Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Wir
haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass sich in Italien zumindest in
der Tarifpolitik – trotz zweier Generalstreiks zur Rentenfrage und staatlichen
Industriepolitik – eine schrittweise Renaissance der Sozialpartnerschaft
vollzieht, da sowohl die Gewerkschaften als auch die Kapitalseite zu stark bzw.
zu schwach für einen Durchmarsch à la Thatcher sind. Diese Tendenz hat sich
nach der Wahl des FIAT-Kandidaten Montezemolo zum neuen Confindustria-Präsidenten
weiter verstärkt. Diese „Wahl“ war insofern von Bedeutung als sie – nach 4 Jahren
Abstinenz – das alteingesessene private (und norditalienische) Großkapital an
die Spitze des bedeutendsten Kapitalistenverbandes zurückbringt. Vor vier Jahren
war im Kampf um den Führungsposten der, auf einen Frontalangriff setzende,
süditalienische Verpackungshersteller D’Amato als Repräsentant eines Bündnisses
aus Klein- und Mittelunternehmern mit Berlusconi & Co. erfolgreich – und
zwar in einer Kampfabstimmung gegen den Kandidaten des FIAT-Konzerns. Vor zwei
Jahren wurde er in seinem Amt bestätigt. Dieses Mal schmolz die Unterstützung
für D’Amatos Wunschnachfolgekandidaten Tognana derart dahin, dass dieser von
seiner Kandidatur zurücktrat. Als Reaktion darauf diskutieren die
Spitzenfunktionäre der drei großen Gewerkschaftszentralen (unter massiver
Beteiligung der CGIL-Führung) sowie „befreundete“ Sozialpolitiker der
Mitte-Linken, wie Tiziano Treu, eifrig neue noch flexiblere
Tarifvertragsmodelle.
Einer
der führenden Vertreter der CGIL-Linken, Giorgio Cremaschi, der zugleich
auch Mitglied des nationalen Sekretariats der Metallarbeitergewerkschaft FIOM
und Leitungsmitglied von Rifondazione Comunista ist, nahm dazu in der
Rifondazione herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“ vom 29.2.2004
Stellung:
Die Rückkehr der Sozialpartnerschaft
Mit der nunmehr sicheren
Wahl von Luca di Montezemolo zum Präsidenten der Confindustria wandert die
„Parma-Linie“ der Industriellen auf den Dachboden. In der emilianischen Stadt
hatte die Confindustria am Vorabend der Parlamentswahlen <die im April 2001 Berlusconi
nach 1994 zum zweiten Mal an die Regierung brachten> im Frühjahr 2001 den radikalen Wirtschaftsliberalismus
des Casa delle Libertà <Haus
der Freiheiten = Berlusconis rechtes Parteienbündnis> zu ihrer Sache gemacht. Die Dreh- und Angelpunkte
jener Wende waren Kritik und Ablehnung der Sozialpartnerschaft von rechts, die
an die Regierung gerichtete Forderung nach Gesetzen zum Wohle der Unternehmen
und gegen die Rechte der Arbeit sowie die präventive Entscheidung für
Separatabkommen. Diese Linie ist mittlerweile gescheitert und mit ihrem
wohlbekannten Sinn für’s Konkrete wechseln die Industriellen das Pferd. Seit
drei Jahren wächst die Industrie nicht mehr. Das ist die längste Stagnation der
Nachkriegszeit. Das Produktionssystem zeigt Schwächen, die eine lange
Vorgeschichte haben und Produkte der wirtschaftsliberalen Entscheidungen aller
Regierungen der letzten 20 Jahre sind. Der Verzicht auf die Industriepolitik,
die unüberlegten Privatisierungen und die Kleinunternehmensideologie haben sich
mit dem Finanz- und Spekulations-Liberalismus gemischt. Die weltweite
wirtschaftliche Stagnation, die weiteren, durch den Euro und die konservative
und monetaristische Politik der Institutionen der Union eingeführten
Rigiditäten haben dann dafür gesorgt, dass sich das Setzen auf einen, auf
Flexibilität der Arbeit und Reduzierung der Steuern basierenden
Wirtschaftsaufschwung als ein schlechter Witz erwies.
Nun, da die Banken gezwungen
sind, die Kordons der Börse enger zu ziehen, sind die Ersten, die darunter
leiden, gerade die kleinen und mittleren Unternehmer. Das Italien des „Klein
ist schön!“ schafft es nicht. Ohne Großunternehmen, ohne Großinvestitionen und
ohne öffentliche Interventionen ist die Konkurrenzfähigkeit dahin. Der arme
Tognana wird als Vertreter jener angriffslustigen Unternehmerschaft, die <vor vier Jahren> den Sieg von D’Amato bewirkt hatte, jetzt von Allen
verlassen, sogar von <Berlusconis
Konzern> Fininvest.
Dasselbe passiert auf dem
Gebiet der Beziehungen zu den Gewerkschaften. Die Linie der Separatabkommen
hatte unmittelbar nach dem Amtsantritt der Rechts-Regierung <im April 2001> bei den Metallarbeitern ihren Anfang genommen. Diese
Linie befindet sich nun auch deshalb in der Krise, weil das totale Scheitern
des <im Mai 2002
unterzeichneten> Paktes für Italien
CISL und UIL gezwungen hat, stärker oppositionelle Töne anzuschlagen. Die
Kämpfe der CGIL und vor allem die von der FIOM initiierten haben, auch wenn es
ihnen nicht gelungen ist, die vollständige Neuaushandlung der Separatabkommen
zu erreichen, dennoch Einfluss auf die Orientierungen der Unternehmerschaft
ausgeübt. Es gibt viele Metallindustrielle, die – auch wenn sie sich weigern
die von der FIOM vorgelegten Vorverträge zu unterschreiben – das
Separatabkommen mittlerweile für einen Fehler halten. Und die Federmeccanica
war eine der ersten und überzeugtesten Sponsoren von Montezemolo. Bewegen wir
uns also auf eine bessere Situation zu?
Beginnen die Kämpfe sich auszuzahlen?
Ja und Nein.
Ja, weil klar ist, dass
Berlusconis Niedergang begonnen hat. Nein, weil die Ersetzung der Rechten und
der „Parma-Linie“ auf der Grundlage einer Übereinstimmung in der Neuen Mitte
geschehen kann, die für die Werktätigen nichts Gutes verheißt.
In dieser Periode ist <die Tageszeitung des
Unternehmerverbandes Confindustria> „Il
Sole – 24 Ore“ wieder zu einem Paladin des <sozialpartnerschaftlichen Lohnzurückhaltungs-> Abkommens vom 23.Juli <1993>
geworden. Mit Bangen verfolgt sie den Kongress der FIOM <d.h. die lokalen
Delegiertenkonferenzen, die in den nationalen Kongress Anfang Juni 2004
münden> und wünscht sich dabei, dass
die wichtigste Berufgruppe der Industrie die Sozialpartnerschaft nicht aufgibt.
Sie begeistert sich jedoch nicht zu sehr dafür: Für die Unternehmen soll die
„schmutzige Arbeit“ der Regierung alles bleiben. Das <der weiteren Prekarisierung
dienende> Gesetz Nr. 30, das
Steuerdekret, das Dekret über die Renten, die Moratti-Gegenreform <im Bildungswesen> und die Devolution <= Abtretung finanzieller u.a. Kompetenzen an
Regionen und Gemeinden, die – von der rechtspopulistischen Lega Nord gefordert
– vor allem dem reichen Norden zugute kommt> sind geschaffene Fakten. Dabei fehlt nur der letzte Schritt: das
In-Frage-Stellen des nationalen Tarifvertrages.
So zeichnet sich der Rahmen
für einen möglichen neuen sozialpartnerschaftlichen Sozialpakt ab. Man möchte
den 23. Juli <1993> neu schreiben, dabei jedoch die vollendete Tatsache
der wilden Flexibilisierung der Arbeit und des Abbaus des sozialen Schutzes
akzeptieren. Im Austausch dafür würde die Gewerkschaft die Rolle des zentralen
Gesprächspartners der Unternehmen und der Regierung zurückgewinnen.
Selbstverständlich einer Regierung, die nicht mehr die rechte sein könnte,
sondern eine sehr viel angesehenere und beruhigendere Reform-Exekutive. Ist es
das, was man vorbereitet? Ein neues
sozialpartnerschaftliches / konzertiertes Regime, in dem die sozialen Schäden
wieder in Ordnung gebracht und gemanagt, aber nicht in Frage gestellt werden
? So wie die Truppen im Irak, die <die beiden führenden
Mitte-Links-Politiker> Rutelli und
Fassino nicht mehr zurückziehen wollen, auch wenn sie die Ansicht vertreten,
dass der Krieg falsch war. Bewegen wir uns auf einen Pakt zu, dessen
grundlegendes Motto lautet: ‚Wenn etwas ersteinmal gemacht ist, spielt es keine
Rolle mehr, wer die Idee dazu hatte’?
Die Gefahr besteht, aber
dieser Ausgang ist nicht unabwendbar. Alle diejenigen, die in den letzten
Jahren gegen die politische und soziale Rechtswende gekämpft haben, haben das
nicht getan, um sich nur mit einer moderaten Stabilisierung <dieser Rechtswende> zufrieden zu geben. Die Kämpfe der letzten Jahre
haben die Ablehnung des Berlusconianismus mit der Forderung nach einer sozialen
Befreiung, nach einer sehr viel tiefgreifenderen politischen und ökonomischen
Wende vereint. In den Fabriken hat sich die Ablehnung der Politik der Rechten nicht
mit einer Trauer um die vorangegangene Politik vermischt. Im Gegenteil, noch
heute wird der Gewerkschaft vorgeworfen, dass sie sich zu spät bewegt hat, dass
sie nicht gegen die Geburt der wirtschaftsliberalen Entscheidungen aufgetreten
ist als noch die Mitte-Linke an der Macht war. Heute würde ein sozialer Pakt
wie der, den die neuen Führer der Confindustria vorzuschlagen scheinen, alle
Forderungen und die Kräfte außen vor lassen, die für eine radikale Veränderung
eingetreten sind. Um dieses Ergebnis zu verhindern, muss man eine grundlegende
Forderung nach Lohn und Rechten in die Waagschale werfen, die durch die
Wiedereinführung der Einkommenspolitik nicht befriedigt werden kann. Man muss
die öffentliche Intervention in die Wirtschaft fordern und man muss den
Sozialstaat verteidigen und ausweiten. Kurzum, es ist notwendig gegen die von
der Rechten hervorgerufenen Schäden zu kämpfen und die Rückkehr zum
temperierten Wirtschaftsliberalismus der mitte-linken Vergangenheit zu verhindern.
Es bedarf einer wirklichen Wende.
Giorgio Cremaschi
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover