Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Die „Partizipation“ an der bürgerlichen Staatsmacht und damit verbunden das Ergattern „bedeutender“ Staatsämter sowie die „Mitgestaltung“ kapitalistischer Politik im Rahmen einer „Wirtschaftsdemokratie“ zum Wohle des „großen Ganzen“ versetzen Reformisten aller Couleur regelmäßig in einen Rauschzustand. (Zumindest am Anfang.) Die Wirkung dieser ganz speziellen, durch nichts zu ersetzenden Droge zeigt das folgende Interview mit dem Europaabgeordneten der frisch gebackenen italienischen Regierungspartei Rifondazione Comunista (PRC), Roberto Musacchio, in der parteieigenen Tageszeitung Liberazione vom 12.9.2006. Während die sozialen Bewegungen am Boden liegen, die meisten Gewerkschaften des Landes „Dienst nach Vorschrift“ machen und sich die italienische Linke faktisch in einer schweren Orientierungskrise befindet, eilt Musacchio in seinem Rausch von einem welthistorischen Meilenstein zum nächsten. Die „Libanon-Lektion“ kaum hinter sich und beseelt von der „erstrangigen Rolle“, die die G8-Macht Italien nun wieder auf der internationalen Bühne spiele, phantasiert er jetzt davon als nächsten Schritt ganz Europa „vom Neoliberalismus (zu) befreien“. Natürlich nicht im Rahmen eines Neuaufschwungs der Arbeiterbewegung und der (revolutionären) Linken, sondern zur „Neulancierung des Europäismus, zur „Bewältigung der Krise“ und dazu „die EU geeinter und stärker zu machen“! Also zur Sanierung und verstärkten Unterstützung des heranwachsenden bürgerlichen Kontinentalstaates EU, dessen imperialistischer Politik der nötige soziale Konsens verschafft werden soll. Wobei konsequenterweise „die Diskussion zwischen Parlamenten zentral werden muss“ und die außerparlamentarische Bewegung sang- und klanglos von der politischen „Agenda“ verschwindet. Wer nun meint, Musacchio sei für Rifondazione Comunista anno 2006 vielleicht nicht repräsentativ, der irrt. Parteichef Franco Giordano vertrat zu den Themen Libanon-Mission und EU-Wirtschafts- und Sozialpolitik in einem Interview für Liberazione vom 12.10.2006 exakt dasselbe. Zum Teil sogar wortgleich!

 

Zur Person: Der 50jährige Roberto Musacchio war in den 70er Jahren Jungfunktionär der linksradikalen Partei der Proletarischen Einheit (PdUP), schloss sich nach deren Zerfall dem PCI (d.h. der offiziellen KP) an und war nach dessen Selbstauflösung 1990 als Mitglied des linken PCI-Flügels einer der Mitbegründer des Partito della Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Neu/be/gründung – PRC). Europaabgeordneter ist er seit 2004 (siehe auch: http://www.europarl.europa.eu/members/public/geoSearch/view.do?language=IT&id=28977).

 

Interview mit dem Europaabgeordneten von Rifondazione:

 

Musacchio: „EU okay was den Libanon anbelangt. Nun muss man sich vom Neoliberalismus befreien.“

 

Angela Mauro

 

Von der „Libanon-Lektion“ ausgehen, um die Ausrichtung der Europäischen Union in punkto Wirtschaftspolitik zu revidieren. Während die Diskussion über die Aufrufe des EU-Kommissars Joaquin Almunia und die Mahnungen der EZB wegen des <italienischen> Haushaltes für 2007 tobt, erinnert er an die erstrangige Rolle, die Italien auf der internationalen Ebene beim Thema Frieden gespielt habe, um zu sagen, dass man anfangen könne, Europa einen Ausweg aus dem „neoliberalen Einheitsdenken“ zu sichern. Vier Vorschläge macht der PRC: „Den EU-Etat verändern, über einen aktiven Einsatz der Währung nachdenken, die sozialen Parameter überdenken und Partizipation in der Wirtschaft schaffen.“

 

Was meinst Du, wenn Du sagst: „Man kann vom Libanon lernen“?

 

„Ebenso wie die Logik des Krieges einer Logik des Friedens weichen musste, um ein vereintes Europa zu erleben, muss man sich klarmachen, dass diese Wirtschaftspolitik Europa schadet und ihre Änderung dazu dient die EU geeinter und stärker zu machen. Wenn man eine Linie des Friedens verfolgt, muss man auch die Wirtschaft dem anpassen. Ich ziehe keine Parallelen zwischen der Logik des Krieges und dem Monetarismus. Man muss allerdings die für das monetaristische Einheitsdenken typische Idee der Auseinandersetzung (scontro) hinter sich lassen – auch aufgrund der objektiven Daten, über die wir verfügen. Alle Ziele von Lissabon <gemeint sind die Beschlüsse des EU-Sondergipfels am 23./24.März 2000 in Lissabon> vom stärkeren Wachstum über den sozialen Zusammenhalt und die Qualität der Umwelt sind im roten Bereich. Das Wirtschaftswachstum ist äußerst niedrig. Wie die Pariser Banlieue zeigt, gibt es eine soziale Krise. Und wie die Ablehnung des Verfassungsvertrages bei den Referenden in Frankreich und Holland zeigt, gibt es auch eine politische Krise.“

 

Im kommenden Jahr sollte unter der deutschen EU-Präsidentschaft der europäische Verfassungsprozess wieder aufgenommen werden. Wie kann man den beeinflussen?

 

„Erstens muss man den EU-Etat ändern, der bei 1% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegt, d.h. unterhalb der von der Europäischen Union unter dem Vorsitz von Prodi festgelegten 1,18% und unter den von der Lissaboner Agenda vorgesehenen 2%. Zweitens muss über einen aktiven Einsatz der Einheitswährung nachgedacht werden, zum Beispiel indem ‚Eurobonds’ vorgeschlagen werden, die in die großen ökonomischen, sozialen und Umweltfragen investiert werden, über die in Europa Einigkeit besteht. Drittens braucht man verpflichtende soziale Parameter: Die Verringerung der Arbeitslosigkeit und des Ausmaßes der Umweltverschmutzung stellen rigide Elemente dar, mit denen sich einzelne Länder beurteilen lassen. Schließlich – und das ist der vierte Punkt – muss eine Wirtschaftsdemokratie geschaffen werden, die Mitbeteiligung vorsieht und das Parlament sowie die sozialen Subjekte einbezieht. Zum Beispiel hat sich in Sachen EU-Haushalt das EU-Parlament als das sensibelste Subjekt erwiesen, das ihn unter einer starken EU-Präsidentschaft wie der britischen ablehnten. Jetzt auf eine starke Präsidentschaft, wie die deutsche, zu warten, löst das strukturelle Problem nicht.“

 

Der Sekretär der <größten und früher PCI-nahen italienischen Gewerkschaftszentrale> CGIL, Epifani bezeichnet die EZB als „selbstbezogenes Organ, das nur an die Zahlen denkt“, <der italienische Außenminister und führende Linksdemokrat> D’Alema kritisiert Almunia. Gibt es Spielräume für eine neue Ausrichtung?

 

Epifani hat Recht, aber wir stehen nicht vor einer Polemik zwischen Italien und Europa. Nein zu den provinziellen Polemiken! Wir stehen vor einer internen Polemik über die Europa-Konzeption. Es ist die neoliberale Politik, die dem Vorankommen der EU geschadet hat. Die italienische Regierung hat beschlossen, sich an der Neulancierung des Europäismus zu beteiligen und in diesem Sinne werden die Feierlichkeiten zum 50.Jahrestag des Römischen Vertrages von Bedeutung sein. Dies erlaubt es unserem Land, eine Rolle als Ideengeber zu spielen. Die Rangordnung der Faktoren muss umgekehrt werden: die Diskussion zwischen Parlamenten muss zentral werden. Der Verfassungsvertrag kann / darf die monetaristische Logik nicht heiligen. Nicht einmal die UdSSR verfügte in ihrer Verfassung über eine Wirtschaftstheorie. Wir haben die Krise des neoliberalen Europas erlebt. Es ist allerdings das Adjektiv, das in der Krise steckt und nicht das Substantiv. Wenn sich Europa von diesem Adjektiv befreit, kann es bei der Bewältigung der Krise entscheidend werden.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover