Antifa-AG der Uni Hannover:

 

In einem Leitartikel für das Parteiorgan von Rifondazione Comunista (PRC) – die Tageszeitung „Liberazione“ – untersucht die Chefredakteurin des Blattes, Rina Gagliardi, die Auswirkungen der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich auf die italienische Mitte-Linke. Sie betont dabei noch deutlicher als Parteisekretär Fausto Bertinotti kurz zuvor die grundsätzliche Unterstützung des imperialistischen EU-Projektes durch die Führung von Rifondazione, wenn es „friedlicher“, „demokratischer“, „sozialer“ und „beseelter“ wird. Das ist es nämlich, was Bertinotti, Gagliardi & Co. unter „radikaler linker“ Politik verstehen. Der Leitartikel erschien am 31.5.2005.

 

Nur der PRC hat von Anfang an zu diesem Vertrag Nein gesagt. Eine gewiß nicht einfache Positionierung. Umgekehrt ist das reformistische Lager gezwungen, eine neue Sackgasse zu registrieren. Das gilt für die Linksdemokraten (DS), vor allem aber für Prodi und Amato.

 

Die radikale Linke ist jetzt politisch gestärkt

 

Rina Gagliardi

 

Führt das französische Votum auch zu einem Erdbeben in der italienischen Linken ? Auch wenn das Wort Erdbeben als übertrieben erscheinen kann, wird die transalpine Lektion doch in jedem Fall auch bei uns relevante Auswirkungen haben. Und ein politischer Effekt ist bereits sichtbar: die radikale Linke ist heute politisch gestärkt und verfügt über ein größeres Gewicht und eine größere politisch-strategische Legitimation als in der Vergangenheit (auch in der jüngeren). Kurz: Sie ist aus einer (stets drohenden) „Minderheitenrolle“ herausgekommen. Umgekehrt ist das reformistische Lager gezwungen, eine neue Sackgasse zu registrieren. Ja, sogar eine schwere Niederlage.

 

Das gilt für die Linksdemokraten (DS) <d.h. den ehemaligen rechten Mehrheitsflügel der 1990 aufgelösten italienischen KP>, die – sicherlich ein bisschen symbolisch – die „postalisch-telefonische“ Kampagne für das Ja erfunden hatten. Und es gilt für die Führer ersten Ranges, wie Romano Prodi <ehemals Democrazia Cristiana> und Giuliano Amato <ehemals PSI>, die bei dieser Verfassungscharta (die die französischen Wähler für alle europäischen Wähler abgelehnt haben) eine direkte Rolle spielten. Sowohl der Kandidat für die Führungsposition in der <Mitte-Links-> Union als auch der ehemalige Vizepräsident des Europäischen Konventes verbergen in der Tat ihre große Enttäuschung nicht. Für den Moment reagieren sie allerdings mit mehr als verärgerten Tönen. Der Erstere klagt die Presse an, die (insbesondere die britische) schuldig sei, die EU und ihre Arbeit systematisch diskreditiert zu haben. Der zweite erklärt dem „Corriere della Sera“ nichtsdestoweniger sich jetzt wie der „Vater eines nicht geborenen Kindes“ zu fühlen.

 

Andererseits stimmt es auch, dass der Reformismus einen großen Teil der eigenen Identität (und auch der eigenen Glaubwürdigkeit) genau auf diesen Weg des europäischen Aufbaus gegründet hatte. Es ist jetzt nicht einfach, eine Entscheidung in Frage zu stellen, die eine strategische Investition war. Das wäre gerade so als ob man „heiter und unbeschwert“ über den Zustand des <mitte-linken> Olivenbaum-Bündnisses im In- und Ausland diskutieren würde.

 

Und doch sind die Fakten hartnäckig. Wie sehr man sich auch anstrengen mag, das Ergebnis des französischen Referendums als einen Sieg des nationalen Egoismus oder der Fremdenfeindlichkeit oder des typischen euroskeptischen Misstrauens der Rechten darzustellen, gibt es den linken Europäismus mittlerweile. Er besetzt einen beträchtlichen politischen und elektoralen Raum, und ist daher in der Lage auch die nächsten Entscheidungen des Landes in Bezug auf den europäischen Prozess zu beeinflussen. Auch wenn man es will, kann man ihn nicht mehr vertreiben oder in die Ecke drängen. Gewiss, der linke Europäismus ist heute keine „leichte“ Positionierung und war es nie. Es hat im Gegenteil jahrelange und in den Reihen der alternativen Linken oftmals unpopuläre Kämpfe gekostet <dahin zu gelangen>. Nur Rifondazione Comunista – man wird sich erinnern – hat zu diesem Vertrag von Anfang an Nein gesagt. Ist es im übrigen nicht mehr so leicht – ohne andere Kennzeichen – zwischen Europäisten <also Anhängern der EU> und Anti-Europäisten zu unterscheiden ? Zwischen denjenigen, die, ohne mit der Wimper zu zucken, das aus Maastricht hervorgegangene seelenlose Europa (dessen Seele nichts als die Logik des Marktes ist) akzeptieren und denjenigen, die mit dem Europa der Bankiers und der Technokratie die Idee Europas selbst ablehnen ?

 

Diese Schwierigkeit ist auch ein Ergebnis der Geschichte. Jahrelang standen nicht nur der PCI <d.h. die Italienische KP>, sondern auch die linke öffentliche Meinung in Opposition zum Prozess der europäischen Integration, der im wesentlichen als ein Instrument des Kalten Krieges und in jedem Fall als Etappe einer Entwicklung wahrgenommen wurde, die darauf abzielte, den Westen zu stärken und zugleich das „sozialistische Lager“ zu schwächen. Während die prinzipielle Feindschaft abnahm (mit Berlinguer, der für einen kurzen Augenblick den Versuch unternahm, einen linken Europäismus ins Leben zu rufen – den berühmten „Eurokommunismus“) blieb jedoch ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Projekt des vereinten Europas als neuer politischer Macht bestehen. Eine Tageslosung wie die, dass Europa vom Atlantik bis zum Ural reiche, blieb bis in die 80er Jahre hinein Teil der Bewegungen, bis zum ersten Ausbruch der Friedensbewegung.

 

Danach (und vor allem nach `89) gab es eine völlige Umkehr des Kurses zuerst des PCI und dann des <daraus hervorgegangenen> PDS und <später> der DS. Eine im wesentlichen unkritische europäistische Wende, wie bei der gesamten Außenpolitik der gemäßigten Linken. Und in den 90er Jahren war Europa – im besten Fall – das bevorzugte Terrain der Politik der Großen Koalition, bevor die Mitte-Rechte und der Berlusconismus ihrerseits zum bevorzugten Ort der Pflege des rechten Anti-Europäismus wurden.

 

Erst der Ausbruch der Antiglobalisierungs- und der Friedensbewegung hat wirklich wieder eine andere Dialektik in Gang gesetzt. Darin trat, wie man heutzutage sagt, eine alternative Subjektivität auf den Plan: das andere Europa, das mögliche Europa, war jenes, dass den Krieg ablehnte, die <sozialen und Bürger-> Rechte neu in die Diskussion einbrachte und die Solidarität praktizierte. Es ist an der Zeit zu sagen: gestern in Frankreich – morgen in Italien.

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover