* Rosso:
Den stärksten Einfluss auf die strategische
Ausrichtung der größten „linksradikalen“ Partei Italiens – Rifondazione Comunista (PRC) –
besitzt immer noch Fausto Bertinottti (67) und nicht
der amtierende Parteichef Franco Giordano (49) oder irgendjemand sonst. Zwar
hat Bertinotti, der von Januar 1994 bis April 2006
Generalsekretär des 1991 gegründeten PRC war, nach seinem Wechsel auf den
Präsidentensessel der Abgeordnetenkammer, d.h. ins dritthöchste Staatsamt der
G8-Macht Italien, keinerlei formale Parteifunktion mehr inne, doch faktisch ist
er nach wie vor die Galionsfigur und graue Eminenz der Partei und der blasse Berufsfunktionär
Giordano nichts anderes als sein Statthalter. Wenn man sich also die immer
akutere Frage stellt: „Wohin führt der Weg von Rifondazione
Comunista?“ dann führt an Bertinottis
politisch-ideologischen Aussagen und Initiativen kein Weg vorbei. Der folgende
Hintergrundbericht des Zentralorgans der italienischen Bourgeoisie „Corriere
della Sera“ vom 20.12.2006
über die Gründung einer neuen Zeitschrift und „Denkfabrik“ Bertinottis sorgt in dieser Hinsicht für weitere Aufklärung:
Der Hintergrund:
Sozialistische Alternative: Bertinottis
Wende
Bertinottis Wende: Ein Think Tank „für den Sozialismus“
ROM – Als Präsident der
Abgeordnetenkammer hat er niemals aufgehört ein politischer Führer zu sein und
auch wenn sich mittlerweile alle an seine „Doppelrolle“ gewöhnt haben,
hätte doch niemand erwartet, dass Fausto Bertinotti
beschließen würde auch der Direktor einer Zeitschrift zu werden. Titel: „Alternative
per il Socialismo“ (Alternativen für den
Sozialismus). Bereits aus dem Namen des Periodikas
erahnt man das Ziel, das hinter diesem publizistischen Projekt steht. Es lässt
das Motiv erkennen, aus dem heraus Bertinotti
beschlossen hat es zu leiten: Weil „Alternative per il Socialismo“
nicht nur eine zweimonatlich erscheinende Zeitschrift sein wird, sondern vor
allem die kulturelle Waffe einer politischen Absicht, der Antwort auf die
Demokratische Partei, den Versuch der Schaffung eines Bereiches auf der Linken,
der in der Lage ist diejenigen zu sammeln, die es nicht akzeptieren, in der
neuen reformistischen Formation aufzugehen.
Die Idee der Zeitschrift
geht auf den vergangenen Sommer zurück als sie Bertinotti
vorgestellt wurde, der sich zuerst sehr vorsichtig verhielt, weil er
befürchtete mit dem Amt als Präsident der Abgeordnetenkammer, das er bekleidet,
in Konflikt zu geraten. Diese Reserviertheit verschwand sofort als er von einem
„illustren Präzedenzfall“ erfuhr, dem des <mittlerweile verstorbenen linksliberalen
Ex-PRI-Vorsitzenden> Giovanni Spadolini, der als Präsident des Senats auch die
Zeitschrift „Nuova Antologia“
leitete. Von diesem Moment an stürzte er sich in das Unternehmen und trug dazu
bei, indem er selbst den publizistischen Plan verfasste. „Ich fühle mich
institutionell gedeckt“, behauptet Bertinotti,
der sich von dem Projekt „fasziniert“ zeigt, sodass er gestern sogar die
erste Redaktionssitzung der Zeitschrift leitete. Der Name vereint einerseits
die Erfahrung des kulturellen Blattes des PRC – „Alternative“ – und beruft sich
andererseits auf die historische Zeitung „Problemi
del Socialismo“ (Probleme des Sozialismus), die
von Lelio Basso <Anm.1>, einem der Mitbegründer des PSIUP ins Leben gerufen
wurde. Selbstverständlich handelt es sich nicht um zufällige Bezüge. Sie
kennzeichnen vielmehr das Profil des Unternehmens und lassen den kulturellen
Weg erkennen.
Es war klar, dass Bertinotti für die Herausgabe der Zweimonatszeitschrift
Leute seines Vertrauens an seiner Seite haben wollte. Den Kern der Redaktion
bilden denn auch die Senatorin Rina Gagliardi und der Staatssekretär <im Ministerium für
Wirtschaftliche Entwicklung> Alfonso
Gianni. Sie umfasst außerdem den Gewerkschaftsfunktionär Tiziano Rinaldini,
den ehemaligen Direktor der <linkssozialdemokratischen>
Zeitschrift „Aprile“, Aldo Garzia sowie
zwei Journalisten von „Liberazione“ <der Tageszeitung von Rifondazione Comunista>: Anubi Lussurgiu und Angela Azzaro.
Verantwortlicher Chefredakteur wird Domenico Iervolino
(Professor für theoretische Philosophie an der Universität Neapel), der bereits
„Alternative“ geleitet hatte.
Der Präsident der
Abgeordnetenkammer hat die publizistische Linie der Zeitschrift entworfen, die „couragiert“
und „sehr wenig orthodox“ sein soll. Das Bestreben geht dahin aus „Alternative
per il Socialismo“ das zu machen, was die <operaistische
Theoriezeitschrift> „Quaderni Rossi“ am Vorabend von `68 waren – ein
Ideenlabor und damit ein kultureller Bezugspunkt. Damit das gelingt, wird der „Mut“,
auf den sich Bertinotti bezieht, darin
bestehen einen Prozess der „Revision des Kommunismus von links und nicht von
rechts“ einzuleiten. „Nur so werden wir uns dem Neuen öffnen.“ Das
ist die Herausforderung, die der ehemalige Generalsekretär des PRC in Angriff zu
nehmen beabsichtigt.
Die Zielsetzung besteht in
einer „neuen Wende“, die der des Parteitages von Venedig entspricht als Rifondazione die Thesen über die <unbedingte> Gewaltfreiheit annahm. Das politische Ziel ist klar.
Im Namen der Zeitschrift dient jene ausdrückliche Berufung auf den „Sozialismus“
als Magnet und führt zu einem Begriff zurück, der Bertinotti
sehr wichtig ist: „Es ist Zeit, dass sich der libertäre
Kommunismus mit dem radikalen Sozialismus wiedervereint.“ Das ist nicht die
Vorankündigung eines Namenswechsels des PRC, auch weil der Präsident der
Abgeordnetenkammer – wenngleich er seit Jahren diesen Gedanken in seinem Herzen
hegt – darauf bedacht ist, diesen nicht zu präjudizieren und sich entsprechend
der Logik der kleinen Schritte bewegt.
Das sich allerdings etwas in
der Inkubation befindet, erkennt man an den Erklärungen, die sich um die
Zeitschrift ranken, die „ein Ort“ sein soll, „wo sich nicht nur die
Erfahrungen des Kommunismus, sondern auch die des Sozialismus und des
demokratischen Katholizismus auseinandersetzen“. Angesichts der
Identitätskrise, die die Demokratische Partei <welche Linksdemokraten und die
liberal-christliche Margerite demnächst gründen wollen> hervorgerufen hat, hält Bertinotti
also mit einem alternativen Projekt dagegen, das ebenso ambitioniert wie
schwierig ist. Für sein Gelingen hat er beschlossen auch die Zeitschrift zu
nutzen. So kann er den Samen einer neuen politischen Formation einpflanzen, ihr
die Zeit geben, im kulturellen Profil Wurzeln zu schlagen und dann daran
arbeiten, dass sie wächst und gedeiht, um auf jene „12 Prozent“ <der Wählerstimmen> zu kommen, die der Fraktionsvorsitzende von Rifondazione in der Abgeordnetenkammer, Gennaro Migliore, als ein „erreichbares Ziel“
bezeichnet.
Der „Direktor“ hat
sofort nach den Feiertagen eine weitere Redaktionssitzung anberaumt, um die
Liste der Mitarbeiter aufzusetzen: <der mittlerweile 95jährige PCI-Ideologe
der 70er Jahre> Pietro Ingrao wird aufgefordert zu schreiben und es gibt auch
jemanden, der daran denkt Achille Occhetto <Anm.2> einzubeziehen, den Mann der Wende des PCI. Daneben
wird es neokeynesianistische
Wirtschaftswissenschaftler wie Riccardo Bellofiore
geben sowie Vertreter der feministischen und der Umweltschutzbewegung. Die
Blume im Knopfloch werden allerdings die internationalen Beiträge sein. Daran
arbeitet Bertinotti in eigener Person, wobei er seine
Rolle als Präsident der Europäischen Linken nutzt. In der ersten Nummer, die
für Februar / März in Planung ist, ist ein Beitrag von Oskar Lafontaine
vorgesehen, dem Führer der deutschen Linkspartei. Man legt los und nicht nur,
um in die Zeitungskioske zu kommen…
Francesco Verderami
Anmerkungen:
1) Der in der Provinz Savona
(Ligurien) geborene Lelio Basso
(25.12.1903 – 16.12.1978) war ein „linkssozialistischer“ italienischer
Schriftsteller, Philosoph und Politiker mit stark humanistischem Einschlag,
dessen Denken in den 60er und 70er Jahren auch in der bundesdeutschen Linken
erheblichen Einfluss besaß. Als Sohn einer bürgerlich-liberalen Familie wurde
er 1921 mit Beginn seines Studiums Mitglied der Italienischen Sozialistischen
Partei (PSI). Unter dem Faschismus zweimal wegen sozialistischer
Untergrundarbeit verhaftet und von 1928-31 sowie von 1939-40 inhaftiert. Am
10.Januar 1943 Mitbegründer der illegalen Bewegung der Proletarischen Einheit
(MUP), die sich ein halbes Jahr später wiederum dem PSI anschloss, die sich
daraufhin bis 1947 Italienische Sozialistische Partei der Proletarischen
Einheit (PSIUP) nannte. 1947 / 1948 PSI-Generalsekretär. Später die meiste Zeit
Vorstandsmitglied. Seit 1959 einer der Exponenten des linken PSI-Flügels.
Mitte Januar 1964 Mitbegründer und
1965 – 1968 Vorsitzender der PSI-Linksabspaltung PSIUP, die bei den
Wahlen zur Abgeordnetenkammer am 19.Mai 1968 1,4 Millionen Stimmen (4,45%) erhielt und 23
Abgeordnete stellte. Zum Senat kandidierte sie auf einer gemeinsamen Liste mit
dem PCI (knapp 8,6 Millionen Stimmen – 30,0% - 101 Senatoren). Dank der Neuauflage
dieses Bündnisses wurde Basso 1972 als Unabhängiger auf der PCI-Liste
in den Senat gewählt. Da der PSIUP bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer allerdings
das Quorum nicht erreichte, beschloss die Partei im Juli 1972 ihre
Selbstauflösung. Zwei Drittel des PSIUP trat in die KP ein, rund 10% in
den PSI und 24% gründeten den „Neuen PSIUP“, der im Dezember 1972
zusammen mit der „il manifesto“-Gruppe und dem linken Flügel der Politischen
Bewegung der Arbeiter (MLS) die Partei der Proletarischen Einheit (PdUP) aus der Taufe hob, eine der drei großen
Organisationen der italienischen radikalen Linken der 70er Jahre. Basso schloss
sich keiner Partei an, wurde allerdings als Unabhängiger auf der PCI-Liste 1976 erneut Senator.
Lelio Basso, der als einer
der profundesten Marx-Kenner Italiens galt, schrieb zahlreiche Bücher und
Aufsätze. In Deutsch erschien u.a.: „Rosa Luxemburgs
Dialektik der Revolution“ (Frankfurt/M. 1969). Von Basso gegründete
Zeitschriften waren 1943 (noch in der Illegalität): „Bandiera
Rossa“ (Rote Fahne); 1946: „Quarto Stato“ (Vierter Stand)
und 1957: „Problemi del Socialismo“.
Politisch bedeutend ist auch Bassos Beitrag zum
Internationalen Russell-Tribunal gegen den Vietnam-Krieg, das er 1973 auf die
Verbrechen des US-Imperialismus in Lateinamerika ausdehnen wollte, die
Schaffung des Permanenten Tribunals der Völker (nach seinem Tod 1979) und die
Gründung der in Rom ansässigen Basso-Stiftung (ISSOCO)
1973 gemeinsam mit seiner Frau.
2)
Acchille Occhetto
(geboren am 3.3.1936 in Turin) war ab 1986 „nationaler
Koordinator“ und seit 1988 der letzte Generalsekretär der Italienischen
Kommunistischen Partei (PCI). Er setzte 1990 auf dem inzwischen
berühmt-berüchtigten Parteitag von Bologna ihre Selbstauflösung durch, um dann
mit dem rechten Mehrheitsflügel die offen sozialdemokratische Partei der
Demokratischen Linken (PDS) ins Leben zu rufen, die heute Linksdemokraten (DS)
heißen und sich nun mit dem Margerite genannten Bündnis von
christdemokratischen und liberalen Kleinparteien und Einzelpersönlichkeiten
nach US-Vorbild zur Demokratischen Partei zusammenschließen wollen. Dabei wird
der linke DS-Flügel, der ca. 16% der Mitglieder vertritt, wahrscheinlich nicht
mitziehen. Seine wichtigsten Exponenten Fabio Mussi
und Cesare Salvi liebäugeln mittlerweile – ebenso wie
der nach der Wahlniederlage von 1994 als PDS-Parteichef abgelöste Occhetto – mit der Gründung einer diffusen „Linkspartei“
nach deutschem Vorbild. Occhetto verließ die
Linksdemokraten 2004 und ist seit Mai 2006 als Nachrücker Europaabgeordneter
für eine 2004 gemeinsam mit dem ehemaligen Anti-Korruptions-Staatsanwalt
Antonio Di Pietro ins Leben gerufene Bürgerliste. Er ist auch unter den
Anhängern des linken DS-Flügels nicht sonderlich gut angesehen.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkungen, Hervorhebungen und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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