Antifa-AG der Uni
Hannover:
Der
Nahost-Korrespondent der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung „il
manifesto“ befragte die Nummer 2 der libanesischen Hisbollah (Partei
Gottes), Naim Qassem, zur aktuellen Politik seiner Organisation, sowohl was den
militärischen Kampf um die Befreiung der restlichen Teile des Libanon von
israelischer Besatzung anbelangt als auch was die innen- und sozialpolitischen Aspekte
angeht. Das Interview erschien in der Ausgabe vom 23.7.2004.
„Wir werden den Kampf gegen Israel
fortsetzen“
Nach Ansicht von Scheich Naim Qassem
(der Nr.2 der Hisbollah) muss man die Shebaa-Höfe mit Waffengewalt
zurückerobern.
Partei Gottes: Nach Israels Rückzug
aus dem Südlibanon konzentriert sich die Hisbollah auf Hilfsprogramme für die
Ärmsten.
Michele Giorgio – Korrespondent in Beirut
Hisbollah, die „Partei
Gottes“, die einen Großteil der libanesischen Schiiten repräsentiert, ist die
Organisation, deren Einfluss in den letzten 20 Jahren stärker gewachsen ist als
der jeder anderen Organisation. Dank des im Befreiungskampf der bis 2000 von
der israelischen Armee besetzten südlibanesischen Regionen erworbenen Ansehens,
aber auch dank einer klugen Politik der Sozialfürsorge, die im Süden des Landes
und in den volkstümlichen und marginalisierten Stadtteilen Beiruts stattfindet.
In den letzten Jahren hat sich die Politik der Hisbollah stärker in das
politische Leben eingemischt / eingegliedert und die Charakteristika einer
echten Partei angenommen, ohne jedoch auf den bewaffneten Kampf gegen Israel zu
verzichten. Über die Zukunft der Hisbollah, die bewaffnete Auseinandersetzung
mit Israel, die Verhandlungen mit dem jüdischen Staat über die Freilassung der
politischen Gefangenen und die Beziehungen zu den Palästinensern haben wir mit
der Nummer 2 der Organisation, Scheich Naim Qassem, gesprochen.
Scheich Qassem, die
Hisbollah gibt, nachdem sie den Kampf gegen die israelische Besetzung des
Südlibanon erfolgreich geführt hat, nun zu verstehen, dass sie voll am
politischen Leben des Landes teilnehmen will.
„Ohne Frage hat unsere
Partei ihr Engagement in Politik und Gesellschaft in der letzten Zeit
verstärkt. Unsere Aufmerksamkeit für die Probleme der vielen Libanesen, die
Hilfe und Fürsorge benötigen, war <aber> auch
während der Jahre des Kampfes gegen die (israelischen) Besatzer bereits hoch.
Im Ausland tauchte allerdings nur der militärische Aspekt von Hisbollah auf. Nun,
da die militärische Intensität abgenommen hat, ist der mehr politische und
soziale Aspekt unserer Partei an die Oberfläche gekommen. In Wirklichkeit
verfolgen wir denselben Weg und verzichten daher auch in dieser Phase nicht
darauf, für die Befreiung des Restes libanesischen Bodens, der sich noch unter
der Besatzung befindet, zu kämpfen.“
Im Libanon gibt es keine
volle Zustimmung zu Eurer bewaffneten Präsenz in den südlichen Regionen und den
Kampf um die Befreiung von Shebaa. Nicht wenige politische Exponenten (auch
islamische) vertreten die Auffassung, dass der Staat die Aufgabe hat, die volle
Kontrolle des Südens des Landes, der nun in Euren Händen ist, zurückzuerobern
und dass die Shebaa-Frage den Vereinten Nationen überlassen werden sollte…
„Man spricht weiterhin
unsinnigerweise von der Kontrolle der Hisbollah über den Süden des Landes. Das
trifft nicht zu, weil die Armee und die Polizei im Südlibanon sehr wohl präsent
sind. Es genügt, jene Regionen zu besuchen, um das festzustellen. Somit
untersteht das gesamte Territorium der Autorität des Staates. Diejenigen, die
die Entsendung der Armee in den Süden fordern, scheinen mehr darum besorgt zu
sein, die Sicherheit Israels zu garantieren als die des Libanon. Der
(bewaffnete) Widerstand wird weitergehen, weil sich ein Teil des Territoriums
noch unter Besatzung befindet. Israel dachte, es hätte, indem es seine Armee
zurückzog, auf internationaler Ebene alles geklärt. Dem ist allerdings nicht
so, weil die von der UNO gezogene ‚blaue Linie’ nicht die wahre Grenze ist.
Teile des Libanon, wie ein Teil des Shebaa-Gebietes bleiben unter Besatzung,
weil die ‚blaue Linie’ nicht entlang dem verläuft, was zwischen den beiden Seiten
die alte Grenze war. Außerdem, wie kann man so tun als ob man nicht sehen
würde, dass die Sicherheit des Libanon bedroht ist. Man darf die ständigen
Verletzungen unseres Luftraumes durch die israelische Luftwaffe nicht
vergessen.“
Die Unterstützung der Palästinenser
ist ein Charaktermerkmal der Hisbollah-Politik seit ihrer Gründung. Die
Verbindungen zwischen beiden Seiten sind während der zweiten Intifada enger
geworden. Betrachtet Ihr Euch als eine Quelle der Inspiration für den
bewaffneten Kampf der Palästinenser ?
„Das palästinensische Volk
ist das edelste der Völker, weil es seit über 50 Jahren für die Befreiung
seines besetzten Bodens kämpft. Zum bewaffneten Kampf sind die Palästinenser
meiner Ansicht nach als Schlussfolgerung aus einem historischen und politischen
Prozess gelangt. Die erste Intifada (1987-93) war friedlich gewesen. Die
Palästinenser hatten einen politischen Weg verfolgt, der dann zu den Osloer
Abkommen führte. Der Zusammenbruch dieser Abkommen, auf den Israel seine
(militärische) Aggression folgen ließ, hat die Palästinenser zu der
Schlussfolgerung geführt, dass der einzige Weg zur Erringung der Freiheit der
des bewaffneten Kampfes ist.“
Kehren wir zum Libanon
zurück. Für den Herbst sind Präsidentschaftswahlen vorgesehen und seit langem
ist eine Debatte über den Einfluss im Gange, den Syrien auf das politische
Leben des Landes ausübt und über die Rolle von Damaskus bei der Wahl des
Präsidenten. Wie wird sich die Hisbollah verhalten?
„Wir haben unsere Position
in der Präsidentenfrage noch nicht festgelegt. Bezüglich der äußeren Einflüsse
bei den Präsidentschaftswahlen glaube ich, dass nicht nur Syrien, sondern auch
die Vereinigten Staaten und Frankreich dabei sind, Druck auszuüben. Man spricht
viel vom politischen Einfluss von Damaskus im Libanon und man vergisst dabei,
dass der größte Teil unserer Parlamentarier genuin syrienfreundlich ist. Wie
auch immer, am Ende wird der Präsident eine libanesische Entscheidung sein.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügung in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover