Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Bereits
unmittelbar nach dem skandalösen Verhalten der britischen (von SWP und
Socialist Action kontrollierten) Demonstrationsleitung auf der
Abschlussdemonstration des Londoner ESF am 17.10.2004 hatte der Sprecher der
linken italienischen Basisgewerkschaft Confederazione Cobas, Piero Bernocchi,
in einem kurzen Statement dagegen protestiert. Kurz darauf verfassten die
wichtigsten Vertreter der italienischen Antiglobalisierungsbewegung ein (nicht
ganz so) kritisches, strömungsübergreifendes Papier zu diesen und anderen
Vorfällen, das eigentlich für die interne Diskussion im internationalen
ESF-Trägerkreis gedacht war, dann aber doch auf Indymedia und peacelink
veröffentlicht wurde. Dies nahm der Genosse Bernocchi zum Anlass in einem
ausführlichen Text auf alle wesentlichen Kritikpunkte in Sachen Londoner ESF
ein- und dabei über das von ihm mitgetragene italienische Konsenspapier hinaus
zu gehen. Diese zweite Stellungnahme von Bernocchi bzw. der Confederazione
Cobas, die vom 24.10.2004 datiert, wurde sowohl auf Indymedia Italy als
auch auf der Seite des linken italienischen Immigrantenkollektivs „Bellaciao“
in Paris (www.bellaciao.org)
veröffentlicht und ist für die auf europäischer Ebene laufende ESF-Debatte nach
wie vor hochinteressant.
Piero Bernocchi noch einmal zum
Europäischen Sozialforum in London
Sonntag, 24.Oktober 2004
von Piero Bernocchi
Um Missverständnisse zu
vermeiden: Gestern wurde unangebrachterweise ein von den Vertretern
verschiedener italienischer Bereiche und Organisationen, die verstärkt für das
Londoner ESF gearbeitet haben, unterzeichneter Brief, der in Wirklichkeit an
den europäischen E-Mail-Verteiler des ESF adressiert war, an Indymedia
geschickt. Darin gingen sie, wenn auch – gerade aufgrund des Bestimmungsortes –
in der „diplomatischen“ Sprache der internationalen Beziehungen, zu dem
Verhalten des britischen Organisationskomitees auf Distanz (und zwar nicht nur
wegen der Abschlusstage des Forums). Und es wurde allen europäischen Strukturen
die Rolle verdeutlicht, die ein Gutteil der italienischen Delegation gespielt
hat, um zu verhindern, dass die Situation weiter ausartete.
Da es zwischen den
Unterzeichnern – jenseits des produzierten Textes – starke
Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Inhalte der Kritik am britischen
Komitee (und an denjenigen, die gegen dessen Verhalten nicht angemessen
protestiert haben) gibt, die z.B. verhinderten, dass Andere die COBAS-Erklärung
mit der deutlichen Verurteilung des Komitees unterzeichneten und da die
allgemeine Sprache in einigen wichtigen Punkten des gemeinsamen Kommuniques als
eine Abschwächung unserer Kritik missverstanden werden könnte, nutze ich die
Gastfreundschaft von Indymedia (der ich, angesichts der repressiven Kampagnen,
die regelmäßig gegen sie gefahren werden, erneut unsere uneingeschränkte
Solidarität bekunde) nicht nur, um unsere unmissverständliche Verurteilung
dessen zu bekräftigen, sondern auch um einige wichtige Punkte bezüglich des
Verlaufs des Londoner ESF zu präzisieren.
1.) Die
„autonomen Räume“ in London hätte es niemals gegeben, wenn es nach dem
britischen Komitee (und in erster Linie nach der Socialist Workers Party,
Socialist Action – der Gruppe des Londoner Bürgermeisters Ken Livingstone – den
beteiligten britischen Gewerkschaften und der <von der rechteren „Morning Star“-KP – CPB
– gesteuerten Abrüstungskampagne> CND
von Kate Hudson) gegangen wäre. Dann wäre es zur frontalen Auseinandersetzung
zwischen derlei Organisationen und Bereichen und den „Horizontalen“ gekommen.
2.) Seit Beginn
des Prozesses haben die COBAS zusammen mit den britischen „Horizontalen“ und
ihren Basisstrukturen daran gearbeitet, ihr Recht darauf, zusammen mit den
Anderen auf dem Londoner ESF, Protagonisten zu sein, zu verteidigen und haben
auf allen europäischen Versammlungen dafür gekämpft, dass ihre Positionen
respektiert und in die gemeinsame Arbeit einbezogen wurden.
3.) Nachdem wir
wiederholt feststellen mussten, dass ein Gutteil der bei europäischen Treffen
gefällten Beschlüsse danach vom britischen Komitee zuhause annulliert oder verdreht
wurden und dass jede Öffnung, die bei europäischen Treffen vollzogen wurde,
dann de facto durch eine autoritäre und ausgrenzende UK-Leitung, die sich am
Rande des Banditentums bewegte, getrübt wurde, haben wir als COBAS (vor allem
auf der Vorbereitungsversammlung in Berlin <am 19./20.6.2004>) die Forderung unterstützt, die von allen „horizontalen“ Bereichen
Großbritanniens (lokale Foren, „Graswurzel“-Strukturen, Indymedia, Wombles
<= Anarchisten +
Anarchosyndikalisten> etc.) erhoben
wurde, nämlich diesen Bereichen vom ESF bezahlte und in das offizielle Programm
aufgenommene, autonome Räume zu garantieren. Wir unterzeichneten (unterstützt
von anderen Teilen der italienischen Delegation sowie anderer europäischer
Delegationen) den von Xavier, der wichtigsten Londoner Bezugsperson von
Indymedia, vorgelegten Antrag, der für die Schaffung solcher Räume eintrat und
sorgten dafür, dass er angenommen wurde. Schließlich und endlich haben sich die
COBAS in den drei Tagen des ESF an jenen Räumen beteiligt.
4.) Der Kampf
gegen die Unsitte der „Ausgrenzung“ wurde tatsächlich nur von einigen
italienischen Kräften und Bereichen entschlossen geführt und oftmals durch die
substantielle Unterstützung (oder die stillschweigende „Komplizenschaft“)
erschwert, die vor allem die SWP (und – sprechen wir es aus – das Projekt
RESPECT, in dem sie Protagonist ist), aber auch die beteiligten Gewerkschaften
von einflussreichen italienischen und europäischen Kräften erhielten, die auf
dem ESF präsent waren und die häufig in einer Auseinandersetzung, die von
„Pontius zu Pilatus“ führte und uns bei verschiedenen Gelegenheiten dazu
gezwungen hat, den Kampf wirklich mit wenigen Leuten zu führen, keine Stellung
bezogen. Das führte bis hin zu dem „diplomatischen Unfall“ des (vom Autor
dieser Zeilen, Benzi, Mecozzi und Russo unterzeichneten) internen Briefes, der
sich sehr kritisch über das Gebaren der Briten äußerte und – nachdem er „urbi
et orbi“ („in Stadt und Land“) zirkulierte, dem UK-Komitee den Eindruck
vermittelte, dass wir Italiener das ganze Forum verlassen wollten und sie für
kurze Zeit wieder zu milderen Empfehlungen veranlasste.
5.) Wenn es nach
den Briten gegangen wäre, hätte man dem Protest der
Wombles / „Horizontalen“ am Samstagnachmittag mit der
Polizei und den privaten Wachleuten begegnen sollen und er hätte in
katastrophalen Zusammenstößen vor dem Alexandra Palace geendet. Gemeinsam mit
anderen Delegationen haben wir uns sowohl dem Auftritt von Livingstone als auch
jeder Art von Eingreifen der Polizei und der privaten Wachleute widersetzt und
durchgesetzt, dass dem Protest volle Legitimität bescheinigt wurde und als
COBAS das alles mit den „Horizontalen“ / Wombles diskutiert, die sich
vor dem Alexandra Palace befanden. Das
UK-Komitee wollte (nachdem die Polizei die Demonstration angegriffen hatte, die
die „Protestierer“ außerhalb des Geländes durchgeführt hatten als sie nach dem
Protest innerhalb des Alexandra Palace in die Stadt zurückkehrten) nicht nur
nicht intervenieren, wobei sie im wesentlichen erklärten: „Das geschieht ihnen
recht !“, sondern erfanden <auch> (Hört ! Hört !) eine
„rassistische“ Aggression gegen einen schwarzen Wachmann von enormer Statur,
der versucht hatte, die „Protestierer“ allein aufzuhalten und mit Hilfe einiger
Stöße beiseite geräumt wurde. Aufgrund dieses Vorfalls bekamen wir das
Unglaubliche zu hören: Dieselben Leute, die auf den Plenarveranstaltungen jede
„Anwendung von Gewalt“ gegen die USA weltweit gebilligt hatten (inklusive der
der Gurgel-Durchschneider und Hotel-Ausweider) hielten im United Kingdom die
Unterbrechung einer Versammlung, den Stoß gegen einen „Christus“ von ca.
150 kg und sogar den angeblichen Diebstahl eines Handys desselben „riesigen
Christus“ für „nicht hinnehmbare Gewalt“. Kurz, die „British as usual“,
die fröhlich in der Weltgeschichte herumbomben und Dresden mit Brandbomben
ausradieren, die einen Hiroshima-Effekt haben. Aber wehe denen, die die kleinen
Spatzen schlecht behandeln (die gut zu behandeln in jedem Fall in Ordnung ist
!).
6.) Der Protest
gegen den Vertreter einer der irakischen „kommunistischen“ Parteien und einer
der Gewerkschaften, dem der Geruch der Kollaboration anhaftet, während einer
Plenarveranstaltung zum Irak, war vollkommen verständlich. Wir hatten uns bei
der Festlegung des Programms gegen einen solchen Redebeitrag ausgesprochen, der
von den britischen Gewerkschaften allerdings mit gezogenem Schwert verteidigt
wurde. Da wir keine Vetos gegen die Vorschläge einer anderen Delegation
einlegen konnten, hatten wir auf die positive Rolle von Fabio Alberti gehofft,
der von den Italiener(inne)n für diese Plenarveranstaltung vorgeschlagen wurde.
Es erscheint uns allerdings eher normal, dass das nicht ausreichen konnte.
7.) Die
Demonstration am Samstag wurde auf verbrecherische Weise geleitet. An der
Spitze befand sich der gesamte Ordnerdienst und der Apparat der SWP und der
anderen Organisationen, die „Komplizen“ waren. Der Generalsekretär der SWP,
Alex Callinicos (derjenige, der vom „Schwarzen Block“ gesprochen hat, der das
Forum angegriffen habe), hat mich und Sophie Zafari aus der französischen
Delegation aufgefordert, in der Mitte des Führungstransparentes zu gehen (eine
Tatsache, die mir jemand auf Indymedia als Zeichen für <mein> „heimliches Einverständnis“ vorgeworfen hat). Wir
waren allerdings seitlich und nach hinten von den Briten (den „british“)
des Komitees und der SWP umgeben und Callinicos hat mir wiederholt gedroht als
ein Vertreter des Manchester Social Forum sich in „Vertretung“ der autonomen
Räume neben mich gesellte und als ich einen Tobsuchtsanfall bekam als ich sah,
dass die Spitze der Demonstration gestoppt wurde, um das Vorbeiziehen von
ungefähr Tausend SWP’lern (verkleidet als „Stop the War Coalition“) zu
ermöglichen, die mindestens einen Kilometer lang die wahre Demospitze bildeten.
(Solange bis mein Gebrüll und einiger anderer Protest der „Europäer“ Callinicos
davon überzeugten, dass es besser war, die Gruppe zurückzubeordern.) Als uns
die Nachricht von den Verhaftungen erreichte, haben wir uns heiser geschrieen,
um die Briten zum Eingreifen zu bewegen, die sich überhaupt nicht darum
geschert haben und die Verhandlungen mit der Polizei mussten wir Italiener
zusammen mit den herbeigeeilten Abgeordneten <des Europaparlamentes> führen.
Vor der Bühne angekommen,
erlebten wir eine Reihe von Banditenakten: Die Bühne war nicht nur vom UK-Komitee
mit „Beschlag belegt“ worden und es wurde nicht nur mir und den anderen
Italienern untersagt, auf die Bühne zu steigen, um über das Geschehene zu berichten,
sondern gleichzeitig wurde eine Kundgebung mit 15, allesamt britischen, Rednern
begonnen, nachdem tagelang versichert worden war, dass die Demonstration nur
durch das Konzert beendet werde, dem eine kurze Grußbotschaft samt
gegenseitiger „Glückwünsche“ vorausginge. Die „Horizontalen“ / Wombles
hatten wiederholt gefordert, dass von der Bühne herunter etwas zu den
Verhaftungen gesagt wurde und Xavier, ein ultrapazifistischer Mensch, hatte
sich angeboten, das zu tun, wurde allerdings von den Leuten des Ordnerdienstes
buchstäblich der Polizei übergeben, nachdem die Drängeleien der Wombles (die
allerdings so wenig gewalttätig waren, dass sie es ungefähr einem Dutzend
SWP-„Wachhunden“, die durchaus Experten in der „Anwendung von Gewalt“ waren,
erlaubten, dem Druck von rund 100 Leuten standzuhalten) keinerlei Ergebnis
erzielt hatten. Wer sind also die wahren „Gewalttäter“ ? Und wer diejenigen, denen wirklich „Gewalt
angetan“ wurde ?
8.) Wie auch
immer, auch jenseits all dieser gravierenden Ereignisse hat die Diskussion in
London verdeutlicht wie weit verbreitet die Kritik an diesem Forumsmodell
mittlerweile ist, das sich inzwischen als unzureichend erwiesen hat, um die
europäischen anti-wirtschaftsliberalen und Anti-Kriegs-Netzwerke sowie die
daraus folgende Auseinandersetzung auf der Höhe der Notwendigkeiten zu
organisieren und zu repräsentieren. Am 18. und 19.Dezember <2004> in Paris werden wir auf der „außerordentlichen“
Europäischen Versammlung, die einberufen wurde, um eine radikale Veränderung
dieses Modells vorzunehmen, feststellen, ob es – über den Willen etwas
ernsthaft zu verändern hinaus – auch den Willen gibt, immer und überall die
größtmögliche Einbeziehung sicherzustellen und zu verhindern, dass sich
Ereignisse wie die, die wir in London erlebt haben, jemals wiederholen können.
Piero
Bernocchi (Confederazione Cobas)
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover