Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover:
Hier die Position des zum linken und radikalen Teil der italienischen
Antiglobalisierungsbewegung gehörenden No Global-Netzwerkes aus Neapel
und der Region Kampanien von Mitte November 2001 zu dem von den ehemaligen
Tute Bianche und den Giovani Comunisti (der Jugendorganisation von Rifondazione
Comunista) lancierten Konzept des “sozialen Ungehorsams”. Es wurde auf ihrer
Internetseite (www.noglobal.org) veröffentlicht:
Eine freie Welt ist noch niemals
entstanden
Die Position des Netzwerkes zum Ungehorsam
Schaffen wir den Generalstreik gegen den Krieg, bauen wir die politische
und soziale Opposition gegen Neoliberalismus und Krieg auf !
Die nationale Manifestation gegen den Krieg (“ohne wenn und aber”) und die
WTO am 10.November <2001 /d.Ü.> in Rom zeigt, daß die antagonistische
Bewegung trotz Verspätungen, Unsicherheiten und Opportunismen mit all
ihrer politischen Macht und Brisanz eines neuen sozialen Protagonismus neu
erschienen ist. Das alles ist in autonomer Weise geschehen - jenseits der
Medienzensur und der von der Kriegspartei DS (Linksdemokraten) - das Olivenbaum-Bündnis
und die Margerite1 eingeschlossen - in Gang gesetzten Maschinerie und über
die rosigen Voraussagen der Teile der Bewegung hinaus, die sich mutigerweise
zu ihren Trägern gemacht hatten.
Jetzt ist der Moment gekommen, zusammen mit Anderen DEN (sozialen, gewerkschaftlichen
und politischen) Generalstreik gegen den Krieg zu schaffen.
Genua hat für viele einen Moment des Bruches, das Zur-Diskussion-Stellen
von Wegen und Überzeugungen bedeutet... Die lange Welle ist in keiner
Weise erschöpft. Sie ist dabei die Organisationen der “traditionellen
Linken” mitzureißen und sie zu zwingen, Positionen und Kräfteverhältnisse
innerhalb der gewerkschaftlichen und parlamentarischen Opposition zu verändern.
Wir waren von der Erfahrung des 17.März <2001 /d.Ü.> in
Neapel2 ausgegangen, die im NO GLOBAL-Netzwerk (Rete NO GLOBAL) die Synthese
jahrelanger Arbeit des antagonistischen Bereiches gefunden hat und für
den bedeutendsten Aktionstag landesweiter politischer und sozialer Opposition
gegen die neoliberale und kapitalistische Globalisierung mobilisierend, sind
wir in Genua gelandet und haben uns sofort in einem neuen, unvorhergesehenen
und schrecklichen Kampf wiedergefunden: der Opposition gegen den Krieg.
Wir denken, daß die Mobilisierung gegen den dauerhaften Krieg einen
Qualitätssprung machen muß, fähig sein muß, die soziale
Konfliktbereitschaft neu voranzubringen, die mit dieser Bewegung neue Kraft
gewonnen hat, um zu “einem” bewußteren und reiferen “Nein” zum Krieg
zu führen und zur gemeinsamen Ausrufung des Generalstreikes zu gelangen.
Von daher ist die soziale Lesart des Krieges und der Ziele, die er hat, klar:
Wem nützt er und gegen wen richtet er sich ? Um so aus dem Engpass des
humanitären Pazifismus herauszukommen, der respektabel ist, aber für
unsere Ideen nicht erschöpfend. Ein antikapitalistisches Nein zum Krieg,
der als immer normaleres Instrument der Ausbeutungs- und Unterdrückungspolitik
der Herren der Welt verstanden wird.
Genua hat unseren Fundus an Erfahrungen und Emotionen bereichert, auch wenn
der Eine oder Andere unsere Teilnahme am 20. Juli <2001 /d.Ü.>,
dem Aktionstag des zivilen Ungehorsams nicht voll verdaut hat.
Wir waren niemals der Auffassung, daß die Aktionsformen der Straße
als Fetische verfolgt werden müssen. Dies um so mehr, wenn sie liturgische
Züge annehmen. Wir denken nicht, daß es für alle Zeiten wirksame
Aktionsformen und Verhaltensweisen gibt. Wir halten es für notwendig,
punktuell über <weitere Teile der Massen /d.Ü.> einschließende
und nicht ausschließende Reifungsprozesse nachzudenken.
