückung zu lösen ist. Damit sorgt sie
lediglich für Auftrieb bei den frankistischen und
faschistischen Kräften im spanischen Staat, stärkt diese und gefährdet die
sozialdemokratische Linie selbst. Die PSOE kann letztlich nur erfolgreich sein,
wenn sie versucht, den Konflikt politisch zu lösen. Unsere Aufgabe ist es, so
schnell wie möglich wieder den Kontakt mit den Sozialdemokraten zu suchen und
mit dafür zu sorgen, daß die Phase der Rückkehr zu
den alten repressiven Mitteln so kurz wie möglich ist.
Die
Repression betrifft auch Sie persönlich, wie das aktuelle Reiseverbot nach
Berlin verdeutlicht. Sind weitere Maßnahmen gegen Sie als führenden
Repräsentanten des Friedensprozesses zu erwarten?
Es sieht tatsächlich so aus,
als ob das, was wir jetzt erleben, nur der Anfang von dem ist, was kommen wird.
Was
ist schief gelaufen?
Die PSOE-Regierung
hat den Prozeß insgesamt schlecht geleitet und sich
anscheinend auf die nächsten Wahlen konzentriert, um als Friedensbringerin in
die Geschichte einzugehen. Trotzdem muß sie auch
jetzt daran interessiert sein, daß es zu einer
politischen Lösung kommt. Bisher haben die Regierenden auf weitere Repression
gesetzt, waren unbeweglich, versuchten, im rechten Lager Sympathien zu sammeln
und zu zeigen, daß sie gegenüber ETA nicht klein
beigeben. Leider war die PSOE nicht dazu in der Lage, im humanitären Bereich
Erleichterungen einzuräumen – wie beispielsweise in der Frage der politischen
Gefangenen. Kontraproduktiv war schließlich die Veröffentlichung eines Videos,
in dem sie sich damit brüstete, keine Konzessionen gegenüber ETA gemacht zu
haben. Oder anders: Sie brüsteten sich gar damit, weniger Zugeständnisse
gemacht zu haben, als die Aznar-Regierung während der
ETA-Waffenruhe 1998/99. Diese ließ seinerzeit tatsächlich einige Gefangene ins
Baskenland verlegen. Es entstand zuletzt ein regelrechter Wettbewerb der PSOE
mit der spanischen Rechten, wer wem weniger Zugeständnisse gemacht hat. Damit
schadete die Regierungspartei ihren eigenen Interessen.
Nun
heißt es, ETA hätte durch die Bombe von Madrid den Friedensprozeß
zerstört und damit auch eine Verlegung der baskischen Gefangenen ins Baskenland
verhindert. Diese hätte, so mutmaßte beispielsweise der Madrider Korrespondent
der FAZ am Mittwoch, spätestens im Frühjahr 2007 begonnen. Angesichts des
Attentats vom 30. Dezember allerdings drängt sich natürlich die Frage auf,
warum Premier Zapatero nicht schon eher eine Geste
des guten Willens gezeigt und beispielsweise die Situation der baskischen
Gefangenen erleichtert hat. Was meinen Sie?
Die Frage haben wir uns auch
oft gestellt. Warum haben sie es nicht gemacht? Wir können uns das nicht anders
als mit wahltechnischen Überlegungen erklären. Oder damit, daß
der Druck der rechten Volkspartei (PP) so stark war, daß
die Regierung öffentlich nicht den Eindruck erwecken wollte, gegenüber ETA etwa
»einzuknicken«. Trotzdem bleibt festzuhalten: Sie hätte, ohne auch nur das geringste an der Gesetzgebung ändern zu müssen, die
politischen Gefangenen näher ans Baskenland verlegen können. Dieser Schritt
wiederum hätte ein Klima befördert, das dem gesamten Prozeß
förderlich gewesen wäre. Dieses nicht zu machen, war auch aus ihrer Sicht
unintelligent. Es fällt schwer nachzuvollziehen, warum. Wir haben dafür keine
Erklärung. Schlechter als die PSOE in den vergangenen Monaten kann man einen
politischen Dialog nicht führen.
Nun
warnte die baskische Seite in den vergangenen Monaten mehrfach vor einer
weiteren Blockade des Friedensprozesses. Auch wurde im November und Dezember
immer deutlicher: Der Unmut im Baskenland darüber, daß
sich nichts Substanzielles tut, wächst. Und trotzdem kam das ETA zugeschriebene
Attentat von Madrid für viele überraschend. Auch für Sie?
Ja. Es war zu diesem
Zeitpunkt nicht damit zu rechnen. Generell allerdings weiß ich nicht, ob man
von »Überraschung« sprechen kann, wenn bei einem längeren Prozeß
verschiedene Grundvoraussetzungen mehrfach angemahnt und trotzdem nicht
eingehalten werden. Zudem weiß man aus der Geschichte des Konflikts, wozu
Ignoranz führen kann. Insofern kann man nicht grundsätzlich von Überraschung
sprechen. Wenn allerdings der spanische Ministerpräsident noch am 29. Dezember
absolut sicher auftritt und behauptet, der Prozeß
laufe gut und es sei alles klar, und am 30. Dezember passiert solch ein
Attentat, dann – tut mir leid – hat der Mann demonstriert, daß
er sich eine absolute Fehleinschätzung geleistet hat.
Trotzdem
kam auch für Sie das Attentat überraschend.
In
der Tat. Und die nun entstandene Situation ist alles andere als wünschenswert.
Der Prozeß gerät in eine noch tiefere Krise, und wir
müssen jetzt sehen, wie wir mit den neuen Tatsachen umgehen. Dazu gehört zwar,
erst einmal zu beraten, doch möchte ich an dieser Stelle zunächst den
spanischen Regierungschef beim Wort nehmen. Dieser hat am 29. Dezember auch
gesagt: Wir stehen jetzt besser da als vor einem Jahr, und in einem Jahr werden
wir besser dastehen als jetzt. Ich nehme ihn also beim Wort und antworte: Dann
gehe ich davon aus, daß wir am 29. Dezember 2007
besser dastehen als am 29. Dezember 2006. Auf dieses Ziel wollen wir hinarbeiten.
Übersetzung: Stefan Natke
Dieses
Interview ist der Website der „jungen Welt“ (www.jungewelt.de)
entnommen. Ein Besuch dort lohnt sich immer. Aber auch der Erwerb der
Papierausgabe ist eine „gute Investition“!