Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Wie schon des Öfteren betont, kam es im Vorfeld des letzten CGIL-Kongresses zu einer Spaltung des linken Flügels der größten italienischen Gewerkschaftszentrale, der zusammen rund 25% der Mitglieder repräsentiert. Der gemäßigte Teil der CGIL-Linken firmiert auch weiterhin unter dem alten Namen Lavoro e Società (Arbeit und Gesellschaft). Der radikalere wird nunmehr vom Generalsekretär der Metallarbeitergewerkschaft FIOM, Gianni Rinaldini, angeführt (der etwas unfreiwillig in diese Rolle hinein stolperte). Der fortgeschrittenste und entschiedenste Teil dieser Strömung ist das Rete 28 Aprile” (Netzwerk des 28.April), dessen führender Kopf Giorgio Cremaschi faktisch die Nummer 2 der FIOM ist. (Parteipolitisch gehört er – wie viele andere Mitglieder des Rete 28 Aprile Rifondazione Comunista an und befindet sich dort – infolge der Regierungsbeteiligung – zunehmend in der Opposition.)

 

Was liegt näher als die Positionen und Differenzen dieser beiden Bestandteile der CGIL nicht nur anhand allgemeiner Stellungnahmen zu verdeutlichen, sondern auch in einer ganz konkreten Tagesfrage, wie der Organisation und dem Charakter der landesweiten Großdemonstration gegen die Prekarität am 4.November 2006 in Rom (real 15. – 20.000 Teilnehmer). Nach einem Interview mit Gianni Rinaldini bringen wir daher hier die Übersetzung eines Gespräches, das die unabhängige linke Tageszeitung “il manifesto mit dem Koordinator von Lavoro e Società, Nicola Nicolosi, führte. Es erschien am 31.10.2006. Die “Trilogie” vervollständigen wird dann in einigen Tagen ein Interview mit Giorgio Cremaschi, in dem er sich nach der Demonstration mit den weiterhin scharfen Attacken der rechten CGIL-Führung gegen diese Aktion auseinandersetzt. Hier jedoch zunächst der Kollege Nicola Nicolosi.

 

“‘Stoppt die Prekarität‘ wird eine schöne Demo.

Die Anhänger der CGIL werden auf die Straße gehen.”

 

Nicolosi (CGIL Lavoro e Società): Wir stehen zusammen, um die Bewegung in der Ära der Mitte-Links-Union wieder aufzubauen. So wie es in Genua der Fall war.

 

Antonio Sciotto

 

Drei Sonderzüge, Dutzende Reisebusse, eine Fähre von Sardinien und viele Autos. In ganz Italien lässt das Volk, das Nein zur Prekarität sagt, die Motoren warmlaufen, um an der Manifestation am 4.November teilzunehmen. “Stoppt die Prekarität jetzt!” könnte den Neuaufschwung der Bewegung kennzeichnen. Mit Blick auf die für den 18. November vorgesehene Friedensdemonstration. Die Spaltungen innerhalb der CGIL und die gegen die Demo verhängten Bannflüche scheinen einen sehr großen Teil von Arbeitern und Funktionären, die beschlossen haben ihre Teilnahme trotz des Sturms, der auf die Veröffentlichung der Cobas-Anzeige <in der die CGIL kritisiert und der Rücktritt von DS-Arbeitsminister Damiano gefordert wurde> zu bestätigen, nicht abzuhalten. Die Mobilisierung ist weit verzweigt (es genügt, sich die unten veröffentlichte Liste anzuschauen) und beginnt bei den Kammern der Arbeit <den CGIL-Ortskartellen von Brescia, Pescara, Cosenza, Imperia und Reggio Emilia>.

 

Bekräftigt wird allerdings auch das Engagement zweier großer Teile der CGIL, d.h. der Bereiche, die die “beiden Minderheiten” hätten seien können <wenn sie eigene Leitanträge vorgelegt hätten>, die aber beim letzten Kongress beschlossen, für das Einheitsdokument zu stimmen <und nur Änderungsanträge zu einzelnen Thesen einzureichen>: Lavoro e Società und der Bereich, der sich um die Thesen von Gianni Rinaldini sammelte, ohne in Rechnung zu stellen, dass die FIOM als Organisation den 4. November unterstützt. Dabei ist auch das Rete 28 Aprile von Giorgio Cremaschi. Über die Zukunft der Bewegung und die Entscheidungen der CGIL sprachen wir mit dem Führer von Lavoro e Società, Nicola Nicolosi.

 

Wie bereitet Ihr Euch auf den 4. November vor?

 

“Wir bereiten uns mit großem Enthusiasmus vor. Es werden Arbeiter aus ganz Italien kommen. Einige kommen auf eigene Kosten nach Rom. Ich denke, dass es eine große, farbige und friedliche Demonstration werden wird. Und man muss auf ein ‚Paradox‘ hinweisen: Der Zwischenfall mit den Cobas hat dem Event eine große Publicity verschafft. Auch wenn es uns selbstverständlich missfällt, dass einige Teile der CGIL ausgestiegen sind. Der Wert, den wir zu schaffen versucht haben, indem wir einen Großteil der CGIL auf die Straße bringen, lag gerade darin die Bewegung der Phase nach Genua und Porto Alegre neu aufleben zu lassen. An Genua hatte sich die CGIL als Organisation nicht beteiligt. Es war allerdings die Basis der CGIL, die demonstrierte. Jetzt sind einige Genossen ausgestiegen. Mit der FP, der FLC und der FIOM arbeiten wir aber dennoch weiter daran, dass die CGIL nach dem 4. zur Organisatorin einer großen Initiative gegen die Prekarität wird. Die der CISL und UIL <als den beiden kleineren und rechteren Gewerkschaftsbünden> vorgeschlagen wird. Das versteht sich von selbst. Falls allerdings keine gemeinsame Plattform erreicht wird, glaube ich, dass wir allein loslegen sollten.”

 

Aber läuft der Bruch in Sachen 4.November nicht Gefahr Eure Front zu schwächen? Geben wir ein Beispiel: Zusammen mit der FIOM und dem Rete 28 Aprile habt Ihr das Problem der gemeinsamen Erklärung bezüglich der Call Center aufgeworfen, die den Schlußfolgerungen des Gewerkschaftskongresses ganz offensichtlich widerspricht. Werden in der CGIL jetzt die “moderaten” Komponenten stärker?

 

“Die CGIL kann nicht hinter das zurückgehen, was der Kongress beschlossen hat und auch nicht meinen, sie könne die Umsetzung dieser Beschlüsse verhindern. In den letzten Jahren haben wir eine Opposition zur Mitte-Rechts-Regierung nicht auf abstrakten, identitären Positionen aufgebaut, sondern auf der Basis konkreter Themen, wie der Umverteilung des Einkommens und dem Kampf gegen die Prekarität. Die Prekarität untergräbt die Grundlage der Demokratie, weil sie Beschäftigte mit unterschiedlichen Rechten schafft und somit unterschiedliche Bürger. Aber sie unterminiert auch die Gewerkschaft und die Solidarität, die ihr zugrunde liegt. Die Stärke, über die wir heute verfügen, rührt von jenen Gesetzentwürfen her, die 5 Millionen Menschen unterzeichnet haben, von der Mobilisierung zur Verteidigung des <Kündigungsschutz-> Artikels 18 und von den (das sollten wir nicht vergessen: gemeinsamen) Schlussfolgerungen des letzten Kongresses. Dort wurde festgeschrieben, dass die CGIL dafür ist die Arbeit wieder zu vereinigen und zwar ausgehend von der Beseitigung der Scheinselbständigkeit, um einen einzigen Arbeitsvertrag für abhängig Beschäftigte durchzusetzen. Die gemeinsame Erklärung über die Call Center legt fest, dass es (auf der Grundlage von rechtsverdreherischen Unterscheidungen) zwischen denjenigen, die Telefonanrufe tätigen und denen, die sie entgegen nehmen, geringere Garantien für die Beschäftigten geben kann. Wir werden den Rückzug der Unterschrift fordern und eine Neuformulierung der Erklärung. Was dieses Thema anbelangt werden wir (genau wie bei anderen, die sich auf die Kongressdokumente berufen, welche für alle bindend sind) mit jenen Teilen der CGIL zusammenarbeiten, die über eine ähnliche Sensibilität verfügen wie wir.”

 

Ihr werdet trotz der von der CGIL-Spitze ausgesprochenen “Verurteilung” am 4. auf die Straße gehen?

 

“Es handelt sich nicht um eine Verurteilung. Es gab eine deutliche Stellungnahme bezüglich der von den Cobas in der Anzeige geäußerten Vorstellungen. Bestimmte Sprachen zu benutzen, die den gewalttätigen Ausdruck in Erinnerung rufen <= Anspielung auf die 70er Jahre> oder schlimmer noch eine einzelne Person mit diesen Begriffen zu attackieren, wie man es beim Minister Damiano tut, ist falsch und provokatorisch. Andererseits glaube ich, dass es ein politischer Fehler war, auszusteigen und sich somit die Agenda von denjenigen diktieren zu lassen, die diese Sprache an der Grenze der Korrektheit als Waffe der politischen Propaganda und der persönlichen Beleidigung benutzen. Aber ich wiederhole: Wir dürfen uns die Agenda nicht von diesen Zwischenfällen diktieren lassen. Die Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung in Bezug auf das Thema Prekarität genauso wie auf das Thema Frieden (am 18.November) wieder aufzubauen, ist zu wichtig. Umso mehr als es heute eine Mitte-Links-Regierung gibt. Wenn wir von der Gesellschaft aus keinen Druck ausüben, dürfen wir nicht glauben, dass die fortgeschrittensten Synthesen in der politischen Mehrheit und in der Exekutive Raum haben. Das heißt jener Richtungsschwenk in Sachen Arbeit, Ökonomie und Frieden, den sich alle wünschen.”

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Gewerkschaftsforum Hannover