Wie all jene, die im Genua Sozial Forum (GSF) ein Laboratorium und einen
Ort der Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Seelen der Bewegung
gesehen haben, haben wir die in diesem gefällten Beschlüsse übernommen
und versucht, Elemente von Radikalität einzuführen, ohne jemals
die Idee aufzugeben, daß es in der Respektierung der Unterschiedlichkeiten
eine gemeinsame Auffassung über die Formen des Protestes geben sollte..
Der zivile Ungehorsam war der nicht einseitige Vermittlungs- bzw. der Reifungspunkt
des gesamten GSF. Auf dieser Ebene gab es die Übernahme <des Konzeptes
/d.Ü.> des zivilen Ungehorsams. Es genügte, außerhalb des
GSF zu bleiben und etwas anderes zu sagen.
Die Erfahrung des Laboratoriums Carlini ist für die außerordentliche
spontane und militante <hier im Sinne von: engagierte /d.Ü.> Beteiligung
wichtig gewesen. Noch wichtiger, wenn auch tragisch, war die Erfahrung der
pluralen Gemeinsamkeit bezüglich der Widerstandsstunden zwischen piazza
Alimonda und via Tolemaide.3 Wir denken, daß viele Andere über
diese Erfahrung nachdenken können und müssen.
Aber die Aktionsformen sind auch Inhalt und dies ist der Grund, daß
wir <die Notwendigkeit /d.Ü.> verspüren zu erklären,
daß der “zivile” Ungehorsam uns als solcher kritisch, wenn nicht feindlich
erlebt hat, gerade weil er, wie andere Aktionsformen, manchmal zu einer Straßen-Liturgie
geworden zu sein schien - zu einer Praxis der sozialen Konfliktes, der es
nicht gelungen ist, einerseits den neuen radikalen sozialen Protagonismus
zu berücksichtigen und andererseits die Veränderung der Regierung,
aber allgemeiner <auch /d.Ü.> die Veränderung der Phase. <Er
war /d.Ü.> Exakt so liturgisch und rückständig wie jene
Aktionsform der eingeschlagenen Schaufenster (mit denen wir allgemein gesprochen
keine besonderen Probleme haben).
Das Konzept des Ungehorsams machen wir uns jedoch “vollständig” zu
eigen als kollektives Insubordinationsverhalten im, von allen seinen Gesetzen
gebildeten, Heute - als Ausdruck des, ausgehend von den materiellen Widersprüchen
der kapitalistischen Globalisierung und von den sozialen Subjekten, die täglich
unter ihr leiden, initiierten / geförderten sozialen Konfliktes.
Wir werden auf die verbreitete Unterstützung von Ungehorsamkeits- und
radikale Konfliktpraktiken abzielen. Mit flexiblen und an die konkreten Kräfteverhältnisse
angepaßten Formen, die von Phase zu Phase experimentierbar sind. Wehe
wenn ein vorherbestimmtes und unveränderbares Modell verfolgt wird, ohne
die spezifischen Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die auf den Ablauf
des Kampfes und auf den kollektiven Reifungsprozeß der Bewegung bezogen
sind: Auch das Konzept des sozialen Ungehorsams - über, von Vielen ausgeübte,
illegale Praktiken - hat immer die Schaffung von Zustimmung und die Wiederholbarkeit
der Verhaltensweisen zu berücksichtigen, ohne in Spiralen der Selbstbezogenheit
und der Autonomie des Politikers zu verfallen, die notwendigerweise exklusiv
sind und zur Niederlage führen.
Die nationalen Mobilisierungen gegen den Krieg am 31. Oktober, dem 9., 10.,
16. und 17. November entstehen aus der Überzeugung, daß das Nein
zum Krieg nicht ausschließlich vom <traditionellen sozialdemokratischen
und Franziskaner-Marsch für den Frieden /d.Ü.> Perugia-Assisi
gebildet werden kann und daß die soziale Konfliktbereitschaft sich unabhängig
von der Respektierung der Gesetze entfalten muß. Dies “ÖFFENTLICH”
zu sagen, führt Diskussionselemente in die Bewegung ein, setzt allerdings
diejenigen, die das vorschlagen und praktizieren, auch Gefahren aus. Wir
sind über das Agieren in der Anonymität hinaus. Die Sache, für
die arbeiten wollen, ist die, antikapitalistischen Inhalten und radikalen
Praktiken, die fähig sind, den gegenwärtigen Stand der Dinge zur
Diskussion zu stellen, innerhalb der Bewegung Legitimität und staatsbürgerliche
Normalität zu geben.
Wir haben erklärt, daß es nicht um den Weg zur Entstehung eines
politischen Subjektes geht, sondern einfach um das Experimentieren in Hinblick
auf ein Ziel (die Opposition gegen den Krieg) eines sozialen Ausdruckes eines
verbreiteten und massenhaften Konfliktes, der die sozialen Konflikte ans Licht
bringt: von den Schülern und Studenten bis zu den prekär Beschäftigten,
von den Arbeitern bis zu den Arbeitslosen, von den Immigranten bis zu den
Einheimischen. Eine Erfahrung, die somit befristet entsteht - für das
Ziel, das man stellt: der 17. November wird eine Überprüfung sein.
Die Übernahme <des Konzeptes /d.Ü.> des Ungehorsams als
möglichem Ausdruck des sozialen Konfliktes gegen den Krieg muß
als Ziel der strategischen Phase praktiziert, verfolgt, erklärt und
verteidigt werden. Es betrifft die politische Arbeit, zu der wir ausgerufen
sind.
Die Möglichkeit zur Rückeroberung der Fähigkeit Projekte
zu entwerfen und zu schaffen und dabei an die allgemeinen Dimensionen der
Perspektive zu denken, wird eine Frage der kommenden Monate sein. <Es
kommt darauf an /d.Ü.> Ein kritisches, organisches und als Kampfinstrument
verwendbares Denken neu <zu> lancieren.
Der politische und soziale Reichtum, den wir vor Augen haben, kann uns das
Wagnis eingehen lassen, daß die lokalen Netzwerke antagonistische politische
Laboratorien sein können und müssen, die in der Lage sind Initiativen
und Projekte zu erarbeiten.
Wir sind von der Idee ausgegangen uns bzw. den verbreiteten / diffusen Willen
zum Protagonismus über das selbstorganisierte Instrument des “Netzwerkes”
an die Arbeit gehen zu lassen. Das ist ein Ziel mit einem allgemeinen und
strategischen Sinn: An politischen Hüllen zu arbeiten, die reich an politisch-kulturellen
Begründungen sind, fähig allgemeine Orientierungen zu bestimmen
und soziale und politische Initiativen territorial zu entwickeln und sich
mit der Realität drumherum auseinander zu setzen - in dem Versuch zu
verbinden und Synergien zwischen allgemeinen Fragen und Widersprüchen
sowie territorialen Konflikten zu schaffen.
Das wird die Sache sein, um die es geht und die Verpflichtung, mit der wir
arbeiten.
Wir werden versuchen die Erfahrungen des Gebietes Neapel mit einer differenzierten
süditalienischen Erfahrung zu verbinden, die auf die Perspektive eines
Rebellischen Südens schaut, die wieder aufgegriffen und aufgebaut werden
muß, während man mit den allgemeinen Fragen Schritt hält.
Der Kampf gegen die neoliberale und kapitalistische Globalisierung (deren
Ausdruck auch dieser Krieg ist) und gegen die rechten und “linken” Regierungen,
die sie unterstützen, führt man tatsächlich, wenn man die Fragen
des sozialen Konfliktes wieder auf die Tagesordnung setzt. Wir haben eines
davon auf der nationalen Versammlung <der italienischen Anti-Globalisierungsbewegung
am 21. Oktober /d.Ü.> in Florenz vorgeschlagen: das Thema des Einkommens
für alle. Wir sind daraus hervorgegangen mit <dem Beschluß /d.Ü.>
einer nationalen Auseinandersetzung über dieses Thema, die in Neapel
stattfinden wird. Es ist ein Vorschlag wie andere über den wir die Auseinandersetzung
und für den wir Bündnisse suchen werden.
Wir wollen keine politischen Seilschaften bilden oder in solchen Kategorien
denken, sondern wir wollen an spezifischen Themen mit all denen (zusammen)
arbeiten, die sich auf den Boden unserer Initiative begeben. Auch der <landesweite
/d.Ü.> Aktionstag <der Disobbedienti / Ungehorsamen /d.Ü.>
am 17.November hat diese Intention. Es gibt da keine Marke und kein Lager
zu sponsern, sondern einfach die Verbreitung eines möglichen Ausdruckes
des sozialen Kampfes gegen den Krieg und die Interessen, die er verteidigt.
Die an jenem Aktionstag beteiligten Partner werden keine besonderen Verdienste
oder Vorzugslinien im politischen Verhältnis haben. Es wird eine einfache
Überprüfung der Gemeinsamkeit von Zielen sein.
Rete No-Global per i diritti globali
(No-Global-Netzwerk für die globalen Rechte)
Vorspann, Übersetzung, Fußnoten und Anmerkungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover