"Opas Kalaschnikow" ???

Juden mit Rattenschwänzen (oder auch Mäuseschwänzen, wie die Antifa-Ag versichert), die in ihren Löchern im Untergrund hocken, das "historische Palästina" zerfressen und unterwühlen, dabei schwerbewaffnet ohnmächtigen Zivilisten gegenüberstehen und zynische Sprüche ablassen?!

Dies ist eine Replik auf einen Text (">Solidarität mit Israel< bedeutet das Ende linker Politik!" (sic!)) der "Antifa-AG der Uni Hannover", den diese im "Fragezeichen" (Fußnote 1) sowie vorab –mit der oben charakterisierten Karikatur bebildert – als Flugblatt veröffentlichte. Sie hatte mit dieser Polemik auf einen Artikel der Fachschaft Sozialwissenschaften/Geschichte in deren Zeitung "vorläufiges FAZIT" (Fußnote 2) reagiert, in dem sich die Fachschaft kritisch mit der "Palästina-Solidarität", v.a. von "Linksruck" auseinandersetzte.

Wir werden in dieser Antwort keine Stellungnahme zu dem "Nahost-Konflikt" selbst abgeben. Uns interessieren hier weniger die realen Vorgänge, auch nicht die berechtigten Aspekte der Kritik an der israelischen Militär- und Siedlungspolitik, als vielmehr die geschichtsrevisionistischen und in der Tat antisemitischen Wahrnehmungsmuster durch die diese Kritik in Teilen der deutschen "Linken" formuliert wird und die idealtypisch auch in dem genannten Text an die Oberfläche brechen.

Deren unreflektierte Verwendung verurteilen wir entschieden. Laut Antifa-AG ist eine solche Kritik, wie sie auch in dem Text der Fachschaft geübt wird: "unverschämt, heuchlerisch und von extrem dürftigem intellektuellen Niveau", "schlicht reaktionär", "stockbürgerlich", "das Geschäft der neuen Rechten betreibend" sowie "moralisierend" und "sich selbst geißelnd" – nun, es ist doch schon mal spannend zu sehen, welch intensive Abwehr-Affekte sie mobilisiert.

Zentrales Anliegen der Antifa-AG ist das Zurückweisen der "Kollektivschuld-These" (ein deutscher Reflex seit Ende des Krieges), worunter sie schon die banale Feststellung, daß die "überwiegende Mehrheit der Deutschen" für den NS mitverantwortlich sei, fassen:

"Diese These vereinigt nicht nur elegant die Massenverachtung der Totalitarismustheorie mit der moralischen Reinheit emigrierter bürgerlicher Intellektueller, sie ist auch darauf angelegt, den politischen und sozialen Charakter und die Entstehung des Faschismus zu vernebeln."

Wenn Walser Auschwitz als Stachel in der "Schicksalsgenossenschaft deutsche Nation" (die er endlich wieder richtig fühlen will) stört, er deshalb einen Schlußstrich will und "Ehrl-König" haßt (der mit seinem abstrakten Intellekt und seinem partikularen Machtstreben das völkische Empfinden zerstört) dann läuft das parallel zum Wunsch der Antifa-AG nach dem nicht-nazistischen Proletariat, dem guten Opa. Drohte ein neuer Faschismus, würde es, laut Antifa-AG

"[...] allmählich Zeit, Opas Kalaschnikow aus dem Erddepot auszugraben und sich auf eine neue Resistance vorzubereiten."

Wieso haben sie diese Assoziationen? Der deutsche Opa als bewaffneter Partisan? Die Antifa-AG ist gewiß nicht völkisch, aber ihr gutes Kollektiv, das "internationale Proletariat" (und als Teil dessen das deutsche), zu dem sich ihre Mitglieder als zugehörig zu halluzinieren scheinen, hat sie auch.

Daher das Problem mit der These einer breiten Verankerung des Antisemitismus als einer Ideologie, die der bürgerlichen Gesellschaft inhärent ist, sie "erklärt" und der Rebellion gegen das von deren unverstandener ökonomischer Struktur erzeugte Leiden ein konkretes Ziel, einen personalisierten Schuldigen zuführt: den (jüdischen) raffenden Kapitalisten (3). Diese Interpretation ließe auch das Proletariat nicht unbehelligt. Gerade antikapitalistischer Widerstand manifestiert sich leicht als antisemitischer, auch in der deutschen Arbeiterbewegung (4). Diesen Verdacht muß die Antifa-Ag abwehren. Schließlich will man(n) sich doch als tapferer deutscher Arbeiterkämpfer sehen. Die Verleugnung des Antisemitismus und Betonung des heroischen Widerstandes der Arbeiterbewegung ist natürlich nix neues, sie zieht sich durch die Geschichtsschreibung der DDR zum NS ebenso wie durch die Antiimp-Bewegung der 70er und 80er Jahre.

Der NS reduziert sich bei der Antifa-AG – in konsequenter Dimitrow-Manier (5) – auf eine besonders üble Finte des Kapitals.

"[D]ie Verantwortung des deutschen Kapitals (Deutsche und Dresdener Bank, IG Farben, Stinnes, Krupp usw.), seine Unterstützung für die Machtergreifung der Nazis und sein Profitieren von deren Politik (Zerschlagung der Arbeiterbewegung, Aufrüstung, Zwangsarbeiter, "Arisierung" jüdischen Eigentums) [...]"

seien der Kern des deutschen Faschismus. Das "Kapital", die bösen Konzerne sind schuld. Diese Sicht, die Kapitalismus nicht als gesellschaftliche Totalität begreift, abstrakten Wertgesetzen folgend, sondern als Machenschaft finsterer Kapitalisten gegen das vielleicht mal naive aber immer unschuldige Proletariat, ist strukturell selbst antisemitisch. Die These von der Verbreitung antisemitischer Denkstile in der Arbeiterbewegung wird widerlegt mit einer strukturell antisemitischen Kapitalismusanalyse. Die Widerlegung ist deckungsgleich mit dem, was widerlegt werden soll.

NS = Kapital vs. Proletariat ist das produzierte Bild, Antisemitismus wahrscheinlich nur ein Propagandatrick "des Kapitals". So brauchen "wir" kein schlechtes Gewissen zu haben und ist ">den Antisemitismus in den eigenen Reihen< zu suchen", ein unnützes "moralisierendes" "sich geißeln" und geht an den Realitäten vorbei. Selbstkritik - Nein Danke! Der Feind steht auf der anderen Seite der Barrikade! Welch einfache Welt!

Die Massenbeteiligung an der Judenverfolgung und –vernichtung ist bloß eine "Theorie, die die Westalliierten nach 1945 aufbrachten" um die deutschen Eliten zu entlasten und

"[...] um eben dieses Kapital [das ja eigentlich alleinig schuld am NS sei (Anm. d.V.)] genau wie alte Nazis, Wehrmachts- und SS-Offiziere für die Restauration bürgerlicher Herrschaft in Deutschland und ihren Feldzug gegen das sozialistische Lager erneut einzuspannen."

Kapital, West-Alliierte, Alt-Nazis – alles ein – jüdisch konnotierter - Brei. Diejenigen, die die Rolle des UnternehmerInnen und ArbeiterInnen vereinenden Antisemitismus im NS betonen, die ihren Finger in die deutsche/proletarische Wunde Auschwitz legen, tun dies also heuchlerisch und sind dem Wesen nach sogar dieselben, die den NS getragen haben.

Dies ist sekundärer Antisemitismus. Ein Antisemitismus, der den JüdInnen den Zwang zur Erinnerung an Auschwitz übelnimmt und sie als die Profiteure der Shoah sieht, diese zynisch und meinungssteuernd ausnutzend. (vgl. das strukturell gleiche Bild in den "Holocaust-Industrie" Thesen von Finkelstein) Nur konsequent ist es dann, JüdInnen selbst faschistisches Verhalten zuzuschreiben, wie dies in der Wahrnehmung der israelischen Politik auch geschieht. Zu dem Brei Kapital, West-Alliierte, Alt-Nazis wird noch Israel hinzugetan.

Vor diesem Hintergrund ist die Antifa-Ag-Bezeichnung Israels als "Rassisten- und Kolonialistenregime" zu sehen. Das drängt zudem noch den letzten Rest vom schmutzigen Fleck Auschwitz fort: Israel, d.h. in diesem Kontext die JüdInnen sind ja eigentlich viel schlimmer als "wir", das antifaschistische deutsche Proletariat.

Hier schlüpft dann aus einer falschen Faschismusanalyse, die auf einer falschen, strukturell antisemitischen Kapitalismus-Analyse aufbaut, im letzten Schritt auch inhaltlich wieder der Antisemitismus aus.

Doch diesen zu formulieren überläßt die Antifa-AG lieber anderen. In den von ihr übersetzten Texten italienischer Gruppen und Interviews mit palästinensischen Funktionären auf ihrer Homepage (6) ist Israel = Faschismus und die palästinensischen TerroristInnen sind mit antifaschistischen PartisanInnen im 2. Weltkrieg assoziiert (7). (Vor diesem Hintergrund ist es absurd, wenn sich die Antifa-Ag über die "inflationäre Verwendung des Faschismus-Begriffs" beklagt.) Und wie die Karikatur von Khalil Bendib, deren Beschreibung diesen Artikel eröffnete, zeigt, passen zu diesem Israelbild die ganz klassischen antisemitischen Stereotype.

Wenn die Antifa-Ag nun den Antisemitismus-Vorwurf erbost von sich weist und sich durch Berufung auf israelische KritikerInnen der israelischen Regierung legitimieren will, so zeigt das nur ihr Unverständnis. Der Hintergrund, vor dem etwas gesagt wird, der Kontext aus dem der/die SprecherIn stammt und die (unbewußte) Motivation aus der heraus es gesagt wird, führen zu verschiedenen Aussagen, selbst wenn die Worte fast dieselben sind. Es schwingt Unterschiedliches mit, es laufen verschiedene Filme im Hintergrund. Was nicht heißt, als DeutscheR auf die Auseinandersetzung zu verzichten. Ein solidarischer Bezug auf ein Israel als Zufluchtsort der vom Antisemitismus Verfolgten sollte zwar selbstverständlich sein, muß aber weder die ungebrochene Zustimmung zu allen Entscheidungen jeglicher israelischer Regierung noch den Verzicht auf antinationalen Widerspruch gegenüber nationalen Identitätsmythen beinhalten – sehr wohl allerdings eine gewisse selbstkritische Sensibilität für die eigene Position, aus der gesprochen wird, und die Wirkung, die diese Kritik im deutschen Diskurs entfalten würde.

Bleibt abschließend nur noch festzuhalten, daß es eine Frechheit ist, von der "moralischen Reinheit emigrierter bürgerlicher Intellektueller" zu sprechen und eine unerträgliche Flapsigkeit, einen Satz zu schreiben wie:

"Für die Antinationalen und ihre Fans reduziert sich Faschismus offensichtlich auf Judenvernichtung."

(Alle Zitate sind dem besprochenen Text der Antifa-AG entnommen. Zum Weiterlesen empfohlen: www.stud.uni-hannover.de/gruppen/fs-sowi/hauryneu.htm)

Anti-Expo-Ag

 

 

Fußnoten:

1: Fragezeichen, Nr. 9, Juli 2002

2: Vorläufiges Fazit, Nr. 4, SoSe 2002

3: vgl. Claussen, Vom Judenhass zum Antisemitismus, in: Ders., Aspekte der Alltagsreligion, Frankfurt 2000

4: vgl. z. B. Leuschen-Seppel, Sozialdemokratie und Antisemitismus im deutschen Kaiserreich, Bonn 1978 oder Heid, Sozialistischer Internationalismus, sozialistischer Zionismus und sozialistischer Antisemitismus, in: Alter/Bärsch/Berghoff (Hg.), Die Konstruktion der Nation gegen die Juden, München 1999

5: Für Dimitrow ist der deutsche Faschismus die "offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals." (zit. nach: Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Israel, Bonn 1997)

6: http://kickme.to/antifa-uni-hannover

7: "Der Widerstand der Palästinenser mit seinen Aktionen unterscheidet sich nicht von dem der Partisanen in Italien (und nicht nur da). Sie kämpften gegen die Nazi-Besatzung und ihren treuen faschistischen Kollaborateur. Er unterscheidet sich nicht von all denjenigen, die sich verteidigen und für ihre Befreiung kämpfen." Centro Popolare Autogestito (CPA) Firenze – Sud (Selbstverwaltetes Volkszentrum Florenz - Süd)