Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Die libanesische Hisbollah (Partei Gottes) geistert meist als Schreckgespenst durch die Nahost-Debatten der bundesdeutschen Linken. Ohne große Ahnung von ihrer Entwicklung, ihren Positionen und ihrer konkreten Politik zu haben, assoziieren nicht nur Antideutsche mit diesem Namen fanatische und terroristische „Moslem-Faschisten“ bzw. finsterste Vertreter des Mittelalters. Dazu im krassen Widerspruch steht die enge Zusammenarbeit, die die Hisbollah seit Jahren mit den unterschiedlichen Kräften der libanesischen und palästinensischen Linken pflegt, ihr bereits vor mehr als zwei Jahren formuliertes Bestreben, auch die ärmeren Teile der christlichen Bevölkerung politisch vertreten zu wollen, der explizite Verzicht auf einen islamischen Staat im Libanon, da ein solcher Versuch, aufgrund der vielfältigen Zusammensetzung der Bevölkerung, zu einem neuen Bürgerkrieg führen würde und nicht zuletzt auch die zunehmend aktive und selbstbewusste Rolle, die die weiblichen Mitglieder in der Partei spielen. (Jüngst wurde erstmals auch eine Frau ins Politbüro der Hisbollah gewählt.) Unseres Erachtens handelt es sich bei der Hisbollah denn auch eher um eine systemimmanente, kleinbürgerlich-linkspopulistische Bewegung. Als solche muss die Linke sie analysieren und kritisieren. Die aktuelle Position und Selbsteinschätzung der Hisbollah verdeutlicht das nachfolgende Interview mit ihrem Generalsekretär Hassan Nasrallah aus der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“ vom 4.12.2004.

Wer übrigens meint, Nasrallah sei nur der präsentable Vorzeigemann der finsteren Gesellen im Hintergrund, liegt falsch. Der arrivierten, bürgerlich-liberalen NZZ zufolge ist Nasrallah nämlich bereits der „Hardliner“, wie die „NZZ am Sonntag“ vom 1.2.2004 betonte: „Der Diskurs des Hizbullah ist facettenreicher, als es auf den ersten Blick scheint. Während Nasrallah noch immer den Hass auf das ‚besetzte Palästina’ schürt, sind aus dem Munde des geistigen Mentors des Hizbullah, Hussein Fadlallah, selten übersteigert islamistische Worte zu hören. Vielmehr betont Fadlallah die libanesische Einheit über die religiösen Grenzen hinweg und sucht bewusst den Dialog mit den Christen, welche die Hälfte der libanesischen Bevölkerung bilden. Als Hizbullahs eigentlicher Vordenker propagiert er seit Jahren, dass der Gottesstaat nicht etabliert werden könne, solange es nicht die gesamte Bevölkerung wolle. Die Attentate vom 11. September 2001 geisselte er als ‚nicht mit der islamischen Glaubens- und Lebensordnung vereinbar’. Es scheint, dass der Westen den Hizbullah extremistischer macht, als er ist. Das wiederum könnte ihn dem Westen gegenüber feindlicher stimmen, als er es je war.“

„Unser Widerstand richtet sich gegen den Clash der Kulturen“

 

„Als Cheney uns zwei Milliarden Dollar anbot…“

Es spricht Hassan Nasrallah (Generalsekretär der Hisbollah).

 

STEFANO CHIARINI – KORRESPONDENT IN BEIRUT

 

„Die arabisch-islamische Welt ist Opfer eines Krieges, der von denjenigen gewollt ist, die (wie George W. Bush) mit den Tönen eines Kreuzzuges, Konzepten und Ideen von vor Tausend Jahren einen Clash der Kulturen anstreben. Ein sehr gefährliches Unternehmen, in dem Israel eine zentrale Rolle spielt und das (angefangen beim Irak, wo die USA, um ihre Präsenz zu rechtfertigen, die Voraussetzungen für einen verheerenden Bürgerkrieg schaffen, der die gesamte Region entflammen könnte) auf die Auflösung des Mittleren Ostens abzielt. Eine Todesfahrt, die zu verhindern bevor es zu spät ist, Europa und Italien allen Grund hätten.“

 

Sayyed Hassan Nasrallah (44 Jahre), der jüngste Sekretär, die die schiitische libanesische Widerstandsbewegung der Hisbollah jemals hatte, dichter Bart und eine dicke Brille, mit dem traditionellen schwarzen Turban versehen, empfängt uns in einem anonymen großen Haus am südlichen Stadtrand von Beirut. Wir befinden uns im sogenannten „Elendsgürtel“ der südlichen Peripherie der Hauptstadt, in die seit den 70er Jahren Hunderttausende libanesischer Schiiten geströmt sind – auf der Flucht vor den israelischen Repressalien im Südlibanon. Wir befinden uns in dem Gebiet, das das Herz des Widerstandes gegen die israelische Besetzung des Libanon von 1982-84 und die Präsenz der amerikanischen und französischen Streitkräfte war.

 

Der „Elendsgürtel“

 

Die Straße ist durch ein schweres Gitter gesperrt, an dem Autos und Insassen intensiv durchsucht werden. Drumherum ein diskretes und zugleich hochentwickeltes Sicherheitssystem. Stadtteile wie Haret Reik und Bir Labed, wo sich in vielen anonymen Wohnungen die Büros der Hisbollah-Führung befinden, führen uns mit ihren außerordentlichen Sicherheitsmaßnahmen geradewegs in jene Kriegszeiten zurück. Zeiten, die durchaus nicht weit entfernt sind, im Gegenteil. Während die beiden Vorgänger von Nasrallah von den israelischen Geheimdiensten im Südlibanon umgebracht wurden (Ragheb Harb 1984 und Sayyed Abbas Musawi im Februar 1992), wurden einige Exponenten der Bewegung von den israelischen Geheimdiensten in der südlichen Peripherie der Hauptstadt ermordet (der Letzte vor einigen Monaten).

 

In einem Moment, in dem die USA die Versuche der Kriminalisierung des libanesischen Widerstandes intensiviert haben und – im Augenblick noch ohne großen Erfolg – Druck auf die EU ausüben, sie auf die Liste terroristischer Bewegungen zu setzen, legt Sayyed Hassan Nasrallah Wert darauf, sofort den „nationalen“ und „patriotischen“ Charakter seiner Bewegung hervorzuheben: „Am Anfang waren wir Widerstandsgruppen gegen die israelische Besatzung und nichts anderes. Eine Bewegung junger Libanesen, die entschlossen waren, gegen eine legendäre Armee, wie die israelische, bewaffneten Widerstand zu leisten und bereit ihr Leben zu opfern. Einen patriotischen Widerstand, den wir zusammen mit den Kommunisten und den Nationalisten geführt haben, durch ein gemeinsames Ziel geeint: die Befreiung des Landes. Die jeweiligen Ideologien dienten dann dazu, die Bevölkerung gegen die Besatzung zu mobilisieren. Aber wir sind entstanden als eine nationale Befreiungsbewegung. Und das sind wir noch.“

 

Als Antwort auf eine – von der UNO-Resolution 1559 aufgegriffene – US-Forderung nach einer Entwaffnung der Hisbollah-Milizen entlang der Grenze zu Israel behauptet Sayyed Nasrallah dann, dass „unsere bewaffneten Kräfte – wie auch unsere Gegner anerkennen – als einziges Ziel immer die Befreiung des Landes und seine Verteidigung gegen die fortwährenden israelischen Verletzungen der libanesischen Souveränität hatten. Deshalb haben wir jede Aktion vermieden, die uns in einen neuen Krieg stürzen könnte. Unsere Kämpfer (wir alle) kommen aus jenen Dörfern im Süden und keiner will einen neuen Konflikt.“

 

Warum aber haben die USA und Israel die Hisbollah dann immer im Visier ?  „Vor allem wegen des Beispiels, das unser Kampf“ – fährt Nasrallah fort – „für die Völker der Region darstellt, angefangen bei den Palästinensern und den Irakern und dann weil es die Demonstration ist, dass Israel bei all seiner Macht nicht unbesiegbar ist. Zweitens weil wir ein nicht geringes Hindernis für Israels Manövrierfreiheit bilden. Drittens weil wir – insbesondere mit unseren Medien – für die gerechte Sache des palästinensischen Volkes eintreten.“

 

Cheneys Brief

 

An diesem Punkt erzählt uns Sayyed Nasrallah wie einige Emissäre des US-Vizepräsidenten Dick Cheney in Wirklichkeit versucht haben, auch sie auf den Karren des amerikanisch-israelischen Friedens in der Region zu bugsieren: „Sowohl vor als auch nach dem 11.September habe ich einige Abgesandte von Cheney empfangen“ – erinnert sich Nasrallah – „die uns ein sehr detailliertes Rahmenabkommen vorschlugen. Die USA waren bereit, uns von der Liste der terroristischen Bewegungen zu streichen, uns auf institutioneller und Regierungsebene einen unserer Stärke entsprechenden Anteil zu geben, dafür zu sorgen, dass unsere Gefangenen in Israel freigelassen werden und uns schließlich 2 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau zukommen zu lassen, obendrein mit Immunität vor eventuellen israelischen Angriffen. Im Austausch dafür wollten sie, dass wir unseren Kampf gegen die israelische Besetzung libanesischen Territoriums aufgeben und die Augen vor allem verschließen, was Israel mit den Palästinensern zu tun beabsichtigt. Zweitens wollten sie unsere Kollaboration gegen das, was sie ‚Terrorismus’ nennen. Wir haben geantwortet, dass es der Widerstand und gewiss nicht die internationale Gemeinschaft oder die UNO war, der den Libanon befreit hat, während wir in Sachen Terrorismus daran erinnert haben, dass die CIA über Al Qaida sicherlich mehr wusste als wir.“

 

Terrorismus mit CIA-Kennzeichen

 

Und in Bezug auf die Rolle der Gruppen, die sich (insbesondere im Irak) auf Al Qaida beziehen, äußert der Vertreter der Hisbollah (auch er, wie die gesamte Führung der Bewegung ein ehemaliger Student aus Nadschaf) eine uneingeschränkte Verurteilung: „Es handelt sich um kleine, oftmals infiltrierte Gruppen, deren kriminelle Aktionen den Islam, den Widerstand und die lokalen Bevölkerungen treffen. Aktionen, die nichts Islamisches an sich haben. Beleg dafür ist, dass Entführungen, wie die der beiden französischen Journalisten oder der beiden italienischen Simonas <gemeint sind die NGO-Helferinnen Simona Torretta und Simona Pari> durch keinen einzigen islamischen Scheich gerechtfertigt wurden – sei er nun schiitisch oder sunnitisch. Im Gegenteil, einige der Entführten haben klar gesagt, dass sie in einigen Basen der Geheimdienste der neuen irakischen Regierung festgehalten wurden. Wir haben die Namen und die Beweise und es gibt starke Verdachtsmomente, dass auch die Halsabschneider für die Amerikaner oder für ihre Leute im Irak arbeiten.“

 

Das Schreckgespenst des Terrorismus und die Instrumentalisierung einiger, von ihnen selbst geschaffener, fanatischer und minoritärer Gruppen würde – behauptet Sayyed Nasrallah – von den USA so eingesetzt, um die faktische Tatsache zu verbergen, dass es überhaupt keinen Zusammenstoss der Kulturen gibt und dass in Wirklichkeit mittlerweile fast alle islamischen und islamistischen Bewegungen den demokratischen Weg und die politische Auseinandersetzung akzeptiert haben. In Marokko, Algerien, Indonesien, Kuwait, Ägypten, Bahrein und überall dort, wo es ihnen erlaubt wird, nehmen sie aktiv am politischen Leben teil. Was Nasrallah und seine Bewegung nicht wenig beunruhigt, ist allerdings nach wie vor die Situation im Irak, wo die Besatzer dabei seien, einen verheerenden Bürgerkrieg zwischen Arabern und Kurden, Sunniten und Schiiten sowie Sunniten und Christen vorzubereiten: „Wie sind die Autobomben vor den Moscheen und den Kirchen sonst zu erklären ? Das sind brutale Verbrechen und Gemetzel ohne erkennbare Erklärungen“, sagt uns Nasrallah, um sodann mit Kritik an der abwartenden Haltung gerade einiger Teile der schiitischen Gemeinschaft des Irak gegenüber der amerikanischen Besatzung nicht zu sparen.

 

Die abwartende Haltung Sistanis

 

„Sie sind nach langen Jahren einer blutigen Diktatur entronnen“ – fährt Nasrallah fort – „und sie sind noch immer von Saddam Hussein besessen. Viele von ihnen haben nicht begriffen, dass das Regime ein politisches und kein religiöses Phänomen darstellte und dass jene grausame Diktatur nicht sunnitisch, sondern tribal <= stammesbezogen> war. Sie machen sich die Absicht einer amerikanischen Herrschaft über den Irak und die Region nicht klar. Es wird ein bisschen Zeit brauchen, damit sie diese Realität begreifen.“ Unter bestimmten Aspekten reproduziert sich gegenwärtig im Irak eine ähnliche Situation wie die, die es im Südlibanon am Vorabend der israelischen Invasion von 1982 gab, wo die Schiiten im ersten Moment Sharons Armee mit Wohlwollen empfingen, glücklich darüber, nicht mehr unter den israelischen Repressalien in den von den Palästinensern kontrollierten Zonen leiden zu müssen. Sehr schnell erkannten sie allerdings, dass die Tel Aviver Armee keinerlei Absicht hatte, „sie zu befreien“ und damit eine der stärksten und erfolgreichsten Widerstandsbewegungen der Region ins Leben rief. Angesichts der Versuche der USA einen „Zusammenstoss der Kulturen“ zu lancieren – schließt Nasrallah bevor er uns verabschiedet – „wird die Rolle Europas entscheidend sein“. Einem Europa, „das bei einem Kreuzzug, der gegen seine eigenen Interessen gerichtet ist, alles zu verlieren hat. Spanien, Frankreich und Deutschland scheinen diese Realität begriffen zu haben. Hoffen wir, dass auch Italien, das uns und den Palästinensern in der Geschichte so nahe stand, zum Dialog mit den Völkern des Mittleren Ostens zurückkehrt.“

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover