Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Im
deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt ist ein sehr harter und
aufreibender Arbeitskampf in einem der beiden Mailänder Siemens-Werke. Es
handelt sich um einen der längsten Streiks in der jüngeren Geschichte Italiens,
bei dem seit 7 Monaten jeweils von 21 bis 2 Uhr gegen den Versuch der
Betriebsleitung im Siemens-Werk Cassina dei Pecchi gestreikt wird, per Befehl
eine Ausweitung der Nachtschicht durchzusetzen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter
von Siemens Italia betrachten diese als ruinös für ihre Gesundheit und ihr
Familienleben und halten den Streik trotz Fehlens einer Streikkasse aufrecht –
auch dank der Unterstützung ihrer nicht direkt betroffenen Kolleg(inn)en und der
Spenden aus anderen Mailänder Betrieben. In der Urabstimmung der Beschäftigten
in dem betroffenen Betriebsteil war das Vorhaben des Managements Mitte
September 2004 mit 181 gegen 114 Stimmen (bei 4 ungültigen Stimmzetteln)
abgelehnt worden, obwohl es zu diesem Zeitpunkt von den drei großen
Branchengewerkschaften FIM, FIOM und UILM noch unterstützt wurde. 305 der 361
Wahlberechtigten hatten sich an der Abstimmung beteiligt. Über den Beginn der
Auseinandersetzung informierte im Oktober 2004 die IG Metall-Website
„Siemens-Dialog“ (http://dialog.igmetall.de/Ansicht.73+M55e3a5f9e27.0.html).
Was die
Kampfformen anbelangt, bedeutet dieser Streik ein Novum und einen großen
Schritt in Richtung der Schaffung von Widerstandskassen („Cassa di resistenza“
= Streikfond), deren Einführung von verschiedenen italienischen
Gewerkschaftsvorständen zwar seit langem angekündigt wird, aber bisher eine
rein verbale bzw. symbolische Sache geblieben ist. Bei Siemens Cassina
de’Pecchi wurde sie von den Streikenden aus der Notwendigkeit heraus, den Widerstand
durchzuhalten, selbst geschaffen. Sollte dieses Beispiel Schule machen, so wäre
es endlich möglich in Italien über die relativ zahlreichen, aber stets auf
einen oder einen halben Tag begrenzten Streiks hinauszugehen, die einen mehr
demonstrativen Charakter haben, von dem sich Regierung und Kapitalverbände
längst nicht mehr beeindrucken lassen. Über Solidaritätserklärungen und Spenden
aus Deutschland und Österreich, aber auch über eine Weiterverbreitung der
Informationen über ihren Kampf in den einzelnen Siemens-Werken würden sich die
italienischen Kolleg(inn)en sicherlich freuen.
Wie aus
einer Mitteilung des Coordinamento Nazionale Siemens der drei großen
Metallarbeitergewerkschaften FIM-CISL, FIOM-CGIL und UILM-UIL vom 2.Mai 2005
hervorgeht, erklärte sich die Unternehmensleitung von Siemens Italia bei einem
Spitzengespräch in Rom am 28.4.2005 zu einer Harmonisierung der Arbeitszeit in
allen italienischen Siemens-Betrieben bei 37,3 Wochenstunden bereit – unter der
Voraussetzung, dass es zu einer weiteren Flexibilisierung, der Einführung von
Sonderschichten etc. kommt. Dazu waren die Gewerkschaftsführungen, mit dem
Hinweis auf zahlreiche entsprechende Regelungen in lokalen Abkommen zunächst
nicht bereit. Die Gespräche werden am 19.Mai fortgesetzt. Über die Pläne des
italienischen Siemens-Managements zur Durchsetzung unbezahlter Mehrarbeit
berichteten wir übrigens bereits in einer Übersetzung aus der linken
Tageszeitung „Liberazione“ vom 12.11.2004 (http://antifa.unihannover.tripod.com/Siemens_Italia.htm).
Die nachfolgende Mitteilung der Einheitlichen Gewerkschaftlichen Vertretung
(RSU), d.h. dem „Betriebsrat“, von Siemens Cassina dei Pecchi stammt vom 4.Mai
2005 und wurde unter anderem auf der Website des Coordinamento Nazionale
RSU (faktisch das „Labournet Italy“) veröffentlicht.
Eine Gruppe von Arbeitern streikt
seit mehr als 7 Monaten gegen die Nachtschicht
bei Siemens Cassina de’Pecchi
(Mailand)
Am 4.Oktober 2004 befahl die
Geschäftsleitung von Siemens Mobile di Cassina de’Pecchi <bei Mailand> Nachtarbeit auch für die Frauen.
Das Abkommen zur Ausdehnung
der Nachtschicht, dem die örtlichen Gewerkschaftsfunktionäre anfangs zugestimmt
hatten, wurde dann von der Gewerkschaft nicht unterzeichnet, nachdem die
Beschäftigten es in einer Abstimmung abgelehnt hatten. Trotz der Opposition der
Beschäftigten und ihrer gewerkschaftlichen Vertreter, die beklagen, dass die
dritte Schicht mit den Bedürfnissen der Arbeiterinnen nicht vereinbar ist, da sie
mit ihren familiären Verpflichtungen kollidiert und Arbeiter zu einer
3-Schicht-Arbeit gezwungen werden, obwohl die Arbeitsplätze nebenan ungenutzt
bleiben… <wurde sie
von der Geschäftsleitung eingeführt>.
Der Betrieb (der ca. 950
Beschäftigte hat, von denen 300 in der Produktion von Mobilfunktechnologie
arbeiten) zwingt 120 Arbeiter(inn)en (davon ungefähr ein Drittel Frauen)
einseitig die Nachtarbeit auf. Womit sie den Arbeitenden ihre Rechte und
Bedürfnisse aberkennt und die Würde der Arbeiterinnen und Arbeiter ignoriert.
Einige Arbeiter, reagieren
auf diesen Zwang (von ihren Kollegen finanziell unterstützt), indem sie während
der Nachtschicht streiken.
Als ob dies nicht genügen
würde, fährt Siemens fort Zeitarbeiter (interinali) einzusetzen, ohne
deren Anstellung in eine unbefristete umzuwandeln.
Die Arbeiter(inn)en von
Siemens in Cassina erhalten Solidaritätserklärungen aus anderen Betrieben,
Schulen und von gewerkschaftlichen Organisationen, die „Die Widerstandskasse“ finanziell
unterstützen. Bis heute ist in der Nachtschicht 1.400 Stunden lang gestreikt
worden und zwei Wochen lang gab es jeweils einen halbstündigen Streik pro
Schicht.
Für die Stunden des
nächtlichen Streiks wurde aus der Widerstandskasse, die eingerichtet wurde, um
die Belastung durch den Streik zu verringern und von den anderen
Arbeiter(inn)en des Werkes in Cassina unterstützt wird, eine Anzahlung in Höhe
von 8.400 Euro <auf
den ausgefallenen Lohn> geleistet.
WIR DANKEN:
-
der CGIL
Lombardei
-
Arbeiterinnen
und Arbeitern von Siemens Cinisello Balsamo <ebenfalls ein Vorort von Mailand>
-
der RSU <= dem „Betriebsrat“> von INNSE Pressen Mailand
-
dem
Anti-Asbest-Komitee ehemaliger Falck-Arbeiter
-
der RSU von
Ansaldo Camozzi Mailand
-
Itsos Cernusco
s/n
-
Arbeitern der
Microtecnica Brugherio
-
dem
RSU-Delegierten Itis „Cartesio“ des Siemens-Werkes Cinisello Balsamo
-
Angela
(beschäftigt bei Magneti Marelli)
-
Arbeiter(inn)en
des Siemens-Werkes Bicocca
-
Arbeitern der
Pompe Gabbioneta
-
der RSU
Marcegaglia Building Mailand
Informationen telefonisch unter: 0039 / 3386083973
RSU Siemens
Cassina de’Pecchi (Mailand)
Quelle: Carmelo_vittorio.Malia@icn.siemens.it
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
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