Antifa-AG der Uni
Hannover:
„Das
darf man gar nicht wissen !“ Dieser kritisch-sarkastische Spruch bringt die
selbst auferlegten Denk- und Informationsverbote eines großen Teils der
hiesigen Linken (und beileibe nicht nur eingefleischter „Anti-Deutscher“) gegenüber
Organisationen wie der palästinensischen Hamas oder der libanesischen Hisbollah
wohl am besten auf den Punkt. Die liebgewonnenen Vorurteile, hier handele es
sich um finstere, mittelalterliche „Mordbrenner“ und „Moslemfaschisten“, die am
liebsten Frauen quälen und Juden abschlachten, wenn sie nicht gerade im Hoffen
auf einen Logenplatz im Paradies voller Freude Selbstmord begehen, möchte man
in so unsicheren Zeiten, wie den heutigen, offenbar nur ungern aufgeben. Und
die präzise Befolgung des „Political Correctness“-Kodex (der allein die
Aufnahme ins Szene-Paradies sichert) ist den Meisten allemal wichtiger als die
Wahrnehmung der Wirklichkeit und die konkrete politische Intervention. Die
Folge ist zum einen eine anti-aufklärerische Haltung, die der Tatsache
gegenüber blind ist, dass Hamas und Hisbollah kleinbürgerlich-antiimperialistische
Bewegungen (in jüngster Zeit mit linkspopulistischen Elementen) sind, wie es sie
auch schon im Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft in Indien im
19.Jahrhundert und beim Boxer-Aufstand in China (1900 ff.) gab. Und zum anderen
wird so geflissentlich übersehen, dass der Weg zur imperialistischen
Normalisierung in Palästina und im Libanon (also an zwei Brandherden der
internationalen Klassenauseinandersetzung) im Augenblick in erster Linie über
die Zerschlagung von Hamas und Hisbollah verläuft (und dann erst über die
Repression gegen die palästinensische und libanesische Linke). Ein Unternehmen,
das mit der Forderung nach einer Zusammenfassung der „Sicherheitsdienste“ der
Autonomiebehörde, der Einsetzung eines starken Innenministers und der geplanten
Entsendung ägyptischer Polizeitruppen und -ausbilder längst Formen angenommen
hat. Dem gegenüber als Linke eine befürwortende oder „neutrale“ bzw. „äquidistante“
Position zu beziehen, hieße dem „anti-deutschen“ Zentralorgan „bahamas“ zu
folgen, das seit langem fordert, die Linke müsse endlich den letzten Schritt
machen und aufhören links zu sein.
Die
italienische Linke bewegt sich da in ihrer Mehrheit auf einem deutlich höheren
Niveau. Weshalb der Nahost-Korrespondent der linken italienischen Tageszeitung „il
manifesto“, Michele Giorgio, sich nicht scheute in die – nur vom Fegefeuer
erleuchtete – Finsternis der „Hölle“ hinab zu steigen, um mit einem der
„Leibhaftigen“ (dem Mitglied der Hamas-Auslandsführung Osama Hamdan) ein
Interview zu führen, indem dieser die Positionen seiner Organisation zu den
Unruhen in Gaza und den Führungskämpfen innerhalb der Fatah und der
palästinensischen Autonomiebehörde darlegt. Es erschien am 25.7.2004.
Osama
Hamdan:
„Eine Regierung der nationalen
Einheit“
Einer der Hamas-Führer spricht aus
dem Beiruter Untergrund heraus über die palästinensische Krise.
Michele Giorgio – auf der Rückkehr aus Beirut
In einer konspirativen
Wohnung in Haret Hreik, dem Stadtteil am südlichen Stadtrand von Beirut, der
eine Hochburg der Hisbollah ist, lebt und arbeitet Osama Hamdan, einer der
Führer der palästinensischen islamischen Bewegung Hamas im Exil. Um ihn herum
sind die Sicherheitsmaßnahmen sehr streng – aus Furcht vor israelischen Angriffen.
Die von der Hisbollah zur Verfügung gestellten Leibwächter sind sehr aufmerksam
und überlassen nichts dem Zufall. Wir haben mit Hamdan über die Situation im
Gaza-Streifen, über die Krise der Palästinensischen Autorität (PA) <im Deutschen: der Autonomiebehörde> und die Position von Hamas diskutiert.
Die Situation in Gaza ist
explosiv. Die Demonstrationen gegen die Korruption reißen nicht ab und die mit
der Al-Fatah verbundenen bewaffneten Gruppen der Intifada protestieren (auch in
gewaltsamer Form) gegen die Misswirtschaft und für die Absetzung der als
korrupt angesehenen Chefs der Sicherheitsdienste. Hamas blieb in diesen Tagen
abseits. Wartet Ihr am Flussufer, dass der Kadaver der PA oder – spezieller –
derjenige von Yasser Arafat vorbei treibt ?
„Das ist nicht der Fall.
Hamas beobachtet im Gegenteil das, was in Gaza geschieht, mit Sorge und wünscht
sich nicht, dass irgendein palästinensischer Führer von der Bühne abtritt. Wir
wissen, dass diese chaotische Situation für die Sache unseres Volkes
schwerwiegende Konsequenzen haben könnte und deshalb sind wir darüber nicht
glücklich. Wir denken nur, dass unter diesen Umständen alle aufgerufen sind,
für das Wohl der Palästinenser zu arbeiten.“
Welche Lösung schlagt Ihr
also vor, um aus dieser Krise herauszukommen, die verheerende Ergebnisse zur
Folge haben könnte ?
„Wie wir bereits in der
Vergangenheit gesagt haben, glauben wir, dass die neue palästinensische Phase
notwendigerweise über die Bildung einer vereinigten Führung verläuft. Wir sind
nicht gegen die PA. Wir haben viele Male wiederholt, dass wir immer für die
nationale Einheit kämpfen werden. Gleichzeitig sind wir allerdings der Meinung,
dass man zur Bildung einer neuen Autorität / Autonomiebehörde schreiten muss,
die alle palästinensischen Kräfte umfasst, die bereit sind, den Kampf gegen die
israelische Besatzung fortzusetzen. Die aus den Osloer Abkommen von 1993
hervorgegangene PA interessiert uns nicht. Wir wollen stattdessen eine
Regierung, die wirklich alle Palästinenser repräsentiert.“
In diesen Tagen spricht
man vom Ende der Macht Arafats und der Bildung einer neuen Exekutive der PA.
Unterdessen verhehlen alte und neue Anwärter auf die Führung der PA nicht ihre
Absicht, „Gaza wieder zur Ruhe zu bringen“. Wodurch sie zu verstehen
geben, dass sie auch bereit sind, Bestrafungsaktionen gegen Hamas einzuleiten,
wie es Israel fordert. Ihr erklärt den „takfir“ (die islamische
Exkommunizierung) der PA für den Fall, dass sie beschließen sollte, die Hamas
anzugreifen.
„Machen wir nicht zu schnell
! Der ‚takfir’ ist nur die letzte
Möglichkeit, die der Hamas in dem Fall zur Verfügung steht, dass die PA uns
direkt und in verheerender Weise angreifen sollte. Wir werden niemals die
Ersten sein, die die nationale Einheit der Palästinenser in Gefahr bringen.
Das, was wir im Augenblick sagen können, ist, dass wir eine
verantwortungsbewusste PA erwarten, die unserem Volk in einer Phase, in der
sich alles zuzuspitzen scheint und in der der Angriff durch die israelischen
Besatzungstruppen an Intensität zunimmt, ein positives Signal zu geben
versteht.“
Die Regierung Sharon hat
den Rückzug aus Gaza im Laufe des nächsten Jahres gebilligt. Im Gaza-Streifen
sollten bald Hunderte ägyptischer Polizeibeamter und -ausbilder eintreffen, um
den palästinensischen Sicherheitskräften bei der Reorganisation zu helfen.
Manch einer sagt, dass das ägyptische Engagement in Wirklichkeit gerade darauf
ausgerichtet sei, Hamas unter Verschluss zu halten.
„Unserer Ansicht nach
versucht Sharon nur internationale Zustimmung zu erringen, während er in
Wirklichkeit keinerlei Absicht hat, seine Soldaten und Siedler aus Gaza
abzuziehen. In jedem Fall haben wir unsere Position bereits erklärt: Es gibt
keinen Bedarf an einer ägyptischen Polizei in Gaza oder einer jordanischen in
Cisjordanien. Die Palästinenser sind in der Lage das allein zu erledigen.
Gleichzeitig ist jede andere Form der Zusammenarbeit seitens der ägyptischen
Brüder akzeptabel und Hamas wird sie nicht in Frage stellen. Ägypten – da sind
wir sicher – ist sich sehr genau bewusst, dass nicht der palästinensische
Widerstand das Problem ist, sondern die Besatzung und das
Nuklearwaffenpotential Israels, das die gesamte Region bedroht. Das sind die
wirklichen Probleme, die gelöst werden müssen.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügung in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover