Antifa-AG der Uni Hannover:
Nach dem Wahlsieg der Islamischen
Widerstandsbewegung (Hamas), die bei den palästinensischen Parlamentswahlen am
25.Januar 2006 mit 74 von 132 Mandaten (laut dem korrigierten Endergebnis) eine
deutliche absolute Mehrheit errang, interviewte der Korrespondent der
unabhängigen linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“, Michele Giorgio,
das Führungsmitglied der Hamas Cisjordaniens, Nayef Rajub. Das Interview
erschien am 27.1.2006.
Der Waffenstillstand
bleibt bestehen
Hamas-Führer Rajub: „Recht auf
Widerstand, wenn sie uns angreifen. Auch allein in die Regierung.“
MICHELE GIORGIO
Sie sagen, dass der Werdegang
der Rajub-Brüder aus Dura (Hebron) sehr gut das politische Erdbeben
widerspiegele, das die besetzten palästinensischen Gebiete erschüttert hat. Dem
ehemals mächtigen Chef der Sicherheitsdienste der Autonomiebehörde und Al
Fatah-Funktionär, Jibril Rajub, gelang die Wiederwahl nicht. Er wurde vom
Erdrutsch seiner Partei mitgerissen. Der Scheich und Hamas-Chef im südlichen
Cisjordanien, Nayef Rajub, hingegen erwies sich als einer der Kandidaten, die
die meisten Stimmen erhielten und wird seinen Einfluss in der politischen
Führung der islamischen Bewegung, die aufgerufen ist die neue palästinensische
Regierung zu bilden, noch vergrößern.
Wir fragten Nayef Rajub nach
den Programmen der Hamas, der Feuerpause mit Israel und den Gegenmaßnahmen, die
seine Organisation ergreifen will, um die internationale Isolation zu
überwinden, in der sie sich befindet. Das Interview kam in Zusammenarbeit mit
dem palästinensischen Journalisten Khaled Amayrah zustande.
Scheich Rajub, vor
einigen Tagen haben Sie uns gesagt, dass Hamas die Wahlen gewinnen werde. Die Endergebnisse
besagen, dass Ihr 76 Sitze errungen habt. Hat dieser Erfolg selbst Eure
Erwartungen übertroffen?
„Ich muss zugeben, dass es
uns in gewissem Maße überrascht hat. Ich hatte keine Zweifel am Sieg, erwartete
allerdings weniger Sitze im Parlament. Das heißt, dass der Wille des
palästinensischen Volkes zur Veränderung zu stark war, dass die Leute es nicht
mehr erwarten konnten und uns ein umfassendes Mandat erteilen wollten.“
Hamas ist in Cisjordanien
und Gaza sowie in Ost-Jerusalem sehr stark, international aber isoliert. Die
Reaktionen im Westen auf Euren Sieg waren negativ und auch in der arabischen
Welt erhoben sich einige Stimmen zugunsten der sofortigen Entwaffnung Eures
militärischen Arms. Fürchtet Ihr nicht, mit der Macht in Händen dazustehen,
ohne sie nutzen zu können?
„Für uns haben einige
Reaktionen eine gewisse Bedeutung und andere weniger. Daher sind wir uns der
Schwierigkeiten, die uns erwarten, bewusst, machen uns aber nicht über alle
diese kritischen Stimmen Sorgen, sondern nur über einige. Die Frage muss
umgekehrt werden: Nicht wir sind es, die sich ändern müssen, sondern
diejenigen, die uns aus der Entfernung attackieren, ohne uns zu kennen. Hamas
hat in deutlicher und demokratischer Weise die Wahlen gewonnen und Europa und
die Vereinigten Staaten müssen diese Tatsache akzeptieren. Unsere Macht ist
legitim. Wir haben sie nicht mit Hilfe eines Gewaltaktes errungen.“
Wie gedenkt Ihr Euch
gegenüber Israel zu verhalten? Präsident Abu Mazen beabsichtigt das Mögliche zu
tun, um die israelische Regierung dazu zu zwingen, an den Verhandlungstisch
zurückzukehren… und Hamas?
„Unsere Position ist klar.
Solange die israelische Besatzung andauert, wird nicht nur Hamas, sondern
werden alle Palästinenser Widerstand leisten. Solange unser Boden verletzt
wird, werden wir nicht nachgeben.“
Seit dem vergangenen März
hält Hamas jedoch, auf Bitten von Präsident Abu Mazen, einen einseitigen
Waffenstillstand gegenüber Israel ein. Verpflichtet Ihr Euch, ihn weiterhin zu
beachten oder betrachtet Ihr ihn als beendet?
„Das hängt nicht nur von uns
ab, sondern auch von den Besatzungstruppen. Wir haben uns in den vergangenen
Tagen bezüglich dieses Punktes extrem klar ausgedrückt: Wenn es keine Angriffe
auf unser Volk gibt, wenn es keine neuen Aggressionen gibt, wird die Hamas
ihren Teil dazu beitragen, die Ruhe in den Gebieten zu bewahren. Wir glauben,
dass es in dieser Phase wichtig ist, uns für die Lösung der wirtschaftlichen
und sozialen Probleme der Palästinenser einzusetzen. Daher werden wir in dieser
Richtung fortfahren. Aber die Einhaltung der Waffenruhe muss zuallererst einmal
von Israel gefordert werden, das weiterhin seine Militäreinsätze durchführt.“
Kommen wir zur Regierung.
Binnen kurzem werdet Ihr die Konsultationen zur Bildung der neuen Exekutive
beginnen. Werdet Ihr allein regieren?
„Unsere Präferenz geht in
Richtung einer Regierung der nationalen Einheit, die sich wirklich dafür
einsetzt, der Bevölkerung zu helfen und der alle politischen Kräfte Palästinas
angehören. Es ist klar, dass Al Fatah, aufgrund ihrer Stärke und aufgrund ihrer
ideologischen Positionen, Hamas näher steht als die Parteien der Linken. Auf
jeden Fall sind wir bereit, allein zu regieren und verfügen über die
Fähigkeiten, unsere Verantwortung in vollem Umfang zu übernehmen.“
Europa und die
Vereinigten Staaten, historische Partner der Autonomiebehörde, halten Distanz
zur Hamas, von der sie die Anerkennung Israels und die Beendigung des
bewaffneten Kampfes fordern. Sie könnten auch die finanziellen Hilfen für die
Palästinenser reduzieren oder ganz einstellen. Habt Ihr einen Notfallplan
vorbereitet, um einem möglichen Stopp der westlichen Finanzhilfen zu begegnen?
„Wir sind nicht besorgt. Wir
haben konkrete Alternativen vorbereitet. Ich glaube allerdings nicht, dass USA
und EU den Palästinensern die Hilfen kürzen werden. Das wäre ein tragischer
Fehler mit schwerwiegenden Konsequenzen für uns, aber auch für sie. Wie können
die Vereinigten Staaten das Vertrauen der Araber und der Moslems
zurückgewinnen, wenn sie planen, die Hilfen für die Palästinenser zu stoppen?
Auf jeden Fall beruht die Finanzplanung der Hamas nicht, wie die von Al Fatah,
nur auf den internationalen Hilfen, sondern vielmehr auf einer gesunden /
einwandfreien Verwaltung unserer Mittel, auf einem Ende der Verschwendung und
einer Besteuerung der Einkommen der reicheren Palästinenser. Das wird
vielleicht nicht ausreichen, um den Regierungshaushalt zu decken, aber die Palästinenser
haben viele Freunde, die bereit sind, ihnen zu helfen – nicht nur im Westen,
sondern auch in der islamischen Welt.“
Werdet Ihr den Rücktritt
von Abu Mazen fordern?
„Nein. Abu Mazen ist vom
Volk gewählt worden und das werden wir respektieren.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover